Blumenkränze und Totenfeuer
Caja
Die Sonne küsste ihr goldenes Haar, während sie unter einer der großen Eichen saß und einen Kranz aus Wildblumen flocht.
Ein breites Lächeln erhellte ihre weichen Gesichtszüge, das Blaugrau ihrer Iriden schimmerte unschuldig.
Im Hintergrund hörte sie das Rauschen des Tunglskin* Flusses, den Gesang der Vögel und das Rascheln der Gräser, die vom warmen Sommerwind gestreichelt wurden.
Sie war glücklich. Wie hätte sie das auch nicht sein können? Nicht jedem Kind war es vergönnt, in solcher Harmonie und so wohlbehütet aufzuwachsen wie ihr. Als Tochter des Jarl und noch dazu als Seherin ihres Stammes genoss sie nicht gerade wenige Privilegien.
„Wirst du etwa doch noch zu einer Prinzessin?", ertönte ein ihr nur allzu bekanntes Gelächter in ihrem Rücken und ließ sie herumfahren.
Die Nase kraus gezogen und die Zunge bleckend warf sie Munin den selbstgemachten Haarschmuck entgegen.
Er fing ihn auf, schüttelte grinsend den Kopf. „Wenn du so auch Speere wirfst, sind wir alle verloren."
„Ach, halt deinen Mund!", keifte sie ihn an, lachte dann aber und stand auf. Grasflecken bedeckten ihre lederne Hose an den Stellen, auf denen sie über die Wiesen gerutscht war und nach den farbenprächtigsten Blumen gesucht hatte.
Sie nahm ihrem Freund den Kranz wieder ab und platzierte ihn auf seinem nachtschwarzen Haaren. Das Waldgrün seiner Augen funkelte sie amüsant an.
„Bist ein hübsches Mädchen", kicherte sie, erntete dafür einen nicht wirklich sanften Seitenhieb.
„Hey!", rief sie aus und rieb sich die schmerzende Seite.
„Wenn dir das schon wehtut, dann wirst du nach unserem heutigen Training keinen Muskel mehr rühren können", meinte er hochnäsig wie er nun mal war, bevor er an seinen Gürtel griff und eine schön geschliffene Axt davon löste.
Er hielt sie ihr entgegen. „Für dich. Wird Zeit, dass du endlich deine eigene Waffe besitzt. Ist viel sinnvoller als so ein ..." Er nahm die Blumen von seinem Kopf. „Was auch immer das ist."
Caja nahm sein Geschenk mit strahlenden Augen entgegen, schwang es durch die Luft und stellte fest, wie angenehm es doch in ihrer Hand ruhte.
Darauf achtend, ihn nicht aus Versehen zu schneiden, fiel sie Munin um den Hals. Tief atmete sie seinen Eigengeruch ein und spürte, wie sich seine starken Arme um ihren Körper legten und sie festhielten.
„Danke", hauchte sie in seine Halsbeuge hinein.
„Schon gut." Sie konnte hören, dass er ein warmes Lächeln auf den Lippen trug.
Sachte schob er sie von sich und nickte ihr zu, bevor er den Blumenkranz beiseite legte und seinen Speer holte, den er vorsorglich an einen Baum gelehnt hatte, bevor er zu Caja getreten war.
„Und jetzt lass uns trainieren. Auf dass unsere erste gemeinsame Schlacht nicht mehr in allzu weiter Ferne liegt."
Oh, wäre es doch nie dazu gekommen.
Wäre sie doch niemals über den Ozean gereist, sondern in ihrem Dorf verblieben, bei ihrer Mutter und hätte weiter Haarschmuck aus Blumen geflochten.
Dann wären die Dinge vielleicht niemals so gekommen.
Vielleicht wäre Munin dann wieder heil nachhause zurückkehrt.
Mit zitternden Händen schob sie das weiße Laken über sein leichenblasses Gesicht und trat zurück.
Die Fackel in ihrer Rechten erhellte nun anstellte eines Lächelns ihre nicht mehr weichen, sondern ernsten Gesichtszüge.
Das rhythmische Trommeln in ihrem Rücken mischte sich mit dem Gesang der Männer und Frauen ihres Volkes, die die Toten besangen. Und nur ganz leise hörte sie Hedda weinen, die Halvars Verlust betrauerte, anstatt sich darüber zu freuen, dass er an die Seite der Götter gekehrt war.
Snýr aftur heim.
Drekktu mjöð, fagnaðu lífi þínu og bíddu eftir að við sjáum þig aftur í risastórum sölum Valhallar.
Einn í lífinu, einn í dauðanum.
Kehrt nachhause zurück.
Trinkt Met, feiert eure Leben und wartet in den riesigen Hallen Walhalls auf unser Wiedersehen.
Eins im Leben, Eins im Tod.
Es waren so viele Männer und Frauen, eingehüllt in Tücher, die in diesem Krieg gefallen waren. So viele tapfere Nordstämmige, die mit dieser Feuerbestattung ihre letzte Reise antreten würden, nach Walhalla.
Melker trat an Cajas Seite, legte seine Hand an ihre und gemeinsam führten sie die Fackel hinab zu Munins verdecktem Körper.
Das weiße Laken fing Feuer.
Der Moment des Abschieds war endgültig gekommen.
Caja hielt ihre Tränen nicht länger zurück. Ihnen freien Lauf lassend, umschloss sie mit der Linken den Bärenanhänger, den Askwin ihr zurückgegeben hatte, nachdem alles vorbei gewesen und sie die Leichen vom Schlachtfeld geräumt hatten.
Mit einem Ruck zerriss sie das lederne Band, das den Talisman an ihrem Hals hielt und warf diesen mitsamt der Fackel zu Munin ins Feuer. Sie wollte, dass er einen Teil von ihr, der sie beide miteinander verband, mit in die Ewigkeit nahm. Sicher würde er ihr Mina zurückgeben, wenn sie sich in Walhalla wiedersahen. Bis dahin gehörte sie einzig und alleine ihm und sollte ihn beschützen, so wie sie Caja vor Gregory beschützt hatte.
Gedankenverloren und in stiller Trauer sah sie dabei zu, wie all die Toten die Bestattung erhielten, die sie verdient hatten. Die tanzenden Flammen kletterten den Himmel empor, lockten die Walküren an, damit sie die tapferen Krieger nach Walhalla führen konnten.
Den Kopf in den Nacken legend betrachtete sie den grauen Winterhimmel, als könnte sie die Schildjungfern auf ihren Schlitten herbei reiten sehen.
Doch stattdessen begannen zarte Schneeflocken hinabzurieseln, die sich mit der Asche vermischten, die in die Lüfte aufstob.
Erst als der Geruch vom brennenden Fleisch unerträglich wurde, wandte sie sich zum letzten Mal von Munin ab und lief zur Küste, betrat das große Schiff, mit dem sie schon bald wieder zurückreisen würde.
Melker war ihr still gefolgt, gesellte sich an ihre Seite, als sie ihre Hände an die Reling legte und auf das offene Meer starrte.
„Wie soll es nun weitergehen?", fragte sie ihren Vater, ohne ihn anzusehen. „Werdet ihr weiter plündern, wenn ihr nach Angelland zurückkehrt?"
„Weshalb sollten wir damit aufhören? Hat dir das Geschehene nicht gezeigt, dass dieses Volk es nicht anders verdient?", raunte er zur Antwort.
„Nein. Der König war grausam, Gregory war es auch, aber all die anderen, die ich hier kennengelernt habe, haben ein gutes Herz", widersprach sie ihm, wandte ihm das Gesicht nun doch zu.
„Ich habe immer hiervon geträumt - nach Angelland zu reisen und an der Seite unseres Volkes zu raubschatzen. Doch was hat es uns gebracht? Nichts als Leid. Als wir in Haversbrook das Dorf überfielen, als ich sah wie skrupellos unsere eigenen Leute vorgingen und selbst nicht davor zurückschreckten, die Kinder zu töten ..." Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht rechtens. Wir lieben den Krieg und ja, wir sind zum Kämpfen geboren, aber so? Nein ... Nein, das muss aufhören."
„Und was schlägst du nun vor?", schnaubte Melker. „Dass wir die Schwänze einziehen und dieses reiche Land einfach aus unserem Gedächtnis streichen?"
„Einen neuen Handel, um Frieden den dauerhaft zu wahren. Einen, von dem beide Seiten etwas haben. Sicherlich gibt uns die Königin so viel Gold, wie wir nur wollen, solange wir nicht weiter töten und Dörfer niederbrennen. Wäre das denn nichts? Reichtum ohne einen Krieg? Ohne sinnloses Sterben?"
Ihre Iriden funkelten ihn beinahe schon flehend an, dass er doch Vernunft zeigen sollte.
Hatte ihm der Tod seiner Frau nicht gereicht? Musste er weiterhin sein eigenes Leben und das seiner Tochter aufs Spiels setzen, nur weil er den Rausch so sehr liebte, der durch seine Adern zog, sobald er die Axt schwang?
„Land."
Ein einziges Wort, das nach einer gefühlten Ewigkeit seine Lippen überkam.
„Ich will etwas von diesem fruchtbaren Land. Ich will hier Ackerbau betreiben und die Reichweite unseres Volkes weiter ausbauen."
Caja nickte. Ein Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Damit ließ sich arbeiten. „Ich bin mir sicher, die Königin wird darauf eingehen."
Melker seufzte tief, bevor sich seine Arme um sie legten und sie fest an sich zogen. „Ich habe so viele Monate auf diesen Moment hier gewartet." Sein Kinn legte sich auf ihren Kopf und sein Bart kitzelte ihre Stirn.
Sie atmete seinen Geruch nach Tannennadeln und Eisen tief ein und schloss die Augen. „Ich auch", flüsterte sie, legte ihre Wange an seine Brust. Ohne dass ihre Füße den Boden Nordlands berühren mussten, fühlte sie sich mit einmal mal wieder Zuhause.
Während sie dort standen, sich innig umarmend und nicht wieder loslassen wollend, bahnte sich eine Erkenntnis den Weg in ihre Gedanken.
Nur zögerlich löste sie sich von ihrem Vater, sah zu ihm auf, direkt in das gesunde, braune Auge, das sie so voller Wärme und Liebe musterte. „Du weißt, was deine Entscheidung bedeutet, nicht? Ich werde hierbleiben müssen. Mir vertrauen die Angelsachen und noch dazu spreche ich ihre Sprache." Ihr Herz schmerzte bei der Vorstellung daran, sich schon bald erneut von ihm verabschieden zu müssen, denn er war der Jarl und somit war es ihm unmöglich an ihrer Seite zu bleiben und die gewünschte Kolonie mit ihr aufzubauen.
Er hatte ein Volk, das ihn in Nordland brauchte.
Wehmut erfüllte seinen Blick, während er ihre Hände fest umschlossen hielt. Fast so, als würde er sie nie mehr loslassen wollen. Dann hob er die eine doch um, um ihr mit dem Daumen über das Mal unter ihrem Auge zu fahren. Er küsste ihr die Stirn, seine Lippen blieben an der Stelle liegen, an der sie sie berührt hatten. „Das ist dein Schicksal", murmelte er mit seiner rauen Stimme, dass es ihr einen wohligen Schauer über den Rücken jagte.
Sie wusste, er hatte recht. Die Götter hatten sie nach Angelland geführt und dies nicht nur wegen des Krieges. Nach den Bildern der Dunkelheit hatten die eines weißen Vogels und zweier schlagender Herzen gefolgt. Ihre Bestimmung lag hier. „Irgendwann werde ich ganz sicher nachhause zurückkehren", erwiderte sie mit Tränen in den Augen.
„Das wirst du. Und bis dahin wirst du deinen Weg an diesem Ort gehen. Du wirst den Teil des Volkes, der mit dir hierbleibt, führen, ihn beschützen, das weiß ich. Ich bin so stolz auf dich, Caja und deine Mutter wäre ebenso stolz auf dich gewesen." Er lachte leise, streichelte ihr durch das dreckige, blonde Haar.
„Irgendwann werden wir sie wiedersehen, wenn wir uns alle in der großen Halle Walhallas einfinden." Sie amtete tief durch.
„Kümmere dich nun um unsere Leute. Geselle dich zu ihnen um die Toten zu bejubeln. Ich werde gehen und mit Hrodwyn sprechen und im Morgengrauen werden wir den neuen Handel besiegeln." Sie löste sich aus seinem Griff, nickte ihm zu und trat dann vom Schiff.
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