𝟏. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥
Seufzend drücke ich Johnson seine Waffe in die Hand. Mein Blick wandert von ihm zum Rest seines Wohnzimmers.
Die Blume, die auf der schmalen Fensterbank steht, hat eindeutig schon mal bessere Zeiten gesehen. Die verwelkten braunen Blätter hängen trostlos herab und erinnern mich daran, dass meine eigenen Blumen zuhause bestimmt nicht viel besser aussehen. Vielleicht sollte ich auf Kakteen umsteigen. Die können doch angeblich länger ohne Wasser überleben, habe ich mal gehört. Ich nehme mir vor, das definitiv mal auszuprobieren.
Langsam lasse ich meinen Blick weiter über die verstaubten, gelblich wirkenden Gardinen wandern, über die Bilder eines Künstlers, den niemand kennt, die aber dennoch hier an der Wand hängen. Sie lösen bei mir absolut nichts aus, aber mit Kunst habe ich mich auch noch nie ausgekannt. Das Bücherregal daneben biegt sich leicht durch, so viele Bücher stehen darauf. Das macht Johnson ein bisschen sympathisch. Die Zimmertür gibt mir den Blick auf den dunklen Flur frei, durch welchen ich vor einigen Minuten herein gekommen bin. Ich habe kein Licht eingeschaltet. Natürlich nicht.
Ich sehe von der Tür weg und weiter die Wand entlang, bis mein Blick an dem großen Blutfleck hängen bleibt. Eine glibbrige Masse läuft die Wand hinunter und ich identifiziere sie als Johnson Hirnmasse. Dann sehe ich wieder auf Johnson herab, der leblos vor mir auf seinem siffigen Teppich liegt. Mir tun meine Schuhe leid, weil sie in diesem Dreck stehen müssen. Nach diesem Auftrag muss ich mir neue kaufen.
Noch einmal lasse ich den Blick zu dem Blutfleck schweifen, analysiere, ob der Winkel zu der Leiche und der Pistole in den Händen des toten Mannes stimmt. Es soll wie Selbstmord aussehen. Und das tut es auch.
Hier gibt es für mich jetzt nichts mehr zu tun. Die Haushälterin wird ihn morgen Mittag auffinden. Aber damit habe ich nichts mehr zu tun. Mein Auftrag ist es gewesen, diesen Mann zu töten. Ich habe ihn zwei Wochen lang beobachtet, bis ich seine Routine kannte. Und so den perfekten Moment aufindig gemacht habe, in dem ich unbemerkt in sein Haus eindringen und ihn erschießen konnte. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Johnson war dumm gewesen. Es war wirklich nicht schwer, ihn umzubringen.
Seine Waffe hatte er im Flur in einer Schublade versteckt gehabt. Ich konnte sie ganz einfach auf dem Weg zu meinem Opfer mitnehmen und verwenden. Es wird also niemand einen Verdacht schöpfen.
Nach einem letzten Blick auf Johnson, verlasse ich sein Wohnzimmer. Schnell gehe ich durch den dunklen Flur, öffne die Haustür und verschwinde aus diesem Haus, in dem es in ein paar Stunden erbärmlich anfangen würde zu stinken.
So leicht, wie der Mord an sich war, so schwer gestaltet sich nun mein Rückweg. Fluchend sehe ich hinauf zum Himmel. Hätte es nicht ein paar Minuten später anfangen können zu schneien? Und wieso schneit es überhaupt mitten im Frühling noch?
Genervt blicke ich auf den langen gepflasterten Weg, der mich von meinem Auto trennt. Wie ein dünner Film bleibt der Schnee dort liegen. Er würde jedem verraten, dass jemand aus diesem Haus gekommen ist. Und genau das darf niemand wissen.
Resigniert schließe ich meine Augen und gehe zurück in das Haus meines Opfers. Ich versuche, mich vor Ekel nicht zu übergeben, während ich aus meinen eigenen Schuhen schlüpfe und dafür eins von Johnsons Paaren anziehe. Sie fühlen sich kalt, ausgelatscht und unbequem an. Aber mir fällt auf die Schnelle nichts anderes ein, wie ich verschwinden kann, ohne eigene Fußabdrücke zu hinterlassen. Ich weiß schließlich nicht, wie lange der Schnee liegen bleiben wird und wann die nächste Person draußen auf der Straße entlanglaufen und sie entdecken wird.
Mit spitzen, in Gummihandschuhen eingepackten Händen hebe ich meine eigenen Schuhe hoch und verlasse das Haus. Kurz sehe ich mich um, aber in der anbrecheneden Dämmerung sehe ich keinen anderen Menschen. Also drehe ich mich um und laufe rückwärts den gepflasterten Weg herunter zu meinem Auto. Ich komme mir vor wie ein Idiot, sehe dann aber zufrieden meine hinterlassenen Fußspuren an, die den Eindruck vermitteln, als wäre Johnson jetzt gerade erst nach Hause gekommen.
Ich schließe meinen Mietwagen auf und ziehe mir einen meiner Gummihandschuhe aus. Als ich auf dem Fahrersitz sitze, tausche ich schnell die Schuhe und ich stopfe alles in eine große leere Tüte von McDonalds, welche neben mir im Fußraum des Beifahrers steht. Schließlich wird niemand in so einer Tüte nach Beweisen suchen. Es wird sowieso niemand nach Beweisen suchen, da es Selbstmord war. Aber falls es doch einmal einen skeptischen Ermittler geben wird, bin ich so auf der sicheren Seite.
Die Schuhe von Johnson sehen mich fast schon anklagend an, da sie halb aus der Tüte herausgucken.
Ich starte brummend den Motor des Mietwagens und verlasse die Straße, die zu Johnsons Haus führt. Ich hasse dieses Auto. Es ist mir zu langsam. Ich will wieder in meinem eigenen, viel schnelleren und sportlicheren Wagen sitzen. Und diese stinkenden Schuhe loswerden.
Auf schnellstem Weg fahre ich zurück zu der Mietwagenfirma. Unterwegs halte ich nur einmal in einer Nebengasse vor einem öffentlichen Mülleimer an und entsorge die McDonalds Tüte mitsamt Inhalt.
Die Klingel über der Tür des Büros der Mietwagenfirma ertönt und ich verkneife es mir, meine Augen allzu offensichtlich zu verdrehen. Als ob man in diesem kleinen Büro als Mitarbeiter übersehen kann, wenn hier ein Kunde hereinkommt.
Der Mitarbeiter schaut mürrisch vom PC-Bildschirm auf und mich an. Leicht fragend zieht er eine Augenbraue nach oben. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich schiebe ihm den Autoschlüssel des Mietwagens über die Theke zu. »Ich möchte das Auto zurückgeben.«
Er nickt, nimmt den Schlüssel entgegen und ich bezahle für die paar Tage, in denen ich den Wagen gemietet hatte, mit Bargeld. Dann verabschiede ich mich freundlich von ihm und verlasse das Büro.
Kurz muss ich überlegen, wo ich meinen eigenen Wagen abgestellt habe, dann fällt es mir aber wieder ein. Ich biege nach links ab und laufe den Bürgersteig entlang. Neben mir rauschen die Autos vorbei, was gut ist. Denn so kann ich telefonieren, ohne das jemand mein Gespräch mit anhört.
Ich suche mein Handy aus meiner Handtasche heraus und schalte es ein. Dann wähle ich den ersten Kontakt, mit dem ich als letztes telefoniert habe. John Lancer. Mein Chef. Er ist auch eigentlich die einzige Person, mit der ich kommuniziere, indem ich anrufe. Ich hasse es zu telefonieren.
Das finde ich selbst komisch. Ich habe kein Problem damit, jemanden auszuspionieren und zu ermorden, aber wenn ich bei einem Lieferdienst eine Pizza bestellen möchte, kostet es mich richtig viel Überwindung. Aber meistens gewinnt dann am Ende der Hunger und ich rufe doch an.
Jetzt gewinnt nicht der Hunger, sondern mein Pflichtbewusstsein. Ich muss anrufen. Es gehört zu meinem Auftrag. Und leider dauert es auch nicht lange, bis John abnimmt.
»Beck«, stellt er fest, ohne mich zu begrüßen. Er war noch nie ein Mann der großen Worte gewesen. Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt, dass er mich konsequent mit meinem Nachnamen anspricht, als wäre dieser mein Rufname.
»Ich habe den Auftrag erledigt.«
Natürlich kann ich es nicht sehen, aber ich weiß, dass er am anderen Ende der Leitung kurz nickt. Er fragt mich nicht, ob ich Spuren hinterlassen habe oder gesehen wurde. Denn er weiß, das mir so etwas noch nie passiert ist. Schließlich hat er mich ausgebildet. Und wenn doch mal etwas außergewöhnliches passiert, informiere ich ihn darüber. Da ich aber dieses Mal nichts sage, weiß er, dass alles nach Plan gelaufen ist. Abgesehen von dem verfluchten Schnee, der unter meinen Schuhsohlen bei jedem Schritt ein leises, knirschendes Geräusch von sich gibt.
»Fahr nach Hause. Ich meld mich bei dir, wenn ich etwas neues habe.« Mit einem Klacken legt er auf. Ein breites Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, als ich das Handy wieder wegstecke.
Ein bisschen Freizeit habe ich mir wirklich verdient. Zwar wird diese nicht lange anhalten, aber genau deswegen genieße ich sie besonders.
Ich fühle mich super, ich fühle mich frei. Mich überkommt immer so ein euphorisches Gefühl, wenn ich einen Auftrag erfolgreich beendet habe. Genau wegen diesem Gefühl, liebe ich meinen Beruf.
Die meisten würden mich wahrscheinlich für bekloppt erklären, aber es ist eine Tatsache. Ich liebe es, im Geheimen zu arbeiten. Unentdeckt an Informationen gelangen, diese an die richtigen Leute (meistens John) weiterzugeben und die Leute dann aus dem Weg zu räumen. Die Leute, die ich auf dem Gewissen habe, sind nicht unschuldig gewesen. Es hat einen Grund, warum die Organisation von John auf sie aufmerksam wurde. Sie planen Anschläge, wollen wichtige Leute aus der Politik stürzen oder einfach nur Informationen teuer an irgendwelche Gegner verkaufen. Aber sie können nicht handeln, ohne dass sie auffallen. Meistens passiert ihnen irgendwann ein Fehler. Und dann schickt John einen seiner Agenten los, um dieses Problem zu beseitigen.
Ich bin einer dieser Agenten. Ich sehe mich nicht als Mörderin. Ich vertrete die Gerechtigkeit, die Gesetze des Landes. Auch wenn ich weiß, dass ich selbst während meiner Aufträge gegen genau diese Gesetze verstoße. Aber das tue ich für einen guten Zweck. Man muss das große Ganze betrachten und beurteilen. Das hat John mir schon ganz am Anfang beigebracht. Nicht auf die Kollateralschäden konzentrieren, sondern nie das große Ganze aus den Augen verlieren.
Mir entweicht ein Seufzen, als ich an meinem Auto ankomme. Eine leichte, weiße Schneefecke hat sich sich auf schwarzen Lack des Autos gebildet. Wie sehr ich diesen Schnee hasse.
Ich schließe den Wagen auf und atme tief durch, als ich hinter dem Steuer sitze. Es fühlt sich ein bisschen so an, wie nach Hause zu kommen.
Der Motor brummt, als ich ihn starte. Ich warte einige Momente, bis die Scheibe freigezogen ist, dann reihe ich mich in den zäh fließenden Verkehr ein. Die meisten Menschen verlernen bei leichtem Schneefall das Autofahren, daher dauert es, bis ich auf dem Highway angekomme. Dieser führt mich schließlich aus der Stadt heraus.
In einer fließenden Bewegung ziehe ich mir mein Haargummi aus den Haaren und schmeiße es in ein Fach der Mittelkonsole. Mit geübten Handgriffen fahre ich mit den Händen durch meine langen, blonden Haare und überprüfe im beleuchteten Rückspiegel, wie sie aussehen. Ich richte nachträglich noch ein paar Strähnen, bis ich zufrieden bin. Mein Blick fällt auf den Autofahrer hinter mir, welcher mir interessiert dabei zusieht. Natürlich kann ich es mir nicht verkneifen und zwinkere ihm provokant zu. Er sieht schnell weg.
Amüsiert schüttele ich meinen Kopf und fahre weiter. Mit dem rechten Fuß trete ich das Gaspedal durch und genieße es, wie der Wagen immer schneller wird. Es dauert nur einige Sekunden, bis er die Geschwindigkeit erreicht hat, die ich mir gewünscht habe. Durch die rutschigen Straßen fahre ich nicht ganz so schnell und überhole nicht so viele Autos, wie ich es sonst getan hätte.
Mit einer Hand drehe ich die Lautstärke des Radios lauter. Ich höre das Rauschen und Brummen des Motors nicht mehr. Stattdessen nur noch die Klänge des Songs, der gerade im Radio läuft.
Gut gelaunt fangen meine Finger an, den Takt auf dem Lenkrad zu schlagen. Die Stimme von Joey Tempest von Europe durchbricht die Stille. Manchmal sind alte Lieder besser als das ganze neumodische, schlechte Zeug.
Ich drehe die Lautstärke noch weiter auf.
»I guess there is no one to blame, we're leaving ground. Will things ever be the same again?«, singt er laut aus den Lautsprechern.
Mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht stimme ich mit ein. Ein bisschen makaber finde ich es schon, dass ausgerechnet dieser Song jetzt läuft. Aber darüber denke ich nicht weiter nach.
Ich singe ihn einfach mit und genieße das Gefühl, mit einer viel höheren Geschwindigkeit als erlaubt, durch die mittlerweile dunkle, verschneite Landschaft von Amerika zu fahren.
»It's the final Countdown...«
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