VI - Die Rubine
Hinter den Mauern wehte ihr eine frische, kühle Brise entgegen und obwohl der Geruch von toten Fleisch, Färbemittel und Fäkalien in der Luft lag, fühlte sich Letum hier wohler als in der Enge. Ihre Stiefel beschritten den schlammigen Pfad, breite Wege, verstreuten Personen und kaum ein Blick schien auf ihr zu ruhen. Oft herrschte vor der Stadt ein anderer Zusammenhalt als in den Mauern und die Ausgestoßen kannten sich untereinander gut. Zuversichtlich bewegte sie sich auf eine Gruppe von Essenzen zu, von denen sie sich erhoffte, dass einer ihr helfen würde, ihr Ziel zu finden. Im Kopf filterte sie die Geräusche und steuerte dann zielsicher auf eine raue Stimme zu, die sehr wahrscheinlich einem bärigen Mann mittleren Alters gehörte. Wieder stellte sie ihre altbekannte Frage, doch die Antwort klang vielversprechender als die vorigen Male „Ja, Huggen kenne ich, gute Frau." Seine Stimme war freundlich und ließ vermuten, dass er der Meinung war, die junge Frau müsse einer von ihnen sein. „Darf ich euch hingleiten?", beendete er seinen Satz und griff nach ihrer Hand. Noch bevor die Magierin reagieren konnte, brach plötzlich Panik um sie herum aus und eine riesige Essenz bewegte sich über den Himmel. In ihrem Zentrum war die Magie mächtig und aller Erfahrung nach musste es sich hierbei um einen Drachen handeln, der über sie hinweg flog. Die Wahrscheinlichkeit, ein solches Geschöpf hier im Mittelland zu finden, war jedoch noch immer sehr gering, auch wenn die Tiere seit Jahren immer wieder aus der südlichen Steppe, ihrem Heimatland, flohen. So schnell wie er aufgetaucht war, war er auch wieder verschwunden und der Mann neben ihr bestätigte die Annahme. „Alles gut, da war wohl ein Drache, aber er ist schon wieder fort, ohne jemanden zu fressen." Auch die Idee, diese Geschöpfe würden sich herablassen wahllos Dörfer zu zerstören, war einer dieser dummen Irrglauben, die sich über die Jahre gefestigt hatten. Die Frau nickte zustimmen, was ihren Geleitet signalisierte sie zu Huggen zu führen.
Helene hingegen wirkte endlos falsch und deplatziert, zwischen den zerlumpten Gestalten, die sich um ein Fass hinter der kleinen Hüttenwand versammelt hatten. Ein weitgehend zahnloses Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der drei Männer aus, welche dicht beieinander standen. Der Vierte, ein gebrechlicher alter Bettler, versuchte bereits sich aus der Gefahrenzone zu schleppen, wohl wissend, dass das Mädchen diesen Tag nicht überleben würde. Das wackelige Gebäude schützte vor den ersten, neugierigen Blicken. Ein letztes Mal sich vergewissernd umsehend bewegte sich der Jüngste auf die zierliche Gestellt zu.
Helene sah sich die Menschen in ihrer Umgebung genau an. Wenn ihr der Wald eben noch finster erschienen war, sah sie jetzt in die gierigen Gesichter der Männer, die auf sie zu schritten als wenn die Angestellten in ihrem Schloss sich an den gedeckten Tisch eines Festes setzen wollten. Nur das sie vor diesen keine Angst bekommen hätte. Langsamen Schrittes wollte sie zurück in den Wald, zurück zu den knackenden Ästen, die ihr jetzt sehr angenehm vorkamen. Doch ihr Körper fesselte sie auf den Platz, unfähig sich aus den Blicken, der auf sie zuschreitenden Männer zu lösen, obwohl in ihrem Inneren die reinste Panik herrschte. Als der jüngste der Männer sie fast erreicht hatte, gelang ihr der erste Schritt und ihre Beine begannen zu rennen.
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