Chapter 8
Das Klingeln meines Weckers ließ mich von meinem Bett hochfahren und schon rutschte mir die Augenmaske weiter nach unten. Es war viel zu früh. Meine Augen gewöhnten sich schwer an die Morgendämmerung und versuchten, nicht aus Erschöpfung wieder zuzufallen. Nach fünf Sekunden hatte ich mich aus dem Bett geschwungen, sodass ich auf den Fliesen landete und wie eine Blinde durch das Badezimmer tapste. Hastig entledigte ich mich meines Morgenmantels, stieg in die kalte Dusche und ließ das kühle Nass auf mich hinunter prasseln.
In diesem Moment erwachte mein Körper wieder zum Leben, so dass ich aus der Dusche stieg, die Haare abtrocknete und mich auf dem Stuhl von meinem Schminktisch niederließ. Ich nahm meine Beautysachen, um mich meinem Gesicht zu widmen. Selbst wenn mich das hier eine halbe Stunde Schlaf kosten würde, ich konnte meine Morgenroutine nicht außen vorlassen. Also cremte ich mein Gesicht mit einem Peeling ein, tupfte mir meine Augencreme unter den Augenschatten und gelte mein Haar mit einem Pflegeprodukt ein. Schließlich ließ ich sie einziehen, nahm mir den Föhn und trocknete damit meine Haare.
Das dunkle Blond verfärbte sich langsam in mein übliches helles Goldblond. Die trockene Haarsträhne fiel mir über das Kinn, während ich mich um die andere Haarpartie bemühte. Stück für Stück föhnte ich mir das Haar trocken, bis ich mein Spiegelbild anlächelte und diese selbstbewusste Frau entdeckte, die mir zuzwinkerte. Lächelnd schnappte ich mir meinen Lipbalm, trug ihn auf meine leicht geschwollenen Lippen auf und machte mich darüber her, meine Mähne in einem Zopf zusammenzubinden.
Ich hatte noch eine gute Stunde, um mich auf den Weg zu meiner Arbeit zu machen. Also hatte ich mir direkt eine Maske aufgelegt und mich aufs Laufband begeben, um meine sportliche Einheit nicht zu vernachlässigen. Während mir die Maske wie eine zweite Haut im Gesicht klebte und mein Pferdeschwanz auf und ab wippte, joggte ich meine Runden auf dem Laufband und spürte, wie mein weißes Top vom körperlichen Schweiß nass wurde.
Rasch drückte ich auf Stopp, sprang vom Laufband und tupfte mir mit einem Handtuch mein Dekolleté trocken. Danach pellte ich mir die Maske vom Gesicht ab, marschierte in die Küche, um Armani sein teures Katzenfutter in seinen Tiffany's&Co Napf zu streuen und mich in mein Ankleideraum zu begeben.
Rasch schaltete ich das Licht an und mich begrüßten zahlreiche Designerkleider, die ich mir überall auf der Welt gekauft hatte. Vor nicht einmal einem Monat hatte ich in Paris die Läden Louis Vuitton, Chanel, Burberry gestürmt und kehrte aus den Boutiquen mit zahlreichen Shoppingtüten in mein Hotelzimmer zurück. Es hatte mich ein paar Dollarscheine gekostet, das alles durch den Zoll zu bekommen, aber das war es mir wert.
Meine Finger berührten die Stoffe, die aufeinander gereiht am Kleiderbügel hingen. Sachte machte ich eine Drehung und schaute auf die Schuhe, die perfekt in der Glasvitrine standen, die ich extra hatte anfertigen lassen. Sofort fiel mir der Schuhkarton ins Visier und ich zog ihn an mich. Dabei inspizierte ich die Box, las die Initialen des Geschäfts und spürte, wie mein Herz heftig schlug. Immer mehr schob ich den Deckel weg und nahm die High Heels hervor, die zuvor im Seidenpapier umwickelt waren.
Sie waren rubinrot, die Schuhspitze war spitz und oberhalb der Ferse befand sich ein roter Riemen. Der schmalgehaltene Riemen wurde von einem Schloss gehalten. Ein Schloss, neben dem ein kleiner Schlüssel baumelte. Ich fand dieses Accessoire interessant, weshalb ich diesen Schuh in meinem Besitz haben wollte. Er machte einen schönen Fuß, wirkte nicht altmodisch, sondern erweckte durch die rote Farbe Dominanz.
Da der Tom Ford Schuh seine Reize hatte und bestimmt auch den ein oder anderen Impuls bei der männlichen Fraktion auslösen würde, konnte ich nicht anders, als ihn aus einer Boutique mitzunehmen und mich darauf zu freuen ihn eines Tages anziehen zu können. Heute war für mich der perfekte Augenblick gekommen, diesen Schuh anzuziehen und weil ich direkt mich in ihn schockverliebt hatte, Tom Ford mehr als verehrte, musste ein weiteres Designerstück von Tom Ford her.
Also erhob ich mich, nahm die Schuhe mit und blickte neben der Glasvitrine zu meinem anderen Kleiderschrank. Dort befanden sich Designerkostüme, Cocktailkleider und Businessoutfits von meinem Lieblingsdesigner Tom Ford. Wenn ich auf ältere Männer stehen würde, hätte ich mich Hals über Kopf in den Maestro verlieben können. Immerhin hatte ich das Vergnügen gehabt, das Modegenie mit Haut und Haaren zu erleben und ihn wirklich bei seiner Arbeit kennenzulernen.
Zu gern hätte ich die Möglichkeit ausgenutzt zu wissen wie Toms Lippen schmecken würden, als mein Blick unbewusst auf seine Lippen fiel. Tatsächlich ging mir das Bild seitdem nicht mehr aus dem Kopf, wie er die Celeste Barber für einen Werbespot geküsst hatte. Die Meinungen gingen auseinander, weibliche Fans von Tom Ford zeigten eine Spur von Neid und Missgunst. Ob ich dazu gehörte? Nun, Tom war ein gut aussehender Mann, aber für meinen Geschmack ein bisschen zu alt.
Meine Augen ruhten auf dem schwarzen Jumpsuit, der wie gebügelt auf dem Kleiderbügel hing und wie neu aussah. Er mochte schon ein paar Monate alt sein, ich hatte ihn mir an einem verregneten Tag in London gekauft, nachdem irgendein Mistkerl mir meinen Ersatzkoffer gestohlen hatte und ich Businesssachen brauchte. Es war nicht wie bei den Schuhen Liebe auf dem ersten Blick, aber ich mochte dieses Stück sehr. Es war feminin geschnitten. Nicht wie ein normaler Jumpsuit, nein, das war nicht Toms Gedanke, als er ihn entworfen hatte.
Der Jumpsuit hatte keinen tiefen Ausschnitt, sondern endete über dem Dekolleté. Der Riemen umrundete die Halspartie, sodass mit dem Reisverschluss zusammen vernäht wurde. Nur hinten würde ich nackte Haut zeigen. Meine Schultern. Oberhalb war der Jumpsuit wie ein Top geschnitten, welches aber mit der Hose zusammen vernäht wurde. Die Umrisse des Tops harmonierten mit dem Stück Stoff meines Rückens zusammen. Der silberne Reisverschluss an den Seiten der Fußknöchel brachte ein Hauch Eleganz mit sich. Der Jumpsuit war wie für mich gemacht.
Seufzend nahm ich mir das Designerstück vom Kleiderbügel, zog den Reißverschluss nach unten und schlüpfte in ihn hinein. Danach nahm ich den Bindfaden, zog ihn durch den Reisverschluss durch und zog ihn galant mitsamt den Reißverschluss nach oben.
Schließlich verließ ich den Ankleideraum, ging ins Wohnzimmer und öffnete die erste Kommode, wo meine Taschen nebeneinander gereiht waren. Ich entschied mich, eine Handtasche von Givenchy zu nehmen, die mein ganzes Outfit abrunden würde. Sie passte zu der Schwarz-Rot-Kombination, ging in ein leichtes Bordeaux über und war nicht so groß. Sie hatte eine kleinere Form, wirkte nicht auffallend und gab den Schuhen mehr Raum.
Lächelnd hielt ich sie in meinen Händen, lief zur Küche und wurde von Armanis Miauen begrüßt. Trotzdem würde er nicht mehr Futter bekommen, da er ein paar Unverträglichkeiten hatte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und seufzte.
Um nicht in Verzug zu kommen, nahm ich mir meinen Smoothie aus dem Kühlschrank und begab mich in das Badezimmer. Hektisch kramte ich mein Make-up hervor, gab mir die Foundation auf den Schminkpinsel und begann mich damit zu schminken. Danach nahm ich den Konturstick, zog meine Linien auf den Wangenknochen, an der Kieferpartie sowie am Stirnansatz und verteilte die Konturen auf meinem Nasenrücken. Zuletzt nahm ich den Schwamm und blendete die Linien aus, bis nur noch Schattierungen zurückbleiben und keine durchgezogenen Linien.
Ich mochte Make-up sehr. So sehr, dass ich mich in der Zeit verlieren könnte. Aber ich durfte nicht zu spät kommen, wenn ich noch ein Starbucks aufsuchen möchte. Also tupfte ich mir das Rouge auf den Wangen, puderte mich ab, fügte etwas Bronzer hinzu, bevor ich mich an mein Augenmakeup widmete. Dieses Mal mit einem warmen Rotton, welches gut mit den Farben der Schuhe harmonieren würde.
Unter mein Wimpernkranz blendete ich meinen schwarzen Kajal aus, um Smokey Eyes anzudeuten. Erst dann zog ich mir den Eyeliner, mit dem ich leichte Cat Eyes andeutete. Zufrieden starrte ich mich an und lächelte mein Spiegelbild an. Obwohl ich heute den Concealer auslassen wollte, fühlte ich mich wohl in meiner Haut. Und als noch der dunkelrote Lippenstift auf meine Lippen kam, könnte ich mir selbst nicht widerstehen. Ich sah gut aus. Verdammt, sah ich gut aus.
Früher war dem nicht so gewesen. Wenn man selbst von anderen aufgrund seines Aussehens gehänselt wird, fand der Mensch keine Selbstliebe für sich. Jahrelang hatte ich den Menschen Glauben geschenkt, ein „Unfall" zu sein, bis eine Make-up-Artistin mich bei einer Convention angesprochen hatte, ob sie mich schminken dürfte. Als ich mein geschminktes Ich zum ersten Mal im Spiegel sah, war ich in Tränen ausgebrochen.
Seitdem hatte ich eine Liebe für Make-up entwickelt und lernte, wie ich mein Gesicht künstlerisch in Szene setzen konnte. Trotzdem gab es ein Produkt, mit dem ich nicht eins werden konnte. Highlighter. Eines Abends hatte ich es ausprobiert, weil ich mir immer die Frage stellte, was die anderen daran für einen Gefallen fanden, aber ich hatte es gehasst. Ich hatte zu sehr geglitzert und irgendwie passte es nicht zu meiner blassen Haut. Ich war nicht sehr gebräunt, die Bräune musste ich mir im Solarium oder in der prallen Sonne verdienen, aber ich war auch nicht zu blass, als sähe ich krank aus. Es war für mich perfekt. Und wenn Enrico mir bald den Balayage Look machen würde, dann wäre alles perfekt.
Hastig schaute ich auf meine Uhr, fischte mir aus der Schublade die passenden Ohrringe, sowie eine schlichte Kette und packte alle Sachen zusammen. Sobald ich mit meinem Trenchcoat draußen stand, fing mein Handy an zu vibrieren. Rasch nahm ich es mir hervor und entdeckte eine Mail, die frisch eingetroffen war.
Absender: [email protected]
Betreff: Morgenstund' hat Gold im Mund
An:
Guten Morgen Miss Moore,
Da ich Ihre Telefonnummer noch nicht habe, drücke ich mich in diesem Text klar aus.
Ich hoffe, Sie haben einen sehr ausgeprägten Schlaf gehabt und sind nun auf dem Weg zu mir. Falls Sie das hier zu lesen bekommen, möchte ich Sie nur noch um einen Gefallen bitten.
Bringen Sie mir bitte einen Cappuccino mit Karamellgeschmack, sowie ein Bagel mit und platzieren beides auf meinem Schreibtisch. Ich bevorzuge Bagels mit mehr Salatblättern als anderen Schnickschnack.
Ich freue mich auf unser Wiedersehen
Herzlichst,
Ihr Chef.
PS. Verspäten Sie sich nicht.
Mir klappte die Kinnlade herunter, als ich die Tür hinter mir zuzog. Wollte der Mistkerl mich auf den Arm nehmen? Was glaubte er, wer ich war? Eine dumme Praktikantin, die sich um sein Koffein bemühen sollte? Kopfschüttelnd trat ich aus dem Haus und begab mich in die Garage, wo mein geliebtes Baby stand. Augenblicklich stellte ich meine Tasche auf den Beifahrersitz, zog die Tür zu, schnallte mich an und tauschte meine Schuhe fürs Autofahren gegen Ballerinas aus.
Schon preschte ich über die Straße und bemühte mich, den nächsten Starbucks aufzusuchen. Am liebsten hätte ich den Mistkerl von Chef eine gescheuert. Dafür, dass er sich die Zeit, nahm mir eine gemeine Mail zu schreiben und mich so zu seinem Schoßhündchen zu degradieren.
Ein Schnauben fiel von meinen Lippen und ich setzte mir die Sonnenbrille auf. Trotz des doch eher von Wolken bedeckten Himmels, hatte ich die Angewohnheit, immer eine Sonnenbrille aufzuhaben. Sobald ich aus dem Wagen stieg und ihn im Halteverbot abstellte, tippelte ich in den Starbucks, suchte nach meinem Portemonnaie und bemerkte die lange Schlange. Ein Seufzer entwich mir und ich klammerte mich fester an meine Handtasche.
Die Tatsache, dass ich von hier nicht schnell wegkommen würde, ärgerte mich zutiefst. Schließlich wollte ich erst recht nicht zu spät zur Arbeit kommen. Ein Plan musste her, dachte ich mir und ich überlegte nicht lange, bis mir die perfekte Gelegenheit kam.
Ein Trucker hatte sich an die Kasse gestellt, hinter ihm stand eine ältere Lady und hinter ihr befand sich ein junges Pärchen. Der Kassierer schien mir recht passabel vorzukommen, so dass ich tief durchatmete und mich einfach an den Menschen vorbei mogelte. Ich ignorierte ihr Gefluche und Gemecker, bis ich neben dem Trucker verharrte. Um ihn um den Finger wickeln zu können, setzte ich die Sonnenbrille ab. Als er mein Gesicht erblickte, fing er an, sich über die Lippen zu lecken.
Ein Augenkontakt und ein Blick auf meinen Körper und schon wusste ich, dass ich ihn an der Angel hatte.
»Was kann ich für dich tun, Baby?«, hauchte er und ich sah, wie er jetzt schon anfing zu sabbern.
Er war nur ein alter Trucker mit einer verranzten Mütze. Er wirkte schon süß, wie er mich aufmerksam auf sich machte. Aber wenn ich sein aufgeknöpftes Hemd sah, diesen Bierbauch, bekam ich doch innerlich das Kotzen. Da würde ich doch lieber mehr den älteren Tom Ford bevorzugen, als mich mit diesem Kerl einlassen zu müssen. Schließlich war das alles nur ein Plan. Gelassen legte ich den Arm auf die Theke und reckte meine Brust mehr hervor. Er schielte leicht.
»Ich bin recht spät dran und bräuchte männliche Unterstützung...«, säuselte ich leise und mein gekünsteltes Lächeln huschte mir über die Lippen. Innerlich grinste ich boshaft. Es war faszinierend, wie hirnverbrannt manche Männer nur sein konnten.
Mein gefundenes Opfer nickte mir grinsend zu und er wandte sich an dem Kassierer. »Die Dame möchte von Ihnen bedient werden. Ich zahle auch dafür.«
»Aber nicht doch...«, kicherte ich und legte meine Hand auf seine schmierige Brust. Ich sagte, ich müsste kotzen.
Er nahm es als Aufforderung, sich ganz an mich zu wenden. »Was möchten Sie bestellen?«
Ich hauchte leise in sein Ohr: »Ich hätte gern zwei Cappuccinos und einen Bagel. Beim Bagel sollte aber mehr Salat vorhanden sein.« Ich zog die Mundwinkel hoch. »Und dazu kommt ein Avocadosandwich dazu. Aber bitte durchgeröstet.«
Ich vernahm das Fluchen von der Frau, die mich hasserfüllt musterte. Sie war sichtlich empört von meinem Verhalten. »Was erlauben Sie sich eigentlich? Sie müssen wie wir brav hinten anstehen.«
Schon als ich ihr einen vernichtenden Blick zuwarf, schmiss ich mich an den Trucker. »Ach, Süßer, störe ich euch?«
Mein Opfer verneinte prompt und richtete sich an die anderen: »Sie lassen sofort die hübsche Frau in Ruhe und warten, bis sie fertig ist. Verstanden?«, murrte er und die ältere Dame presste die Lippen aufeinander.
Sie war in Versuchung, etwas zu erwidern, aber schluckte die Worte doch stattdessen hinunter. Hastig bemerkte ich wie der Kassierer mir die Getränke reichte und das mit berechnete. »Sir, das macht dann 47 Dollar.«
Der Trucker nahm das Geld aus der Tasche, was zwar nicht mit zu meinen Plänen gehörte. Letztendlich erhielt ich mein Sandwich und den Bagel und schon rückten wir von der Theke weg und begaben uns zu den Tischen. Dort nahm ich mir den Salzstreuer, öffnete den Deckel des Cappuccinos und fügte Salz hinzu. Der Trucker war so blind vor Liebe gewesen, dass er mein Vorhaben nicht einmal bemerkt hatte. Schließlich schnappte ich mir einen der Zahnstocher, die es zum Umrühren gab, stocherte im Teig des Bagels herum, um ihn mit Kondensmilch zu füllen. Erst dann nahm ich den anderen Streuer, mischte Zucker hinzu und klappte die obere Hälfte des Brötchens zu.
»Wie heißt du, Baby?«
Es nervte mich, wie er mir am Hintern klebte. Ich drehte mich um und seufzte leise: »Ich bin wirklich spät dran. Danke für die Einladung, aber ich muss jetzt los.«
Der Trucker schlug die Augen auf und schien wie erstarrt zu sein. »Was soll das heißen, du musst los?«, traute er sich zu fragen und ich schielte auf meine Uhr.
Langsam brach die Panik in mir aus. Trotzdem antwortete ich brav: »Mein Chef erwartet mich. Ich muss zu einem Meeting.« Das mit dem Meeting war eine Lüge, aber das mit Davis war nicht gelogen.
»Kann ich deine Nummer haben?«, fragte er und grinste über beide Ohren hinweg.
Innerlich stöhnte ich theatralisch auf, nickte stattdessen, scrollte durch die Mail von Davis durch, wo eine Nummer dabei stand. Dabei kritzelte ich die Handynummer auf eine Serviette und überreichte sie dem Trucker. Er wollte mir schon zu nahe kommen, mir seinen sabbernden Mund auf die Wange drücken, aber ich ging einen Schritt zurück und er taumelte leicht benommen nach vorn.
»Also, da du jetzt auch meine Nummer hast, würde ich sagen, trennen sich nun unsere Wege. Außerdem würde ich mich freuen, wenn du mich über diese Nummer anrufst. Und vergiss nicht für mich, wenn du an mich denkst, meinen Namen zu stöhnen«, flüsterte ich ihm zu und drückte ihm lasziv die Serviette an seine Brust und seine Atmung ging schneller.
Ich glaubte schon daran, er würde vor mir krepieren, aber der Trucker nahm sich zusammen und seufzte leise. Es brach mir schon fast das Herz, dass er am Ende des Tages enttäuscht sein würde, aber hier würden sich unsere Wege trennen.
Der Trucker steckte sich die Serviette in seine Brusttasche und nickte mir zu. »Oh Baby, ich freue mich, wenn du Zeit für mich hast. Wir würden richtig Spaß in meinem Truck haben.«
Dann ließ er mich gehen und ich konnte endlich von hier flüchten.
In der Parkgarage parkte ich mein Auto auf meinem Platz, sperrte den Mustang ab und begab mich zu den Aufzügen. Schadenfreude kam in mir auf, wenn Davis eines Tages ans Handy gehen würde. Doch noch etwas anderes bereitete mir Schadenfreude: wenn er seinen Cappuccino trinken und in seinem Bagel beißen würde. Wie ein kleiner Teufel lachte ich auf, wartete, bis der Fahrstuhl aufging und ich hinaustreten konnte. Dabei setzte ich mir die Sonnenbrille auf, öffnete die Tür zum Gebäude und ignorierte Toby, der mich lächelnd begrüßte.
Mein Ziel war nur an die eine Person gerichtet. Es war sechs Uhr und ich bemerkte, wie viele heute erschienen waren. So viele erschienen um sechs Uhr morgens? Fragend blickte ich mich um, stoppte vor Davis Büro und sog den Atem ein.
Beinahe wäre ich mit jemanden zusammengestoßen, da ich so unachtsam war. Als ich nach oben starrte, fühlte sich meine Kehle wie ausgetrocknet an, weil karamellfarbene Augen mich neugierig ins Visier genommen hatten.
Ich schluckte den Kloß hinunter und in mir kam nichts als Wut auf. Die Bilder von gestern spielten sich in meinen Gedanken ab und ich war ziemlich sauer, wie er mich gestern gezwungen hatte, den Wisch zu unterschreiben.
»Sie sind doch gekommen!« Er klatschte in die Hände und taxierte mich mit Blicken. Allerdings ruhten seine Augen auf den Cappuccino, den ich mitsamt den Tüten in den Händen hielt. Wie gut, dass der Kassierer die Pappbecher beschriftet hatte. Denn so wusste ich, welcher seiner und welcher meiner war. Ein Lächeln huschte über meine Lippen und ich nahm den Becher aus dem Halter und reichte ihn Davis.
»Mit freundlichen Grüßen und hier...«, ich drückte ihm den Bagel in die Hand, »die beste Empfehlung des Hauses. Aber beim nächsten Mal schicken Sie doch den Praktikanten los, Mr. Frost, anstatt meine Zeit mit solchen Tätigkeiten zu vergeuden.«
Damit wandte ich mich von ihm ab und vernahm nur sein Gelächter. »Wir sehen uns im Besprechungsraum.«
Am liebsten hätte ich mich umgedreht und ihn ins Gesicht geschlagen. Trotzdem musste ich mich zusammenreißen, nippte an meinem Cappuccino und begab mich zum Besprechungsraum. So viele Menschen liefen durch das Gebäude, was mich verwunderte. Nichtsdestotrotz erreichte ich den Raum, setzte den Fuß über die Türschwelle und erstarrte, als so viele Augenpaare auf mir lagen. Mit eingeschlossen Jere.
»Jere?«, fragte ich und er wirkte selbst ziemlich ahnungslos. »Was machst du denn hier?«, entfuhr es mir und selbst Jere schien darauf keine Antwort zu wissen.
»Wir mussten heute alle hierher, weil es etwas zu besprechen gibt«, erklärte Jere. »Dabei weiß ich nicht, was so dringend sein muss, uns hier um sechs Uhr morgens antanzen zu lassen.« Er schluckte den Ärger hinunter. »Ich hab meine Begleitung rauswerfen müssen...« Jere schüttelte genervt den Kopf. »Ich hoffe nur sehr, dass es wirklich ein Notfall ist.«
»Das ist ein Notfall«, mischte sich eine Stimme ein und wir drehten uns zu der Person um. Davis stand im Raum, noch mit dem Becher und mit der Brötchentüte in der Hand. Gefolgt von Toby, der mit einem Stapel von Zetteln neben ihn war.
»Meine Damen und meine Herren? Vielen Dank, dass Sie trotz der frühen Uhrzeit erschienen sind.«
Ich bemerkte, wie unberührt sein Essen und Trinken war. Davis stellte die Sachen auf dem Tisch ab und wandte sich den Menschen zu. »Mein Assistent Toby wird jedem von Ihnen die Arbeitsverträge austeilen. Ich habe schon einmal gesagt, dass wir eine Veränderung brauchen und wir werden heute damit anfangen. Ich habe bei einigen Personen die Arbeitszeit anpassen lassen...«
Sein Lächeln erstarb, als er Toby losschickte, der sich daran machte, jedem den Vertrag auszuhändigen. Perplex saß ich auf dem Stuhl und fragte mich, was das hier sollte. Wieso war ich hier, wenn ich schon meinen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte?
Davis sah mir meine Verwirrung an meinen Augen an, was er mit einem Lächeln quittierte. Jedoch stand er seelenruhig vor dem Tisch, vernahm das Seufzen seiner Angestellten und war dabei, sich den Becher zu nehmen. Ich musterte sein Getränk. Ich behielt es im Auge und wartete seine Reaktion ab.
»Was zum...« Jere brach ab und starrte mit geweiteten Augen auf seinen Arbeitsvertrag. »Will man mich auf den Arm nehmen?! Ich soll 7 Uhr morgens bis 17 Uhr abends im Büro ausharren?!«
Wow, er hatte viele Arbeitsstunden weniger als ich, dachte ich mir genervt und tat gespielt beeindruckt. »Wow, das nenne ich eine Arbeitszeit!«
»Der will mich doch verarschen! Und dann steht da auch noch, dass ich donnerstags bis mittags arbeiten müsste. Donnerstag habe ich frei!«
Am liebsten hätte ich Davis strangulieren können, denn selbst an meinem Donnerstag hatte ich keine Freizeit. Mein Blick glitt zu Davis und ich sah, wie er den Becher an seine Lippen führte. Ja, nur noch ein Stück. Nur noch ein kleines Stück.
Plötzlich durchbohrten die karamellfarbenen Augen mich und in seinem Blick las ich die Neugier, gepaart mit der Skepsis. Ich erstarrte, versuchte wegzusehen, aber als unwillkürlich mein Blick auf seinen Becher fiel, zählte er eins und eins zusammen. Ich konnte es ihm ansehen. Er begutachtete den Becher und löste den Blick von mir.
In schnellen Schritten kam er in meine Richtung. Mein Herz pochte und mir verschlug es den Atem. Als seine Gestalt vor meinem Stuhl stehen blieb, rutschte mir das Herz in die Hose. Meine geweiteten Augen starrten ihn an. Trotz meiner Sonnenbrille spürte ich seinen forschenden Blick auf mir. Langsam zog er seine Hand aus seiner Anzugstasche, die näher auf mich zukam. Ich spürte seine Fingerkuppen, wie sie mir an der Schläfe entlang fuhr, fühlte, wie sie den Halter meiner Sonnenbrille an sich zogen.
Schwungvoll nahm er mir die Sonnenbrille ab und sein skeptischer Blick verharrte auf mir. Er sah mir die Angst in den Augen und dann fiel bei ihm der Groschen. Er wusste es. Automatisch nahm er die Sonnenbrille, entzog sich mir und umrundete Jeres Platz.
»Mr. Spoon?«, wandte er sich an ihn und Jere sah zu ihm auf. Hass stand in seinen Augen geschrieben. Pure Abscheu.
Davis Mundwinkel zuckten, bis er sie zu einem Grinsen verzog und er den Becher zu Jere ausstreckte. »Eine kleine Aufmerksamkeit für Sie.«
Er überreichte Jere den Kaffeebecher. Sofort verpuffte die Wut in Jeres Augen und rasch hatte er den Becher an sich genommen. »Oh vielen Dank, Mr. Frost. Meine Äußerung tut mir wirklich aufrichtig leid. Das mit den Arbeitszeiten werde ich hinbekommen und es war nur eine Überreaktion.«
Lachend hob er den Becher. »Nicht wahr, Jade?«
Ich presste die Lippen aufeinander »Jere, ich glaube wirklich, dass du kein-«
»Ach, Jade, sei doch nicht immer so pessimistisch«, fiel er mir ins Wort und ich vernahm Davis raues Lachen. Er amüsierte sich darüber, wie mein Freund den Becher zu seinen Lippen führte.
Sofort wollte ich eingreifen. »Jere, der Kaffee er ist-«
»Er ist genau richtig für mich«, lachte er und warf Davis ein Grinsen zu. »Vielen Dank nochmal, Mr. Frost.«
Davis schob sich die Hände in den Hosentaschen und legte den Kopf schief. »Keine Ursache. Ich sorge mich immer um das Wohl meiner Angestellten.« Dann traf sein Blick auf meinen. Ich wandte den Blick ab und in mir kam Unwohlsein auf.
»Na dann«, winkte Jere mit der Hand und sobald er den Kaffee zu sich nehmen wollte, versuchte ich einzugreifen, bevor Davis mir meine Sonnenbrille in die Hand drückte.
Wie erstarrt blieb ich in meiner Bewegung, sah wie er mir die Sonnenbrille an die Brust drückte, sah wie Francesca sich an Jere wandte und ihm ein Kompliment zu etwas machte, sah, wie Jere den Kaffee hinunterkippte.
Bis er sofort zu husten anfing und mitten in Francescas Gesicht spuckte und all der Kaffee über ihre weiße Seidenbluse tropfte. Ich vernahm nur noch ein Geschrei. Doch da stellte ich mir nur noch eine Frage:
War es Francesca, die so geschrien hatte, oder war ich es gewesen?
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