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Der Strick lag rau zwischen deinen Fingern. Noch immer klebte der widerliche Geschmack nach Bier und Shots an deinen Lippen. Tatsächlich hatte sich der Quarterback als wahrlich guter Küsser entpuppt. Zumindest in diesem Punkt konntest du Marias Zuneigung ihm gegenüber nachvollziehen. Dennoch hattest du über die Jahrhunderte hinweg durchaus schon Männer gehabt, die Sachen mit ihren Mündern anstellen konnten, von denen der dumme High-School-Junge noch nicht einmal zu träumen vermochte.
Nach dem Kuss, der weitaus mehr als nur keusches Berühren eurer Lippen gewesen war, hattest du dich wortlos von den Mann gelöst und auf dem Absatz Kehrt gemacht. Schon als du Mo bedeutetet hattest, dir aus dem Saal zu folgen, waren hinter dir empörte Stimmen laut geworden; im Treppenhaus hattest du Maria wilde Anschuldigungen kreischen gehört. Deinen Kammerdiener hattest du ausgeschickt, um besagten Gegenstand unbemerkt nach unten in die Keller zu bringen. Auch wenn du bereutest, dich dabei nicht über seine Bemühungen amüsieren zu können.
Doch der Plan war kristallklar vor deinen Augen.
Selbst hattest du dich ein Stockwerk nach unten begeben. Das Ambiente war hier deutlich schummriger; einzig allein die elektrischen Kerzen an der Wand spendeten spärlich Licht. Lange Schatten huschten mit dir durch die Flure. Hier unten waren alle Zimmer angeschlossen; die Küche sowie die Räumlichkeiten einiger eurer Diener befanden sich noch eine Etage tiefer. Hinter den Türen hier verbargen sich ganz andere Dinge, wobei viele davon entweder aus der Sparte Artefakte oder Folterinstrumente waren. Beides für sich ein Grund, den Schlüssel zu diesen Sälen nur ausgewählten Personen zugänglich zu machen.
Jetzt wartetest du in einem der Räume. Die Tür war sperrangelweit offen, sodass das Licht aus den Saal in den Flur schien und Maria den Weg leuchten würde. In der Tat dauerte es nur noch wenige Minuten, bis Schritte ertönten, lauter wurden und schließlich ein fuchsteufelswildes Mädchen in das Zimmer stürmte. »Sag mal, hackt's bei dir?«, polterte sie los. »Was fällt dir ein, Gabriel dazu zu nötigen, dich zu küssen, obwohl er eine Freundin hat?«
»Nun komm doch erst einmal herein, Liebes. Und mach die Tür hinter dir zu«, batst du den kleinen Wirbelwind. »Außerdem schien dein Freund nicht abgeneigt gegenüber meinen Lippen gewesen zu sein.«
Aufgewühlt, wie sie war, ignoierte Maria deine Forderung und stampfte auf mich zu. »Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
Ruhig zwirbeltest du den Strick zwischen deinen Fingern, den das törichte Ding nicht einmal für wahr nahm. Viel zu sehr war sie mit ihrer Wut beschäftigt. Zu Schade. »Mein Name ist Kain Mikail, schön dich kennenzulernen. Vielleicht möchtest du nachvollziehen, was dein zuckersüßer Freund an mir gefunden hat?«
»Du aufgeblasener ... arroganter ... ähm ...«, bebend suchte Maria nach einer noch schrecklicheren Beleidigung, während du dich peinlichst zusammenreißen mussten, deinem Verlangen keinesfalls nachzugeben. Dabei war der wütenden Ausdruck in ihrem Gesicht sowie die Kleine daraus resultierende Falte über ihrer Nase weitaus mehr als nur herzzerreißend niedlich. »... Schnösel! Hast du vielleicht schon einmal daran gedacht, dass er dich vielleicht gar nicht ...«
Letztendlich ergabst du dich doch. Maria stand vor dir wie ein trotziger Zwerg und versuchte, dir eine Standpauke zu halten. So etwas hinreißendes hatte noch kein Menschlein getan. Daher überwandest du den Abstand zwischen euch und kostetest ihre vollen Lippen.
Das Verlangen in dir explodierte mit einem Schlag wie ein Feuerwerk und schoss bebend in deine Adern. Keuchend schnapptest du nach Luft, nur um eure Münder im nächsten Wimpernschlag wieder zu vereinen. Der Strick entglitt deinen Fingern, als du nach ihrem zarten Körper griffst und sie an dich presstest. Maria war so überrumpelt, dass sie den Kuss leidenschaftlicher erwiderte, als du es zum Einen gedacht hättest und zum Anderen gut für dich war. Entgegen deiner Erwartungen schmiegte sich das junge Ding auch noch ergeben an deinen festen Körper, sodass sich jedes Härchen auf deinem Rücken und deinen Armen panisch aufstellen und dein Herz gänzlich den Rhythmus verlor.
Es war geschehen.
Dieses Mädchen hatte in dir etwas geweckt, das noch nie zuvor an der Oberfläche geleckt hatte.
Und diese Erkenntnis ängstigte dich mehr, als du zugeben wolltest.
Daher bedauertest du es auch nur in Maßen, als Maria sich jäh von dir losriss - aus eigener Kraft hättest du es niemals vermocht, dieses Mädchen wegzustoßen. Die junge Frau atmete, ebenso wie du, schwer und unregelmäßig. Tatsächlich schienst du auch sie mit diesem Kuss zumindest für einen Moment, in dem ihr euch tief in die Augen blicktet, vollends aus dem Konzept gebracht zu haben.
Leider fing Maria sich recht schnell wieder. »Wie kannst du nur?«, fauchte sie und holte aus, um dir eine Ohrfeige zu verpassen.
Allerdings was das auch der Moment, wo sich deine Zahnrädchen wieder zu drehen begannen und dein Verstand klärte. Und dir wurde bewusst, dass dieses Menschenmädchen dich niemals so wollen würde wie du sie. Bitter breitete sich diese Erkenntnis wie dunkle Tinte in dir aus und verdrängte die prickelnde Wärme aus deinem Herzen.
Bevor Marias Hand auf deine Wange schellen konnte, erwischtest du ihr Handgelenk in der Bewegung und nutztest den Schwung aus, um ihr den ganzen Arm schmerzhaft auf den Rücken zu drehen. Mit der einen Hand fixiertest du das Mädchen und drücktest sie fest gegen deine Brust; mit der anderen zogst du deinen Kristalldolch aus dem Hosenbund hervor und hieltest die schimmernde Klinge gegen die zarte Kehle der jungen Frau.
»Jetzt hörst du mir mal zu, dummes Balg«, zischtest du ihr ins Ohr, während du versuchtest, ihren verführerischen Duft nach Zimt rigoros auszublenden. »Wenn du auch nur einen Ton von dir gibst, schneide ich dir deine vorlaute Zunge heraus. Und alles, was ich dir antue, werde ich auch deinem Gabriel zufügen. Also überlege dir ganz genau, was du machst.«
Ihr Puls flatterte panisch unter deiner Klinge, doch sie nickte zaghaft.
»Ausgezeichnet. Ich werde dich jetzt loslassen. Du wirst mich anschauen«, befahlst du mit rauer Stimme.
Erneutes Nicken. Langsam lockertest du deinen Griff und drehtest das Mädchen um, immer darauf bedacht, deinen Dolch keineswegs von ihrem schlanken Hals zu entfernen, nicht einmal einen Millimeter. Anschließend packtest du ihr Kinn und zwangst die Kleine so, sich in dem klebrigen Netz deines Blickes zu verfangen. Du konntest in der Spiegelung erkenne, wie deine Augen zu glühen begannen und jeglicher Widerstand ihrerseits erschlaffte. Es war geradezu langweilig, wie einfach sich Menschen manipulieren ließen.
»Du wirst nicht schreien und du wirst nicht weglaufen«, begannst du, Maria zu dirigieren.
Ihre Stimme war monoton, als sie dir nachsprach: »Ich werde nicht schreien und ich werde nicht weglaufen.«
Ein sadistisches Grinsen schlich sich auf leisen Solen in dein Gesicht. »Ausgezeichnet. Und nun wirst du meinen Befehlen Folge leisten.«
»Ich werde nun deinen Befehlen Folge leisten.«
»Geh zu dem Stuhl.« Du ließt das hübsche Mädchen los. Selbst wenn sie nun flüchten wollen würde, würde sie nicht allzu weit kommen. Ihr Fehler war gewesen, hier unten alleine aufzukreuzen. Ab dem Zeitpunkt, als die diesen Raum betreten hatte, war ihr kleines Schicksal besiegelt gewesen.
Entgegen deiner Befürchtungen drehte Maria sich mechanisch um und ging mit eckigen Bewegungen auf den Stuhl neben dem Schrank zu, in welchem Vater Peitschen aller Art, Herkunft und Entstehungsjahre aufbewahrte. Anschließend wartete sie. Mit wenigen Schritten warst du bei ihr und schmiegtest deine Hand an ihr weiches Gesicht. Die Gedanken in deinem Kopf fuhren Karussell. Bilder über Dinger zuckten vor deinem inneren Auge auf und ab, wunderschöne Träume aus einem Leben mit diesem Mädchen. Langsam senktest du den Kopf und hauchtest einen federleichten Kuss auf ihre Kehle, bevor du deine Fänge entblößstest und zubissest.
Gott, war ihr Blut köstlich.
Ein geradezu wimmerndes Keuchen entwich deiner Kehle und du wünschtest, dass dieser Moment niemals enden würde. Bunte Schauer huschten deinen Rücken auf und ab und du musstest dich zwingen, von dem Mädchen abzulassen, um nicht von deinem Plan abzukommen.
Schritt eins war somit vollständig. Dein Gift pulsierte nun in ihren Venen.
Anschließend packtest du das Messer fester und begannst, schweren Herzens symmetrische Muster in Marias Gesicht zu schnitzen. Keiner der Schnitte war dabei sonderlich tief, das Blut quoll nicht ungehalten heraus.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr das wollt?«, drang Mos Stimme leise zu dir. Der Kammerdiener hatte wie befohlen den Kürbis von heute Nachmittag geholt und stand nun im Türrahmen.
Erst jetzt merktest du, wie heiße Tränen über deine Wangen strömten. »Ich muss, Mo. Ich habe keine Wahl.«
»Man hat immer eine Wahl, Kain.« Es war das erste Mal, dass er mich bei deinem Namen nannte. Es verstärkte den plötzlichen Schmerz in deiner Brust.
»Nein, dieses Mal nicht«, sagtest du bitter. »Und jetzt sei still.«
Er gehorchte, während du die Schnitte, rechts wie links gleich, weiter in Marias Gesicht schnittest. Einen nach dem anderen. Mehr als ein kaum hörbares Wimmern ihrerseits war nicht zu vernehmen, so viel Macht hatte die Manipulation auf ihren Körper.
Als du den letzten Schnitt getan hattest, ließt du den Dolch sinken. Schritt zwei war getan.
Sachte glitt dein Daumen über die rasiermesserscharfe Klinge deines Messer und etwas Blut quoll augenblicklich hervor. Jenen Finger setztest du auf ihrer Stirn an und schmiertest deine Lebensessenz in einem langen senkrechten Strich über ihre Nase bis hin zu dem kleinen Kinn. Dein Blut zog sich augenblicklich in die symmetrischen Wunden in Marias Gesicht und komplettierten so den dritten Schritt des Rituals.
Nur den letzten, auschlaggebenden Teil für die Verwandlung würdest du ihr verweigern.
Vaters Wörter drängten sich in dein Bewusstsein: ›Es gibt genau drei Gründe, warum die reinen Rassen so etwas tun: aus Langeweile, aus Liebe oder aus Rache‹.
In deinem Fall waren es Rache und Liebe, weswegen du Malia die Verwandlung antatest. Und das Verlangen nach dem ihren war es, das dich dazu veranlasste, ihre Wandlung nicht zu vollenden. Denn nun würde es dem Mädchen tagein tagaus nach deinem Blut und nach dir dürsten. So lange, bist du ihr den Ebereschenpflock in das Herz rammen würdest.
»Gabriel hat dir das angetan. Er schlägt und missbraucht dich. Er ist ein Monster. Er foltert dich regelmäßig und du weißt nicht, was du noch machen sollst«, betetest du Maria vor. »Du wirst mich und Mo vergessen und denken, dass Gabriel es war, hast du verstanden?«
»Gabriel hat mir das angetan. Er schlägt und missbraucht mich. Er ist ein Monster. Er foltert mich regelmäßig und ich weiß nicht, was ich noch machen soll«, wiederholte die junge Frau mit den schönen Schokoladenaugen weinerlich. »Er ist ein Monster! Wer bist du? Geh weg! Hilf mir! Nein bleib!«
Zwar würde sie die Stümper nach wie vor noch lieben, doch diese Zuneigung war ab jetzt mit den fiesen Stacheln der Angst gespickt. Mehr konntest du nicht verlangen.
Mit einer Handbewegung fordertest du Mo dazu auf, dir den Kürbis zu bringen. Er reichte ihn dir wortlos. Mit zittigen Händen griffst du danach. Der Boden fehlte bereits. Wahrscheinlch hatte Mo ihn bewusst oben gelassen.
Dann hobst du den Kürbis hoch, stülptest ihn über den zerschnittenen Kopf des Mädchens und legtes ihre Hände bestimmt an die beiden Seiten des Gemüses, um es zu fixieren. Maria leistete dieser stummen Anweisung Folge. Wie lange sie das Gemüse jedoch halten können würde, stand in den Sternen.
Das Grinsen verzerrt, fern von Menschlichkeit und Verstand. Wie kleine Dolche reckten sich nadelspitze Zähne unter der glatten Schale in den Mund. Die Augen darunter gleichermaßen schmal wie endlos tief; wie schwarze Löcher zierten sie die orangene Schale. Dennoch war es die Leere, die das Abwenden des Blickes nahezu unmöglich machte. Eines Soges gleich zerrten sie dich in den schauderlichen Bann der Fratze. Normalerweise verliehen die tiefen Furchen der Frucht etwas Knuffiges, doch mit dem Wissen, welche Fratze in seinem Inneren lauerte, strömten die Tränen nur noch bitterer über dein Gesicht.
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