EIGHT: Versager
Clark's. P.o.V
Was für ein Desaster.
Meine Fäuste krümmten sich fest zusammen, als ich sie an mich zurückgezogen hatte. Schwunghaft hatte ich ausgeholt. Unter meinen Fingern begann die Wand zu bröckeln. Scheißegal, was für Konsequenzen ich bekommen werde, sie hatten eine Grenze überschritten. Scheißegal, ob ich geradewegs dabei war, die Einrichtung auseinanderzunehmen. Alles wurde mir scheißegal.
Mein Kiefer schmerzte durch das viele Zähneknirschen. Meine Augen ziepten, weil ich von dem grellen Licht geblendet wurde. Langsam kam der Schmerz, der sich in meinen Händen wie Feuer entfachte. Das Brennen machte ich nahezu wahnsinnig. Wütend schluckte ich den Schmerz hinunter. Ich war einfach zu aufbrausend, um mich nur auf das eine zu fokussieren. Selbst, als ich in brenzligen Situationen geriet, hatte ich mich niemals vom Schmerz verleiten lassen. Aber der Schmerz wurde auch zu meiner Erfahrung. Erfahrungen, die mich prägten. Wann immer ich den Schmerz brauchte, nach ihm lechzte, fand ich den perfekten Lösungsweg, um ihn zu lindern. Auf Wände eindreschen, Sachen kaputtschlagen oder Sachen durch die Gegend fegen, gehörte durchaus mit dazu.
»Godverdomme Clark!«, vernahm ich dumpf den niederländisch angehauchten Akzent hinter mir. Trotzdem ließ ich mich von nichts beirren und versenkte erneut die Faust in die kaputte Wand.
Hatte ich schonmal durchaus erwähnt, dass Amerika im Hausbau echt grottenschlecht war, im Gegensatz zu Europa? Kein Wunder, dass hier die Häuser wie Dominosteine umfielen.
Knurrend ballte ich die Hände zu Fäusten und verdrängte die Gesprächsfetzen von der Therapiesitzung. Warum ließen sie mich nicht direkt in den Knast wandern, wenn ich hier genauso eingesperrt war? Nein stattdessen wurde ich in eine Klinik gesteckt und wofür? Um lächerliche Sachen mitzumachen.
Ich hätte einfach ein eigenes Veto einlegen müssen.
Sobald ich wieder zum nächsten Schlag ansetzen wollte, drückte eine Hand meine rechte Schulter. Unwiderruflich fuhr ich zu meinem Betreuer herum, der mich sorgsam musterte. Er konnte mir mit seinem Mitleid gestohlen bleiben. Denn als ich mich wieder der Wand zuwenden wollte, legte er mir die Hand auf meinen Unterarm. »Clark. Ich denke, du sollst jetzt aufhören.«
Ich lachte bitter auf und schenkte ihm wenig Beachtung. Bereit dazu, wieder zuschlagen zu wollen, hinderte er mich erneut daran. »Deine Knöchel bluten schon, du sollst sie verarzten lassen und-«
»Wenn du mir jetzt mit diesem Scheiß kommst, kannst du von hier abziehen! Ich entscheide allein, ob ich meine blutigen Hände verarzten lasse, oder nicht.« Damit hatte ich mein letztes Machtwort gesprochen und kehrte ihm den Rücken zu. Allerdings konnte ich mich nicht mehr ganz auf die nächsten Schläge fokussieren, weil er mir im Nacken saß. Yanis hatte mich total ins Visier genommen.
Genervt von seinen Seitenblicken, die mir in den Rücken brannten, unterdrückte ich alle Schimpfwörter, die mir in den Sinn kamen, und warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Es beeindruckte meinen Betreuer wenig, was ich gerade von ihm hielt oder wie sehr ich ihn dafür hasste. Solange ich nicht nachgeben würde, würde er mich nicht in Ruhe lassen. Der Idiot hatte wirklich ein Geduldsfaden aus Stahl.
Und weil ich es Leid war, von ihm so niedergestarrt zu werden, ließ ich augenblicklich die von Schmerz überzogenen Fäuste sinken. »Was willst du, Yanis?« Trotzdem klang meine Stimme schneidend wie ein Messer.
Yanis holte tief nach Luft und glaubte wohl, mir weitere Minuten stehlen zu können. »Ich weiß, dass du es nicht verstehen willst, Clark.«
»Stimmt.«, fiel ich ihm wütend ins Wort und schnappte mir meine Sachen »Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es nicht, warum ich hier gelandet bin, wieso ich überhaupt hier bin.« Hastig wirbelte ich zu ihm herum und erdolchte Yanis mit weiteren Blicken »Und jetzt sag mir nicht, dass ich hier sein muss. Sag mir nicht, dass das hier besser ist, als im Knast zu sein. Das hier ist nicht besser.«
»Dr. Preachard hatte gesagt-«
»Dr. Preachard kann mich mal kreuzweise!«
Ich wusste nicht, woher dieses Volumen herkam. Eigentlich war ich die Ruhe in Person und nie der Mensch, der schrie. Doch jetzt in diesem Moment könnte ich jeden anschnauzen, der mir in die Quere kam. Selbst entging es mir nicht, wie Yanis zusammenzuckte, weil ich ihn wie aus dem Nichts angefahren hatte.
Er musste sich sammeln. »Ich weiß, dass du den Sport brauchst, Clark. Dass du ihn auslebst und liebst, aber sie hat recht. Du übernimmst dich damit. Du verlierst total den Überblick und wenn wir dich jetzt nicht stoppen, wirst du niemals zur Einsicht kommen. Du gehst du noch drauf, Clark Larson!« Seine Stimme wurde immer lauter. Ihm lag so vieles auf der Zunge, aber er musste sich zusammenreißen. Wahrscheinlich weil er seine Emotionen nicht von den anderen Dingen trennen konnte. Es nahm ihn mit, wie dreckig es mir ging. Vielleicht hatte ich es mir nur eingebildet, dass er flennte. Vielleicht konnte ich auch selbst nichts mehr realisieren.
Mit einem weiteren Seufzer wandte er sich wieder an mich. »Was hätte ich tun sollen? Dich draufgehen lassen? So wie die letzten Male? Was glaubst du, wie schwer ich mich damit getan hatte, es überhaupt ihr zu sagen? Du bist auf dem Laufband zusammengebrochen. Vorletztes Mal hast du dir eine Erkältung zugezogen und davor? Da hast du dir bei den Gewichten den Muskel gezerrt. Selbst der Arzt hat gesagt, dass du dich nicht übernehmen sollst. Aber du tust es trotzdem und das immer wieder und wofür? Dafür!« Yanis trat von mir weg und zeigte wieder auf mich »Und du verweigerst dein Essen. Du bist die ganze Zeit im Boykott und schadest dir selbst.«
»Weil ich keine Eintagsgerichte esse, zum Teufel noch eins!«, schnaubte ich verächtlich und verschränkte langsam die Arme vor der Brust »Ich esse das, was mir in den Sinn kommt und nicht das, was mir vorgelegt wird. Aber mir wird nicht einmal erlaubt, dass zu essen, ich will.«
»Clark, du isst nicht mit den anderen, du kapselst dich von allem ab, kein Wunder, dass Dr. Preachard es als einen Misserfolg abstuft. Du bringst dich nicht mit ein.«
Bei seinen Worten atmete ich tief durch und kniff die Augen zusammen. Denn genau das war der eigentliche Grund. Ich konnte nie mit den anderen zusammen essen und da lag so viel Schmerz und Kummer in jeder Erinnerung, die ich zu Essen teilte. Erinnerungen, die ich nicht mehr mit anderen und selbst mit mir teilen wollte. Weil sonst alles, wieder hochkommen würde. Selbst als Davis mich zum Essen eingeladen hatte, konnte ich nichts essen. Etwa nicht, weil ich nicht mochte, sondern es nicht konnte. Warum sollte ich meine Dämonen einer bezahlten Therapeutin anvertrauen? Wieso sollte ich die ganzen Probleme erneut durchkauen, die nur mich etwas angingen?
Wahrscheinlich wartete Yanis auf seine Antwort. Vielleicht überraschte es meinen Betreuer, dass ich partout darauf nichts erwidern würde. Aber ich konnte nicht. Es stand ihm und den anderen nicht zu.
Und so kam es, dass ich mich von ihm abwandte und den Schmerz einatmete. Dabei spürte ich, wie sehr die Knöchel brannten und die Stellen wieder aufgerissen waren.
Ich konnte seine Gestalt immer noch hinter mir wahrnehmen, dass ich mich zu ihm umdrehte und ihn keines Blickes mehr würdigte. »Ich gehe auf mein Zimmer.« Sekundenschnell wandte ich mich von ihm ab, ehe er mir zuvorkommen und mir seine Hand auf die Schulter legen wollte.
Ruckartig schlug ich sie weg und hob schützend die Faust an. »Mach das nie wieder!«, war das Letzte, was ich ihm sagte und noch hinterher schob »Und wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, was hier gerade geschehen ist, dann wirst du noch sehr lange daran zu knabbern haben.«
Seine Brauen zogen sich vor Enttäuschung zusammen. Ziemlich niedergeschlagen sah er zu mir auf »Ich mache mir Sorgen, Clark.« Ich lachte bitter und schüttelte mit dem Kopf »Die wirst du noch haben, wenn es sich wiederholt.«
Ich hatte die ganze Zeit die bunte Wand angestarrt. Selbst am darauffolgenden Tag hatte ich nur stumm dort gesessen und die potthässliche Uhr Beachtung geschenkt. Sollte die Therapeutin mich mit noch mehreren Verboten einschüchtern. Mir machte es nichts mehr aus. Wenn sie glaubten, mir den Sport wegnehmen zu können, hatten sie sich geschnitten. Zuallererst, ich ließ mir von nichts und niemandem den Sport wegnehmen und außerdem fand ich immer Lösungswege zu Problemen. Wenn ich also den Sport nicht mehr im Fitnessraum ausüben durfte, dann werde ich, meine Liegestützen in meinem Zimmer weiter ausführen.
Entschlossen legte ich mir den Plan zurecht. Selbst in den nächsten zehn Minuten führte ich innerlich den ausgeklügelten Plan durch. Die Therapeutin wirkte nicht zufrieden, aber weil sie bei mir auf durch meine Ignoranz auf Granit stieß, wusste sie selbst, dass es für heute keinen Sinn mehr hätte mich mit der Sitzung quälen zu müssen. Eine kleine Predigt und schon wurde ich entlassen. Der Sport wurde mir heute verwehrt, was zur Folge hatte, dass ich direkt aufs Zimmer geschickt wurde.
Sobald Yanis mich ins Zimmer begleitete, war wieder von einem Arzt die Rede, der meine Wunden versorgen würde. Und wie jedes Mal lehnte ich ab. Wenn ich schon etwas fühlen sollte, dann Schmerz. Schmerz, der mich gerade aufleben ließ.
Die Tür wurde aufgeschlossen, schon setzte ich den Fuß in mein Zimmer und wartete nur noch darauf bis Yanis die Tür schloss. Als sie laut ins Schloss knallte, schälte ich mich aus meinem Pullover und blickte auf den Boden. Er war gefliest, aber stabil genug, um den Sport zu absolvieren.
Unwiderruflich warf ich das Shirt auf dem Boden, zog mir die Jeans aus, ehe ich zu meiner Tasche ging und mir eine Jogginghose herauszerrte. Ohne weiteres stülpte ich sie mir über, schnappte mir meine Schuhe und legte mich auf den kahlen Fliesen. Die Kälte schoss mir in den nackten Rücken, dass ich die Zähne zusammenbiss und mich hochstemmte. Genau in diesem Moment meldete sich mein linkes verzerrtes Knie zu Wort, was ich festhielt und tief durchatmete. Den Schmerz ausatmen. Einfach den Schmerz wegatmen.
Stück für Stück senkte ich mich auf den Boden, biss die Zähne zusammen und stützte mich an meinen Händen ab. Nun würde ich meine Liegestütze durchführen. Ich werde schon auf mich Acht geben.
Es dauerte nur eine Schmerzsekunde und schon war ich wieder ganz in meinem Element. Minuten vergingen und ich spürte, wie ich wieder ankam. Der Schweiß tropfte mir über die Stirn, die Anstrengung stand mir ins Gesicht geschrieben. Schneller, weiter und härter.
Es gab keine Ausreden, es gab keine Entschuldigungen, es gab nichts, außer das hier.
Wenn sie mich brechen wollten, sollten sie es versuchen. Mir konnte alles genommen werden, aber meinen Stolz und meinen Kampfgeist blieb mir vorbehalten.
Ich hatte niemals aufgegeben. Nicht als ich den Männern ausgeliefert war und nicht, als ich wieder zu mir kam. Nicht als ich den ersten Schlag ins Gesicht kassierte und auch nicht, als sie mich geschändet hatten. Bis er in mein Sichtfeld kam und sich in mir der Schalter umgelegt hatte. Härter, schneller, weiter!
Seine Visage, die ich unter tausenden wiedererkennen würde.
Wut kam in mir hoch.
Meine Muskeln spannten sich an.
Härter, schneller, weiter, Clark!
Zähneknirschend drückte ich mich erneut in den Boden und stemmte mich hoch.
»Er sieht aus, als könnte er nichts wegstecken. Als ist er schwach.«
Schneller.
»Weißt du, ich mag dich nicht besonders, aber das muss ja nicht auf Gegenseitigkeit beruhen oder?«
Härter.
»Du bist eine Enttäuschung. Du bist die Enttäuschung von allen. Und du wirst immer diese eine Enttäuschung sein, seitdem du in unser Leben getreten bist!«
Weiter.
Plötzlich spürte ich ein schnelles Brennen, das ich keuchte. Der Schmerz erreichte mich, jagte mir die Tränen in den Augen. Ich stand unter Storm.
Wenn ich jetzt aufgeben würde, würde ich versagen. Ich war kein Versager. Ich wollte nie ein Versager sein.
»Ich werde gewinnen.«, dachte ich mir laut und stemmte mich hoch. In Hoffnung weiter zu machen.
Der Schmerz erreichte mich ein zweites Mal. Die Wortfetzen lagen in der Luft herum.
»Ich habe mein Bestes gegeben. Ich habe auf sie aufgepasst. Ich habe wirklich alles gegeben!«
»Du hast nicht alles gegeben! Du...du hast Schande gebracht!«
Ein weiterer Schlag ins Gesicht. Rote Flüssigkeit tropfte über das weiße Hemd.
Schockmodus, Schockzustände.
Verlorene Hoffnungen, kaputte Träume.
Große Ängste.
Ein anderes Bild. Ein Bild, was nicht ganz verschwamm.
»Und dich sollte jemand wirklich so zusammenschlagen, dass du dir gewünscht hättest, nie im Leben geboren worden zu sein!«
Reiß dich zusammen, hatte ich mir sagen wollen, aber die Worte erstarben.
Ich wollte es durchziehen.
Ich wollte es so unbedingt durchziehen.
Meine Knöchel brannten, meine Muskeln schmerzten.
Härter, schneller, weiter.
»Ich darf nicht aufgeben. Ich darf nicht aufgeben.«
Ich durfte einfach nicht schlappmachen.
Ein Larson war kein Versager.
Ein Larson übernahm Verantwortung.
Ein Larson war stets ein Gewinner.
Es gab keine Verlierer, nur Gewinner.
Es gab keine Verluste, nur Siege.
Kleine Siege.
Große Siege.
Mittelerfolge.
Ich musste es schaffen.
Ich konnte es schaffen.
Ich werde es einfach schaffen.
Schmerz verging, hatte ich gelernt.
Die Worte klingen ab, wurde mir gesagt.
Der Schmerz würde endgültig nachlassen, hatte ich mir beigebracht.
Aber wieso tat es gerade alles so weh?
Wieso schmerzten die Erinnerungen, die mir wie Blitze ins Gedächtnis einschlugen?
Ich wollte mein Bestes geben.
Ich durfte nur mein Bestes geben.
Und bevor ich zu Boden sank, tauchte die Schwärze um mich herum auf.
Ich fiel. Laut, dumpf und konnte mich nicht schützen.
Ich konnte das andere nicht schützen.
Ich konnte mich damals nicht schützen.
Ich konnte ihn nicht schützen.
Ich konnte sie nicht schützen.
Schlagartig brach ich auf dem Boden zusammen und die Sterne tanzten mir vor den Augen.
Eine Tür wurde aufgerissen, Schritte tappten durch mein Zimmer.
Ich hörte jemanden Schreien. Wie Hände sich um meinen Körper legten.
Finger drückten meine Augen auf.
Blaue Augen blickten sorgsam zu mir.
Ich glaubte, meinen Namen gehört zu haben.
Immer mehr kämpfte ich gegen die Ohnmacht an, aber dann zerriss es mich so sehr, dass die Schwärze zunahm.
Erst als die Schwärze mich komplett eingenommen hatte, verließen mich langsam meine Sinnen und dann fiel ich erneut.
Nur mit dem Unterschied, dass ich mich nicht schützen konnte.
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