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♯Cнαpтer 31 ~ I Doɴ'т Wαɴт To Dιe So Yoυɴɢ.

Hᴀʟʟᴏ, ɪʜʀ Lɪᴇʙᴇɴ!

So, wie versprochen gibt's nach nur anderthalb Wochen hier das nächste Kapitel für Euch. Ich hoffe, die Updates gehen von nun an immer so fix, wollen ja voran kommen. Bitte schreibt mir in den Kommentaren auch, wie oft ihr Euch Aktualisierungen wünscht. Ich finde anderthalb Wochen zwar okay, aber wenn Ihr lieber alle zwei Wochen ein neues Kapitel hättet, dann sagt das ruhig. Eure Meinung liegt mir sehr am Herzen und ich würde auch darauf Rücksicht nehmen, wenn einer vielleicht nicht viel Zeit zum Lesen hat, und sich deswegen längere Abstände zwischen den Updates wünscht.

Wie immer möchte ich allen danken, die mich seit dem letzten Kapitel unterstützt haben - Revolutionspoet, CloveClonime, PaulaPhanter, quietpoetess, amilia003, JoanaJawia, BlackGirlNumber1, AnnixEspinosax, Melina_1000, gingerbanana, _Romanum_ und TheDarkTemptation.

Ihr seid umwerfend. Danke für Euren Support!

Nun wünsche ich Euch auch schon: Vιel Spαß вeιм Leѕeɴ! Eυre Zoey <3

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♯Cнαpтer 31 ~ I Doɴ'т Wαɴт To Dιe So Yoυɴɢ.

She is terribly afraid of dying because she hasn't yet lived.❞

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SONGS featured in this chapter: rocketship by jules larson und smells like teen spirit by think up anger feat. malia j 

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G L I M M E R

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MIT einem Keuchen kehrte Glimmer zurück in die Bar.

Als sie den Blick senkte, sah sie, dass ihre Finger die Kante der Theke so fest umklammerten, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.

Aus dem Augenwinkel vernahm sie eine verschwommene Bewegung und wollte aufschreien, da erkannte sie, dass es Thor war, der ihren Cocktail vorsichtshalber zur Seite gestellt hatte, bevor ihre bebende Hand diesen versehentlich umriss.

Glimmer atmete ein paar Mal tief durch.

Noch immer zitterte sie am ganzen Körper. Sie war sich sicher, kreideweiß im Gesicht zu sein; dass ihre Wimperntusche verschmiert war; dass heiße Tränen ihr die Kehle hochstiegen, ihr die Atemwege versperrten ... doch zum ersten Mal war ihr ihr Aussehen egal. Sie fühlte sich grauenhaft. Von innen nach außen gekehrt. Die Schmerzen, die sie in ihren Erinnerungen durchlitten hatte, fühlte sie selbst in der Gegenwart noch in ihrem Körper wüten. Alles war falsch, alles war verdreht, und doch war es genau an dem Platz, wo es sein musste.

Glimmer schluckte schwer, verdrängte die Gedanken an schimmernde Silbermünzen, schäbige Hotelzimmer und blaue Flecken, und stürzte mit bebender Unterlippe den Rest ihres Cocktails hinunter.

Die zuckersüße Flüssigkeit half nicht mal annähernd, sie etwas zu beruhigen. Nein, viel eher vernebelte sie ihren Kopf noch zusätzlich, bis sich ein stechender Schmerz zwischen ihren Schläfen eingenistet hatte.

Glimmer seufzte ungehalten. Verdammte Süßdrinks.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte Thor leise, und griff nach ihrem Arm, als sie gerade drohte, vom Barhocker zu kippen.

Glimmer sah auf. Auch Thor schien mitgenommen. Als wäre er ebenfalls von seinen Erinnerungen überwältigt worden, so bleich, wie sein Gesicht war, und so groß und leer, wie seine Pupillen wirkten. Andererseits hatte er vielleicht einfach nur zu viel getrunken. Oder er nahm Drogen. Aber das war dann doch eher unwahrscheinlich, oder?

Du machst dir viel zu viele Gedanken. Hör auf damit, befahl ihr Unterbewusstsein und Glimmer räusperte sich vernehmlich.

Wegen all der sinnlosen Fragen, die in ihrem Kopf herumspukten, hatte sie ganz vergessen, dass sie inzwischen in den Armen des Mannes lag, der sie heute Vormittag fast gefoltert hätte.

Mann, hab ich ein Händchen für Kerle, dachte sie spöttisch.

Obwohl ... er hatte sich doch bei ihr entschuldigt, oder? War jetzt also alles wieder ... cool zwischen ihnen?

Was denkst du nur für eine Scheiße, bemerkte Glimmers Unterbewusstsein trocken und sie schüttelte - langsam angekotzt von sich selbst - den Kopf.

»Geht schon, danke«, meinte sie und wand sich aus seinem Griff, woraufhin er hastig den Arm wegzog. Peinlich berührt saßen sie nebeneinander und trauten sich kaum zu sprechen.

»Ich werde dann mal ...«, meinte der Friedenswächter nach einer Weile, als das einvernehmliche Schweigen beinahe schon angenehm geworden war, und machte Anstalten, sich zu erheben. Doch vier einzelne Wörter, die aus Glimmers Mund sprudelten, bevor sie sie zurückhalten konnte; bevor sie überhaupt wusste, was sie da sagte, hielten ihn zurück.

»Ich hasse dich nicht.«

Er sah auf, ihre Blicke trafen sich.

»Solltest du vielleicht«, meinte er, und gab dem Barkeeper zu verstehen, ihm noch einen Drink auszuschenken. Glimmer biss sich auf die Lippe, bevor sie ebenfalls den Blick auf den Barkeeper richtete. »Ich nehme auch einen.«

Der Mann nickte knapp, und machte sich dann daran, Flaschen unter der Theke hervorzukramen.

Glimmer wandte sich wieder an Thor, der nachdenklich in die Tiefen seines leeren Glases starrte.

Allmählich fühlte sie sich besser. Das Zittern hörte langsam aber sicher auf, und auch ihr Blick fokussierte sich wieder. Bis auf das Stechen in ihrem Schädel war alles wieder normal. Für den Moment. Bis die Erinnerungen erneut über ihr zusammenbrachen. Glimmer schüttelte den Kopf, um jenen deprimierenden Gedanken zu verscheuchen.

»Vielleicht sollte ich das, ja - aber ich tue es nicht. Ich weiß nämlich, wie es ist, sich bei einer Sache hundertprozentig sicher zu sein; sich keine andere Meinung aufzwingen zu lassen. Sich nicht verbiegen zu wollen, nicht einzusehen, dass der Gegenüber Recht behält und man selbst Unrecht hat. Ich kenne das Gefühl. Und ich kann dir sagen, ich verstehe es. Okay? Ich kann dich verstehen und ich hasse dich nicht. Vielleicht bist du kein netter Kerl. Schön. Aber wer ist das heute noch? Wir alle verstecken unser wahres Ich hinter Masken. Wir alle geben vor, jemand zu sein, der wir nicht sind, um in dieser verdammten Welt überleben zu können. In dieser kaputten, verabscheuungswürdigen Welt. Ich kenne dich nicht. Nicht dein wahres Ich. Und du kennst mich nicht. Vielleicht hast du Sachen über mich gelesen. Gelesen, ich wäre eine Hure. Eine Diebin. Eine Mörderin. Aber das sind nur Fakten auf Papier. Du kennst weder die Gründe für all die Taten, noch kennst du die Umstände, in denen ich mich befand. Und andersherum ist es genauso. Denn egal, was ich über dich lesen würde, egal was ich sehen würde - es wäre nur die halbe Wahrheit. Du tust, was du tun musst, um zu überleben. Genau wie ich es damals getan habe. Beim Verhör heute, da hast du deinen Job erledigt. Kenne ich dich privat? Nein. Ich habe also auch kein Recht dich wegen dieser ... Befragung, die im Grunde nur zu deinem Job gehörte, zu verurteilen - oder zu hassen.«

Stille.

Glimmer starrte nachdenklich auf ihre ineinander verschränkten Finger.

Jedes einzelne Wort, jeder Satz, hatte der Wahrheit entsprochen. Die Wahrheit, die keiner hören wollte, selbst sie nicht, doch vielleicht hatte sie inzwischen genug Alkohol intus, um ihre Grenzen diesbezüglich etwas herabzusenken.

Sie hatte ausgedrückt was sie wirklich dachte, wirklich fühlte. Ihre Grundsätze preisgegeben. Und doch bereute sie es nicht. Obwohl es in dieser verkorksten Welt, in der sie lebte, wahrlich nicht klug war, seine Meinung zu äußern. Doch sie vertraute Thor zumindest so weit, dass sie glaubte, er würde nicht sofort aufspringen und seine Kollegen alarmieren, weil sie etwas Gesellschaftskritisches von sich gegeben hatte.

»Na, das ist mal eine wirklich noble und ehrenhafte Einstellung«, meinte der Friedenswächter, mit einer Spur Ironie in der Stimme und sah sie nachdenklich an.

»Du hast recht. Ich habe die Berichte gelesen«, gab er zu, ihr diesmal jedoch in die Augen schauend. Glimmer wusste sofort, welche Berichte er meinte.

»Und? Was denkst du jetzt über mich?«, fragte sie bitter, und wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen.

Thor zuckte mit den Achseln, während seine Finger über das polierte Holz der Theke strichen.

»Ich denke, dass du wahrlich verzweifelt warst. Allein. Vielleicht wütend. Du selbst weißt, was du getan hast. Wie du sagtest, deine Verbrechen stehen auf Papier. Schwarz auf weiß. Jeder Friedenswächter, jeder Spielmacher wird sie gelesen haben.«

Der Typ hat eindeutig kein Talent in der Kunst des Beruhigens, dachte Glimmer ironisch.

Tja, zumindest ist er ehrlich. Nicht wie ... nicht wie er - Sie brachte es immer noch nicht über sich, seinen Namen auch nur zu denken, in der Angst, er würde plötzlich auftauchen und ... und sie wusste, es war dämlich, so zu denken.

Tja, Ehrlichkeit ist schon mal gut. Ein echter Glücksgriff diesmal, Glimmer Lovelace.

Thor, der verständlicherweise nichts von Glimmers innerem Monolog mitbekam, sprach weiter. »Aber kann ich die Umstände der Taten auch dort nachlesen? Nein. Also kann ich dich auch nicht verurteilen. Es ist, wie du schon sagtest. Ich kenne dich nicht - du mich nicht. Ich habe kein Recht, irgendwas Schlechtes über dich zu denken, bis ich dich nicht wirklich kenne«, meinte er und schob ihr ein halbvolles Glas Whiskey hin, das der Barkeeper soeben serviert hatte.

Glimmer sah ihm zu, wie er seinen Drink in nur einem Zug austrank, und dann den Barkeeper um einen weiteren bat. Sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum, während ihre Finger das kalte Whiskeyglas umschlangen.

Das ganze Gespräch nahm eine Wendung, die sie nicht mal im Traum erwartet hatte. Und doch wollte sie ... Sie wusste nicht, was sie wollte. Sie wusste nicht mal, was sie denken sollte. Was sie über ihn denken sollte.

Er hatte mit ihr dieses schreckliche Verhör geführt, ja - und dabei seinen Job erledigt. Es war sein Job, Verbrechen zu verhindern, und Verbrecher auffliegen zu lassen. Er war überzeugt gewesen, dass sie schuldig, und er im Recht war. Vielleicht wegen ihrer Akte. Sie hatte sich immerhin einige Vorstrafen geleistet.

Er hatte ähnliche Ereignisse durchlebt wie sie ... oder? Auf jeden Fall hatten sie wohl beide ähnliche Grundsätze. Verband sie das jetzt auf irgendeine Art und Weise?

»Es gibt da etwas, das mir nicht ganz klar ist, was das heutige Verhör betrifft«, sagte sie zögernd - zögernd, weil sie nun mal clever war, weil diese eine Frage, diese wichtige Frage in ihrem Kopf herumspukte, seit sie den Vehörraum verlassen hatte - doch sie hatte sich nicht getraut, zu fragen. Weil sie Angst vor der Antwort hatte - und Angst vor Thors Reaktion.

Glimmer nippte an ihrem Drink. Der Whiskey brannte in ihrer Kehle und rief Erinnerungen wach, die sie vergessen wollte, doch sie zwang sich, die Gefühle zu unterdrücken und weiterzutrinken.

Vielleicht würde alles leichter werden, je mehr sie von der Wirklichkeit abglitt. Wahrscheinlich nicht.

»Nur zu. Frag«, meinte Thor und nickte ihr zu.

Glimmer biss sich auf die Lippe, beschloss dann jedoch, den Versuch zu wagen.

»Es geht um den Ring«, erklärte sie, wohlweislich, dass sie in einer offenen Wunde herumstocherte.

»Was ist damit?« Der Friedenswächter klang leicht desinteressiert, doch das war bloß Täuschung, da war Glimmer sich sicher.

Noch immer zögerte sie, hin und hergerissen, was Thor dazu veranlasste, den Blick auf sie zu richten. Etwas musste er wohl in ihren Augen gesehen haben, denn seine angespannte, gleichgültige Miene wurde kaum merklich weicher.

»Glimmer, ich werde dir nichts tun. Darauf gebe ich dir mein Wort. Ich habe mich bereits entschuldigt. Ich lag falsch, und das sehe ich ein. Du wusstest nichts von der ganzen Sache. Du kannst alles fragen, was du willst«, sagte er bestimmt und Glimmer straffte die Schultern, ermutigt von seinen Worten.

»Okay«, meinte sie, tief durchatmend. Okay.

»Also ... wenn du den Ring damals schon als unerlaubte Waffe erkannt hast, warum hast du ihn dann niemandem übergeben? Ich meine, warum wurde er zurückgeschickt nach Distrikt eins? Zu mir? Warum wurde er nicht ... keine Ahnung, weggesperrt?«

Thor lächelte. Es war kein höhnisches und auch kein grausames Lächeln. Es war einfach ... Vielleicht verkniffen. Bitter. So genau konnte sie es nicht beschreiben.

»Natürlich musste diese Frage kommen. Natürlich musste es genau diese eine Frage sein«, murmelte er, fast so, als würde er nur zu sich selbst sprechen. Seine Stimme war durchzogen von Hass, doch irgendwie bezweifelte Glimmer, dass jener sich gegen sie richtete.

Trotzdem, das Thema schien dem Friedenswächter zu missfallen, und bevor sie erneut seine ungemütliche Seite zu Gesicht bekam, sollte sie vielleicht besser ...

Gerade wollte sie einlenken, da hob Thor die Hand, schnitt ihr die Worte ab, noch bevor sie ihren Mund verlassen konnten.

»Nein. Ich werde es dir erklären, denn du hast eine Erklärung verdient. Aber wahrscheinlich wirst du die ›Ich hasse dich nicht Karte‹ dann noch einmal überdenken. Dass du nämlich überhaupt erst in diese Lage gebracht wurdest ... das ist meine Schuld.«

Man konnte Glimmer ihre Verwirrung offenbar an der Nasenspitze ablesen, denn Thor seufzte schwer, und begann dann zu erklären.

»Als ich damals die Erkenntnis zog, dass deine Mutter bei den Hungerspielen betrogen hatte, da war ich - Nun sagen wir, ein wenig zu euphorisch. Ich stand nicht mehr am Anfang meiner Karriere, war nicht mehr der naive Junge, der ich vielleicht früher mal gewesen bin, und ... ich hatte bereits ein paar Erfahrungen machen müssen, die mich verändert haben. Maßgeblich verändert. Erfahrungen, die mit Seneca zu tun hatten ... ich habe ihn damals schon gehasst«, gestand er leise und starrte nachdenklich in die Flammen der Kerzen, die die Wand vor ihm schmückten.

Glimmer traute sich nicht, zu fragen, wieso er seinen Bruder so abgrundtief hasste. Da Thor dies auch nicht ansprach, beschloss sie, ihn nicht weiter zu drängen, und einfach nur zuzuhören. Sie war immerhin schon dankbar, irgendwas erfahren zu dürfen, was erklärte, wieso er sie heute Vormittag verhört hatte.

»Du musst wissen, ich habe sehr früh angefangen, Friedenswächter zu werden. Nicht, weil ich das unbedingt wollte, natürlich nicht ... Aber mein älterer Bruder war damals schon in aller Munde, auf dem Weg, ein ganz großer Hit zu werden ... und natürlich wollte mein Vater, dass ich ihm nacheiferte. Verstehst du - Es ist nicht leicht, neben einem Bruder aufzuwachsen, der in allem immer perfekt war; der einen so hohen Sitz im Kapitol erreicht hat, ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen ... man gerät gewaltig unter Druck. Und dieser Druck macht einen kaputt«, meinte Thor verbittert, schüttelte dann jedoch den Kopf.

»Aber das ist eine andere Geschichte. Die Geschichte deiner Mutter, da hatte ich gerade eine Stellung als Wachmann inne - furchtbar langweilige Arbeit, doch das hatte ich Seneca zu verdanken«, sagte er abschätzig.

»Nun, wie gesagt, die Arbeit war öde. Ich kontrollierte die Videoaufzeichnungen im Trainingscenter, passierte Grenzgänge, patrouillierte häufig. Durch Zufall bekam ich mit, wie vier Spielmacher über ein Ereignis der diesjährigen Spiele redeten, das nicht ins Gesamtbild passen wollte. Es ging dabei um Sage Lovelace und Erkan Gola, den Tributen aus Distrikt acht, der gestorben war, ohne, dass man bei ihm eine deutliche Verletzung erkennen konnte. Ich forschte ein wenig nach, froh, endlich mal auf etwas Aufregendes gestoßen zu sein - und hatte wenig später die Autopsieberichte in der Hand. Dort las ich, dass in der Brust des Jungen ein giftiger Stachel gefunden worden war. Es gab Überreste von goldenen Fragmenten, die ich sorgfältig verpackte und untersuchte. Dabei fiel mir wieder ein, dass die Erinnerungsstücke der Tribute bei der Ankunft im Kapitol allesamt durch zahlreiche Kontrollen müssen, wo sie aufgelistet, gewogen und - im Falle deiner Mutter - offenbar nicht ausreichend untersucht werden.

Es fiel mir dementsprechend leicht, die Unterlagen mit den Bruchstücken zu vergleichen. Sie stimmten überein. Und plötzlich, ganz plötzlich, hielt ich die Erkenntnis in den Händen, die meine Laufbahn nach oben befördert hätte ... Mein einziger Gedanke war zu diesem Zeitpunkt, den Ring so schnell wie möglich abzugeben, doch wie es das Schicksal wollte, kam mir etwas dazwischen - mein Bruder, wenn ich mich recht entsinne«, erklärte Thor und seine Miene wurde noch düsterer.

»Und so kam es, dass der Ring schließlich zu den anderen Erinnerungsstücken gelegt wurde. Als ich danach fragte, teilte man mir mit, er wäre bereits nach Distrikt eins geschickt worden. Ich wollte ihn zurückbeordern lassen, doch als ich meinem Vorgesetzten erklärte, was ich glaubte gesehen zu haben, was der Ring war, da lachte er nur. Und als ich auf die goldenen Fragmente hinwies, diese mit den Unterlagen vergleichen wollte ... Sie waren verschwunden. Der giftige Stachel war da, aber jeder goldene Splitter war vernichtet worden, obwohl ich alles sorgsam beiseite gelegt hatte. Jemand hatte die Überreste gestohlen. Niemand glaubte mir. Trotzdem fiel mir auf, dass man die Geschehnisse in der Arena nachträglich verändert hatte, als der Abschlussfilm gezeigt wurde. Ich war mir sicher, mein Bruder hatte die Splitter gestohlen, um meinen Aufstieg zu verhindern. Ich war mir außerdem sicher, dass die Regierenden sehr wohl wussten, was es mit dem Ring auf sich hatte - aber es kümmerte sie nicht, mir eine Anerkennung zuzusprechen, oder den Ring zurückbeordern zu lassen. Also erledigte ich meine Arbeit weiter, bis sich mir schließlich die Möglichkeit bot, einen ernsthaften Auftrag zu absolvieren. Die Sache geriet mehr und mehr in Vergessenheit - bis jetzt.«

Thor beendete seine Erzählung, und sah Glimmer, die bis eben stumm seinen Worten gelauscht hatte, abwartend an.

»Das ändert meine Meinung über dich trotzdem nicht. Von dir aus gesehen, hast du nämlich das Richtige getan. Niemand kann etwas für deinen Bruder«, meinte sie nach ein paar Augenblicken langsam.

»Außerdem ... bin ich dankbar.«

»Wofür denn?«, fragte er, sichtlich ungläubig, und überzeugt, sich verhört zu haben.

Glimmer lächelte leicht.

»Tja, die Art und Weise war vielleicht nicht die angenehmste - aber immerhin hast du mich am Ende davor bewahrt, mit diesem Ring in die Spiele zu gehen. Denn falls ich dort - nun ja, sterbe« - das letzte Wort sprach sie zögernd, während ihre Finger eine ihrer Haarsträhnen zwirbelten, und sie sich nicht traute, aufzublicken - »und falls dann jemand herausfindet, dass ich betrogen habe, indem ich eine unerlaubte Waffe mit in die Arena brachte ... Nun, auch wenn es sicher nicht mit Absicht passiert wäre ... seien wir ehrlich, das würde doch sowieso keiner glauben. Wer weiß, was man meiner Familie angetan hätte. Ja, ich weiß, ich sagte, man solle sie am besten von ihrem Elend erlösen, und dazu stehe ich auch, denn das meinte ich ernst - ich habe weiß Gott schon genug wegen denen durchgemacht, und in all den Jahren, in all den verschwendeten Augenblicken ... Keiner von beiden hat es mir je gedankt. Ich hab's satt mich um sie zu kümmern. Vielleicht haben die beiden den Tod verdient. Vielleicht wäre es eine Erlösung für sie. Aber nicht aufgrund eines Missverständnisses. Nicht, weil meine Mutter und ich ein Todesurteil über sie gelegt haben. Nicht auf diese Weise.«

Thor betrachtete sie mit schief gelegtem Kopf, sagte jedoch nichts. Glimmer war ihm dafür ebenfalls dankbar. Sie wollte gar nicht wissen, wie sich ihre wirre - teils von Trauer, teils von Hass - gemischte Erläuterung für ihn angehört hatte.

»Und so blöd das jetzt auch klingen mag ... ich bin froh, dass du den Ring damals verloren hast. Nicht, weil ich dir Böses will«, erklärte sie hastig, da sie sich sicher war, bereits Thors drohenden Blick auf sich zu spüren, doch hätte sie aufgeblickt, so hätte sie bemerkt, dass der Friedenswächter höchstens verwirrt aussah - »Nein, wegen mir. Denn wer weiß, was mir zugestoßen wäre, hätte man die Beweise für den Betrug meiner Mutter schwarz auf weiß vorliegen gehabt. So haben sie es nur vermutet - oder vielleicht wussten sie es auch; vielleicht hat Seneca die Lorbeeren eingeheimst - aber sie haben es vertuscht. Haben es unter Verschluss gehalten. Niemand wurde dafür bestraft, und ... selbst, wenn ich in wenigen Tagen sterben sollte, ich - zwischen all den schlechten Momenten in meinem Leben gab es auch Lichtblicke. Und diese erlebt zu haben ... Es tut mir leid, dass du unter dem Verlust des Ringes gelitten hast. Wirklich. Und ich selbst wünschte, ich hätte diese Lichtblicke mehr genossen, als ich es denn getan habe. Dann wäre ich jetzt nicht voller Reue. Dann hätte dein Verlust wenigstens etwas Gutes hervorgerufen. Aber nichtsdestotrotz - ich bin dankbar

Thor hob die Brauen. Eine Weile lang herrschte Stille zwischen ihnen. Aber es war kein unangenehmes Schweigen. Nein, es war beinahe entspannt, den sanften Tönen des Klaviers zu lauschen, in die flackernden Kerzenlichter zu starren und einfach nur den Moment zu genießen.

»Nun - schön zu hören«, meinte Thor nach ein paar Minuten und nickte ihr zu. Mehr nicht. Nur ein Nicken auf ihre ellenlange Erklärung, und doch bedeutete es Glimmer mehr, als eine ausführliche Antwort seinerseits. Denn es zeigte ihr, dass er mit ihrer Meinung - nun, vielleicht nicht übereinstimmte, aber sie zumindest akzeptierte.

Und das war es, was für sie zählte.

»Ihr Essen«, meldete sich plötzlich der Barkeeper zu Wort, schob Thor seinen Whiskey hin, und reichte Glimmer einen Korb, randvoll gefüllt mit Pommes, köstlich duftenden Soßen und marinierten Hähnchenflügeln.

Der Friedenswächter bedankte sich mit einer erneuten Zahl an Münzen, während Glimmer sich mit knurrendem Magen ein paar Pommes angelte.

Seit ihrer Ankunft im Kapitol - und auch daheim in Distrikt eins - hatte sie strengstens auf ihre Ernährung geachtet. Salate und mageres Fleisch standen tagtäglich auf dem Speiseplan der Akademie - und anders als in Distrikt zwei, wo sich ein Fast - Food Restaurant an das nächste reihte, gab es im Luxusdistrikt bestenfalls Salatbars. Im Kapitol war das anders; die Menschen hier liebten fettiges, reichhaltiges und kunterbuntes Essen. Egal, ob Schokotorte oder Hamburger - man bekam hier alles, was das Herz begehrte. Doch Glimmer hatte sich zurückgehalten, hatte sich ihre Figur erhalten wollen; vielleicht, um Sponsoren zu gewinnen, vielleicht auch, weil sie, wenn sie denn starb, als sie selbst und nicht als blondes Dickerchen sterben wollte. Aber in jenem Moment ... Einfach nur den Augenblick genießen, schien ihr ein gutes Motto zu sein. Und ein paar Pommes würden sie schon nicht zu einem Walross werden lassen.

»Danke«, meinte sie, zwischen zwei Bissen Hähnchen.

Thor lächelte bloß. »Kein Problem. Könnte es mir nie verzeihen, wenn der weibliche Tribut aus Distrikt eins unter meiner Aufsicht verhungert. Könnte mich ja meinen Job kosten.«

Glimmer lachte. »Oooh, und ich weiß ja, wie wichtig dir dein Job ist«, antwortete sie grinsend und schob ihm ein paar Pommes zu, die er widerstandslos aß.

»Nicht nur für das Essen bin ich dankbar«, bemerkte sie ein paar Sekunden später, und spülte die Hähnchenreste mit einem Schluck Cola hinunter.

»Wofür denn noch?«

»Dass du mir gezeigt hast, dass du doch nicht so ein fieser Kerl bist, wie ich heute Vormittag noch annahm«, erwiderte sie achselzuckend.

Thor lachte leise und schnappte sich noch ein paar Pommes.

»Oh, das. Nun ja - gern geschehen.«



NICHT mal eine Stunde später torkelte Glimmer, um deren Geist sich inzwischen ein starker Nebel gelegt hatte, am Arm des schwarz gekleideten Friedenswächters die erste Etage entlang, zu einer schimmernden Glastür, welche in ein prunkvoll eingerichtetes Zimmer führte.

Alles hätte so schön friedlich sein können, wäre da nicht das undamenhafte Fluchen, das den Flur erfüllte - Glimmer hatte sich, dank ihrer abnorm hohen Schuhe, den Zeh angeschlagen, und hüpfte nun, mehr schlecht als recht, von einem Bein aufs andere.

»Brauche ... dringend was zum Kühlen ... für meinen Fuß«, stöhnte sie japsend, bevor Thor - dem das Gejammer offenbar zu viel wurde - sie an der Tallie packte, und bis zu ihrem riesenhaften Prinzessinenbett trug.

»Vielleicht solltest du dich umziehen, während ich etwas zum Kühlen aus dem Speisesaal hole«, schlug der Friedenswächter vor und erntete ein erschöpftes Nicken. »Okay, alles klar ... dann wirf mir mal ein Nachthemd aus dem Schrank zu.«

»Bitte, was?«, fragte Thor, todsicher, sich verhört zu haben.

Glimmer dagegen, sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen abwartend an. Ihre sorgfältig manikürten Nägel trommelten ungeduldig auf die puderweiche Bettdecke.

»Was, glaubst du im Ernst, ich hüpf jetzt zum Schrank und hol mir ein Nachthemd? Mein Fuß brennt wie die Hölle«, sagte sie, mit besonderer Betonung auf das Wort »Hölle«.

Als der Friedenswächter immer noch nicht reagierte, verzog Glimmer ihr Gesicht zu einer schmerzerfüllten Geste, und schickte sich mühsam an, aus dem Bett zu steigen.

»Es tut soo weh. Auaaa«, jammerte sie, woraufhin Thor genervt die Augen verdrehte und schicksalsergeben zum Schrank marschierte.

Nicht mal eine Minute später sah er sie von seinem Standpunkt aus mit einer Mischung aus Belustigung und Ungläubigkeit an. »Ich sehe hier mehr als zwanzig Nachthemden aus Satin, ein paar Baumwollslips, BHs, Tops, Jogginghosen ...«

Glimmer stieß ungeduldig die Luft aus.

»Wieso zählst du alle Bestandteile meines Nachtsortiments auf? Gibt mir einfach das elfenbeinfarbene Nachthemd aus der Innenseite des Schrankes und ... Tja, ein Slip wäre wahrscheinlich auch nicht schlecht«, meinte sie dann, nach leichtem Zögern, während ihr Alkoholrausch zumindest so weit abklang, dass sie für die Dunkelheit im Zimmer dankbar sein konnte - denn ihre Wangen hatten vor Verlegenheit gerade einen sehr intensiven Rotton angenommen.

»So viel Kleidung und das nur für das Nachtsortiment«, bemerkte Thor, ihre überhebliche Stimme erstaunlich gut nachahmend. »Ich bin mir fast sicher, das ist nicht mal zugelassen.«

»Sag das doch dem, der meinen Schrank eingerichtet hat«, murmelte Glimmer, bevor sie aus dem Augenwinkel ein paar Stoffstücke auf sich zufliegen sah, und sich reflexartig duckte.

Verdammter Fehler.

Das elfenbeinfarbene Nachthemd fiel neben ihr aufs Bett; den Slip musste sie sich von ihrer Nachttischlampe angeln, woraufhin ihre Wangen gleich noch einen Ton dunkler wurden.

Perfekt.

»Okay, ich verschwinde jetzt ins Bad, und du kannst -« Sie brach ab und kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Wie sollte sie jetzt bitte ins Bad kommen, ohne ...?

Bevor sie den Versuch wagen konnte aus dem Bett zu steigen, da hatte Thor sie bereits wieder auf seine Arme gehoben, und marschierte schnurstracks zur angrenzenden Badezimmertür.

Die Reise war kurz; und kaum, dass er die Blondine auf dem beheizten Marmorboden abgesetzt hatte, da warf er ihr einen zweifelnden Blick zu.

»Schaffst du es von hier aus denn überhaupt allein?«

Glimmer wollte schon entrüstet die Hände an die Hüften stemmen, da fielen ihr die Kleidungsstücke ein, die sie umklammert hielt, und sie beließ es bei einem beleidigten Blick.

»Jaa. Ich bin doch kein Baby mehr.«

Thor zuckte bloß mit den Achseln und schloss die Tür.

Glimmer seufzte.

Im Bad war es furchtbar stickig und roch nach Parfüm. Vage erinnerte sie sich an den Standort der Dusche, streifte sich die Kleider vom Leib, und hüpfte in das Glasungetüm.

Wahllos ein paar Knöpfe drückend, umflutete sie kurz darauf dermaßen kaltes Wasser, dass ihr Tränen in die Augen traten und sie am liebsten geschrien hätte.

Doch sie riss sich zusammen; immerhin vertrieb das Eiswasser ihren Alkoholrausch bis auf weiteres.

Ein erstrebenswertes Ergebnis? Nicht wirklich, denn kaum, dass Glimmer wieder einen einigermaßen kühlen Kopf besaß, da hätte sie sich am liebsten die Hände vors Gesicht geschlagen. Es war ihr furchtbar peinlich, wie arrogant und zickig sie Thor behandelt hatte, der sie extra noch auf ihr Zimmer begleitet hatte, um sicherzugehen, dass ihr nichts geschah. Und sie kommandierte ihn herum, als wäre er ihr Diener.

Toll gemacht, Glimmer.

Ganz toll gemacht.

Nun, was geschehen war, war geschehen. Sie konnte sich ja für ihr Benehmen entschuldigen, wenn sie aus dem Bad zurückkam.

Oder würde das doof aussehen?

Gott, wieso interessierte sie das überhaupt?

Mann, das war dann wohl die Frage dieser Nacht.

Mühsam wischte Glimmer sich übers Gesicht, bemühte sich, alle Reste ihres Make-ups fortzuwaschen.

Nach fünf Minuten waren ihre Finger mit hartnäckiger Mascara übersät, doch als sie wenig später, in ein dickes pinkfarbenes Badetuch gehüllt, in den Waschbeckenspiegel sah, stellte sie zufrieden fest, dass ihre Augen zwar rot gerändert, aber immerhin frei von Schminke waren.

Mehr konnte sie wahrlich nicht verlangen.

In ihrem Kopf hörte sie noch immer das sehnsuchtsvolle Lied der Klavierspielerin aus der Bar.

Vor sich hin summend, legte Glimmer Feuchtigkeitscreme auf und schlüpfte in ihre Kleidung.

Das Satinnachthemd reichte ihr bis zu den Knien und fiel an ihr herunter wie ein schimmernder Wasserfall.

Auch ohne jegliches Make-up war sie eine klassische Schönheit - eine Tatsache, der sich Glimmer durchaus bewusst war. Doch sie hatte zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, um sich darauf noch etwas einzubilden.

Ihre Haare fielen ihr nass über die Schultern, doch sie hatte weder die Energie, noch die Zeit, jene trocken zu föhnen, war es doch schon weit nach Mitternacht.

Also begnügte sie sich damit, ein Handtuch um ihre Locken zu wickeln, sich einen rosafarbenen Satinmorgenmantel über die Schultern zu werfen, und das Licht zu löschen.



IN ihrem Zimmer war es dunkel; keine der üppig im Raum verteilten, feenhaften Lampen brannte. Doch das war in Ordnung - die vielen bunten Lichter vor den deckenhohen Fenstern spendeten genug Helligkeit, als dass sie Thor erkennen konnte, der auf ihrem Bett saß und nachdenklich auf das nächtliche Kapitol blickte.

Ein paar Sekunden lang ließ auch Glimmer sich von der Schönheit der Farben und Formen verzaubern, die sich vor ihrem Fenster erstreckten.

Wie konnte etwas so Schönes so grausam sein?

Tja, dachte sie, in Gedanken heiser auflachend, das könnte leicht der Leitspruch meines Lebens werden. Die Vergangenheit hatte gezeigt, dass alles, was sich zuerst als schön erwiesen hatte, früher oder später zum Hässlichen mutiert war. Glimmer seufzte.

Der Laut reichte aus, damit Thor vom Bett hochschreckte und herumwirbelte.

Ihre Blicke trafen sich in der Dunkelheit.

»Hi«, sagte Glimmer leise. »Könntest du vielleicht-«

»Sicher«, erwiderte der Friedenswächter, hob sie in seine Arme, und trug sie zum Bett.

»Hier«, meinte er, nachdem er ihr die fliederfarbene Bettdecke bis zum Bauch gezogen hatte, und drückte ihr ein mit roter Flüssigkeit gefülltes Glas in die Hand.

»Was ist das?«

»Schmerzmittel. Wenn du morgen aufwachst, dann wirst du weder einen Kater haben, noch wird dir dein Fuß Probleme machen.«

Glimmer nickte und nippte vorsichtig an dem Glas.

Die Flüssigkeit brannte etwas, doch es war kein Vergleich zu dem Brennen, das sie in ihrem Fuß spürte, oder dem Whiskey, den sie Stunden zuvor getrunken hatte.

»Wie lang hält es an?«

Thor schenkte ihr ein nachsichtiges Lächeln.

»Es ist nicht diese Art von Schmerzmittel. Es braucht ein paar Stunden um zu wirken, aber wenn der Schmerz erst einmal weg ist, dann bleibt er es auch. Es ist ein sehr teures Mittel, dass das Kapitol vor einigen Jahren entwickeln konnte. Heilt jede Art von Verletzung in nur wenigen Stunden. Es wird auch als Sponsorengeschenk bei den Hungerspielen eingesetzt«, erläuterte er.

Glimmer fiel auf, dass seine Augen sich bei dem Wort »Hungerspiele« kaum merklich verengten.

Gab er ihr vielleicht gerade einen Tipp?

Aber ... Nein, wahrscheinlich war sie nur wieder paranoid.

Sie beschloss, nicht weiter nachzufragen, und kippte den Rest des Zeugs hinunter.

Wenn das Medikament so teuer war ... Was hatte es ihn dann gekostet, es für sie zu beschaffen? Oder war es aufgrund seines Berufes kostenlos für ihn verfügbar?

»Danke«, meinte sie leise und gab ihm das Glas zurück.

Der Friedenswächter zuckte seltsam verloren mit den Achseln. »Schon gut.«

Glimmer gähnte herzhaft, zerrte sich den Morgenmantel von den Schultern und warf jenen auf den Boden vor ihrem Bett.

Ein missbilligender Blick von Thor folgte, bevor er das Stoffstück aufhob, und sorgfältig über eine Stuhllehne hängte. Seine Finger blieben kurz an dem rosafarbenen Satin hängen, bevor seine Augen im halbdunklen Zimmer umherschweiften. Offenbar wurde ihm soeben etwas klar.

»Alles hier ist rosa. Ist das deine Lieblingsfarbe?«

Die Frage kam ihr seltsam vor. Wieso fragte er sie das? Wieso hatte er sich überhaupt so um sie gekümmert? Ihr geholfen, statt sie allein zu lassen? Bemüht, etwas über sie als Person zu erfahren?

»Nein«, antwortete sie ihm nach einer Weile. »Meine Lieblingsfarbe ist hellblau.«

»Hellblau?«, hakte er nach, und konnte nicht verhindern, dass seine Stimme einen überraschten Klang angenommen hatte.

Glimmer nickte, während ihr ein weiteres lautes Gähnen entfuhr. »Ja. Aber nicht normales hellblau. Fast schon türkisblau. Mit silber glänzenden Elementen. Am liebsten mit Glitzersteinchen.«

Er lachte auf. »Natürlich.«

In der Dunkelheit trafen sich ihre Blicke erneut, und sie sah, dass er lächelte. Es stand ihm. Mit einem Lächeln sah er nicht ganz so mürrisch aus. Er sollte öfter mal lächeln. Aber das sagte sie nicht.

Ein paar Sekunden verweilten sie so, bevor es an Thor war, sich zu räuspern, und er einen Schritt auf die Tür zumachte.

»Ich sollte ... nun ja. Gute Nacht, Glimmer«, meinte er, mit der Absicht, das Zimmer zu verlassen.

Glimmer durchfuhr plötzlich ein seltsames Gefühl. Es lag nicht an Thor selbst, aber die Art, wie er sich abwandte und sich anschickte, den Raum zu verlassen ... Jeder, der ihr etwas bedeutet hatte, hatte ihr entweder bewiesen, dass er ihre Liebe, ihr Vertrauen, und ihre Freundschaft nicht verdient hatte - oder aber er war einfach so, mir nichts dir nichts, aus ihrem Leben spaziert. Und egal, wie oft sie diese Enttäuschungen in ihrem Herzen eingeschlossen hatte; egal, wie dick die Mauern aus Eis gewesen waren - sie war nie wirklich damit klargekommen.

Jetzt hatte sie keine Mauern mehr. Sie hatte gar nichts mehr.

Wie würde sie sich schützen, wenn Marvel sie auch verließ?

Nicht freiwillig, nein, getötet in der Arena ...

Und Thor? Er hatte sich heute Abend um sie gekümmert. Sich gesorgt. Wieso?

Die Antwort war egal, da auch er nun einfach wegging, sie allein zurückließ.

Am Ende war sie immer allein.

Ein kleiner Teil - der nicht übermüdete, der nicht betrunkene Teil - wusste, was sie da tat. Dass sie sinnlos all ihren Kummer, ihren Schmerz auf eine einzelne Person projizierte, die im Grunde nichts mit all dem, was ihr widerfahren war, zu tun hatte.

Doch der andere Teil - der betrunkene, der unbedachte, der verletzte Teil - der war es, der die Wörter aussprach, die Worte, von denen sie hoffte, ihre Ohren hätten sich verhört, und ...

»Kannst du bleiben?«

Wie hatte sie ...? Nein, warum hatte sie ...?

Verdammt, sie hatte gerade alles kaputt gemacht.

Der logisch denkende Teil ihres Gedächtnisses wusste das durchaus. Der andere Teil war schon zu tief in Trauer, Schmerz und Selbstmitleid versunken.

Thors Kopf fuhr herum. Wahrscheinlich glaubte auch er, sich verhört zu haben. Gott, wenn es doch nur so wäre. Glimmer wollte gar nicht wissen, was er jetzt über sie dachte - an was er dachte, wofür er sie hielt ... Nicht, dass ihm das Raten sonderlich schwer fallen sollte. Ihr Lebenslauf bot da sicher ein paar Möglichkeiten.

»Das wäre wohl nicht besonders klug. Ganz abgesehen davon, dass du eindeutig zu viel getrunken hast«, meinte er langsam.

Die Belustigung in seiner Stimme nahm der Situation etwas die Schärfe - trotzdem, die entspannte Atmosphäre war verschwunden. Jetzt war die Stimmung ... nachdenklicher. Melancholischer. Trauriger.

»Ja, vielleicht ...«, murmelte Glimmer leise.

Ihre Augen brannten - vor Müdigkeit oder ungeweinter Tränen?

»Es t-tut mir leid«, stammelte sie verlegen.

»Was tut dir leid?«

Seine Stimme klang seltsam weit weg. War er vielleicht schon gegangen?

»Ich - ich wollte nichts Unangemessenes sagen. Ich meinte es nicht auf - Ich ... Ja, ich hab viel getrunken, aber ... D-Du musst mich für kindisch halten. Oder arrogant. Und vielleicht bin ich das. Aber ich will doch nur - ich fühl mich so allein. Und ich hab das so satt.«

Thor setzte sich neben ihr aufs Bett, ergriff ihre Hand.

Glimmer sprach weiter, dankbar, dass ihr überhaupt jemand zuhörte. Dass es irgendjemanden auf dieser Welt kümmerte, wie sie sich fühlte.

»Ich dachte ... Ich dachte, es wäre anders. Ich - ich will ihn retten, weißt du? Marvel. Er war immer für mich da. Er ist mein bester Freund und ich liebe ihn wie einen Bruder. Aber wenn ich ihn rette, dann bedeutet das, dass ich - dass ich ...«

Tränen verschleierten ihr die Sicht; ihre Stimme wurde durchzogen von Schluchzern und brach beinahe gänzlich ab.

Thor drückte ihre Hand. Er wusste offenbar nicht, was er sagen sollte. Glimmer konnte es ihm kaum verdenken. Sie benahm sich ja auch total unzurechnungsfähig. Sie sollte in der Zukunft wohl besser die Finger vom Alkohol lassen ...

Doch tief in ihrem Innern, da wusste sie, dass es nicht der Alkohol war, der für ihren Zusammenbruch verantwortlich war.

Es lag an ihr.

All die ungesagten Worte; all die Gedanken und Gefühle, die sie mühsam unter Kontrolle gehalten hatte, seit ihr Name bei der Ernte ertönt war - all das sprudelte nun aus ihr heraus. Wie ihre immer wiederaufblitzenden Erinnerungen schien auch das unausweichlich zu sein.

»Ich - ich will nicht sterben«, flüsterte sie.

In ihrer Stimme lag so viel Schmerz, so viel Trauer, dass selbst Thor beim Hören jener Worte schlucken musste. Tränen liefen Glimmer die Wangen hinunter und versiegten in ihren immer noch nassen Haaren.

Ihre Unterlippe zitterte.

Gerade, als sie sich etwas zusammennehmen, und ihre Hand aus der des Friedenswächters befreien wollte, da realisierte sie - zum ersten Mal seit ihrer Ankunft im Kapitol - in was für einer Lage sie sich wirklich befand.

Sicher, Glimmer war alles andere als blöd; sie hatte von vornherein, direkt nach der Ernte, gewusst, dass sie gewaltig in der Klemme steckte, was Marvel und sie, und überhaupt diese verdammten Hungerspiele anging. Doch erst jetzt, erst, als jeder noch so kleine Eissplitter aus ihrem Herzen verschwunden war, erst nachdem die Erinnerungen sie überwältigt, und zerbrochen zurückgelassen hatten - da erst begriff sie das volle Ausmaß ihrer Situation.

Und sie wusste verdammt nochmal eins: Sie wollte nicht sterben. Nur wie sollte sie ... Wie konnte sie hier wieder herauskommen?

Es gab keinen Ausweg. Das war die Wahrheit. Die bittere, kalte Wahrheit, die ihr erneut die Tränen in die Augen trieb. Und ehe sie es sich versah, hatte sie plötzlich herzzerreißend zu weinen angefangen.

Thor sagte nichts. Er hielt sie einfach nur fest, als sie zusammenbrach, hielt ihren zitternden Körper, hielt ihre Hand. Und irgendwie machte es das ... nicht besser. Aber sie fühlte sich immerhin nicht mehr so schrecklich allein.

Und es half. Das Weinen, das Eingestehen ihrer Fehler.

Sie war vor etwas davongelaufen. Deswegen hatte sie keine der zahlreichen Freiwilligen gebeten, ihren Platz einzunehmen. Sie hatte sich im Recht gefühlt. Alles war besser, als das, was hinter ihr lag. Doch dann ... dann war Marvel ...

Idiot! Wieso hatte er sich auch freiwillig melden müssen? Wieso ...?

Doch sie wusste, wieso.

Natürlich.

Sie wusste es, weil sie ihn nach der Ernte angebrüllt hatte, was ihm einfiele.

Weil sie ihn in ihrer Wut, ihrer Panik, und ihrer Verzweiflung, in das sorgsam aufgebaute Kuchenbuffet gestoßen hatte.

Weil sie geweint und geweint und geweint hatte; weil sie schluchzend neben ihm zu Boden gesunken war, als er ihr erklärte, dass alles was er tat, nur zu ihrem Schutz geschah.

Und sie eingesehen hatte, dass egal, was ihre und Marvels Motivationen gewesen waren - sie mussten jetzt da durch.

Das alles ... das alles war passiert und ließ sich nicht mehr ändern.

Und sie musste sich jetzt damit abfinden, und das Beste aus ihrer Situation machen.

Sie hatte ja noch Zeit. Nicht viel, natürlich nicht. Aber ein paar Tage. Sie konnte immer noch eine Entscheidung treffen, konnte immer noch abwägen, was für sie und Marvel das Beste wäre. Vielleicht konnte sie auch nach einem Fluchtweg suchen ...

Aber das ging alles nur, wenn sie sich jetzt zusammenriss, sich die Tränen abwischte, und sich konzentrierte.

Also, gesagt, getan.

Kaum, dass Glimmer sich aufgerichtet, und ihre Augen von Tränen befreit hatte, da sah sie auf.

Mit unbewegter Miene starrte ihr Thor entgegen.

Sogleich fühlte sie sich schuldig. Sie hatte ihn heute schon genug genervt, so viel war sicher. Jetzt hatte sie ihn auch noch als menschliches Taschentuch benutzt. Sein Shirt war sicher schon ganz voll von ihren Tränen.

»Es tut mir-«

»Nicht«, befahl er ihr.

»Entschuldige dich nicht. Du hast jedes Recht so zu reagieren. Glaubst du, ich weiß nicht, wie falsch es ist, jedes Jahr dreiundzwanzig unschuldige Kinder in den Tod zu schicken? Natürlich ist es falsch. Nur weil ich für das Kapitol arbeite, bedeutet das nicht, dass ich ihre Überzeugungen teile oder ihre Ideen befürworte. Ich wünschte, ich könnte ...«

Er brach ab und fuhr sich frustriert durch die Haare.

»Aber ich kann die Regeln nicht ändern. Niemand kann das.«

Glimmer nickte. Seine Worte bedeuteten ihr mehr, als er ahnen konnte.

»Es tut mir leid, dass ich dir nicht helfen kann«, meinte er leise. Es klang aufrichtig.

»Danke«, erwiderte Glimmer und ließ sich erschöpft in die Kissen sinken. Ihre Augen tränten, aber das war okay. Es ging ihr besser. Jetzt hatte sie immerhin nicht mehr das Gefühl, jeden Moment zu zerbrechen, bei all der Trauer und den ungesagten Worten, die sich in ihr angestaut hatten.

Alles, was sie hatte sagen müssen, war gesagt worden. Es gab nichts mehr hinzuzufügen.

»Gute Nacht, Thor.«

Ihre Stimme klang leise und belegt.

Der Friedenswächter nickte.

»Gute Nacht, Glimmer. Schlaf gut.«

Sie nickte ebenfalls, doch sie bezweifelte, dass er es in der Dunkelheit hatte sehen können.

Wenige Sekunden später hörte sie ihre Zimmertür leise ins Schloss fallen.

Ihr Blick wanderte zum Kapitol, dessen helle Lichter mit den Sternen am Himmel um die Wette funkelten. Von irgendwoher ertönte leise Musik; vielleicht feierten einige Kapitolbewohner gerade eine ausgelassene Party.

Glimmer schlang die Decke fester um ihren Körper. Das Tanzen der Lichter verzauberte sie, bis ihr langsam die Augen zufielen. Binnen weniger Minuten war Glimmer in einen tiefen Schlaf gefallen.

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Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯1: Die Widmung dieses Kapitels geht an amilia003. Danke für Deinen Kommentar und Deine Unterstützung. Ich hoffe sehr, dass Dir dieses Kapitel gefällt.

Aɴмerĸυɴɢ Nυммer ♯2: Das Lied rocketship by jules larson passt sehr gut zum ersten Teil des Kapitels - stellt Euch einfach vor, es wird in der Bar gesungen, während Glimmer und Thor sich unterhalten.

Das Lied smells like teen spirit by think up anger ft. malia j bezieht sich vor allem auf den zweiten Teil des Kapitels und passt aufgrund der ausdrucksstarken Melodie sehr gut zu dessen Ende.

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