II - Die Stadt
Um Huggen zu finden hatte Letum keine Wahl, sie musste in die Hauptstadt. Wie sie es hasste, zwischen all den Menschen, laut, stinkend, eng. Hier draußen auf dem Feld wehte der angenehme Wind eine Brise um ihr fast weißes Haar und spielte mit ihrem schwarzen Mantel. Der Hengst unter ihr streckte seinen Hals empor und seine Nüstern sogen den herannahenden Duft der Stadt ein. Trotz der riesigen Mauern waren bereits die dumpfen Geräusche des geschäftigen Treibens zu hören. So sehr sie auch in ihrem Kopf einen Weg suchte, dieser ihr unangenehm Aufgabe zu entgehen, so genau wusste sie, dass es unmöglich war. Es dauerte noch eine Weile, dann spürte das Reittier die schwarzen Lederstiefel in seiner Flanke und setzte sich in Bewegung.
Die Geräusche änderte sich, als ihr Pferd den ausgetretenen Weg beschritt und der kalte Wind, welcher durch das hohe Bogentor zog, trug den Geruch von Schweiß, Mist und Urin an ihre Nase. Auch wenn sie es nicht sehen konnte, so wusste sie, dass die Personen drumherum, sie unweigerlich anstarrten. Ein Faun oder gar ein Elf waren selten, aber ein Mensch, der mit einer Augenbinde problemlos durch die Massen ritt, war nicht nur einmalig, sondern auch ein Phänomen. Aus dem undurchdringlichen Gemurmel der Massen wurde ein erstauntes Raunen, aus welchem sich immer wieder Worte wie „hey" oder „Vorsicht" lösten. Die blinde Magierin wusste nur als zu gut, dass sie niemanden berührten würde, gleich, was die Leute dachten, als sich eine Stimme erhob und sie direkt ansprach.„Gute Frau kann man euch helfen?" Dem metallenen Geräusch nach handelte es sich um die Stadtwache. „Ja vielleicht", begann sie ihren Satz, und obwohl die Stimme lange nicht in Gebrauch gewesen war, klang sie melodisch. „Ich suche einen Gelehrten, sein Name ist Huggen." Ihr Gegenüber lachte kurz auf, bevor er antwortete. „Gute Frau, ich weiß ihr könnt es gewiss nicht sehen, aber diese Mauern füllt bald tausend Mann und seid versichert, ich kenne bestimmt nicht alle mit Namen." Letum war es gewohnt, dass man sie für dumm hielt und doch hasste sie diese pure Arroganz. „Selbstredend, habt trotzdem Dank junger Soldat." Brachte sie gezwungen nett hervor, um ihn nicht zu verärgern und ihn mit der Frage zu beschäftigen, woher sie Alter und Beruf wusste. Die Suche würde auch mit Augenlicht und einer Beschreibung nicht einfach werden, da Gelehrte heute nicht mehr bekannt waren, aber aufgeben war keine Wahl. Sie beschlossen mit einer Taverne zu beginnen, gewiss klischeehaft und doch die einzige brauchbare Idee. Zudem hätte sie dort Essen und einen Platz für die Nacht. Orientierend am Lärm und Geruch, war es ein leichtes, in einer Nebengasse, besagten Ort zu finden.
Das Geklapper der Pferdefüße auf dem abgenutzten Pflasterstein, welcher die Straßen durchzog, ließ den Stalljungen unvermittelt aus den Heuhaufen aufspringen. „Wollt ihr Nächtigen?", fragte er, während er nach den Zügeln griff. Das letzte seiner Worte war stockend und viel langsamer als die vorigen, was bedeutete, dass er die Binde entdeckt hatte. „Ja", antwortete sie und ließ sich zeitgleich an der Flanke hinabgleiten. Der Hengst warf den Kopf zu ihr herum, das Metall am Geschirr klapperte und sie fischte nach ein paar Münzen in ihrem Stoffbeutel. „Hier", begann sie vom Neuem und reichte ihm mit ausgestreckter Hand den Lohn. „Wasser, Futter und einen schönen Platz für den jungen Kerl" Der Knabe nickte, scheinbar zu sprachlos, um mit der Situation umzugehen. „Ach, sag kennst du einen Mann namens Huggen?", versuchte sie erneut ihr Glück, doch die Antwort war wie erwartend. „Nein, Herrin." Letum nickte und wand sich in Richtung Tavernentür.
„Ich bin gewillt dir weitere drei Taler zu geben, wenn du mich in die Taverne begleitest", sprach sie weiter. Der Junge nickte erneut, doch dieses Mal erkannte er seinen Fehler und bekräftigt die Zusage mit einem „Ja, sehr gern!" In Windeseile zog er das Pferd um die Ecke, in den Stall, nur um Sekunden später wieder neben der blinden Frau zu stehen. „So, hier bin ich wieder" machte er sich bemerkbar, sicher das Letum ihn nicht sehen würde. Zielstrebig legte sich die schlanke Frauenhand, auf die Knabenschulter und mit einem Nicken bedeutete sie, dass es losging. „Ich muss zum Mundschenk." Sprach sie den Jungen an, während dieser die ungeölte Tür öffnete. „Vorsicht Stufe", ermahnte ihr kleiner Führer und lotste sie ohne Zwischenfälle zum Tresen. „Hier ist es" Der Mann, welcher die Getränke ausgab und bei Bedarf das Geld bestimmt auch gewaltsam einfordert, hielt wortlos inne. „Ich suche einen Mann namens Huggen", versuchte sie es heute zum dritten Mal. „Kenne ich nicht", war die kurz angebunden Antwort. „Dann ein Zimmer für die Nacht und etwas Brot" Zur Unterstützung kramten ihre Finger erneut Münzen hervor. Beim Anblick des Geldes, bekam die Stimme ihres Gegenübers einen wohlgesonnenen Klang „Wie ihr wünscht," und seine Hände packten seine Beute. „Zimmer drei" Seine Augen zählten bereits die Einnahme, währen Letum dem Jungen erneut bedeutete sich zu bewegen. „Ey, ich glaub ich hab den Namen schon mal gehört." Schrie der Wirt abrupt, als ihr Geleit sie bereits zur Treppe gebracht hatte. „Ein Säufer, er kommt immer mal wieder.", grölte er, in der Hoffnung seine Informationen würden ihn noch reicher machen. Die Magierin nickte nur und der Stalljunge begleitete sie in das Zimmer.
Der Raum war klein und muffig, und obwohl sie das Fenster geöffnet hatte, blieb der Geruch hartnäckig. Sie hatte den Jungen gebeten, bei Sonnenaufgang zu klopfen, um sie ein weiteres Mal nach unten zu geleiten und war sich sicher, dass die Aussicht auf Geld zu verlockend war, um die Bitte abzuschlagen. Sorgfältig legte Letum ihren Mantel ab, sodass Taschen und Beutel zum Vorschein kamen, welche sie sonst darunter verborgen hielt. Da alle Utensilien an einem einzigen Gurt um ihre Hüfte befestigt waren, löste sie nur einen Knoten um sich alldem zu entledigen. Zusammen mit den Stiefeln horteten sich die Sachen am Fußende des Schlafplatzes. Die Frau hatte sich bereits auf dem Bett niedergelassen, als sie ihre rechte Hand im Gesicht vergrub. Der Schmerz bei Berührung dieser empfindlichen Stelle zuckte erbarmungslos durch ihren Körper. Geübt löste sie die rote Binde mit dem Goldrand aus ihrem Gesicht. Verbranntes Fleisch und entstellte Haut kamen darunter zum Vorschein. Obwohl Letum ihr Spiegelbild ab diesem schicksalhaften Tag, nicht mehr erblickt hatte, wusste sie sehr wohl, dass das schlimmste daran, ihre Toten Augäpfel wahren. Die Iris war samt der grünen Farbe verschwunden und ein leerer Augapfel, weiß und farblos, blieb über. Hätte sie weinen können, dann hätte sie bereits vor Jahren unzählige Tränen darüber vergossen. Doch der Verlust ihrer Augen hatte ihrer Magie keinen Abbruch getan. Ganz im Gegenteil. Sie hatte gelernt die Welt auf eine neue Weise zu sehen und trotz Blindheit, sie selber bezeichnete es als Farb- und Formverlust, war es ihr möglich die Welt zu bereisen und ihre Magiestudien voranzutreiben. Langsam legte sie sich auf das Lager aus Stroh und schloss die Lieder. Es dauerte nicht lange und Letum viel in einen traumlosen Schlaf.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro