Eldingu
Caja
Auch sie spürte die ständige Anspannung und auch sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie und Gregory ein weiteres Mal aneinandergeraten würden.
Doch wenn es soweit war, würde sie nicht wieder den Kürzeren ziehen. Jetzt war sie wieder fit genug, um sich zu wehren. Die nächste Auseinandersetzung würde sie gewinnen.
Es hatte nicht lange gedauert, bis sie Erfolg bei der Jagd gehabt hatten.
Drei Rebhühner baumelten, an einen Strick gebunden, an Askwins Sattel.
Caja hatte die gefiederten Tiere entdeckt. Sie hatte den Lord darum gebeten, sie selbst erlegen zu dürfen, doch er hatte dem nicht stattgegeben.
Sie war sich nicht sicher, ob es an Gregorys Anwesenheit, oder daran, dass er ihr doch nicht nicht zu einhundert Prozent vertraute gelegen hatte.
Aber egal worin sich der Grund verbarg, sie hatten genug zu Essen dabei, als sie ins Lager zurückkehrten.
Dort angekommen nahm Caja Askwin die Vögel ab, verkündete: „Ich werde sie von den Federn befreien und sie ausnehmen."
Es galt ihm zu zeigen, dass es nicht mehr von Nöten war ihr zu misstrauen. Ihm und all den anderen.
Sie war klug genug um sich für die Zeit, die sie mit diesem Volk würde verbringen müssen, anzupassen.
„Aber das Kleid", warf Askwin ein. Sein Blick wanderte dabei an ihr herunter.
Beinahe schon hatte sie vergessen, dass sie noch immer das Geschenk des Königs trug. Der dunkelrote Stoff war so eng, dass er sich mittlerweile wie eine zweite Haut an sie schmiegte.
„Ich wollte ohnehin fragen, ob ich es gegen eine Tunika und eine Hose tauschen kann", antwortete sie ihm, sich nach der bequemeren und praktischeren Kleidung sehnend.
Askwins Stirn legte sich grüblerisch in Falten, dabei wusste er doch ebenso gut wie sie, dass die Frau in dem prinzessinengleichen Gewand nicht sie war.
Schließlich nickte er, winkte Henry zu ihnen. „Er wird dir seine Wechselkleidung geben und dir mit den Rebhühnern helfen."
Mit diesen Worten ließ er sie allein und verschwand mit Gregory, der mehr oder minder geduldig gewartet hatte.
Der zornige Blick des Älteren hatte zu jeder Sekunde auf Cajas Gesicht geruht und sie hatte ihn wie zumeist einfach ignoriert.
Nun sah sie zu dem Burschen, den Askwin bei ihr gelassen hatte. Da er ihre Sprache nicht verstand, würden sie wohl mit Händen und Füßen kommunizieren müssen.
Er lächelte sie freundlich an und deutete ihr zu folgen.
Bei seinem Zelt angekommen, gab er ihr die versprochene Kleidung.
Sich wieder etwas mehr wie sich selbst fühlend hockten sie sich dann etwas abseits des Lagers auf den Boden. „Hníf", meinte sie und malte die Form eines Messers in den staubigen Erdboden.
Henry verstand sofort, reichte ihr ohne darüber nachzudenken einen kleinen Dolch.
Sie übergab ihm im Gegenzug dafür einen der Vögel, machte ihm vor, wie man die Federn richtig ausrupfte.
Er ahmte es ihr nach und als die drei Tiere von ihrem weichen Kleid befreit vor ihnen lagen, trennte sie dem ersten ohne mit der Wimper zu zucken den Kopf und dann das Hinterteil ab.
Ihr Gehilfe erblasste und hielt sich die Hand vor den Mund, als sie dann einfach in den Vogel hineingriff und begann die Organe aus ihm herauszuziehen.
War von Askwins Truppe denn wirklich keiner Manns genug? Der Lord rühmte sich damit einem Auerhahn den Garaus gemacht zu haben und Henry übergab sich beim Anblick der Gedärme eines toten Tiers.
Sie rollte mit den Augen, machte stumm weiter, bis alle drei Vögel ausgenommen und fertig für den letzten Schritt waren.
„Hæð." Sie zeigte auf einen Ast in der Nähe, machte dann aber durch Gesten deutlich, dass es ein größerer und dickerer war, den sie brauchte.
Schnell wie der Blitz war Henry aufgestanden und verschwunden, um ihr einen zu besorgen.
Sie sammelte derweil die Innereien mit ihren blutverschmierten Händen auf, um sie vom Lager wegzubringen.
Bekanntlich lockte der Geruch von Aas Raubtiere an, die hier sicherlich niemand gebrauchen konnte.
Als sie weit genug in den Wald gewandert war, grub sie mithilfe eines schalenförmigen Steins, den sie durch Zufall gefunden hatte, ein Loch und vergrub die sterblichen Überreste der Rebhühner darin.
Zufrieden mit ihrer Arbeit wollte sie sich wieder auf den Rückweg machen, als es rechts von ihr im Dickicht raschelte.
Sofort hielt sie in ihrer Bewegung inne und wandte ihren Blick in die Richtung.
Sie hatte den Dolch eingesteckt, den Henry ihr zur Verfügung gestellt hatte, zog ihn nun aus ihrem Schuh.
War es womöglich ein Bär, der dem Geruch von Blut gefolgt war, der an ihr haftete?
Bereit sich zu verteidigen starrte sie auf die Stelle, doch der dumpfe Klang der Schritte auf dem Waldboden verriet ihr, dass es ein Mensch sein musste, der sich ihr näherte.
Nur kurz darauf teilten sich das Geäst und gab Gregorys Gesicht zu erkennen.
„Du", zischte sie, die Waffe nicht weniger fest umklammernd.
Was wollte er, dass er ihr heimlich gefolgt war?
Es zwängte sich ihr das Gefühl auf, dass das nicht gut ausgehen würde.
Er machte weitere Schritte auf sie zu, fixierte sie dabei wie ein Wolf seine Beute. Etwas Gefährliches blitzte in seinen Augen auf. Er sagte etwas, doch sie verstand nicht was es war.
Es wurde wirklich Zeit die Sprache der Angelsachsen zu erlernen.
Je näher er ihr kam, desto weiter wich sie vor ihm zurück.
Sie wollte nicht kämpfen, doch wenn er ihr keine andere Wahl lassen würde, dann würde sie auch nicht davor zurückschrecken, ihm den Dolch in die Brust zu rammen.
Ihr Herz schlug schneller, ihr Atem ging flach und sie verfolgte jede seiner noch so kleinen Bewegungen. Höchste Konzentration war geboten.
Dann, von ihr erwartet, schnellte er nach vorne und versuchte sie am Arm zu packen. Aber sie war schneller, drehte sich im richtigen Moment zur Seite, sodass er ins Leere griff und verpasste ihm einen seitlichen Tritt gegen das linke Knie.
Er jaulte auf wie ein getroffener Hund, knurrte dann und wirbelte erneut zu ihr herum. Wahn glomm in seinen Seelenfenstern.
Er schien wie besessen. Besessen davon, sie zu beseitigen.
Weshalb war sie ihm ein solcher Dorn im Auge? Was hatte sie ihm getan? War es wirklich nur wegen dem Volk, dem sie angehörte? Stachelte ihn die Tatsache zusätzlich an, dass Askwin ihn ihretwegen in seine Schranken gewiesen hatte, als sie beim ersten Versuch einer Flucht gescheitert war? Fühlte er sich in seiner Ehre und seinem Stolz verletzt? Ihretwegen?
Gregory umkreiste sie gleich einem wilden Tier, bereit seine Klauen in ihrem Fleisch zu versenken.
Als er wiederholt versuchte, sie zu greifen, war sie erneut flinker. „Lass das, wenn dir dein Leben lieb ist!", zischte sie ihm zu, sichergehend dass die Tonlage deutlich machte, dass sie ihm drohte.
Ein Grinsen breitete sich auf seinen trocken aussehenden Lippen aus, ehe er sein Schwert zog.
Offenbar dachte er, sie hätte mit ihrem kleinen Dolch keine Chance. Wenn er sich da mal nicht irrte.
Er hieb mit der Klinge nach Caja, verfehlte sie knapp, da sie rechtzeitig eine Pirouette vollführte.
Noch setzte sie nicht zum Gegenschlag an, wollte erst erreichen, dass er müde und seine Bewegungen somit langsamer wurden.
Wieder und wieder versuchte er sie zu erwischen, keuchte dabei zunehmend schwerer und brüllte Worte.
Schließlich gab er für einen Moment nach, stützte die Hände auf die Oberschenkel, um ordentlich durchzuatmen und sich wieder zu sammeln.
Diese Gelegenheit nutzte Caja, trat nach dem Schwert in seinen Fingern und entwaffnete ihn. Schneller als er hätte reagieren können, hob sie die Waffe auf und richtete das Ende auf ihn. „Du gehst nun besser!"
Das Eisen lag schwer in ihrem Griff, doch das ließ sie sich nicht anmerken.
Hätte sie jetzt doch nur Freymóður, ihre Axt, bei sich getragen.
Bis heute wusste sie nicht, was Askwins Leute mit ihr angestellt hatten.
Besaßen sie sie überhaupt, oder hatte Caja sie gar in der Stadt der schicksalsverändernden Schlacht zurückgelassen?
Gregory funkelte sie an, wischte sich die Mundwinkel am Handrücken ab und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf.
Er war nicht gewillt sich vollends zu ergeben, was Caja dazu brachte mit den Zähnen zu knirschen.
Sie wollte ihn nicht töten ... das würde sie wie die Verräterin wirken lassen. Das, wo sie doch gerade dabei war sich Askwins gesamtes Vertrauen zu erarbeiten.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Gregory eine solch kurze Pause genügen würde, um wieder genug Kräfte zu sammeln.
Schneller als erwartet spurtete er auf sie zu, nutzte ihre Überraschung aus, packte sie an ihrem Zopf und stieß ihr mit den Hacken seiner schweren Stiefel in die Kniekehlen.
Sie ging zu Boden und verlor beide Klingen.
Gregory riss an ihren Haaren, sodass sie mit dem Oberkörper in mehr oder weniger aufrechter Position verblieb.
Vor Schmerz schrie sie, als sein Knie nur Sekunden später in ihrem Brustkorb einschlug und ihr sämtlichen Sauerstoff aus den Lungen presste.
Hustend rang sie nach Luft, versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, während seine Finger in ihren Schopf gekrallt verweilten.
Sie musste klüger sein, wenn sie hier lebend rauskommen wollte.
Anstatt zu versuchen sich aus seinem Griff zu befreien, nahm sie eine Handvoll der trockenen Erde und schleuderte ihm diese ins Gesicht.
Er brüllte, als der Schmutz in seine Augen gelangte und ließ von Caja ab, um sie sich zu reiben.
Tränen liefen seine Wangen hinab, benetzten seinen grauen Stoppelbart.
Während er versuchte, sich den Dreck aus den Sehorganen zu entfernen, brachte Caja wieder Abstand zwischen sie.
Sie nahm Henrys Dolch wieder an sich, wollte sich Gregory wieder zuwenden, als sich zwei starke Arme um ihren Oberkörper schlangen und sie mit sich rissen.
Gemeinsam taumelte sie mit ihrem Angreifer Richtung Dickicht, brach durch dieses hindurch.
Schock zeichnete sich auf beiden Gesichtern ab, als ihnen plötzlich der Halt unter den Füßen fehlte.
Die Büsche und Sträucher hatten einen steilen Abhang verborgen, den sie nun hinunterstürzten.
Caja überschlug sich dabei mehrmals, spürte wie ihre Knie aufplatzten und ihre Haut an verschiedenen stellen Abschürfungen abbekam.
Ihre Welt stand Kopf. Verzweifelt versuchte sie sich zu orientieren, um sich am Ende des Hangs mit den Armen abzufedern.
Sie konnte aus dem Augenwinkel erkennen, wie Gregory an ihr vorbeisauste, da er schwerer war als sie.
Als ein dumpfer Schlag an ihre Ohren drang wusste sie, dass er irgendwo aufgeschlagen war.
Ihre Hände suchten nach Halt, nach irgendetwas, das sie zu greifen bekam und schließlich gelang es ihr. Ihre Finger packten eine Wurzel. Mit zusammengebissenen Zähnen krallte sie sich an ihr fest und bremste dadurch ihren Sturz.
Schwer atmend sammelte sie zunächst ihre Gedanken, bevor sie sich umsah. Das Rauschen eines Flusses drang an ihre Ohren.
Es war ein steiniger Abhang gewesen, der zu dessen Bett hinabgeführt hatte.
Unten, zwischen all den Kieseln und größeren Brocken, lag Gregory. Bewusstlos.
Eine dunkelrote Lache bildete sich unter seinem regungslosen Körper, mischte sich mit dem seichten Wasser an dieser Stelle.
„Nein!", entkam es Caja und sie ließ sich den restlichen Weg kontrolliert hinunterrutschen. Sie ignorierte das brennende Gefühl, das ihren ganzen Körper heimzusuchen schien.
Als sie bei ihm ankam, drehte sie ihn vorsichtig, um nach der Wunde zu suchen.
Wenn seine Männer ihn so vorfanden, dann würde es für alle so aussehen, als hätte sie ihn umgebracht. Das durfte sie nicht zulassen, denn das kostete sie am Ende nur den eigenen Kopf.
So sehr sie Gregory auch hasste, nun galt es wohl oder übel ihm das in ihren Augen wertlose Leben zu retten und ihm somit erneut die Chance zu geben, das ihre zu nehmen.
Doch egal wie sie seinen schweren Leib drehte und wendete, sie konnte nicht erkennen, woher das Blut kam.
Er stöhnte leise, sie mahlte mit den Zähnen. Dieser verfluchte Idiot! Wieso hatte er sie unbedingt angreifen und sie somit beide in den Abgrund reißen müssen?!
Sie wollte bereits aufgeben, als ihr etwas ins Auge fiel.
Dunkelrote Flüssigkeit floss aus einem ledernen Behältnis.
Noch ehe sie sich der Tatsache ganz gewahr werden konnte, dass es sich nicht um Blut sondern um Wein handelte, spürte sie wie sich Gregorys Finger erneut in ihrem Haar vergruben.
Ein heiseres Lachen drang aus seiner Kehle. Eines, das Caja verriet, dass er gewonnen hatte.
Sie konnte gar nicht so schnell reagieren, da riss er sie an ihrem Schopf mit sich, hin zu einer tieferen Stelle im Fluss.
Wie ein Fisch am Haken zappelte sie an seiner Hand, trat wild um sich, aber all das nützte ihr nichts mehr.
Mit einen Platschen drückte er ihr Gesicht unter Wasser, hielt sie mit aller Kraft unten und trug dafür Sorge, dass sie von alleine nicht wieder auftauchen würde.
——
*Eldingu: das isländische Wort für Blitzeinschlag
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