
🏳️🌈 Winter Wunderland 👩❤️👩
Für das Community Story Wichteln durfte ich für jemanden spontan einspringen und eine Geschichte schreiben. Die Teilnehmer haben je eine Idee für eine Geschichte eingereicht und ein andere(r) Autor(in) durfte die Geschichte schreiben. Mein Prompt war:
Nyx war der Typ von Mädchen, der zu den seltsamen Einzelgängern gehörte. Man wusste nie, was in ihrem Kopf vorging. Wollte sie einen mit Blicken ermorden? War sie eine creepy Stalkerin? Keiner wusste es. Doch alles änderte sich, als die aufgedrehte und immer gut gelaunte Runa neu in ihre Klasse kam und ihr den Kopf verdrehte. (girlxgirl)
„Albern. Allesamt hinterwäldlerische Kinder mit einfältigen Ansichten und unreifen Verhaltensweisen. Dumme, naive Nachläufer. Ignorant und ungebildet. Ich hasse sie!" Aschgraue Augen funkelten vor der untergehenden Abendsonne, die durch die schlecht geputzten Fenster im ersten Stock des Wohnhauses fielen.
„Echt mal Nyx, das kannst du doch so nicht sagen!" Matt hatte eigentlich nur wissen wollen, wie es seiner Schwester in der neuen Schule gefiel und wie ihre Klassenkameraden so waren. Doch Nyx war wie immer stur und eigensinnig. Sie reckte ihren Kopf nach oben und strich sich eine schwarz gefärbte Strähne aus dem Gesicht. Natürlich war es schwer für sie, als neue Schülerin aus der Großstadt in dieses Kaff zu kommen und dann noch ein ganzes Jahr älter zu sein als alle anderen, da sie durch die vielen Umzüge der letzten Jahre so viel Stoff in der Schule verpasst hatte.
Dennoch, Matt fand ihre Reaktion reichlich übertrieben und das sagte er ihr auch. „Du hast gut reden, kleiner Bruder! Du kommst ja auch super hier an, mit deinem Können im Fußball und deinem Interesse für die freiwillige Feuerwehr. Bei mir in der Klasse kennen die nicht mal Bands wie Deep Purple oder Dire Straits! Wie soll ich mich mit ihnen unterhalten, wenn die Jamming für einen Brotaufstrich halten?"
„Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?" Matt schüttelte den Kopf.
„Du verstehst das nicht!" Nyx kletterte vom Fensterbrett, auf dem sie gesessen hatte, und ging zur Tür.
„Nein, das tue ich nicht, Schwesterchen", rief Matt noch, doch Nyx war bereits auf den Flur getreten und verschwunden. „Mädchen", stöhnte Matt und widmete sich wieder seiner Playstation.
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Nyx schnaubte. Das waren doch alles noch kleine Babys, die keine Ahnung von den wichtigen Dingen im Leben hatten. In ihrer alten Schule hatte sie an der Schülerzeitung mitgearbeitet und hatte sich der „Fridays for Future"-Bewegung angeschlossen. Sie hatte regelmäßig Hunde aus dem Tierheim ausgeführt und war gerade dabei gewesen, mit ihren Freunden eine Band zu gründen. Endlich einmal war alles in ihrem Leben gut gelaufen. Es war mit Sinn gefüllt gewesen. Sie hatte das Gefühl gehabt, etwas beitragen zu können. Jemand zu sein. Etwas wert zu sein! Doch dann hatte ihre Mutter die alles zerstörenden Worte gesprochen: „Ein letztes Mal, Liebling! Nur noch einmal umziehen."
Nyx hatte sich gesträubt. Sie hatte geweint und gebrüllt. Hatte ihre Sachen gepackt und hatte ein paar Tage bei einem Freund übernachtet. Doch es half alles nichts. Sie war minderjährig und hatte kein Geld. Also packte sie ihre ganze Habe in Kisten und Koffer und zog mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder nach Klein Emsden. Und ja, es war genauso langweilig, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie würde hier elendig verrotten.
Plötzlich kam wie aus dem Nichts ein Ball angeflogen, dem Nyx nur knapp ausweichen konnte. „Ey, du Arsch! Pass doch auf!", fluchte sie und funkelte den Jungen, der den Ball nun holen wollte, aus bösen Augen an. „S...Sorry", nuschelte er und machte sich dann schnell von dannen. Als die Glocke klingelte, rutschte Nyx von der Backsteinmauer herunter und huschte, so schnell sie konnte, ins warme Klassenzimmer. In der hintersten Reihe setzte sie sich auf einen Platz am Fenster und verschränkte die Arme. ‚Ein halbes Jahr', dachte sie und wiederholte es wie ein Mantra. ‚Ein halbes Jahr und ich werde frei sein. Ich werde irgendeine Ausbildung anfangen und dann nix wie weg von hier!'
❄️
Nyx merkte gar nicht, dass die Lehrerin inzwischen den Klassenraum betreten hatte und ein Mädchen an ihrer Seite dabei hatte. Die Lehrerin stellte die neue als Runa vor und sie erzählte etwas über sich, doch Nyx hörte gar nicht genau hin und ritzte stattdessen eine Zeile ihres Lieblingsliedes in den weichen Untergrund des in die Jahre gekommenen Holztisches. „Goodbye everybody - I've got to go"
„Wo willst du denn hin?"
„Was?" Nyx schaute auf und sah in das Gesicht der Neuen. Ein breites Grinsen umspielte die rosafarbenen Lippen und die Wangen mit den feinen Sommersprossen hoben sich an die blauen Augen, die Nyx vergnügt anfunkelten. Nyx wollte etwas sagen, doch dann passierte etwas, was ihr noch nie passiert war. Sie war sprachlos.
„Darf ich mich zu dir setzen?", fragte die Neue und nahm, ohne eine Antwort abzuwarten, Platz. „Es ist auch gar kein anderer Stuhl mehr frei", lachte das Mädchen plötzlich und streckte enthusiastisch ihre Hand aus. „Ich bin Runa", stellte sie sich vor. Als Nyx ihre Hand im Raum schweben ließ, senkte sie diese und fragte: „Und wie heißt du?" Nyx öffnete den Mund, doch ein Mitschüler kam ihr zuvor. „Bei Nadja brauchst du nicht mit einer Antwort rechnen. Die sagt nie was und wenn, dann sind es nur Beschimpfungen!"
„Ich heiße Nyx, du Esel", platzte es aus Nyx heraus. „Ja, weil du nyx sagst", grölte der Junge. Nyx griff wütend nach der vollen Federtasche, um sie nach dem Jungen zu werfen, doch plötzlich legte sich eine Hand beschwichtigend auf ihre.
„Lass es lieber. Wenn du jetzt wirfst, bestätigst du nur seine Vorurteile dir gegenüber."
Nyx sah verwundert in das freundliche Gesicht, das abermals lächelte und dessen Besitzerin noch immer ihre Hand auf der ihren liegen hatte. „Der ist es doch nicht wert, dass du dafür Ärger von den Lehrern bekommst, oder?", strahlte sie, als habe sie ihre Frage gerade selbst beantwortet. Dann nickte sie Richtung Pult, wo ihre Lehrerin tatsächlich warnend ihren Blick auf sie richtete.
„Wie ihr sicher wisst, steht der jährliche Weihnachtsmarkt an und ihr werdet in Gruppen zusammenarbeiten und je einen Stand vorbereiten", fuhr die Lehrerin mit dem Unterricht fort, als das angespannte Raunen im Raum sich wieder gelegt hatte. „Das Motto dieses Jahr ist 'Winter Wunderland'. Und nein, wir werden nicht wieder vier Stände mit Waffeln haben!", unterbrach sie die Meldung eines Mädchens. „Ich möchte, dass ihr euch dieses Jahr etwas Originelles ausdenkt. Ja, Jasper?"
„Was ist mit Crêpes?", fragte der blonde Junge. Die Klasse lachte und Nyx rollte dramatisch die Augen. Plötzlich meldete sich Runa neben ihr. „Können wir einen Stand mit Musik machen? Ich dachte an eine Art Ratestand, wo der Gewinner oder die Gewinnerin einen Preis bekommt. Man bekommt Kopfhörer auf und es werden verschiedene Musikstücke vorgespielt. Dann muss man einen Zettel ausfüllen und Titel oder Interpret ausfüllen. Einen Preis würden wir uns noch überlegen." Sie lächelte glücklich über ihren Einfall.
„Das ist eine sehr gute Idee, Runa. Wenn sich jemand findet, der es mit dir macht, gerne." Die Lehrerin schrieb die Idee an die Tafel. Sofort meldete sich ein Mädchen aus der ersten Reihe. Nyx zögerte keinen Augenblick. Ihr Gehirn überlegte in Sekundenschnelle, welche Möglichkeiten es hatte, möglichst keinen dämlichen Stand auf dem Weihnachtsmarkt betreuen zu müssen. Und Runas Idee würde sicherlich die Beste heute bleiben. Sofort schnellte ihre Hand nach oben. Noch ehe die Lehrerin sich umdrehen und die Hand der Streberin aus der ersten Reihe entdecken konnte, rief sie einfach in die Stille: „Ich mache das mit Runa!"
Das Mädchen in der ersten Reihe ließ überrascht ihre Hand sinken und drehte sich um. Alle in der Klasse wandten sich nun Nyx und Runa zu. Sogar die Lehrerin ließ ein leises „Oh" entweichen.
„Wie toll!" Runa klatschte begeistert in die Hände und schien sich sehr über ihre Partnerin zu freuen. Und als die Lehrerin ihren Namen neben dem von Runa an die Tafel schrieb, tat Nyx noch etwas, das sie sonst nicht tat. Sie lächelte.
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Runa lachte laut auf und entblößte dabei ihre etwas zu großen Vorderzähne. Sie waren nicht ganz gerade, aber Nyx konnte ihren Blick nicht von ihrer neuen Freundin abwenden. Sie war wunderschön, wie sie so dasaß, in ihrem grünen Parka und den braunen Boots. Ihr Lachen war ansteckend und Nyx konnte sich nicht erinnern, wann sie sich jemals so befreit gefühlt hatte, seitdem sie in Klein Emsden angekommen war.
Mit Runas Auftauchen war es, als hätte die Kleinstadt plötzlich ein neues Licht bekommen. Der Schultag schien Nyx nicht mehr so grau und trostlos, als sie den Klassenraum betrat und Runa bereits auf sie wartete und sie während der Stunde die neuesten Ideen für den Weihnachtsmarktstand unter dem Tisch mit kleinen Zettelchen diskutierten.
Inzwischen waren sie bei über 200 bedeutenden Songs und ihre Lehrerin hatte sie gebeten, auch ein paar weihnachtliche Lieder mit in die Liste aufzunehmen. „Wie wäre es mit Winter Wonderland?", fragte Runa plötzlich. In Nyx kribbelte es. „Du meinst die Version mit Snoop Dog und Anna Kendrick? Das ist eine gute Idee!"
Runa sprang von der Mauer und streckte die Hände nach Nyx aus. „Walking in a Winter Wonderland!", sang sie plötzlich und Nyx nahm ihre Hände, als sie ebenfalls von der Mauer rutschte und leise sang: „Here comes Santa Claus, here comes Santa Claus". „In the middle we can build a snowman", grinste Runa und wirbelte Nyx einmal um ihre eigene Achse. „All is merry and bright!", lachte Nyx und stolperte dabei etwas ungeschickt in Runas Arme. Runa lachte und richtete Nyx wieder auf. Ihre Augen trafen sich und Nyx wurde mit einem Mal klar, warum sie plötzlich so glücklich war. Sie hatte sich verliebt. Sie hatte sich in Runa verliebt!
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Was sollte sie nun tun? Runa war die Einzige, die sie in diesem Kaff wirklich gerne hatte. Die Einzige, für die es sich gelohnt hätte, noch ein halbes Jahr die Schulbank zu drücken. Aber wenn sie herausfand, dass Nyx in sie verliebt war? Würde sie sich von ihr abwenden? Würde Nyx dann wieder allein sein? Das komische Mädchen? Die seltsame Einzelgängerin? Die, die niemand mochte und verstand? Sie würde so bald wie möglich von hier verschwinden müssen. Ausgerechnet jetzt, wo alles so wunderbar gewesen war.
Die Schulglocke läutete und holte sie aus ihren Gedanken. Runa stand immer noch nah bei ihr und sah in den Himmel. „Sieh nur, es schneit", flüsterte sie und nun bemerkte Nyx es auch. Dicke weiße Flocken fielen leise vom dunkel gewordenen Himmel. Eilig liefen ihre Mitschüler in die Klassen, um nicht eingeschneit zu werden. Nur zwei Mädchen, die sich händchenhaltend gegenüberstanden, blieben noch auf dem Hof und starrten in den Himmel.
Runa lächelte. „Wenn du gehst, nimmst du mich dann mit?"
„Was?" Nyx verstand nicht, bis sie in Runas liebevolle Augen sah. „Goodbye everybody - I've got to go", wisperte sie und legte ihre weiche, warme Hand auf Nyx' kalte Wange. Nyx schluckte. Die Berührung jagte einen heißen Schauer durch ihren Körper.
„Ich... ja", sagte sie und lächelte unwillkürlich. Natürlich würde sie Runa mitnehmen, aber woher wusste sie, dass sie gerade darüber nachgedacht hatte, zu fliehen?
„Ich mag dich", flüsterte Runa plötzlich. Dicke Schneeflocken bedeckten inzwischen ihre dichten Wimpern. Sie sah aus wie ein Eis-Engel.
„Ich... ich mag dich auch", flüsterte Nyx zurück und dann geschah etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Warme Lippen landeten auf ihren und küssten zärtlich ihren Mund. All die Anspannung und all die Ängste, die Nyx die letzten Wochen mit sich herumgetragen hatte, verschwanden in dem liebevollen Kuss, den sie mit ihrer Freundin teilte. Und während der Unterricht längst begonnen hatte, standen die beiden Mädchen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, unter dem winterlichen Himmel und zeigten sich ihre Zuneigung.
Denn manchmal braucht es nur den richtigen Menschen, um die Schönheit in uns zu entdecken, die wir nicht jedem zeigen!
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