Zwei Zentimeter
"Wir waren mit dem Krieg nicht vertraut, uns kam das alles ganz furchtbar vor. Wenn nachts die Luftwaffe flog, Leuchtraketen abgeschossen wurden und das Bombardement begann - ich hielt das kaum aus. Offen gesagt, andere waren mutig - ich nicht." (Alexander Parchomenko)
Jewa schloss die Augen, dumpfer Schmerz hatte sich in ihr breit gemacht. Die junge Frau hustete, schloss die Augen. Verzweifelt stellte sie fest, dass die Blutung nicht stoppte. Man hatte sie entdeckt, ein gegnerische Schütze hatte zu geschossen. Ihre Atmung ging flach, ihr Überlebenswillen hatte sie schon längst verloren. Schüsse, Schüsse und noch mehr Schüsse. Wenn der Teufel sich eine Hölle auf Erden ausgesucht hatte, dann war sie hier, hier in den Mauern der Stadt die die Deutschen bis zu 80 Prozent eingenommen hatten.
"Jewa!" Neben der jungen Frau ließ sich Juri nieder und drückte die Wunde zu. Zwei Zentimeter neben dem Herzen war das Geschoss eingeschlagen. "Helft mir! Sie muss ins Lazarett!" Hastig nahm ein weiter junger Mann, die Adjutanten Tochter hoch. Schüsse trafen die roten Banksteine über oder neben ihnen, für Jewa war jedes Gefühl von Zeit zum Stillstand gekommen. Die hastigen Bewegungen vernahm sie nur doch in Zeitlupe, ihre braunen Augen blinzelten nicht bis kaum. Der Schmerz hatte sie in der Hand und raubten ihr den Verstand, unter Todesqualen wand sich die junge Frau in den Armen der Männer die sie aus den Trümmern brachte.
Arthur Iwanow stand im Lazarett in der Nähe der Stadt Stalingrad. Das rote Kreuz was auf einer Armbinde zu sehen war, wurde beinahe überschattet von getrocknetem Blut, er kam aus dem Operieren gar nicht mehr heraus! Anders als seine Schwester, war er auch vor dem Krieg ein Mitglied der Roten Armee gewesen, hatte sich zum Oberarzt hinauf gearbeitet. Viele Blutige Massaker hatte er schon erlebt, doch nichts war so blutig wie die Stadt der Hölle, die der Genosse Stalin so unbedingt halten wollte. Immer wieder kamen verwundete, bei den meisten machte man nicht einmal mehr Operationen, da es unnötige Zeit und Materialverschwendung war. "Herr Doktor!" Man rief nach ihm, zwei Burschen liefen mit einer Trage auf ihn zu.
Eigentlich wollte er bei dem hohen Blutverlust und dem Einschuss direkt neben der linken Herzkammer dem Soldaten keine OP geben, doch als er das verdrecktes und Blutverschmiertes Gesicht erblickte, erschrak er zu Tode. Dort auf dem dreckigen Stoff Lag seine kleine Schwester. "Schwester Daria, sie muss in den OP SOFORT!" Juri erblickte noch zittrig wie zwei Schwestern, seine Freundin hoch nahmen und sie in den benachbarten Raum schafften.
Die junge Frau stand in dem eleganten privaten Büro, der Mann vor ihr kehrte ihr den Rücken zu. "Habe ich dir nicht gesagt dass du mich nicht enttäuschen sollst!" Die Stimme des Mannes war rau und tief und dennoch bedrohlich. In seiner Hand hielt der Adjutant des Staatsoberhauptes das leere Glas aus dem er sich, eben einen großen Schluck Wein genehmigt hatte. Seine braunen Augen, die man auch in dem Gesicht seiner Tochter fand waren beinahe zu Schlitzen verzogen.
"Entschuldigung dass es beim Kämpfen auch bewaffnete Feinde gibt!" Jewas Stimme war hart und ohne jegliche Emotionen. Wann hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen so verschlechtert? Jewa war eine andere, der Krieg hatte sie verändert, hatte sie hart und reifer werden lassen, doch vor dem zwei Meter Riesen fühlte sich die 22 Jährige jedes Mal wieder wie ein kleines Kind. Warum konnte er nicht einmal mit ihr zufrieden sein? An ihrer Uniform prangten die Tapferkeitsmedaille, das Zeichen für die Edelschützen, die Medaille für Verdienste im Kampf und der Orden bester Schütze und dennoch war er nicht zufrieden! Was sollte sie denn noch tun um ihm zu gefallen? Wollte sie das überhaupt noch?
Die neue Ehefrau trat in den Raum, die ehemalige Haushälterin. Jedem in der Familie war bewusst gewesen, das der Familienvater nicht für Treue bekannt war und ein langjähriges Verhältnis mit Olga führte. Jewa mochte Olga, seid dem sie klein war arbeitete die Frau im Dienste der Familie und für die Scharfschützin war sie beinahe eine weitere Mutter Figur.
"Ich habe gehofft und gebetet und jetzt hat uns der gute Gott Ewa zurück geschickt." Fröhlich nahm die kleine rundliche Frau die 24 Jährige in die Arme. "Tut es sehr weh Liebes?" Jewa wollte am liebsten schmerzhaft aufstöhnen, doch sie verbot es sich selbst. "Es geht schon Olga, mach dir keine Gedanken." Drei Wochen sollte sie hier verweilen, dann würde es ohne Umwege direkt wieder nach Stalingrad gehen. Drei Woche Pause von der Hölle, eigentlich sollte sie jubeln und sich freuen, doch das hier war eine andere Art der Hölle.
Der zwei Meter große Mann in der Uniform blickte nur kühl auf seine Tochter, seine letzte noch lebende Tochter. "Ja sie." Jewa war ihm immer das unliebste seiner Kinder, starr und störrisch wie ein Esel. Ungezogen, beinahe schon eine Nutte! Seine beiden anderen Töchter hatten ordentlich geheiratet, Offiziere und hatten sich voll und ganz dem Bereich einer Frau gewidmet dem Haushalt. Sein einziger Sohn war Oberarzt, der Beste seines Jahrganges gewesen und da war Jewa. Keine Nennwerte Qualitäten hatte sie vor zuweisen, keine ordentliche Ehe, einen verlausten Schneider hatte die jüngste geheiratet. Sie kämpfte an der Front, in seinen Augen war die jüngste der Familie vermutlich nur eine Matrartzenreiterin, die sich die bestätigten Abschüsse erschlaffen hatte.
"Tut mir Leid den zwei Zentimetern gefehlt haben. Dann wärst du mich Abschaum auch endlich los. Keine Sorge in drei Wochen bin ich wieder weg, dann musst du mich nie wieder sehen." Die Stiefel der Unteroffizieren knarzten auf dem Boden als sie sich von ihm abwandte und in ihr altes Zimmer ging. Stumm legte sie die Uniform ab und nahm aus dem Schrank ein grünes Kleid. Für drei Wochen wäre ihr Leben normal. Wie es Juri ging? Ob er noch lebte? Die Finger der jungen Frau strichen über die Medaillen und den Orden, am Ende waren sie doch nichts wert.
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