Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

☾︎ 𝗞𝗮𝗽𝗶𝘁𝗲𝗹 𝗱𝗿𝗲𝗶 | 𝗕𝗿𝗼𝗼𝗸𝘀 ☽︎

Kapitel drei

°Brooks°

Träge öffne ich die Augenlider und blinzle gegen das helle Licht an, welches von der Decke der Flughafenhalle in alle Richtungen strömt. Neonröhren sorgen dafür, dass jeder noch so kleine Winkel beleuchtet wird. Irgendwo schräg über mir flackert eine und macht mich im Kopf ganz wuschig.

George, der neben mir sitzt, gibt grunzende Geräusche von sich und ich verwette alles darauf, dass er schon wieder Mario Kart spielt und dabei ist, zu verlieren. So wie eigentlich immer. Obwohl wir das Spiel mittlerweile schon so oft gespielt haben. Die anderen Spieler sind einfach immer besser als er.

Ein Gähnen steigt meine Kehle nach oben und ich halte mir eilig die Hand vor den Mund, damit nicht alle Welt meine Zähne zu sehen bekommt. Ich bin einfach noch so schrecklich müde. Aber das kommt davon, wenn man knappe vierundzwanzig Stunden keinen Schlaf bekommt. Es ist jetzt dreiundzwanzig Uhr dreißig. In fünfzehn Minuten geht mein Flug nach London, Großbritannien. Und obwohl es mitten in der Nacht ist und jeder normale Mensch um diese Uhrzeit für gewöhnlich schläft, ist es recht voll hier. Die meisten Menschen, die ich bis jetzt gesehen habe, scheinen aber Unternehmer, Marketing Manager oder verrückte Urlauber zu sein, die alle pünktlich in London (oder irgendeiner anderen Stadt, die man von hier aus erreichen kann) ankommen wollen. Der Grund dafür, warum auch ich jetzt hier sitze, die Schmetterlinge in meinem Bauch Tango tanzen und ich mich gleich übergeben muss. Claire fand, dass es am Besten ist, wenn ich so früh wie möglich in England lande, damit ich das ganze Wochenende Zeit habe, um mich einzugewöhnen.

Eine der größten Hürden – mal abgesehen von den sozialen Kontakten – wird die Zeitverschiebung sein. Fünf Stunden hängt Boston hinter Englands Hauptstadt her. Wenn mein Flug hier also um dreiundzwanzig Uhr fünfundvierzig geht, ist es da, wo ich später lande, schon vier Uhr fünfundvierzig in der Früh. Das wird eine ziemliche Veränderung werden und ich weiß nicht, wie schnell ich es schaffen werde, mich daran zu gewöhnen. 

»Okay, Schatz, du muss jetzt langsam los«, erinnert Mum mich und tippt auf ihre Uhr. Sie sitzt im Sessel vor mir und hat die ganze Zeit, in der wir hier sind, nichts anderes getan als auf die Uhr zu schauen. Dad war für das Essen verantwortlich gewesen und hat uns mit Sandwiches von Subway versorgt. Dadurch, dass wir relativ früh losgefahren und dann auch noch gut durchgekommen sind, hatten wir ziemlich viel Zeit, die wir vertrödeln mussten, bis es für mich los ging. Aber jetzt ist es so weit und ich weiß absolut nicht, ob ich das gut, oder doch eher schlecht finden soll.

Alle um mich herum sind der Meinung, dass England für mich die Chance ist, alles wieder gerade zu biegen, was zerstört worden ist. Aber meine Seele ist nun einmal zersplittert und mit Narben verziert, die jeden Tag neu aufreißen können. Das heilt sich nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn ich allein schon drei Jahre gebraucht habe, um jede einzelne Narbe oberflächlich zu flicken. Das geht einfach nicht. Also tu ich so, als wäre ich auch dafür. Als glaubte ich daran, dass England alles repariert. Ich lasse alle denken, dass es Zeit für Brooks ist und ich Tilly hinter mir lassen kann. Aber in meinem Inneren weiß ich, dass ich nicht mehr zu retten bin. Niemand hat das Werkzeug dazu, meine kaputten Stellen wieder zu reparieren. Ich lasse mich äußerlich flicken, aber für meine Seele und meine Gedanken kann ich nichts versprechen. Weder anderen, noch mir selbst. Also mache ich mir einfach nichts vor. Niemand, nicht einmal ich selbst, kann mich heilen.

Ich schließe Mum und Dad fest in den Arm und verabschiede mich weinend bei ihnen. Keine Ahnung, was ich ohne die beiden machen soll. Ohne die Menschen, die mich besser verstehen, als es jemals jemand können wird.

Es kann sein, dass Mum auch weint, aber sie wischt sich so schnell über die Augen, dass ich mir nicht sicher bin. Dad tut es jedenfalls nicht, aber ich kann seinen Gesichtszügen ablesen, dass er mich jetzt schon vermisst.

»Wir telefonieren ganz oft, ja?«, frage ich und wische mir die Tränen aus den Augenwinkeln.

Mum verspricht mir, dass sie mich jede Woche mindestens einmal anruft und ich immer schreiben kann, wenn es zu viel wird. Und falls ich England nicht mehr aushalte, kann ich jederzeit zurück kommen. Das klingt zwar verlockend, aber ich weiß, wie enttäuscht sie wäre, wenn ich frühzeitig wieder hier lande und es mir nicht besser geht. Einfach zu Hause anrufen und den nächsten Flug nach Boston buchen ist also absolut keine Option. So verlockend es vielleicht auch klingt.

George umarmt mich länger, als er es für gewöhnlich tut und drückt mir zum Abschied seine Nintendo Switch in die Hand. »Die läuft auch über Fernverbindung. Hab es gegoogelt. Du brauchst doch jemanden, den du schlagen kannst.«

Ich lache mit von Tränen verhangenen Augen und drücke die Switch an mich. »Danke. Ich passe gut drauf auf.«

Er hebt seine Hand und streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du wirst England rocken, Brooks. Und wenn du danach keinen Fortschritt gemacht hast, dann ist das okay. Lass das Leben in deinem Tempo laufen.«

Ich nicke nur, weil ich nicht die passenden Worte finde. George ist einfach eins der schönsten Dinge, die mir das Leben geschenkt hat.

»Pass auf dich auf«, flüstere ich ihm ins Ohr, als ich ihn noch einmal umarme.

George streicht beruhigend mit seiner Hand über meinen Rücken und wispert zurück: »Und du auch auf dich.«

Dann passiere ich die Sicherheitskontrolle, lasse meinen Pass anschauen, zeige mein Ticket und fahre anschließend die große Rolltreppe nach oben. Das Handy in der Vordertasche meines schwarzen Hoodies vibriert und ich bin mir sicher, dass es Stella ist, die mir alles Gute wünscht.

Als ich oben stehe und kurz davor bin, den Gang entlang zum Flugzeug zu gehen, drehe ich mich noch einmal um. Unten stehen Mum, Dad und George und sehen mir nach. Dad hat Mum einen Arm um die Schultern gelegt. Alle drei Lächeln sie mir zu und ich lächle zurück. Sie haben es verdient, zu denken, dass ich glaube, dass das hier mein Neubeginn wird.

Ich hebe die Hand und winke ihnen. Falls das tatsächlich das Ende meines bisherigen Lebens und der Beginn von etwas Neuem sein sollte, dann spüre ich es nicht. Ich spüre nur dieses ungute Gefühl in meiner Magengegend, das mir sagt, ich solle umdrehen und wieder mit nach Hause fahren. Doch das kann ich nicht tun. Erst muss ich versuchen, England-Brooks zu sein. Wenn schon nicht für mich, dann für die Menschen, die mich lieben und nur das Beste für mich wollen. Ich bin es ihnen schuldig.

******

Ich weiß nicht, ob ich heulen, kotzen oder lachen soll. Am Besten eine Mischung aus allem, denn, Ladys and Gentleman, wir haben elf Uhr dreißig englische Zeit! Das Flugzeug ist gerade eben gelandet und wir sind nicht abgestürzt und ich bin so froh, wieder festen Boden unter meinen Füßen zu haben, dass ich ihn am liebsten küssen will. Was ich dann doch lieber lasse, weil so etwas niemand tut und es außerdem sehr ekelhaft ist, wenn man bedenkt, wie viel Dreck sich da über die Jahre hinweg ansammelt. Selbst wenn sauber gemacht wird. Trotzdem habe ich gerade Lust, ein paar Luftsprünge zu vollziehen.

Je länger ich jedoch an einem Fleck stehe und tief ein und aus atme, desto mehr wird mir bewusst, wo ich mich befinde. In London, England, auf einem anderen Kontinent. 3270,9 Meilen von zu Hause entfernt. (Hab es vor dem Abflug nachgelesen.) Das ist verdammt weit weg. Jetzt bin ich endgültig auf mich allein gestellt. Ob ich das schaffe, wird sich erst noch herausstellen müssen.

»Mami, wo sind unsere Koffer?«, höre ich einen kleinen Jungen fragen, der nicht weit von mir entfernt steht. Er spricht mit englischem Akzent, deswegen denke ich, dass die Familie gerade aus dem Urlaub zurück gekommen ist.

Seine Mum erklärt ihm, dass die Koffer gerade aus dem Bauch des Flugzeuges geladen werden und wir sie uns von einem Laufband nehmen müssen.

Das erinnert mich an meinen Koffer, der ja auch gerade auf eben diesem Laufband steht! Verdammt! An das Teil habe ich nun wirklich nicht mehr gedacht. Da ich nicht weiß, wo es zu den Koffern geht, folge ich einfach dem kleinen Jungen und seinen Eltern. Ich bin so froh, als ich die ganzen Koffer sehe, die auf einem Band langsam an uns vorbei ziehen.

Es ist nur so, dass hier verdammt viele Menschen stehen und ich nicht ohne weiteres nach vorne komme, um mir meinen Koffer zu schnappen. Hier ist noch mehr los als vorhin in Boston.

Ich will mich nicht an den Menschen vorbei drängeln, weil ich keine Lust darauf habe, dass sich jemand bei mir beschwert. Niemand soll mich bemerken. Also warte ich einfach darauf, dass es leerer wird.

Keine Minute später muss ich dieses Vorhaben allerdings verwerfen, denn ich sehe meinen Koffer an den Leuten vorbei fahren. Mist! Ich versuche, mich an den beiden Frauen, die vor mir stehen, vorbei zu schieben, doch rechts von ihnen telefoniert ein sehr bullig aussehender Mann mit jemandem, den er anscheinend nicht sehr leiden kann und links von ihnen schubsen sich zwei Jungen um die zwanzig des Spaßes halber umher. Für mich ist das eher weniger lustig. Vor allem, weil diese Aufzählung endlos weiter gehen könnte. Immer, wenn jemand seinen Koffer nimmt und ich denke, dass ich endlich weiter vor komme, drängelt sich eine neue Person dazu und verbaut mir die Chance darauf.

Wo werden die Koffer eigentlich hingebracht, wenn niemand sie vom Laufband nimmt? Weiß das jemand? Ich wüsste es sehr gerne. Oder bleiben sie ewig auf dem Laufband liegen? Hätte ich das doch nur mit meinen Eltern besprochen!

Mit dem Blick verfolge ich meinen Koffer, bis er aus meinem Sichtfeld verschwindet. So eine Scheiße! Ich nehme die Beine in die Hand und laufe ihm hinterher. Währenddessen versuche ich, die Stimmen in meinem Kopf abzuschalten, die mir sagen, ich solle im Hintergrund bleiben und nicht auffallen. Wenn ich die jetzt wahrnehme, dann bekomme ich mein Gepäck in der nächsten halben Stunde nicht in die Hand. Außerdem soll ich doch beweisen, dass ich Brooks sein kann und Brooks ist es egal, wenn sie ein paar Menschen halb über den Haufen rennt.

Nichtsdestotrotz entschuldige ich mich gedanklich bei jeder Person, die ich anrempele.

Nach wenigen Minuten habe ich es geschafft. Ich stehe direkt vorne, dass Fließband vor meiner Nase. Mein Blick zuckt nach links und rechts, doch ich kann meinen blauen Koffer nirgendwo entdecken. Mein Herz überschlägt sich in meiner Brust und stolpert einen Marathon laufend weiter. Verdammte Mistkacke mit Sahnehäubchen! Warum passiert so etwas immer gerade mir?

Ich schließe die Augen und atme tief durch. Jetzt gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren. Alles andere bringt mich nicht weiter. Trotzdem spüre ich, wie sich mein Puls beschleunigt und die Panik steigt.

Wenn ich meinen Koffer jetzt nicht doch noch finde, dann muss ich jemanden danach fragen. Eine fremde Person und ich muss die richtigen Worte aussprechen. Es wäre schrecklich peinlich, wenn ich mich versprechen würde. Aber ich weiß nicht, ob ich es fertig bringe, einfach so einen Mitarbeiter hier anzuquatschen. Was, wenn ich unfreundlich herüber komme oder man mir total motzig antwortet? Was, wenn ich ausgelacht werde und mein Gepäck nicht wieder zurück bekomme? Wenn man mich für dumm hält, weil ich nicht schnell genug hier war und meinen Koffer vom Band ziehen konnte?

Was wenn...

»Entschuldige? Gehört der hier dir?«

Ruckartig drehe ich meinen Kopf zur Seite und blicke in ein paar eisblaue Augen. Das Mädchen hat eine Stupsnase mit Sommersprossen, einen schön geformten Mund und ein von blonden Locken umrahmtes Gesicht. Sie strahlt so viel Perfektheit aus, dass ich mich glatt unnötig fühle, je länger ich neben ihr stehe.

Erst nach ein paar Sekunde realisiere ich, dass sie mich zwar anlächelt, aber mit dem Kinn auf ihre rechte Hand zeigt, in der sie meinen blauen Koffer hält. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Die blonde Schönheit hat ihn gefunden!

»Ja... ja. Das... ist meiner«, stottere ich ihr eine Antwort entgegen und würde meinen Kopf am liebsten in Sand vergraben.

Meine Hände sind schweißnass und ich wippe leicht auf meinen Fußballen umher. Am Besten ist es, wenn sie mir einfach das Gepäckstück gibt und dann geht. Keine große Konversation betreiben. Einfach nur kurz lächeln, nicken und gehen.

Stattdessen wird ihr Grinsen breiter und sie hält mir den Henkel des Koffers entgegen.

»Puhh, zum Glück habe ich dich gefunden! Das Teil hier ist vom Band gefallen und ich habe mich durch mindestens acht Personen gefragt. Eigentlich wollte ich schon aufgeben und den Koffer bei den Fundsachen vorbei bringen, aber dann habe ich dich gesehen und es schien mir so, als würdest du nach etwas suchen. Hab einfach alles kombiniert und bin zu dem Schluss gekommen, dass der hier deiner sein muss. Gut, dass er jetzt wieder bei seinem Besitzer ist!« Ich frage mich ehrlich, wie sie es schafft, zwischen den Wörtern Luft zu holen und dann nicht außer Atmen zu kommen. Wie kann ein Mensch mit jemand Fremden so offen reden? Seit wann ist das möglich. Oder – besser gefragt – wie?

Ich gebe ein »Mhmh«, von mir und nehme ihr den Henkel ab. Er ist warm und klebt leicht. Igitt. Aber es fühlt sich gut an, meinen Koffer wieder zu haben. Letztendlich ist es vielleicht sogar nicht schlecht, dass die Blondine ihn gefunden hat. Sie scheint es mir nicht übel zu nehmen, dass ich so wenig rede.

»Na ja, wie auch immer. Ich muss dann los, mein Freund wartet auf mich. Hab eine schöne Zeit in London!« Mit diesen Worten rauscht sie davon, ehe ich dazu komme, ebenfalls auf wiedersehen zu sagen. Das ist mir nur recht. Hauptsache so wenig reden wie nur möglich. Im Stillen schicke ich ihr trotzdem ein Dankeschön hinterher.

Mit einem Lächeln auf den Lippen laufe ich aus dem Gedränge hier heraus und schiebe mich in die Flughafenhalle. Immer, wenn Flieger landen, ist es brechend voll. In Boston vorhin habe ich das gar nicht bemerkt, weil es so spät war, aber jetzt... Jetzt ist es morgens, gegen Mittag sogar schon und das ist meistens die Zeit der Geschäftsleute. Sie steigen in Flieger ein oder aus welchen aus und stürmen zu Meetings oder ins Bett.

Mitten in der Halle bleibe ich stehen und taste nach meinem Handy, das ich, statt in meinem Rucksack, in der Vordertasche meines Hoodies verstaut habe. Eine neue Nachricht von George, zwei von Stella und eine von Claire. Auch wenn mich die Nachrichten von George und Stella mehr interessieren, klicke ich auf die von meiner Therapeutin und überfliege sie.

Claire erklärt mir nur noch einmal das, was wir eigentlich schon besprochen haben. Eine gewisse Eloise holt mich vom Flughafen ab, bringt mich zu sich nach Hause und dort kann ich mich erst einmal einleben. In der Schule am Montag muss ich erst ins Sekretariat, um mir einige Unterlagen abzuholen und werde dann meiner Klasse vorgestellt. Mit dem Schulstoff bin ich ihnen sogar schon etwas voraus. So kann ich mich vorerst darauf konzentrieren, hier zurecht zu kommen und das Lernen erst einmal leicht links liegen lassen. Falls ich überhaupt jemals mit dieser Situation zurecht komme. In mir schreit die ganze Zeit eine Stimme, dass ich sofort wieder abhauen soll und das alles hier ein Fehler ist, während ich Claire aber gleichzeitig beweisen will, dass ich das hier durchziehen kann. Ich kann das schaffen, wenn ich mich zusammenreiße und meinen Schmerz ignoriere. In Worte gefasst klingt das Leben immer wahnsinnig einfach. Schreib gute Noten und du wirst ein erfolgreiches Leben haben. Alles klar. Motivierende Worte, machen wir. Aber sei erst einmal so gut in der Schule, um den Abschluss zu machen. Um nur ein Beispiel zu nennen.

Seufzend stopfe ich mein Handy zurück und sehe mich mit gesenktem Kopf um.

So viele Menschen. Und niemand nimmt die anderen wahr. Ich könnte jetzt stolpern und mir den Fuß brechen und es würde niemanden jucken. Das einzig gute an der heutigen Gesellschaft. Wenn du dich unsichtbar machst, dann bist du auch unsichtbar. Es muss nicht immer kompliziert sein.

Eine große Uhr zeigt mir, dass es kurz nach dreiviertel zwölf ist. Eloise dürfte in wenigen Minuten ankommen. Es kommt ihr sicherlich entgegen, wenn ich schon einmal nach draußen gehen und dort auf sie warte. Dann müssen wir uns nicht noch Ewigkeiten suchen. Das kann ganz eventuell sehr unangenehm werden.

Ich muss nur noch kurz einen Schluck trinken. Ich hieve mir meinen schwarzen Rucksack von den Schultern (ein Geschenk von Stella und George nach meiner ersten Therapiesitzung) und ziehe meine Jacke aus. Es ist wahnsinnig stickig hier und eine dicke Winterjacke trägt nicht dazu bei, dass es etwas kühler wird. Die Jacke landet auf meinen Koffer und ich krame in meinem Rucksack nach der Wasserflasche. Bevor ich sie jedoch finden kann, spüre ich ein unangenehmes Prickeln in meinem Magen. Unauffällig richte ich mich auf und lasse den Blick durch den Raum schweifen. Niemand sieht zu mir, alle ignorieren mich und haben ihre eigenen Probleme oder Gedanken. Ich muss mir eingebildet haben, dass ich von jemandem beobachtet werde. Natürlich habe ich mir das eingebildet. Mich beachtet grundsätzlich niemand. Das war schon immer so und wird auch immer so sein. Ob ich nun etwas dagegen tun will oder kann oder eben nicht. Keiner beachtet das Mädchen mit den hellbraunen Haaren und den grünen Augen. Keiner bis auf... Ich schlucke und spüre, wir mir flau im Magen wird. Keiner bis auf ihn. Aber er hat mich nur beachtet, um mir zu sagen, was ich falsch mache. Und vielleicht hatte er teilweise auch recht. Ich weiß es nicht. Aber ich bin nun einmal nicht besonders gut darin, mit Menschen zu reden und ich hasse es, im Dunkeln allein zu sein. Vielleicht hat er mir auch einfach nur die Augen geöffnet.

Ich ziehe das Handy aus der Tasche und schaue, ob Claire noch etwas geschrieben hat. Hat sie nicht. Es ist nur eine Nachricht von Mum dazu gekommen. Die Mühe, das Telephon wieder einzustecken mache ich mir nicht. Lieber umklammere ich es fest mit meiner Hand. Ich darf nicht denken, dass alles, was er zu mir gesagt hat auch wirklich wahr ist. Claire hat mir schon so oft gesagt, dass alles davon nur Scheiße war, die mir am Arsch vorbei gehen kann. Mehr als das zu versuchen kann ich aber nicht. Und... wenn er nun einmal recht hat.

Ich schließe die Augen und atme tief ein und aus. So wie immer. Das ist mittlerweile wie ein Teilzeitjob für mich. Gezielt atmen. Meine Zähne bohren sich in meine Lippen, der Schmerz katapultiert mich zurück in die Wirklichkeit. Innerlich gebe ich mir ein paar Backpfeifen und rufe mich zu Besinnung. Für solche Gedanken bin ich nicht hier. Ich soll Abstand – Urlaub – von ihnen nehmen. Also versuche ich jetzt genau das.

Ohne auch nur noch einen Gedanken daran zu verschwenden, etwas zu trinken, ziehe ich den Reißverschluss des Rucksacks zu, packe das Handy wieder an Ort und Stelle und streife mir die Jacke über. Den Rucksack hänge ich an den Henkel des Koffers. Mit meinem Gepäck im Schlepptau quetsche ich mich durch den Menschen hindurch nach draußen. Kühle Luft fährt über meine Wangen und lässt all die negativen Gedanken eiskalt erfrieren.

******

»Also gut. Hier ist das Bad, dass du dir mit mir teilst. Hier ist mein Zimmer und da drin«, Eloise öffnet eine der blitzend weißen Türen, »Ist dein Zimmer. Zumindest für die nächsten Monate.«

Ich trete nach dem Mädchen in den Raum und das erste, was mir einfällt ist: »Groß.«

Eloise lächelt mich leicht stolz und leicht schnippisch zu gleich an. »Man gewöhnt sich dran.«

Bei ihr kann ich mir das sogar vorstellen. Ob ich mich daran gewöhnen werde ist die andere Frage. Ein großes Fenster mit breiter Fensterbank durchflutet das Zimmer mit gräulichem Licht und unter der Schräge steht ein Bett, auf welchem fein säuberlich Kopfkissen und Decke liegen, mit blauem Bezug. Es gibt einen Kleiderschrank, der mir im Gegenteil zu meinem wie ein Riese erscheint und einen Schreibtisch aus Olivenholz, auf dem eine schwarze Lampe thront. Zu dem kann ich ein Bücherregal erkennen. Es ist schwarz und sieht schon etwas älter aus. Die Wände des Raums sind zum größten Teil weiß. Die hinter der Tür ist jedoch in einem blassen Blau gestrichen und hebt die Bilder zur Geltung, die man dort angebracht hat. Allesamt sehen sie aus wie ein schönes Ästhetik, das man auf Pinterest zusammengestellt hat.

»Schön hier«, quetsche ich mit piepsiger Stimme hervor und versuche, Eloise anzulächeln.

Diese zuckt mit den Schultern und sagt: »Ich hole dich dann, wenn es essen gibt. Sortiere dich unterdessen ein bisschen. Pack deinen Koffer aus. Sechs Monate können eine lange Zeit sein.«

Mit diesen Worten schreitet sie mit wippenden, schwarzen Haaren zur Tür hinaus und zieht diese hinter sich zu.

Tief durchatmend lasse ich mich auf das Bett fallen. Eigentlich dachte ich ja, meine Pflegefamilie würde mir die Zeit hier in London zumindest etwas erleichtern, aber nichts da. Eloise versucht nett zu sein, verdreht jedoch immer, wenn sie denkt, ich würde es nicht bemerken, die Augen über mich. Ihre Eltern sind zwar etwas freundlicher und haben mich auch höflich empfangen, aber ihre ersten Blicke haben mir gereicht. Sie haben mit einem Supermodel gerechnet, dass sie bei sich aufnehmen, nicht mit einem Mädchen, das eine schwarze, ziemlich abgetragene Leggins, eine kurze, blaue Hose und einen übergroßen Hoodie trägt. Zwar sehen wenigstens meine Haare ordentlich aus, die ich zu zwei französischen Zöpfen geflochten habe, aber das bringt mir hier keine Pluspunkte. Seien wir aber doch mal ehrlich. Tief in mir drin habe ich nichts anderes erwartet. Es gibt nur wenige Menschen, die glücklich über meine Anwesenheit sind. Vielleicht werde ich mit den Andersons im laufe der Zeit ja noch warm.

Das Erste, was ich mache, ist, meinen Eltern zu schreiben, dass es mir gut geht und Eloise und ihre Familie total nett sind. Mum und Dad sollen sich keine Sorgen wegen mir machen. Als nächstes folgt eine Nachricht an Claire, in der ich sie darüber informiere, dass ich mich leicht unwohl fühle. George ist der einzige, der eine wirklich ehrliche Nachricht von mir bekommt.

Brooks: Es ist verdammt scheiße hier.

Keine zwei Minuten später erreicht mich seine Antwort.

George: Hier auch, wurde gerade aus dem Schlaf geweckt.

Brooks: Ohhhhh Mist! Ich habe die Zeitverschiebung total vergessen. Tut mir leid...

George: Schwamm drüber. Es gibt wichtigeres als meinen Schlaf. Warum ist es scheiße bei dir?

Brooks: In chronologischer Reihenfolge?

George: Ich bitte darum.

Brooks: 1. Es ist mies kalt hier.

2. Die Engländer sprechen gerne und viel.

3. Ich bin verdammt müde!

4. Meine Pflegefamilie mag mich nicht.

George: Wow. Maximale Überforderung.

Brooks: Wem sagst du das...

George: Dir.

George: Ist es wirklich so schlimm?

Brooks: Das mit dem Wetter und der Müdigkeit? Nein. Das mit dem Reden und den Menschen bei

denen ich wohne? Ja.

Brooks: Sie haben mich angesehen, als würde ich hinterwäldlerisch leben oder vom Mond

kommen! Am schlimmsten ist aber Eloise. Ich habe das Gefühl, sie kann mich ganz und

gar nicht leiden.

George: Das mit dem hinterm Mond leben unterschreibe ich voll und ganz! Du hast dich in den

letzten Jahren eher weniger wie ein Mensch dieser Erde verhalten.

Brooks: Na, schönen Dank auch.

George: Sorry, nur die Wahrheit. Du bist eben ein kleines Mondmännchen. Aber ich war noch nicht

fertig. Ganz wahrscheinlich ist diese Eloise nämlich eine von der Sorte Menschen, die

vorschnell über jemanden urteilen.

Lass ihr etwas Zeit, sich an dich zu gewöhnen. Für sie ist das alles auch neu.

Brooks: Gerade frage ich mich, warum wir Claire als meine Therapeutin überhaupt bezahlen.

Du könntest locker ihren Job übernehmen. Aber über das mit dem Mondmännchen reden

wir noch.

George: Nhaa, eher nicht. Du hast jetzt einen neuen Spitznamen.

Was mich als deinen Therapeuten angeht: Ich weiß. Danke.

Brooks: Nein, ich danke dir. Vermutlich muss ich das alles hier erst einmal auf mich wirken lassen.

George: Süße, du musst immer alles auf dich wirken lassen. Aber das finde ich gut. So bist du

nämlich immer die, die die klügsten Entscheidungen trifft.

Brooks: Danke, George. Du bist der Beste.

George: Weiß ich doch.

George: Mondmännchen.

Brooks: Selber!

Seufzend lasse ich den Bildschirm meines Smartphones schwarz werden. England ist eine ganz neue Erfahrung für mich und mit den Andersons fängt es gerade erst an. 

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro