... beschützt man nicht
Ein lauter, dumpfer Schlag ließ den Boden vibrieren und die Äste der Bäume am Rand der Lichtung raschelnd zittern. Evelina klammerte sich mit hektischem Atem an den schuppigen Leib, der sich um sie herum gebildet hatte. Sie hörte den fernen Herzschlag des großen Körpers und das schmerzliche Stöhnen, als der Drache wieder begann sich aufzurichten.
Zephyrin streckte sich. Mit angehobenen Lefzen stieß sie ein tiefes Knurren aus, als ein stechender Schmerz in einen ihrer Flügel fuhr. Sie hatte den Sturz der Prinzessin abgefedert, nicht ihren eigenen. Und selbst ein Drache stürzte nicht gerne unaufhaltsam herab. Zumindest war es eine Wiese mit nachgebendem Erdboden und kein harter Fels. Dennoch brauchte sie einen Moment und bewegte sich etwas schwerfälliger, nachdem sie Prinzessin erneut von ihr herabgestiegen war.
Kaum, dass der Drache wieder auf allen Vieren stand und vorsichtig die Flügel streckte, warf sich ihr ein kleiner Mensch entgegen. Evelina schlang ihre Arme um den großen Kopf und schluchzte gegen den dunkelblauen Schuppenpanzer. Angst bebte durch ihren zerbrechlichen Körper. Doch es war nur ein Echo der Panik, denn der Sturz war vorbei, und vor der Kreatur, die sie umarmte, fürchtete sie sich längst nicht mehr.
„Es tut mir leid!", keuchte die Prinzessin und presste ihre Stirn gegen die Nase des Drachen.
„Schon in Ordnung. Das der Turm nicht ganz in Ordnung ist ahnte ich, ich hätte besser aufpassen sollen."
Evelina lehnte sich zurück und schüttelte den Kopf. Ihr warmbrauner Blick schwamm, als hätte sich ein See darin verloren, der Herbstlaub reflektierte.
„Das meine ich nicht. Es ist etwas anderes... Ich dachte..." Sie schnappte nach Luft, stolperte fast über die eigenen Worte. „Ich dachte Drachen wären... böse. Dass du den Krieg wieder zurückbringen würdest, sobald ich dich wirklich befreie. Aber ich erkenne mehr und mehr, dass du das gar nicht willst. Und dass..."
Evelina warf ihre Finger in ihr Haar. Verzweiflung saß in ihrem Blick. Noch immer spürte sie die Wärme des Drachen, der sich um sie geschlungen hatte wie ein schützendes Schild aus behaglichem Blau.
„... dass es mir sogar egal wäre. Wenn ich gewusst hätte, wer du wirklich bist, dann hätte ich niemals das Amulett auf diese Weise benutzt um..."
Eben noch gebannt auf die gequälten Bewegungen der Lippen der Prinzessin gerichtet, fuhr Zephyrin von Geräuschen und der Wahrnehmung zahlreicher Gestalten aufgeschreckt, herum. Sie erhob sich zu ihrer vollen Gestalt und ließ ihre Stimme leise grollen. Zwischen den Bäumen wieherten Pferde und der Schein von lichtreflektierendem Metall blitzte durch die Schatten der Bäume.
„Ich denke dein Held ist erschienen."
Panisch folgte Evelina ihrem Blick. Dann streckte sie die Arme aus und stemmte sie gegen die weite Drachengestalt.
„Flieg! Schnell!"
Verwundert drehte Zephyrin den Kopf und verengte die echsengleichen blauen Augen.
„Wolltest du nicht, dass ich das Monster für dich spiele?"
„Du bist kein Monster Zephyrin. Und ich will nicht mehr von einem fremden Helden gerettet werden nur um mich in ihn zu verlieben."
Hufe donnerten über brechendes Unterholz und auseinanderstaubendes Laub. Der Drache verharrte bei der Prinzessin und blickte eindringlich auf sie herab.
„Was willst du dann?", fragte sie die Frage, die Evelina ein schmerzendes Leiden auf die Züge zeichnete.
„Ich will... Ich will, dass du frei bist", schluchzte sie mit zitternder Stimme und an den Drachen gepressten Fingern.
„Du kannst genauso frei sein. Ich werde dich mit mir nehmen."
„Nein! Das geht nicht. Bitte, du musst jetzt gehen sonst..."
Ein lautes Zischen fauchte durch die Luft. Ein Knistern wie in einem Gewitter, in dem Blitze den Himmel beherrschten und gleißender Schein durch Wolken schrie. Dann riss Zephyrin den Kopf in die Höhe. Taumelnd schwankte sie auf ihren vier großen Pranken über Gänseblümchen und Löwenzahn. Schmerz flimmerte in ihren Augen und ließ sie keuchend nach Atem ringen. Ein Silberglanz hatte sich um ihren breiten Hals gelegt. Ein mächtiger Zauber, der ihr würgend nicht nur die Luft aus der Kehle presste.
Sie warf sich wild nach allen Seiten. Berittene Fremde waren erschienen. Einer von ihnen hielt dasselbe Amulett in die Höhe, dass auch Evelina bereits ein paar Tage zuvor präsentiert hatte. Schmal, doch triumphierend spannte sich ein Lächeln über seine Züge. Er war der Held. Stark, mutig, schön. Doch nicht für ihn schlug ihr Herz tatsächlich wild und hallend bis in ihren Kopf hinein.
„Aufhören!", schrie sie und stellte sich mit ausgebreiteten Armen zwischen die Reiter und den sich windenden, brüllenden Drachen. „Lasst sie gehen! Bitte!"
Der Held hielt das Amulett weiter erhoben, selbst da, als er aus dem Sattel seines Pferdes sprang.
„Gehört das zu Eurem Spiel, Prinzessin? Oder habt Ihr tatsächlich angefangen die Kreatur zu bedauern?"
„Bitte! Hört auf."
Sie stürmte auf ihn zu, versuchte nach dem Unglückswerkzeug zu greifen, dass sie selbst seinen Händen überlassen hatte. Da als sie es zurückließ, ohne den Zauber je wirklich gebrochen zu haben.
Er hielt sie an der schmalen Schulter, ohne ihren Angriff gelingen zu lassen. Doch kurz darauf senkte er es tatsächlich wieder herab. Allerdings war es da bereits still geworden. Hinter ihr lag der Drache am Boden. Die menschliche Gestalt an der nur noch mehr fein geschwungene Hörner und der Hauch des dunkelblauen Schimmers auf der Haut, ihr großes Wesen verriet. Eine silberne Fessel, hatte sich von Neuem um ihren Hals gelegt. Entsetzen saß auf ihrem Gesicht. Und als sie den Blick hob, um der Prinzessin entgegenzusehen, strich herzbrechende Enttäuschung durch verletzte Augen.
„Zephyrin...", hauchte Evelina leidend.
Der Held schob seine Finger unter ihr Kinn und drehte ihren Kopf, um ihr Gesicht dem seinen entgegenzurichten.
„Naiv, auch wenn die Idee eine amüsante war", meinte er und deutete auf den Turm. „Aber immerhin warst du klug genug, dem Drachen einem Teil der unsichtbaren Fesseln zurückzulassen."
Eisenketten wurden um Zephyrin gelegt. Eine verzerrte Wiederholung des Vergangen. Ein Plan war aufgegangen, doch für Zufriedenheit und warme Emotionen, sorgte es nicht.
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