SIX: Hinter den Fassaden
Clark Larson
Ich wurde von zahlreichen E-Mails erschlagen, die ich im Laufe des Vormittags bekommen hatte. Seufzend zwickte ich mir in den Nasenrücken und atmete tief durch. Ich sollte mich nicht beschweren, denn ich hatte den Entschluss gefasst, Anwalt zu werden. Also blickte ich grimmig auf meine Uhr, strich in meinem Kopf schon sämtliche Pausen, auch die große Mittagspause, und machte mich daran, die Mails abzuarbeiten.
Stunden vergingen und sobald ich Mrs. Maniac die Bürotür passieren sah, schnellte mein Kopf zu ihr nach oben. Sie trug tatsächlich ein Tablett, welches sie auf meinem Tisch platzierte.
»Sie arbeiten schon seit Stunden in Ihrem Büro, Mr. Larson, und weil sie nicht an sich denken, habe ich es für Sie übernommen.« Sie schob mir das Tablett hin, auf dem sich ein Bagel und mein gewohnter Espresso in einer Tasse befand. Erstaunt und ziemlich überrascht zugleich, legte ich den Kugelschreiber ab und schnappte mir den Bagel. Wenn ich es laut sagen würde, dass ich fast vor Hunger umkam, dann würde sie es mir nicht abkaufen. Aber mir lief wahrlich das Wasser im Munde zusammen und bevor ich alle Prioritäten von guten Manieren über Bord warf, biss ich in den Bagel hinein und nickte zufrieden.
»Vielen Dank, Mrs. Maniac.«
Beim nächsten Bissen schnappte ich nach Luft und richtete den Blick auf sie. Die gute alte Seele der Kanzlei schielte zum leeren Schreibtisch, den Miss Flanell seit gefühlten Stunden verlassen hatte. Sie hatte sich schon wieder verspätet, rief ich mir ins Gedächtnis.
Völlig neben der Spur kniff ich die Augen zusammen und riskierte den Blick auf meine Armbanduhr. 12:05 PM. Vor vier Stunden hatte ich sie weggeschickt.
Willkürlich trank ich aus dem Espresso und warf Mrs. Maniac einen strengen Blick zu. Meine Laune hatte sich gerade eben von selbst verabschiedet, weil Rhiannon Flanell, meine Assistentin, erneut am Trödeln war.
»Sie haben nicht zufällig meine Assistentin gesehen, nicht wahr?«
Die gute Empfangsdame begann mit dem Kopf zu schütteln. Auch wenn sie selbst der Ansicht war, dass ich viel zu ruppig mit den Leuten redete, wusste sie aber, dass ich Ehrlichkeit wertschätzte. Ehrlichkeit war das größte Gut, was ich von meinen Leuten erwartete.
Mrs. Maniac war in einem respektablen Alter, wie das von meinen Eltern und trotzdem verdiente sie meinen Respekt und Anerkennung. Egal wie lange sie brauchte, um mir eine Antwort zu liefern. Martha Maniac war die gute Seele der Kanzlei, die dafür sorgte, dass es uns an nichts fehlte. Selbst wenn ich Rhiannon Flanell zusammenstauchte, nahm sie sich Zeit, um jeden ein offenes Ohr zu schenken.
Martha wollte, dass es mir gut ging. Ich versank schnell in meiner Arbeit, sodass ich meine Gesundheit außen vor ließ. Nur der Sport hielt mich und meine geistige Gesundheit am Leben. Wenn Davis wüsste, wie ich wieder ohne Essen und Trinken in meinem Büro versauerte und meiner Arbeit nachging, würde er mich schon wieder dazu zwingen, nach Nevada zu ziehen.
Ich erinnerte mich genau an unsere Konversation. Sie war mit ganz viel Stress verbunden. Schon als ich ziemlich abgehetzt in den Flieger stieg und auf dem Weg zu Davis war, saß mir die Zeit im Nacken. So viele Termine standen an, die ich weitgehend nach hinten geschoben hatte, um Davis mal wieder aus der Klemme zu retten. Denn ein Angestellter hatte ihm große Probleme bereitet. Eigentlich hätte es mir klar sein müssen, dass mein bester Freund wohl den Ernst der Lage nicht verstehen würde. Denn kaum hatte ich unter Zeitdruck Davis Anwesen erreicht, schon erwischte ich ihn und seine neue Flamme auf seiner Couch.
Oh, ich wusste noch ganz genau, wie mir dort die Sicherung durchgebrannt war, weil er es mit seiner Neuen getrieben hatte.
Ich spürte, wie ich die Hand zur Faust ballte und für eine Weile die Augen schloss. Ich durchlebte jedes meiner Erinnerungen ein zweites Mal. So wie er mit Jade beschäftigt war, hatte es mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Er hatte mich schon wieder vernachlässigt, unseren wichtigen Termin vergessen, wo ich ihm mal wieder aus der Patsche helfen musste.
In mir fing das Blut an zu kochen, als ich es gedanklich vor Augen hatte: Ein nichtsahnender einundzwanzigjähriger Junggeselle stieß die Wohnungstür auf und entdeckte seinen besten Freund, der ihn an seinen dunkelsten Tagen seines verdammten Lebens im Stich ließ. Er kümmerte sich lieber um seine falsche Freundin, die nur Augen für sein Geld hatte. Obwohl es diesem Jungen echt dreckig ging, hatte er sie vorgezogen.
Nie und nimmer werde ich den Anblick vergessen, wie ich völlig aufgelöst und durcheinander vor seiner Wohnungstür stand und ihn wirklich gebraucht hätte. Ich hatte mich übermüdet in den nächsten Flieger gesetzt, nur um bei Davis zu sein. Trotz der Strapazen und meiner Prüfungen hatte ich alles links liegen gelassen und mich zu Davis nach New York begeben. Ohne Handgepäck, ohne Koffer und selbst ohne Handy. Mir war es gleich unerreichbar zu sein. Mir war es sowas von gleich, eventuell mit wenig Bargeld auskommen zu müssen. Denn noch bevor ich ziemlich erschöpft bei ihm ankam und sie beide entdeckte, drohte in mir die Welt, ein ganzes Kartenhaus, zusammenzubrechen. Ich verlor meinen besten Freund, als ich ihn am meisten gebraucht hätte.
Ein Stich kam in meiner Brust auf. Meine Augen verharrten auf dem silbernen Kugelschreiber und inspizierten die Initialen erneut.
»Ist alles in Ordnung, Mr. Larson?«, vernahm ich Marthas Stimme. Wie von selbst riss ich den Blick vom Kugelschreiber los und blickte ihr geradewegs in die Augen.
»Sie können gehen.«
Da es keinen Sinn hatte, mich mit privaten Dingen zu befallen, weil ich niemals etwas von meinem Leben teilte, erwiderte Mrs. Maniac nichts. Sobald sie den Weg nach draußen antrat, erfasste mich solch eine Wut, die ich selbst kaum bändigen konnte. Ruckartig schnappte ich mir das Edelstahlteil und schmetterte es mit aller Wucht gegen die Wand. Sekundenschnell hatte ich die Pillen aus meiner Schublade hervorgekramt, warf sie mir ein und jagte sie mit einem Schluck Espresso meinem Rachen hinunter. Erst als ich merkte, dass die Wirkung einsetzte, klappte ich den Laptop ein zweites Mal auf und begann wieder meine E-Mails zu beantworten.
Es vergingen weitere Minuten, an denen ich die fast vorletzte Antwort verfasste und dennoch trudelten nach und nach wieder Mails ein, wo ich zu gern mit dem Kopf gegen die Wand geknallt wäre. Aber ich hatte mir das Leben nun mal so ausgesucht, weshalb ich mir einen Ruck gab und genervt auf die Tasten einschlug. Meine Laune verbesserte sich nicht, als mein Telefon anfing zu klingeln. Ziemlich genervt fischte ich mein Handy heraus und ihre Nummer prangte groß auf dem Display: Freya, dein Babygirl ruft an.
Verächtlich schnaubte ich und drehte das Handy um. Ich konnte und wollte ihr einfach nicht verzeihen. Ich wollte ihr nicht einmal mehr in die Augen sehen, geschweige ihre Stimme zu hören bekommen. Ich wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. Stattdessen wollte ich, dass sie in der Hölle schmorte.
Irgendwann klingelte mein Telefon und bevor ich auf die Nummer sah, hatte ich aus Gewohnheit bereits abgenommen. »Clark Larson von Choose & Harpers, was kann ich für Sie tun?«
»Oh, du gehst ja sehr wohl ans Telefon«, vernahm ich ihre Stimme und ich war gewillt aufzulegen.
Allerdings verengte ich die Augen zu Schlitzen und atmete tief durch. »Sie beanspruchen meine wertvolle Arbeitszeit für sinnlose Dinge, Ms. Martin.«
Ich konnte es mir bildlich vorstellen, wie ihr meine Antwort zusetzte. Nach einer langen Pause meldete sie sich wieder zu Wort. »Du bist schwer zu erreichen.«
»Was Sie nicht sagen.« Ich blickte zu Miss Flanells Platz, der immer noch leer war.
»Das wars also? Mehr hast du nicht zusagen, außer, dass du mich mit Miss ansprichst?«
»Sie rufen auf meinem Geschäftstelefon an, selbstverständlich gehört es für mich zur Normalität, Sie als Miss Martin anzureden«, wiederholte ich mich erneut.
Ich hörte sie traurig seufzen. »Clark wir ... das meinst du doch nicht wirklich-«
»Nun und was war das am Wochenende?«
Sie zögerte. »Ich habe Mist gebaut, Clark.«
Oh ja, das hast du. Ich erwiderte daraufhin nichts, sondern heftete den Blick an meinen Laptop. Desinteressiert begann ich die Mail abzutippen.
»Clark?« Ihre Stimme klang so weinerlich. Früher hätte es mich zerrissen, sie weinen zu hören, aber heute? Heute packte mich der bebende Zorn und Hass. Der Hass auf alles, was sie mir gab.
Erst als sie sich wohl schon an den Tränen verschluckte, fing sie an zu reden. »H-Hat es dir etwa nichts bedeutet?«
Ich ließ die Hände über die Tastatur schweben und senkte die Augenlider. Dabei empfand ich nichts außer Leere in mir. Ich wollte ihr wirklich eine Chance geben, ich wollte sie nicht nur mit Rotwein überraschen. Nein, alles, was ich für sie tun wollte, war es ihr vor dem Altar das Jawort zu geben. Ich hätte es wirklich getan.
»Wissen Sie werte Ms. Martin, was man dazu sagt?« Gedankenverloren nahm ich die Pillen in meine Hand und wartete auf eine Antwort von ihr. Und sie kam prompt.
»Ja?«
Und während ich mir wieder eine Pille einwarf und sie mit Espresso hinunterwürgte, verbannte ich jeglichen Gedanken an Davis und Freya nach hinten und blickte nach vorn. »Sie sind der größte Fehler, den die Welt je gesehen hat.«
Abrupt knallte ich den Hörer auf den Tisch und kappte die Leitung. Unwiderruflich griff ich zu meinem Handy, löschte ihre Handynummer, dass ich zufrieden das Handy wegpackte und kopfschüttelnd meine Kaffeetasse an mich nahm.
Als ich schon im Glauben war, Rhiannon am Schreibtisch sitzen zu sehen, traf mich der Schlag erneut und mein Bauch füllte sich mit Wut. Meine schusselige Assistentin peilte geradewegs die Tür an und beachtete mich nicht. Sie zeigte mir die kalte Schulter, bevor sie mit gesenkten Kopf auf mich zukam und die Karte auf meinem Schreibtisch legte.
Wortlos wollte sie gerade mein Büro verlassen, als ich meine Kreditkarte an mich nahm und sie inspizierte. »Sie sind schon wieder zu spät.«
Langsam drehte sie sich schüchtern zu mir um und ihre Augen wurden größer.
Ich richtete mich vor ihr auf und umkreiste den Tisch. Wutschnaubend fasste ich mir an meine Krawatte. »Und wie Sie wissen, kann ich es nicht ausstehen, wenn sich jemand verspätet.«
»Sir, ich habe wirklich mein Bestes gegeben und-«
»Während Sie am Trödeln waren, habe ich Ihre Aufgaben erledigen müssen.« Schwungvoll schob ich ihr das Telefon hin und zeigte mit den Fingern darauf. »Indem ich Anrufe entgegennehmen musste, die Sie vorerst kontrollieren sollten!«
Sie nickte beklemmt.
Bei dem gefährlichen Ton in meiner Stimme gefror ihr sichtlich das Blut in den Adern. Ihre Hände fingen an zu zittern und ihre Augen füllten sich mit weiteren Tränen. Aber mir war es Latte, wie viel Angst sie gerade in sich trug. Ich gab einen Mist darauf, wie ich mit ihr umzugehen hätte. Stattdessen spukten mir die Erinnerungen im Kopf herum. Alles, was ich jemals zu verdrängen versuchte, kehrte zu mir zurück. Trotzdem konnte ich nicht anders, als sie für alles verantwortlich zu machen.
»Sie bleiben bis Mitternacht. Sie glauben, sich um Stunden verspäten zu können? Das können Sie vergessen. Sie werden die vier Stunden nachholen und Überstunden machen.«
»Aber Sir, ich-«
»Nichts mit Sir!« Ich hob die Hand an und brachte sie zum Schweigen. »Und jetzt gehen Sie, bevor ich mich vergesse!«
Sekundenschnell tapste sie aus meinem Büro und ließ sich an ihrem Tisch nieder. Sie tupfte ihre feuchten Wangen, die jedem außer mir nicht egal gewesen wären. Ich hörte ihr Wimmern und Weinen, was mich kalt ließ. Schließlich drehte ich den Blick zur Skyline und begann die Augen zu schließen.
Völlig aufgelöst stand ich vor der Tankstelle und starrte den Kassierer an. Ein stämmiger Kerl richtete seinen strengen Blick auf mich. »Was kann ich für dich tun, mein Sohn?«
Ich schluckte schwer und unterdrückte jeglichen Schluchzer, der aus meiner Kehle kam. »Sir? Mr ... Mr ...« Wehmütig versuchte ich sein Namensschild zu entziffern, aber mein glasiger Blick verschleierte es immer weiter.
Er half mir auf die Sprünge. »Mr. Fox.« Er lehnte sich über dem Tresen, um mir besser in die Augen aufzusehen. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich ...« Atemlos fasste ich mir an die Brust, bis ich die Augen zusammenkniff und mir der letzte Ton aus der Kehle entwich. »Ich brauche ein Telefon ... ich muss telefonieren.«
Ruckartig riss ich mich aus der Starre, weitete so weit die Augen, dass es anfing wehzutun. In letzter Sekunde stützte ich mich an der Glaswand ab, ignorierte die hektischen Atemstöße und begab mich zum Schreibtisch. Hastig fischte ich nach den Pillen, warf sie mir schleunigst ein, schluckte sie schmerzerfüllt hinunter, bis ich mich auf die Couch fallen ließ und zur Besinnung kam. Erst als alles verblasste und sich in Luft auflöste, blieb ich auf der Couch liegen, bevor das Telefon zu klingeln begann. Mit dem nächsten Atemzug hievte ich mich hoch und presste mir den Hörer ans Ohr. »Clark Larson?«
»Mr. Larson?«, erwiderte eine Frauenstimme.
Ich hob den Blick an. »Wer ist da?«
»Oh Clark, ich bin es. Clarice Bills.«
»Clarice ...«, setzte ich irritiert an und richtete mich auf. »Was kann ich für Sie tun?« Wieso in Gottes Namen rief mich Clarice an?
Sie schien völlig euphorisch zu sein, dass sie sofort antwortete: »Oh Clark, mir fehlen wirklich die Worte. Vorhin hatte ich eine Karte im Postfach liegen gehabt, die mehr als rührend ist. Ich hätte wirklich mit allem gerechnet, aber nicht, dass Sie so romantisch sein können.«
Irritiert kniff ich die Brauen zusammen. »Miss Bills, ich denke, dass es sich um einen Irrtum handelt.«
»Ein Irrtum? Sie haben mir nicht die Rosen, Pralinen und Hochzeitskarte geschickt?«
Augenblicklich schlug ich die Augen auf. »Hochzeitskarte?«
»Ja, Sie haben mir eine Hochzeitskarte geschickt, Mr. Larson. Trotz, dass Sie mir Ihre Geburtstagsgrüße kundtun, wurden sie in einer Hochzeitskarte geschrieben und dann noch der Kuss-Smiley.«
Mein Herz setzte aus. Ich fasste mir an die Krawatte. »W-Was steht denn in der Karte geschrieben?«
»Oh, sind Sie etwa vergesslich, Clark?« Ihr Lachen klang nervtötend.
Mein Blick verfinsterte sich, trotzdem lachte ich leise auf. »Aber nein, Miss Bills. Ich bin nur zur Zeit im Stress und doch sehr vergesslich.«
»Na gut, weil Sie eben ein Engel sind, werde ich mal nicht so sein.« Sie machte eine Pause und begann vorzulesen. Doch während sie vorlas, krümmten sich meine Finger zusammen, dass ich ein Fluchen unterdrückte und mir auf die Zähne biss. Ich verabschiedete mich prompt von Clarice Bills, bevor ich das Handy auf den Tisch warf und mich sekundenschnell vom Stuhl erhoben hatte.
»RHIANNON FLANELL!«
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