Über Elfen und Opfergaben
Caja
Sanft streichelte sie über den Hals der schwarzen Stute, die sie zur Verfügung gestellt bekommen hatte, hielt sich mit der anderen Hand an ihrer weißen Mähne fest, die an eine schäumende Gischtkrone des Meeres erinnerte.
Wie die anderen Männer, die sie auf der Reise begleiteten angesehen hatten, als sie auf Sattel und Zaumzeug verzichtet hatte und einfach auf den Rücken ihres Pferdes gestiegen war.
So, als stammte sie nicht von dieser Erde.
Caja hatte darüber schmunzeln müssen.
Askwin hatte ihr daraufhin erklärt, dass nicht einmal die Männer ohne diese Hilfsmittel ritten und sich dies daher für eine Frau erst recht nicht geziemte.
Doch dass sie nicht den Damen dieses Landes glich, hatten sie nicht diskutieren müssen.
Sie hatte ihm im Gegenzug erläutert, dass in den Nordlanden ein jeder lernte so zu reiten. Sie wollten den Pferden so viel Freiheit wie möglich lassen und ihnen nicht mehr aufzwingen als nötig.
Damit hatte sie indirekt auch auf das viel zu enge Kleid angespielt, das ihren Körper an diesem Tag verdeckte.
Der König hatte darauf bestanden, dass sie es mitnehmen sollte. Ein kleines Willkommensgeschenk seinerseits, das es ihrer Meinung nach gar nicht gebraucht hätte. Viel mehr hätte sie sich über eine Tunika und eine Hose gefreut.
Zumindest hatte sie ihr Haar so flechten dürfen, wie es in ihrer Heimat Brauch war. Der lockere Zopf fiel ihr nach vorne hin über die linke Schulter, bedeckte den dunkelroten Ärmel des unpraktischen Gewands dabei bis knapp über die Armbeuge.
„Hat die Stute einen Namen?", wollte sie von Askwin wissen, sobald sie Wessex ganz hinter sich gelassen hatten.
Zwar hatte sie am vorherigen Tag darauf gebrannt die Gassen und den Markt zu erkunden und die Menschen die dort lebten aus nächster Nähe zu betrachten, aber erbost war sie darüber auch nicht, dass sie dafür keine Zeit gefunden hatten.
Vielleicht würde sich dafür irgendwann einmal eine andere Gelegenheit finden lassen. Wer wusste schon, wie lange sie schlussendlich in Angelland verbleiben würde.
„Nein."
Der Lord sah sie nicht an, während er auf seinem Hengst den Waldrand passierte und seine Truppe über den sandigen Weg führte.
„Dann will ich ihr einen geben."
Es waren nicht viele mit ihnen gekommen. Etwa zehn Männer folgten ihnen und eine Frau, deren eisblaue Augen ständig auf Caja zu ruhen schienen.
Zudem war Askwins Knappe Henry unter ihnen, ebenso wie Gregory. Den Rest ihrer Begleiter kannte sie nicht.
„Tu, was du nicht lassen kannst", brummte ihr Nebenmann zur Antwort, schien sich nicht im Geringsten dafür zu interessieren.
Stattdessen überflog sein Blick wieder und wieder wachsam die Umgebung, als würde er befürchten jeden Moment überfallen zu werden.
„Alva", verkündete Caja nach ein paar Momenten des Nachdenkens Ihre Entscheidung und tätschelte ihrer neuen Freundin erneut den Hals. „Ja, das passt."
Wie zur Bestätigung schnaubte das Tier und blies dabei zwei feine Atemwolken in die kühle Morgenluft.
Caja lächelte, sah hinüber zu Askwin. „Der Name bedeutet Elfe. Kennst du die Geschichten über diese Kreaturen des Waldes?"
Sie bemerkte wie angespannt er war. Vielleicht konnten die alten Sagen über die Fabelwesen ihn etwas auflockern.
„Nein."
Er klang kühl und distanziert, doch Caja lächelte dennoch in freudiger Erwartung ihm ihre Heimat etwas näherzubringen.
„Die Alben* wandeln unter den Asen* und teilen sich ihre Welt. Da ist ein Ort, der Álfheim heißt. Da haust das Volk, das man Lichtalben nennt. Die Schwarzalben wohnen unten in der Erde. Die Lichtalben sind schöner als die Sonne, aber die Schwarzalben schwärzer als Pech", begann sie zu erzählen, schloss dabei die Augen und genoss die warmen Strahlen, die durch das Blätterdach über ihren Köpfen fielen und ihr die Wangen küssten.
„Einmal im Jahr feiern wir das Álfablót*. Nur die Frauen haben dort Zutritt. Sie überreichen an diesem Tag den Schwarzalben ein Opfer, bitten mit diesem um den Segen der Ahnen und um Fruchtbarkeit."
Nur einmal hatte sie dabei zusehen dürfen, da sie noch nicht zu den Ältesten ihrer Gemeinde zählte. Aber sie hatte so lange gebettelt, bis sie es ihr unter der Voraussetzung still in der Ecke zu verweilen, gestattet hatten.
„Ihr opfert Menschen für eure Götter?", zischte Askwin entsetzt und wandte ihr nun doch sein Gesicht zu.
Jetzt schien sie endlich seine Aufmerksamkeit zu haben.
„Aber nein", meinte sie schmunzelnd, schüttelte ihren Kopf. „Ziegen. Wir lassen sie ausbluten, verwerten das Fleisch nach dem Fest und laben uns an der göttlichen Energie, die ihm dann innewohnt."
Er schnaubte, zog die Falten auf seiner Stirn zusammen. „Und eure Götter wollen das? Dass ihr wehrlose Tiere in ihrem Namen tötet?"
Auch wenn er eher ablehnend klang, freute sich Caja dennoch über das Interesse, das er ihr entgegenbrachte.
„Sie fordern es als Zeichen unserer Untergebenheit und geben uns dafür etwas zurück. Zum Beispiel Fruchtbarkeit oder gute Ernten."
„Diese Dinge haben nichts mit Göttern zu tun." Er lachte. „Sondern mit der Anatomie einer Frau und dem Wetter. Ein breiteres Becken bedeutet Gebährfreudigkeit, ein ausgewogener Wechsel von Sonne und Regen und gute Erde reichlich Korn."
„Und wer entscheidet über das Wetter?", fragte sie ihn mit einem Schmunzeln auf den Lippen.
„Das Wetter ist sein eigener Herr." Seine Augen funkelten sie an, ganz von seinen Worten überzeugt.
Doch Caja konnte er nicht für seine Meinung gewinnen. Sie hielt an ihren Göttern fest und das würde auf ewig so bleiben. Immerhin wusste sie dank ihrer Gabe, dass es sie wirklich gab.
So schüttelte sie den Kopf. „Du musst deinen Geist für mehr Dinge öffnen, als nur für die, die du siehst. Immerhin glaubst du auch an den Wind, obwohl du ihn nicht direkt erkennen kannst, sondern nur das, was er mit seiner Umgebung anstellt."
Er brummte leise, wollte etwas erwidern, doch er kam nicht dazu. Eine Person drängte sich auf ihrem Pferd zwischen sie, sodass Cajas Stute aufgebraucht schnaubend zur Seite treten musste und nach dem störenden, braunen Wallach schnappte.
„Nicht", flüsterte Caja Alva zu und zog leicht an ihrer weißen Mähne, um sie davon abzuhalten.
Dann musterte sie die Frau, die nun zwischen ihr und Askwin ritt.
Deren eisblaue Augen begegneten kurz ihrem Blick, ehe sie sich dem Heerführer zuwandte.
Ein dunkelgrünes Tuch bedeckte ihren Kopf. Ein paar einzelne, tiefschwarze Strähnen lugten daraus hervor.
Ihren Körper umschmeichelte ein weißes Kleid, passte sich perfekt an ihre schönen Rundungen an.
Sie begann ein Gespräch mit Askwin und da Caja diesem nicht dazwischenfunken wollte, ließ sie sich weiter zurückfallen.
Zudem hatte sie ohnehin kein Wort verstanden.
Vielleicht wurde es Zeit, dass sie die Sprache der Angelsachen erlernte.
Auch wenn die Natur um sie herum wunderschön war und sie sich gar nicht daran sattsehen konnte, vermisste sie es doch zunehmend mit jeder weiteren verstrichenen Stunde mit jemanden zu reden.
Sie wünschte sich, Adalar wäre mit ihnen gekommen. Seine Anwesenheit hatte sie stets beruhigt, da sie wusste, dass er sie verstand.
Sie spürte die vielen Blicke der anderen im Wechsel auf sich ruhen. Dabei brannte sich einer davon mit besonderer Intensität in ihren Rücken - Gregorys.
Um das zu wissen, musste sie ihn nicht einmal ansehen. Der Hass, mit dem er ihr begegnete, war unverwechselbar.
Aber sie ignorierte es, betrachtete lieber weiter die Natur. Die hohen Eichen, Birken und Lärchen ragten über ihren Köpfen auf. Von ihnen ging ein wohltuender Geruch nach Harz und mit Tau benetzter, feuchter Rinde aus.
Hier und dort wucherten wilde Blumen zwischen den Moosen auf dem Boden. Büsche mit roten und blauen Beeren, von denen sie sich fragte ob man sie essen konnte, zogen an ihnen vorüber.
Die Sonne schickte unablässig weiter ihre wärmenden Strahlen durch die Kronen, die Cajas Haut liebkosten.
Ab und an raschelte es in den Sträuchern, es zeigten sich Vögel, die manchmal fröhlich, manchmal aufgebracht zwitscherten.
Einmal huschte sogar ein Eichhörnchen knapp vor Alvas Hufen über den plattgetretenen Weg.
Mit jeder verstreichenden Stunde heizte sich der Forst weiter auf und als der riesige Feuerball am Himmel schließlich seinen höchsten Punkt erreichte, kam es Caja beinahe unerträglich vor.
Es war Anfang Sommer. Auch in ihrer Heimat war es zu dieser Zeit nicht unbedingt kalt, aber diese Art von Wärme war ihr neu.
So war sie froh darüber, als die Truppe nur wenig später Rast an einem munter plätschernden Bach machte.
Sie stieg von Alva, nahm sich einen Strick den sie locker um ihren Hals legte und band diesen an einem tiefhängenden Ast eines stämmigen Ahorns fest. Dabei stellte sie sicher, dass die Stute auch zum Wasser kommen würde, wenn sie es denn wollte.
Dann beugte sich Caja selbst zu dem kühlen Nass hinab, schaufelte sich ein paar Hände voll in den Mund und genoss die Erfrischung.
Die Männer um sie herum taten es ihr gleich. Auch sie begaben sich zu dem Gewässer, füllten ihre Lederbeutel auf, tranken direkt davon, oder wuschen sich damit das Gesicht.
Gregory ließ sich direkt neben Caja auf die Knie sinken, was ein befremdliches Gefühl in ihr auslöste.
Sicher hatte er sich mit bloßer Absicht diesen Platz ausgesucht, immerhin gab es noch genügend freie Flecken am Ufer.
Doch er sagte nichts, sah sie nicht einmal an. Ganz in Ruhe tauchte er die Hände in den Bach und wusch sich den Dreck von den Fingern.
Caja starrte ihn dabei regelrecht an, in der Erwartung, es würde doch noch etwas geschehen.
Sie formte unterbewusst Fäuste, ihre Haut prickelte unangenehm und ihr Magen rumorte.
Alles in ihr schrie danach, Gregorys vorgeheucheltem Frieden für keinen Moment Vertrauen zu schenken.
Diesem Mann sollte man niemals den Rücken zukehren, das hatte er ihr schon früh begreiflich gemacht.
Aber am Ende erhob er sich einfach wortlos und zog wieder von dannen, mischte sich unter die restlichen Reisenden.
Als er an Caja vorübergeschritten war, war diese sich sicher gewesen, dass er hämisch gegrinst hatte.
Oder hatte sie sich das nur eingebildet und ihr misstrauischer Verstand spielte ihr Streiche?
„Es tut mit leid, dass wir vorhin gestört worden sind."
Sie zuckte zusammen, als eine brummende Stimme hinter ihr an ihr Ohr drang, auch wenn sie sofort wusste, zu wem sie gehörte. Immerhin konnte hier nur einer ihre Sprache.
Sie wandte sich Askwin zu, der bei ihrem Gesichtsausdruck die Augenbrauen nach oben zog und seine Stirn in Falten legte. „Alles in Ordnung?"
Schnell schüttelte Caja das mulmige Gefühl ab, das Gregory in ihr ausgelöst hatte und nickte. „Ich habe mich nur erschrocken", gestand sie.
„Dann verzeih mir auch das. Das ist nicht meine Absicht gewesen." Seine Augen ruhten auf ihren.
„Es gibt nichts zu verzeihen." Sie lächelte ihn an, bevor sie fragte: „Wer war die Frau, die sich zwischen uns gedrängt hat?"
Und die mich die ganze Zeit über mit Blicken erdolchen hat wollen.
Vielleicht lag es aber auch nur an dem schneidenden Eisblau ihrer Iriden, dass es ihr so vorgekommen war.
„Myrna", nannte er ihr den Namen. „Meine Mätresse."
Caja legte den Kopf leicht schief, da sie dieses Wort noch nie gehört hatte. Bevor sie nachhaken konnte, erklärte er es ihr von selbst: „Sie teilt das Bett mit mir, ist aber weder meine Gemahlin, noch meine Geliebte."
Verstehend nickte sie. „Und sie ist eifersüchtig."
„Das ist sie wohl." Er seufzte, fuhr sich durch den Bart, der schneller zu wachsen schien als Unkraut. „Ich schätze sie fürchtet, dass ich ihr den Platz wieder absprechen könnte, auch wenn das völlig absurd ist."
„Ist es das?" Sie sah ihn schmunzelnd an, erlaubte sich einen Spaß mit ihm.
Doch anders als beabsichtigt, schien er es ernst aufzufassen. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und er öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber sie kam ihm zuvor: „Keine Angst. Ich beabsichtige nicht dein Bett zu teilen. Du bist gar nicht die Art von Mann, die ich anziehend finde."
Er mahlte mit den Zähnen und seine Augen schienen die Frage stellen zu wollen, wieso er das nicht war, aber er behielt die unausgesprochenen Worte für sich. Stattdessen wechselte er galant das Thema. „Das ist hier ist nur eine kleine Pause. Ein richtiges Lager werden wir erst in der Dämmerung aufschlagen."
„Das war mir bewusst", antwortete sie ihm leicht schnippisch, was seine Mundwinkel für die Dauer eines Wimpernschlags unruhig zucken ließ.
„Wie ... wie weit entfernt liegt deine Heimat denn überhaupt?", setzte sie friedlicher klingend nach, um ihn nicht zu sehr zu reizen, auch wenn sie es zu gern getan hätte, um ihn hinter dieser Mauer hervorzulocken, hinter der er sich und seine Emotionen ständig zu verstecken versuchte.
Was war das nur mit diesem Mann?
Im einen Moment wirkte er offen und gesprächig, doch sobald sie sich auch nur etwas näher kamen, verschloss er sich direkt wieder.
Hatte er Angst? Angst davor eine Freundschaft mit dem Feind zu schließen?
Aber war sie das? Sein Feind? Zu keinem Augenblick hatte sie ihm dies vermitteln wollen.
„Wenn wir uns ranhalten, dann wird es ein dreitägiger Ritt", antwortete er ihr ruhig, war dabei sich abzuwenden und zu seinem Pferd zurückzukehren.
„Wenn du später auf die Jagd gehen solltest, nimmst du mich mit?" Ihre Augen legten sich auf sein braunes Haar, das er zusammengebunden im Nacken trug. „Ich kann dir sicher von Nutzen sein."
Er hielt in seiner Bewegung inne, wandte ihr sein Gesicht nochmal zu.
Diese goldbraunen Augen. Sie blitzten gefährlich, oder bildete sie sich das nur ein? War es ein indirektes Zeichen der Götter, dass sie sich von ihm fernhalten sollte?
Sie erinnerte sich wieder an die Bilder von Blut, Dunkelheit und Tod. Aber auch an den weißen Vogel und die schlagenden Herzen.
„Sicher." Knapper hätte seine Antwort wohl nicht ausfallen können.
Dann verschwand er gänzlich aus ihrem Sichtfeld.
—-——
*Alben: Elfen (auch Albe, Elben) sind eine sehr heterogene Gruppe von Fabelwesen in Mythologie und Literatur. Elfen sind Naturgeister, die ursprünglich aus der nordischen Mythologie stammen.
*Asen: Die Asen (von altnordisch áss „Ase", Plural: æsir „Asen"), eine nordische Bezeichnung der germanischen Götter, sind ein Göttergeschlecht der nordischen Mythologie.
Die Asen werden von ihrer Mentalität als kriegerische und herrschende Götter geschildert.
*Álfablót: Es wurden in der Zeit des heidnischen Europas Opfer an die Alben gebracht, die álfablót genannt wurden. Es ist nur wenig darüber bekannt. Das álfablót war lokal und wurde von Frauen geleitet, Fremde hatten keinen Zutritt. Da es den Elfen als allgegenwärtigen Mächten gewidmet war und es von Frauen geleitet wurde, vermutet man, dass es um Ahnen und Fruchtbarkeit ging. Wahrscheinlich handelte es sich um Opfer an die Schwarzalben.
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