Nicht dafür gemacht
Caja
Gekonnt glitten ihre Finger durch ihr Haar, trennten einzelne Strähnen ab und flochten sie zu fest sitzenden Zöpfen.
Anschließend benetzte sie die Spitze ihres Daumens mit der schwarzen Asche des Feuers, das am letzten Abend ihr Lager erhellt hatte und schmierte sich diese in Streifen über Wangen, Stirn und Kinn.
Um sie herum machten sich die Männer und Frauen bereit, um loszuziehen. Die beiden Späher, Halvar und seine Geliebte Hedda, waren des nachts durch den Wald gezogen, auf der Suche nach einem passenden Ziel. Dabei waren sie auf ein Dorf in Küstennähe gestoßen, dessen Mauern dick gewesen waren und somit gewirkt hatten, als würden sie etwas Wertvolles verbergen wollen.
Zudem hatte ein Hahn aus purem Gold auf einem der Häuserdächer gethront. Allein dieser war vermutlich schon ein halbes Vermögen wert.
Caja kam nicht darum herum sich in Gedanken die Frage zu stellen, ob es der Ort war, den sie in ihrer Vorsehung zu Gesicht bekommen hatte. Falls ja, dann würde es dort zu einem Kampf mit den Angelsachen in silbernen Rüstungen kommen. Vielleicht sollte sie diesen Aspekt auch ihrem Vater nochmals in Erinnerung rufen, um sicherzugehen, dass sie darauf vorbereitet sein und am Ende nicht überrascht werden würden.
Nachdem sie sich ihre lederne Rüstung eng um den Körper gezurrt, ihre Axt ein letztes Mal auf ihre Schärfe und ihr Schild auf Risse überprüft hatte, suchte sie also nach Melker.
Sie fand ihn im Gespräch mit Munin und vier weiteren Männern vor, wartete geduldig, da sie dieses nicht unterbrechen wollte.
Mit einem Stecken malte ihr Freund einen Weg in den staubigen Erdboden, ganz nach den Beschreibungen, die Halvar ihm lieferte.
Es war unschwer zu erkennen, dass sie ihre Route planten.
„Bevor man das Dorf erreicht, kommt man noch an einem weiteren, kleineren vorbei", erklärte Halvar gerade und Munin zeichnete Abbilder auf den Grund, die Hütten ähnelten.
„Vielleicht gibt es dort auch etwas zu holen", grübelte Asmund, einer der Jüngeren, laut nach und sah dann zu Melker. „Wir sollten es auf jeden Fall nicht auslassen."
Der Jarl nickte, sah dann auf, als er die Anwesenheit seiner Tochter bemerkte. „Caja", nannte er sie beim Namen und winkte sie näher heran. Dann deutete er auf die Zeichnungen Munins. „Was sagst du dazu?"
„Ich ...", antwortete sie zögerlich und betrachtete all die Linien auf dem Boden. Nach einer Minute des Schweigens hob sie den Blick wieder und suchte den Augenkontakt zu ihrem Vater. Sein gesundes Sehorgan musterte sie abwartend. „Ich denke, unser Hauptziel ist das Dorf aus meiner Vorsehung."
Mehr musste sie nicht sagen, um Melker begreiflich zu machen, worauf sie hinauswollte. Er brummte verstehend. „Macht, dass ihr wegkommt!", bellte er dann und scheuchte die anderen mit einer Handbewegung fort.
Caja konnte all die neugierigen Augenpaare auf sich brennen spüren, doch sie sah die anderen Männer nicht an, hielt ihren Fokus auf ihren Vater gerichtet, bis sie schließlich alleine gelassen wurden.
Melker fasste ihr an die Schulter. „Bist du dir sicher?", fragte er anschließend.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, immerhin habe ich Halvar und Hedda in der letzten Nacht nicht begleitet. Aber ich kann es mir gut vorstellen. Als wir ...", erneut zögerte sie. Munin hatte sie am vergangenen Tag für verrückt verkauft, als sie ihn gefragt hatte, ob er das seltsame Schimmern oberhalb der Klippen auch gesehen hatte. Dann schüttelte sie den Kopf. Ihr Vater war nicht Munin. „Als ich alleine die Küste entlanggegangen bin, da habe ich etwas Silbernes in der Sonne aufblitzen sehen und ich bin davon überzeugt, dass dies der erste Teil der Vorsehung gewesen ist. Der, bevor ich in das dunkle Wasser eingetaucht bin."
Die Finger ihres Vaters lösten sich von ihrer Schulter, wanderten weiter nach oben, über ihre Wange, bis sein Daumen schließlich auf dem Mal der Götter zu Ruhen kam. „Du bist wahrlich ein Geschenk, weißt du das, mein Kind?" Seine raue Stimme war von der Wärme seiner Liebe zu ihr erfüllt. Dann zog er ihr Gesicht an seines heran und presste ihr einen Kuss auf die Stirn. „Wir werden auf die Angelsachen vorbereitet sein."
Er nickte ihr zu, deutete dann wieder auf Munins Zeichnungen.
Sie sah auf den Boden und betrachtete sie eingehend, ging in die Hocke und fuhr die Linien mit ihrem Zeigefinger nach. „Es sollte sich uns niemand in den Weg stellen. Wenn sie uns wirklich in dem Dorf mit dem goldenen Hahn erwarten, dann ist das andere unbewacht. Ich stimme Asmund zu. Wir sollten es nicht aussparen."
Melker lachte. Ein heiseres, aber erfreutes Lachen. „Wir sollten also keine Zeit mehr verlieren!"
Er schob sich an ihr vorbei, trommelte seine Gefolgschaft zusammen.
Caja richtete sich wieder auf, ließ ihre Hand über den Griff ihrer Axt gleiten und mischte sich anschließend unter die sich Versammelnden.
Munin trat unbemerkt an ihre Seite und als er ihr durch das geflochtene Haar fuhr, zuckte sie zusammen. Sie wandte ihm das Gesicht zu, blickte seinem breiten Grinsen entgegen. „Du solltest aufmerksamer sein", raunte er ihr zu, sein heißer Atem streichelte ihre Haut und jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
„Und du solltest mich nicht erschrecken", erwiderte sie mit einem frechen Funkeln in den Augen. „Du kannst froh sein, dass Freymóður* fest an meinem Gürtel hängt. Hätte ich sie in der Hand gehalten, dann würde sie nun zwischen deinen Augen klemmen."
Ihr Freund schüttelte den Kopf. „Niemals könntest du so schnell sein. Ich würde dir spielend leicht ausweichen und dann ..."
Flink fasste er ihr in den Nacken, stieß ihr mit seinem Bein in die Kniekehlen, sodass sie den festen Stand verlor und zusammensackte. Sein fester Griff verhinderte aber, dass sie stürzte. Er hielt sie, legte die andere Hand unter ihren Rücken und so kam sie in seinen Armen zum Erliegen.
Etwas perplex sah sie zu ihm auf. Wie er sie ansah. Etwas lag in seinem Blick, das sie nicht wirklich deuten konnte.
Bevor sie aber dazu kam, sich weitere Fragen dazu zu stellen, hatte er sie wieder nach oben gezogen.
„Schluss mit dem turtelnden Verhalten! Da wird einem ja übel!", zischte ihnen Asmund zu, drängte sich an ihnen vorüber und grölte dabei: „Es wird Zeit für den Geschmack von Blut auf meinen Lippen!"
Die anderen um sie herum setzten sich ebenfalls in Bewegung.
„Bereit für deinen ersten Toten?" Munin stieß Caja den Ellenbogen in die Seite, ehe er dem Rest folgte.
Sie verharrte noch ein paar Momente an Ort und Stelle, ehe auch sie sich ihr Schild schnappte, loslief und sich unter die anderen mischte.
Mit uneindeutigen Gefühlen trottete sie knapp hinter Munin her, beobachtete dabei seine gerade Körperhaltung.
Ihr Vater würde von ihr erwarten, dass sie sich auf die Schlacht freute, aber tat sie das?
Ein Ziehen machte sich in ihrem Magen bemerkbar, während sie darüber nachdachte ihre Axt in menschlichem Fleisch zu versenken.
Auch wenn Melker ihr versichert hatte, es würde ganz leicht gehen und sie müsste einfach an die verunreinigten Seelen denken, konnte sie sich nicht vorstellen, dass es ihr einfach fallen würde.
Vögel zwitscherten über ihren Köpfen und Holz knackte unter ihren Füßen, während sie den Wald durchquerten.
Caja atmete die frische Luft und den Geruch von Tannennadeln, Baumharz und feuchtem Moos ein.
Einen Moment lang erinnerte sie der Duft, der sie umgab, an ihre Heimat.
All die Jahre hatte sie es nicht erwarten können Angelland zu sehen und jetzt sehnte sie sich nach ihrem Zuhause.
Sie vermisste ihre Mutter, den Anblick des Fjords und all die bekannten Gesichter in ihrem Dorf.
Was war nur los mit ihr? Es fühlte sich so an, als würde sie sich selbst hintergehen. Als würde sie ihr Volk, ihre Familie verraten.
Sie musste nun bei der Sache bleiben.
Kurz schloss sie die Augen, öffnete sie dann wieder und trat kurz nach Munin aus dem Wald.
Vor ihnen tat sich eine weite Grasebene auf, doch sie wirkte nicht endlos wie der Ozean, denn vom Horizont hoben sich die Umrisse ihres ersten Ziels ab.
Melker brachte die Truppe zum Stillstand und vom Randes des Forstes aus, beobachteten sie zunächst die Geschehnisse im Dorf. Wie kleine Ameisen kamen Caja die Menschen von diesem Standpunkt aus vor. Einzelne Bauern schlenderten über die Felder, die um den Wohnort herum lagen, andere führten ihre Pferde darüber, an deren Rücken seltsame Konstrukte angebracht waren.
Die Tochter des Jarl war klug genug um zu begreifen, dass diese die Landarbeit wohl erleichtern sollten.
Erst als Melker sich sicher war, dass die Soldaten der angelsächsischen Armee sie nicht bereits hier erwarteten, hob er den Arm in die Höhe. In seiner Hand lag eine große Streitaxt, der er den Namen bloðspilla* gegeben hatte.
Nur eine Sekunde später drang ein markerschütterndes Grölen aus seiner Kehle. Eines, das den Beginn der Schlacht kennzeichnete.
Die Männer und Frauen und auch Caja fielen darauf ein. Ihr Kriegsruf war so laut, dass die Bauern auf den Feldern von ihrem Tun abließen und ihre Blicke in Richtung des Waldes hoben.
Sobald sie begriffen, was geschehen würde, nahmen sie ihre Beine in die Hand und rannten um ihr Leben.
Manche versuchten Schutz zwischen den Häusern des Dorfes zu suchen, andere jagten über die offenen Ebenen davon.
Zeitgleich stürmten die Wikinger als eine Einheit, mit erhobenen Waffen und vorgehaltenen Schilden den Hügel hinab.
Die Ereignisse überschlugen sich. Caja fand sich in mitten von vor Angst und Schmerzen schreienden Menschen wieder. Blut spritzte ihr ins Gesicht, als Asmunds Klinge dicht neben ihr einem wehrlosen Mann die Kehle durchtrennte.
Sie keuchte auf, bahnte sich, anstatt ihre Axt gegen die Dorfbewohner zu erheben, einen Weg an den Rand. Schwer atmend presste sie sich an eine der aus Backsteinen bestehenden Häuserwände und versuchte sich von dort einen Überblick zu verschaffen.
Alles, was sie erkennen konnte, war ein einziges Durcheinander. Äxte, Schwerter und Heugabeln wirbelten durch die Lüfte, Blut befleckte nicht nur den Boden unter ihren Füßen, sondern beinahe jeden Mann und jede Frau, ganz gleich ob tot oder lebendig.
Cajas Atmung ging immer schneller. Das Herz raste in ihre Brust und Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Das sollte es sein? Das tolle kriegerische Leben ihres Volkes?
Sie wollte fort von hier, doch noch ehe ihre Füße sie aus dieser Situation hinausmanövrieren konnten, kam ein älterer Dorfbewohner auf sie zugestürmt. Er brüllte ihr wie wild Worte entgegen, die sie nicht verstand und richtete die Zacken seiner Mistgabel auf sie, mit der Intention, sie aufzuspießen.
Caja blieb keine Zeit nachzudenken. Schützend hielt sie ihr Schild vor den Leib, sodass die Waffe des Mannes an dem dicken Holz abprallte und bevor er erneut ausholen konnte, traf ihre Axt auf seinen Schädel. Die Klinge Freymóðurs drang durch festen Knochen und sie hatte Mühe, sie wieder aus dem Kopf des nun toten Mannes herauszuziehen.
Als sie es geschafft hatte, blickte sie schluckend auf ihn hinab. Sie hatte es getan, hatte ihren ersten Menschen getötet.
Wieso nur hatte er sie angegriffen? Sie, die am Rand gestanden und versucht hatte, sich aus alldem herauszuhalten?
Doch noch ehe sie es begreifen konnte, wurde sie erneut zum Ziel eines aufgebrachten Dorfbewohners. Nun war es eine Frau, die sie attackierte.
Caja war so fokussiert auf den Toten zu ihren Füßen gewesen, dass sie erst realisierte, was geschah, als sie an einem ihrer straff geflochtenen Zöpfe gepackt und nach hinten gerissen wurde.
Sie schrie erschrocken auf, spürte dann, wie sich etwas kaltes durch das schützende Leder und anschließend in ihre Seite bohrte.
Sie fuhr mit Schwung herum, befreite sich dabei aus dem Griff ihrer Angreiferin und blickte in deren angstverzerrtes Gesicht. In der Hand hielt die ältere Frau ein spitzes Messer, von welchem Cajas Blut in den Schmutz tropfte.
Die Tochter des Jarl zögerte auch ihr das Leben zu nehmen, wurde dann aber dazu gezwungen, als sie erneut ihre kleine Waffe erhob.
Freymóður durchschnitt ihr die Kehle. Warmes Blut spritzte Caja entgegen, setzte sich auf ihren Wangen und der Nasenspitze nieder.
Doch auch das war nicht das Ende. Wieder und wieder wurde sie angegriffen, konnte nicht anders, als sich zu Wehr zu setzen und beendete somit ein Dasein nach dem anderen.
Ihre Arme schmerzten von den vielen Hieben und ihr ganzer Leib war über und über mit ihrem eigenen Lebenssaft und dem ihrer Opfer befleckt, als auch der letzte junge Bursche tot vor ihr zu Boden ging.
Die lauten Geräusche um sie herum waren verebbt. Wie in Trance starrte sie auf das Blut, das an ihren Händen klebte. Sie zitterte. Vor Anstrengung und wegen des Schocks, der ihr tief in den Knochen steckte.
„Verdammt, Caja." Sie hörte die zischenden Worte Munins gar nicht, als dieser auf sie zukam. Erst als er sie am Arm packte und sie zurück an den Rand zerrte, realisierte sie seine Anwesenheit.
Er drückte sie nach unten und zwang sie damit sich auf eine Holzkiste zu setzen. „Du solltest die Angelsachsen töten und dich dabei nicht wie ein Schwein durchlöchern lassen", keuchte er und knotete dabei ihre lederne Rüstung auf.
Mehr als nur ein Bauer hatte es geschafft sie zu treffen, doch während des unübersichtlichen Kampfes hatte sie das gar nicht wirklich bemerkt. Nicht einmal Schmerzen hatten sie darauf hingewiesen, verhindert von dem vielen Adrenalin, das durch ihre Adern schoss.
Munin drückte seine Hand auf ihre Seite, direkt auf die Wunde, die von der ersten Frau, die sie getötet hatte, verursacht worden war.
Erst jetzt machte sich die Pein bemerkbar und sie zischte auf. „Ich ... ich bin nicht für das hier gemacht."
„Weil du verwundet bist? Ich bitte dich!" Er lachte, während ihr Blut durch die Zwischenräume seiner Finger quoll. Doch mit jeder weiteren Minute die verstrich wurde es weniger und schließlich stoppte es ganz.
„Du hättest mich nach meiner ersten richtigen Schlacht sehen sollen. Wir lernen hieraus, hörst du? Und mit jedem weiteren Kampf werden wir erfahrener und stärker."
Caja war mittlerweile kreidebleich und Übelkeit tänzelte ihr durch den Magen. Schließlich konnte sie nicht mehr länger an sich halten und übergab sich zur Seite, sparte Munin geradeso aus.
Dieser verzog angewidert das Gesicht, lachte dann aber erneut und klopfte ihr auf die ebenfalls schmerzende Schulter. „Du hast es überlebt. Ich gratuliere dir. Dein Unwohlsein wird auch wieder vorübergehen."
Sie wischte sich das Erbrochene aus den Mundwinkel und sah auf. Sie wollte ihrem Freund erklären, dass sich schuldig fühlte, auch wenn dieser das niemals verstehen würde.
Doch noch ehe sie dazu kam, blitzte etwas Silbernes in ihrem Augenwinkel auf und nur eine Sekunde später fand sie sich erneut auf einem Schlachtfeld wieder.
—-
Freymóður *: Zusammensetzung aus den beiden altnordischen Worten fraiwia und móðr. Zu deutsch fruchtbar und Mut
bloðspilla* : Zusammensetzung der altnordischen Worte bloð und spilla. Zu deutsch Blut und vergießen
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