Mittwoch, 04.06.1879
Erneut war eine Woche so schnell verstrichen, als wäre es nur ein einziger Tag gewesen. Jeden Mittwoch wachte ich auf und wusste instinktiv, was mich am Abend oder manchmal sogar noch früher erwartete. Alles war auf diesen einen Moment ausgerichtet. Und jetzt stand er mir wieder bevor, wo ich den letzten doch beinahe hätte vergessen können.
Vielleicht hätte ich auf Florence und hören und mit Lady Elizabeth sprechen sollen. Ich spürte noch immer, dass es mir nicht so gut ging, wie es hätte sein können und wenn ich James heute wieder von meinem Blut gab, würde es mir rapide schlechter gehen, dessen war ich mir sicher.
Den ganzen Tag über war mir schon übel bei dem Gedanken daran, was ich mich gleich erwartete und wann immer James in meine Nähe kam, krampfte sich das innere meines Bauchs noch mehr zusammen. Ich warf ihm immer wieder unsichere Blicke zu, ahnte jedes Mal, wenn er anfing zu reden, dass er mich bat, jetzt mit ihm zu kommen, doch es geschah erst am Abend, als ich mit nichts anderem mehr hatte rechnen können.
Es war beinahe eine Erleichterung, als James mir mitteilte, dass es nun an der Zeit war, sich für einige Minuten zurückzuziehen. Er sprach nie aus, was seine Absicht war, sondern hielt sich an die Etikette, ganz so, als wüssten die anderen nicht, was sein Anliegen war, obwohl dieses ihm doch so sehr am Herzen lag und er sich nicht scheute es zu erwähnen, wann immer wir unter uns waren.
Meistens störte ich mich daran, da ich keinen Sinn dahinter erkannte, die schöne Fassade zu wahren, wenn wir uns hinter dieser befanden, doch gerade war mir auch das gleich, denn endlich wurde ich vom Abwarten erlöst und wenigstens für einen kurzen Moment fiel die Spannung von mir ab, bevor sie sich erneut manifestierte, diesmal aus einem anderen Grund.
Wie in Trance folgte ich James, setzte einen Fuß vor den anderen, ohne überhaupt sagen zu können, ob ich meinem Körper befohlen hatte, es zu tun oder nicht. Jede Woche war es das gleiche und obwohl es noch nicht einmal ein halbes Jahr vergangen war, fühlte es sich für mich an wie eine Ewigkeit. Wie viel länger konnte diese noch werden?
Alles war wie immer. Ich folgte demselben Weg, krempelte meinen Ärmel nach oben und entblößte so mein Handgelenk, wo zwei verkrustete, kleine, kreisrunde Wunden zum Vorschein kamen, um die sich ein rötlicher Rand gebildet hatte, da die Haut an diesen Stellen so gereizt war und verzweifelt versuchte, sich selbst zu heilen, wovon sie jede Woche aufs Neue abgehalten wurde.
Doch ab da ging es nicht weiter. Als ich sah, wie James seine Hand nach einer austreckte, um meinen Unterarm zu seinem Mund zu führen, zog ich diesen instinktiv weg, noch bevor er mich berühren konnte und hielt ihn an meine Brust, damit er so nah an meinem Körper und so weit weg von ihm war wie möglich.
James sah erstaunt aus, wirkte so, als wüsste er nicht genau, was gerade vor sich ging, hielt mir seine geöffnete Hand auffordernd hin. „Na los!", schien sie zu drängen.
„Na los!", sagte James und die Illusion, es würde reichen, meinen Arm einfach wegzuziehen, verflüchtigte sich ins Nichts, denn er wartete gar nicht lange ab, sondern griff danach, worauf ich dieses Mal nicht vorbereitet war.
Als ich erneut versuchte, mich ihm zu entziehen, wurde der Druck seines Griffes stärker, sodass ich nichts weiter erreichte, als einen leichten Schmerz zu verspüren, ausgelöst durch seine fest umschließenden Finger. Jetzt gab es nur noch einen Weg.
„Ich will nicht! Hör auf und lass mich los!"
Meine Stimme hallte erstaunlich klar durchs Zimmer, laut und stärker, als ich es erwartet hätte. Es war unmöglich, dass er mich nicht verstand. Doch Verständnis war nicht rein akustisch und er sah mich bloß ratlos an.
Tränen stiegen mir in die Augen und ehe ich mir dessen bewusst wurde, was ich gerade getan hatte, brachen sie aus mir heraus, liefen meine Wangen hinunter, während ich anfing zu schluchzen. Jetzt bemerkte James doch, dass etwas nicht stimmt und ließ glücklicherweise meinen Arm los. Allerdings war es Unverständnis, das sich auf seinem Gesicht abzeichnete, als er mich weinend vor sich stehen sah, nahe einem Zusammenbruch.
„Was...?" Er schien keine Worte für das zu finden, was ich ihm gerade präsentierte und ich konnte es ihm nicht erklären, denn noch immer drang nur Schluchzen aus meiner Kehle, so sehr ich mich auch bemühte, wieder Fassung zu erlangen.
„Evelyn, beruhige dich." Es klang nicht so, als wüsste er, wie er reagieren sollte.
Doch ich wusste, welche Reaktion ich von ihm verlangte.
„Geh", schluchzte ich und sah ihn an, obwohl ich ihn kaum erkannte, da die Tränen meine Sicht verschleierten. „Bitte... Geh!"
„Nein."
Ein weiterer Schluchzer meinerseits war die unwillkürliche Reaktion darauf. „Verstehst du mich nicht James?" Ich wurde lauter. „Geh!"
„Was ist in dich gefahren?", bellte James mich daraufhin an, doch obwohl es mich dazu brachte, ein Stück weit von ihm abzuweichen, war ich nicht so verängstigt wie ich es hätte sein müssen. Anstatt pure Angst verspürte ich ein schweres Gewicht, das von mir genommen wurde.
Doch James sah diesen Akt der Befreiung anders als ich und langsam wich seine Verwirrung der Wut. „Letzte Woche habe ich es dir noch durchgehen lassen, doch heute ist kein Tag, über den du noch entscheiden kannst, da du deine Wahl schon längst getroffen hast. Wieso willst du jetzt auch darüber die Kontrolle an dich reißen? Denkst du, das hier ist ein Spaß, den ich mir erlaube?"
„Ich kann dir nichts mehr geben. Ich kann einfach nicht..."
Unwirsch schüttelte er den Kopf. „Natürlich kannst du. Und du musst, Evelyn. Was auch immer da gerade mit dir geschieht, es wird vergehen. Erinnerst du dich nicht mehr an das, was ich dir versprochen habe? Dass du mich lieben würde?"
Wenn ich mich jetzt nicht zusammenriss und ihn von meiner geistigen Vollmacht überzeugte, würde er mich für verrückt halten und sonst was mit mir anstellen. Ich schluckte und bereitete mich auf das vor, was es zu sagen gab, obwohl ich selbst nicht genau verstand, wieso ich ausgerechnet jetzt so reagierte. „Du sagtest, ich würde dich anbeten. Das ist nicht dasselbe, als würde ich dich. Du gibst mir allerdings für beides keinen Anlass. Ich hätte dich lieben können, wenn du mir weiterhin die Möglichkeit gegeben hättest, aber wie kann ich das tun, wenn du nicht einmal siehst, dass ich zusammenbreche, wenn ich dir weiterhin die Mengen gebe, nach denen zu verlangst?"
Beim Ende dieser kurzen Ansprache waren meine Tränen schon fast getrocknet, allerdings spürte ich auch, wie mich die Kraftlosigkeit langsam aber sicher übermannte.
„Du weißt doch, was es heißt, wenn du diese einfachen Anforderungen nicht mehr erfüllen kannst", flüsterte James beinahe. „Das kannst du mir nicht antun."
„Dann denk darüber nach, was du mir antust", presste ich hervor.
„Das habe ich, noch bevor wir uns überhaupt getroffen haben. Du schienst perfekt zu sein..." Die Verbitterung war nicht zu überhören.
Ich hingegen konnte gerade an nichts anderes denken, als das, was er da gerade so nebensächlich gesagt hatte. „Du wusstest, zu was du mich machen willst?"
Er nickte. „Natürlich. Das ist der Grund, weshalb du überhaupt hier bist. Du warst die Dienerin, die ich mir erträumt hatte und bis gerade bist du sie immer noch gewesen. Wieso zerstörst du jetzt schon alles?"
Ich schluckte schwer. Sie hatten meine Eltern manipuliert, sie hatten mich nur aus diesem einen Zweck hierhergeholt... Sie hatten mein Schicksal schon in der Hand gehabt, bevor Annabeth sich dazu entschlossen hatte, sich mir zu offenbaren.
„Ich zerstöre nichts. Ich versuche, mich zu retten. Ich kann dir gerade nichts geben. Nicht heute. So wie du den Drang verspürst zu trinken, spüre ich, wenn ich dir nicht mehr geben kann. Wir müssen das Gleichgewicht wahren, wenn es gut enden soll."
Ich versuchte meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, nichts weiter. Es konnte mir im besten Falle Zeit schenken, wenn ich James begreifbar machen konnte, dass er sich nur selbst schadete. Mich endgültig retten, konnte jedoch nur eine Kugel, eine Klinge oder etwas anderes Todbringendes.
„Einen Tag muss ich dir geben?" Er klang alles andere als zufrieden mit dieser Vorstellung.
Doch ich konnte ihm nicht mal das Versprechen geben, dass er morgen das bekam, wonach er verlangte. „Vielleicht... Wir müssen abwarten und du musst dir überlegen, wie viel zu wirklich brauchst. Solange du gesund bist, ist doch alles gut."
Aus einem unbestimmten Gefühl heraus, nahm ich sein Gesicht in meine Hände. Tatsächlich schien ihn diese Geste milder zu stimmen, denn er wirkte nun wieder besänftigter, seine Züge glätteten und entspannten sich unter meinen Händen.
„Ich kann nicht ewig warten, dass sich bei dir Besserung einstellt", erwiderte er nachdrücklich.
„Ich weiß", meinte ich resigniert.
„Ich habe in der letzten Woche wirklich mehr genommen als sonst. Deswegen werde ich die ein oder zwei Tage einräumen. Wenn das nicht ausreicht müssen wir jemanden konsultieren."
Ich fragte mich, ob er einen Arzt oder seine Eltern meinte, kam aber zu dem Schluss, dass das ohnehin keine Rolle spielte. Immerhin konnte ich heute durchatmen, doch war ungewiss, ob ich morgen oder übermorgen bereit sein würde oder überhaupt jemals wieder.
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