Teil 5 - Wahrheit
Sie kamen gut voran. Kelron konnte früh am nächsten Morgen wie erhofft bei einem der Bauernhöfe auf ihrem Weg zwei Pferde und Vorräte erstehen. Der Bauer, der die Paladine natürlich kannte, schien keinen Verdacht zu schöpfen; im Gegenteil, er wies Kelron noch darauf hin, dass es für einen umherziehenden jungen Schwertkämpfer vielleicht nicht schlecht sei, in Burg Nordwall nach Arbeit zu fragen. Kelron dankte ihm höflich, zog mit den neuerstanden Pferden demonstrativ Richtung Burg zurück und wechselte dann hinter einem Hügel die Richtung, um sich wieder mit Silverian zu treffen.
Dieser hatte es sich in einer kleinen Höhle unter einigen alten, knorrigen Bäumen bequem gemacht und schlief bereits tief und fest, als Kelron zurückkehrte. Dieser hatte sich natürlich so sehr beeilt, wie er nur konnte, um den Vampir möglichst nicht lange bei Tageslicht allein zu lassen. Sie hatten während der Nacht bereits überlegt, wie sie möglichst schnell vorankamen, aber wenn sie die Nächte durchritten, mussten sie sich während des Tages gut verstecken. Vorerst brauchten sie jedoch einen guten Vorsprung, und da dem Vampir das Tageslicht nichts ausmachte, hatte Kelron vorgeschlagen, einfach weiterzureisen. Silverian hatte erst gezögert, doch dann war er einverstanden gewesen.
Kelron fand es noch immer erstaunlich, wie sehr der Vampir ihm vertraute. Schließlich hatte Silverian keinerlei Versicherung, dass Kelron ihn tagsüber nicht einfach wieder den Paladinen auslieferte.
Doch Kelron hatte das keineswegs vor. Er nahm seinen Schwur ernst, und das beinhaltete auch, den Vampir zu beschützen. Er band zuerst die Pferde aneinander, dann griff er vorsichtig nach den Zipfeln von Silverians Umhang, wickelte den Vampir darin ein und hob ihn hoch. Dieser war erstaunlich leicht, sodass es für Kelron überhaupt kein Problem war, ihn einfach vor sich in den Sattel zu nehmen und loszureiten.
Kelron hatte nur eine vage Richtungsangabe, der er folgen konnte, aber das genügte schon. Er machte nur wenige Pausen, um zu essen und sich ein bisschen auszuruhen, und als der Abend hereinbrach, hatte er das sichere Gefühl, eine gute Strecke zurückgelegt zu haben. Und was noch viel wichtiger war: er war unterwegs niemandem begegnet, und Verfolger waren auch keine zu sehen.
Kelron merkte, wie Silverian sich bewegte und langsam aufwachte. Für einen kurzen Moment schien dieser orientierungslos, dann jedoch schob er die Kapuze beiseite und sah Kelron über die Schulter hinweg an.
"Ich hoffe, ich war nicht zu schwer?", fragte er.
"Ach was", gab Kelron zurück und brachte sein Pferd zum Stehen. "Aber es ist vermutlich angenehmer, wenn du selber reitest."
"Du bist ja schon wieder besorgt um mich", neckte Silverian ihn und glitt mit einer anmutigen Bewegung aus dem Sattel. Dann ging er zu seinem Pferd, knotete die Zügel von Kelrons Sattel ab und schwang sich auf den Rücken seines Reittiers. "Und falls du nicht zu müde bist, würde ich gern etwas Tempo vorlegen."
"Eine durchwachte Nacht halte ich aus", erwiderte Kelron. "Oder besser, einen durchwachten Tag. Ich werde mich wohl vorerst deinen Gewohnheiten anpassen müssen."
Silverian schmunzelte. "Das weiß ich zu schätzen." Dann gab er seinem Pferd die Sporen und preschte die Ebene hinunter. Kelron folgte ihm.
Gut zwei Stunden vor Sonnenaufgang hielten sie an, um für den Tag zu rasten. Sie hatten ein kleines Wäldchen erreicht, durch das ein klarer Bach floss. Kelron versorgte die Pferde und tat sich dann an seinem Proviant gütlich. Ein Feuer anzuzünden war zu riskant, aber es war nicht so kalt, als dass er es benötigt hätte. Schließlich machte er es sich gegen einen Baumstamm gelehnt gemütlich und beobachtete den Vampir, der sich, ungeachtet der Kälte des Baches, zu einem Bad entschlossen hatte. Schließlich stieg dieser langsam wieder aus dem Wasser.
Im Licht des schwindenden Mondes, das durch die Wipfel der Bäume fiel, funkelte jeder einzelne Wassertropfen auf Silverians Haut und überspielte gnädig alle Wunden. Die nassen Haare umschmiegten ihn wie Seide und betonten jede Kontur.
Kelron begriff, dass er starrte und zwang sich, den Blick abzuwenden. Als er wieder aufsah, hatte der Vampir zumindest wieder Hosen und Stiefel angezogen und die noch feuchten Haare zu einem Zopf geflochten.
"Kelron, ich brauche dein Schwert", erklärte Silverian leise. "Ich muss das Silber in meiner Haut loswerden."
Kelron zuckte unwillkürlich zusammen, als er daran dachte, dass es dafür nur eine Möglichkeit gab. Er zog seine Waffe und wollte sie dem Vampir reichen, dann zögerte er. "Setz dich, ich mache das."
Silverian tat wie geheißen. "Jetzt bekommst du doch noch die Chance, mich aufzuschlitzen", scherzte er schwach, doch Kelron sah ihn finster an. "Halt still. Ich fange mit den kleineren Wunden an."
Stück für Stück kratzte er mit seiner Klinge das eingebrannte Silber aus der Haut des Vampirs. Dieser gab keinen Laut von sich, obwohl er das Gesicht ein ums andere Mal verzerrte und die roten Augen verräterisch feucht glitzterten. Doch er war wohl entschlossen, keine Schwäche vor Kelron zu zeigen.
Schließlich war nur noch das eingebrannte Wappen der Paladine übrig. Kelron wollte sich daran machen, doch Silverian schüttelte den Kopf. "Die Sonne geht gleich auf. Ich brauche erst Blut."
Wortlos krempelte Kelron den Ärmel seines Hemdes hoch und wollte mit seinem Schwert einen kleinen Schnitt anzubringen, doch der Vampir nahm den Arm und senkte seine Lippen auf die Haut an der Innenseite.
Kelron verspürte einen leichten Stich, als die scharfen Zähne sich in sein Fleisch bohrten, doch im nächsten Moment hatte er jegliches unangenehme Gefühl vergessen. Das nur allzu vertraute Feuer züngelte seinen Arm hoch, um sich in seinem Körper auszubreiten, und er hatte alle Mühe, keinen Laut von sich zu geben.
Silverian trank einige Schlucke, aber nicht soviel, als dass Kelron schwindelig geworden wäre. Schließlich leckte Silverian fast zärtlich über die Wunde, was Kelron erneut erschauern ließ, bevor dieser ihn losließ.
"Versuch, dich auch etwas auszuruhen", riet Silverian ihm, ehe er sich gegen den Baum lehnte und die Augen schloss. Erste Sonnenstrahlen funkelten durch das dichte Blätterwerk der Bäume.
Kelron verband seinen Arm, dann beschloss er, dass es wohl das Beste sei, seine Arbeit zu vollenden – besonders, da Silverian es jetzt nicht mehr merkte. Er legte den Vampir auf den Rücken und kratzte mit seiner Schwertklinge Fingerbreit für Fingerbreit das Silber aus der Wunde. Silverian rührte sich dankbarerweise nicht.
Nach einer halben Ewigkeit war Kelron endlich fertig. Die Wunde sah furchtbarer denn je aus, aber nun konnte sie endlich verheilen und die makellose Schönheit der hellen Haut wieder herstellen. Kelron wickelte Silverian vorsichtig in dessen Hemd ein und hielt ihn dann einfach fest. Er selbst spürte erst jetzt eine bleierne Müdigkeit, noch verstärkt durch den Blutverlust. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Die folgenden Nächte vergingen recht eintönig. Sie ritten, so schnell es ihre Pferde zuließen, und rasteten nur wenig, bis sie am Morgen erneut einen ausreichend sicheren Platz dafür gefunden hatten. Silverian hielt sich mit dem Bluttrinken zurück, und Kelron übte sich tapfer in Selbstkontrolle, die ihm jedoch immer schwerer fiel.
Schließlich erreichten sie die Ausläufer des Waldes am Fuß der Schattenberge. Dunkel und bedrohlich ragten die alten, riesenhaften Bäume auf und schienen kaum Licht durchzulassen. Kelron war überhaupt nicht wohl dabei, durch diese Finsternis zu gehen, in die nicht einmal der Mond und die Sterne vordrangen, doch er hatte keine Wahl. Vorsichtig und wachsam um sich blickend folgte er Silverian. Sie gingen zu Fuß weiter; der Vampir hatte erklärt, dass man sich um die Tiere kümmern würde, aber der Wald war einfach zu dicht, um zu Pferd weiterzukommen. Und in der Tat mussten sie sich durch dickes Gestrüpp kämpfen und über umgestürzte Baumstämme klettern. Es war fast so, als hätte nie ein Menschen oder ein Vampir diesen Wald betreten.
Als Kelron Silverian danach fragte, erwiderte dieser: "Dieser Wald ist etwas besonderes. Man kann keinen Weg hineinschlagen und auch keiner Karte folgen. Wenn man ihn betritt, muss man genau wissen, wohin man gelangen möchte, oder man irrt auf ewig im Kreis herum."
Diese Aussicht war alles andere als verlockend, und Kelron hoffte inständig, dass der Vampir auch wirklich den Weg kannte.
Unzählige Stunden schienen sie gewandert zu sein, als sie schließlich unvermittelt eine Lichtung erreichten. Kelron war so überrascht, dass er fast nicht auf seine Füße geachtet und über eine Wurzel gestolpert wäre. Einige Dutzend Schritte vor ihnen erhob sich ein prächtiges Schloss. Die Mauern waren von Blättern umrankt, und die spitzen Zinnen ragten wie Zähne gen Himmel, jedoch nicht höher als die Wipfel der riesigen Bäume. Licht brannte hinter einigen Fenstern.
"Das ist die Festung Drakvil", erklärte Silverian. "Komm."
Als sie näher traten, lösten sich vier Gestalten aus den Schatten. Sie trugen dornenbewehrte Rüstungen und gezackte Schwerter, unverkennbar Krieger Fürst Valendars.
Kelrons Hand griff instinktiv zum Knauf seines Schwertes, doch dann zwang er sich, ruhig zu bleiben. Noch immer schützte ihn das Wort des Vampirs, und er durfte sich auf keinen Fall zu unüberlegten Handlungen hinreißen lassen.
Die Krieger schienen Silverian zu erkennen, denn sie verneigten sich leicht und machten den Weg frei. Dieser wechselte einige leise Worte mit ihnen, die Kelron nicht verstand, doch es waren wohl Anweisungen, ihm nichts zu tun, denn die Krieger eskortieren sie in gebührendem Abstand zum Tor und öffneten es.
Die Halle dahinter war von Kerzen erleuchtet, deren Licht sich auf schwarzem, poliertem Stein widerspiegelte. Einige Personen huschten umher, die Kelron schließlich als Menschen erkannte. Sie waren gut genährt und gekleidet und sahen keineswegs wie Gefangene oder Sklaven aus, das musste er zugeben. Sie verneigten sich zwar vor Silverian, doch ihre Körperhaltung sprach nicht von Furcht, sondern nur von Respekt.
Der Vampir hatte also wirklich nicht gelogen.
Kelron folgte SiIverian einige Flure und Treppen entlang bis zu einer Tür. "Du kannst dich hier ausruhen und frisch machen", erklärte dieser. "Ich werde nicht von dir verlangen, deine Waffe abzulegen, aber wenn du sie gebrauchst oder ohne Erlaubnis dieses Zimmer verlässt, betrachte ich jegliche Abmachung als nichtig. Ich werde nun den Fürsten informieren. Ich bin sicher, er wird dich später sehen wollen."
Kelron nickte und betrat das Zimmer. Auch hier brannten Kerzen, und er konnte ein opulentes Bett und edle Möbel erkennen, die einem Adeligen würdig waren. Dann jedoch wandte er sich wieder zu dem Vampir um.
"Und was wird aus dir? Wenn Fürst Valendar mich töten sollte – was ich nicht hoffe..."
"Lass das meine Sorge sein", erwiderte Silverian mit einem seltsamen Lächeln. "Wir sehen uns später, Kelron." Dann schloss er die Tür.
Kelron wäre ihm fast nachgelaufen, beherrschte sich aber. Er musste warten und sich vorbereiten; nicht nur körperlich, sondern vor allem geistig. Denn wenn er Fürst Valendar wirklich gegenübertreten sollte, dann musste er all seine Kräfte beisammen haben.
Kelron erkundete seine vornehme Unterkunft und fand hinter einer Tür einen Waschraum samt Badewanne, von der er erst einmal Gebrauch machte. Rasiermesser standen ebenfalls zur Verfügung, und nachdem er sich frisch gemacht hatte, legte er sich aufs Bett und versuchte, sich zu sammeln. Er war zwar ein wenig erschöpft von der Reise, aber nicht wirklich müde. Und selbst wenn, er hätte jetzt nicht schlafen können. Der Moment, auf den er sein Leben lang gewartet hatte, stand kurz bevor.
Einige Stunden später durchbrach ein Klopfen an der Tür die Stille. Kelron stand auf, gürtete sein Schwert um und öffnete die Tür. Dort stand ein Vampir in einem eleganten, dunkelroten Gewand. Er war fast so groß wie Kelron und ähnlich kräftig gebaut, und seine roten Augen funkelten herausfordernd in dem bleichen Gesicht, das durch die Schwärze seiner Haare noch betont wurde.
"Paladin Kelron? Ich bin Ardan, rechte Hand und Heerführer von Fürst Valendar. Bitte komm mit mir."
Kelron tat wie geheißen, wobei er Ardan genau im Auge behielt. Der Vampir war jeden Zoll ein Kämpfer, das spürte Kelron, und plötzlich hoffte er inständig, dass Fürst Valendar ihn nicht an Schwertkunst übertraf.
Als hätte Ardan Kelrons Gedanken gehört, wandte dieser sich zu ihm um und lächelte grimmig. "Du hast Angst."
Kelron runzelte die Stirn. "Wollt Ihr mich herausfordern?"
Ardan lachte. "Ich? Ich hätte dich in zwei Minuten besiegt, Mensch. Aber leider habe ich genaue Anweisungen meines Fürsten."
"Und das passt Euch nicht", mutmaßte Kelron.
"Das soll nicht deine Sorge sein. Und ich stelle die Anweisungen meines Fürsten nicht in Frage", erklärte Ardan stolz.
Kelrons Neugier war gegen seinen Willen geweckt. "Warum folgt Ihr ihm?", wollte er wissen.
"Weil er ein großer Anführer ist, weise und gerecht. Wir alle vertrauen ihm, uns in eine bessere Zeit zu führen." Wieder funkelte Ardan Kelron an. "Solltest du ihn besiegen, besiegst du uns alle, Mensch. Aber deswegen bist du ja hier, nicht wahr?"
Ehe Kelron zu einer Antwort ansetzen konnte, blieb Ardan vor einem großen Tor stehen, das von zwei Wachen flankiert wurde. Auf seinen Wink hin öffneten sie die großen Flügeltüren.
Kelron atmete tief durch, straffte seine Gestalt und betrat den Saal dahinter.
Es war ohne Zweifel Fürst Valendars Thronsaal. Ein hohes Dach wölbte sich in marmorner Anmut gen Himmel, gestützt von schlanken Säulen. Die steinernen Wände waren mit Tapisserien geschmückt, und ausladende silberne Kerzenleuchter standen Spalier wie Soldaten.
In der Mitte des Saales war ein leicht erhöhter Sitz aufgebaut, der von mehreren, im Halbkreis angeordneten Stühlen flankiert wurde. Der rechte Stuhl neben dem Thron war noch frei, und Ardan nahm dort Platz. Die anderen Vampire, allesamt in langen, dunkeln Roben und mit zeitlosen, kühlen Gesichtern, musterten Kelron mit offenem Ärger. Silverian war nicht unter ihnen.
Auf dem Thron in der Mitte saß eine Gestalt in einer dunkelroten Rüstung. Ein langer, samtener Mantel in tiefstem Karmesin umrahmte sie wie einen See aus Blut, während sie reglos Kelron entgegenblickte, eine gepanzerte Hand um den Griff eines gezackten Schwertes gelegt.
Kelron fühlte, wie sein Herz zu rasen begann, während die Erinnerungen in ihm hochstiegen. Hier war sie, die Gestalt aus seinen Alpträumen. Und diesmal war er kein hilfloses Kind, sondern ein Paladin, bereit, seiner Angst die Stirn zu bieten.
"Paladin Kelron?" Fürst Valendars Stimme hallte von den Wänden wider, hart und ehrfurchtgebietend. "Tretet näher."
Kelron tat wie geheißen, ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen. "Fürst Valendar, ich bin hier, um Euch zum Duell zu fordern!", erklärte er mit fester Stimme.
Der Vampirfürst zögerte kurz, dann erhob er sich von seinem Thron. Als er auf Kelron zukam, erkannte dieser, dass Valendar keinesfalls die riesenhafte Gestalt war, die er in Erinnerung hatte, sondern nicht größer war als er selbst.
"Du bist also fest entschlossen, mich zu fordern?", fragte der Fürst. "Obwohl du inzwischen wissen müsstest, dass es keinen Grund dafür gibt?"
"Es gibt noch Gründe genug!", erwiderte Kelron mit gerunzelter Stirn. "Und selbst wenn ihr Vampire nicht die Monster seid, für die ich euch hielt, so vertraue ich in diesem Fall meinem alter Meister. Er sagte immer: 'Du kennst jemanden erst wirklich, wenn du mit ihm die Klingen gekreuzt hast'."
"Dann sei es so." Valendar hob sein Schwert und wandte sich zu den anderen Vampiren um. "Ihr seid Zeugen dieses Duells."
Diese nickten stumm. Jedem von ihnen war anzusehen, dass sie es jedoch nicht guthießen, was hier geschah.
Kelron zog seine eigene Waffe und ging in Stellung. Seine Gedanken rasten, aber er zwang sich, ruhig zu bleiben und seinen Gegner genau zu beobachten. Völlig leidenschaftslos konnte er auf keinen Fall kämpfen, doch er musste seine Kraft in die richtige Bahn lenken und nicht in blinden Zorn verfallen.
Endlose Sekunden fochten ihre Blicke ein stilles Duell, dann blitzte etwas in den roten Augen des Fürsten auf. Kelron reagierte sofort und parierte den ersten Hieb, dann den zweiten, bevor er selber zum Angriff überging. Wieder und wieder kreuzten sich ihre Klingen. Die beiden Kontrahenten wichen aus, parierten, gingen einen Schritt zurück oder vor, taxierten sich erneut. Es war wie ein Tanz, ein Lauern auf ein Anzeichen von Schwäche. Kelron war klar, dass Fürst Valendar sich zurückhielt und erst einschätzen wollte, zu was Kelron wirklich fähig war. Also war es wichtig, sich noch nicht aus der Reserve locken zu lassen.
Die Zeit stand still. Kelron spürte weder Müdigkeit noch Erschöpfung, auch keine Angst oder Sorge, diesen Kampf verlieren zu können. Es gab nichts mehr außer den Klingen der Schwerter und den Augen seines Gegners. Doch ewig konnte es nicht so weitergehen; früher so später musste einer von ihnen einen Fehler machen, und derjenige war vermutlich Kelron. Und deswegen musste dieser auch seinen Vorstoß machen, ehe es zu spät war. Er brauchte den alles entscheidenden Ansporn.
Doch wofür kämpfte er überhaupt? Was brachte es, wenn er gewann? Selbst wenn er Fürst Valendar tötete, erweckte das seinen Vater und die Bewohner seines Dorfes nicht mehr zum Leben. Und ohne ihren Anführer würden die Vampire dem Ansturm der Paladine früher oder später erliegen, wie Ardan ihn erinnert hatte.
Doch wenn Kelron selbst starb, würde auch Silverian sterben müssen.
Unvermittelt erfasste Kelron eine heiße Woge gerechten Zorns. Er war nur eine kleine Figur auf einem sehr großen Spielfeld und gewiss nicht der große Held, der alle zu retten vermochte. Aber er wollte Silverian retten. Das Unrecht wieder gut machen, dass dem Vampir widerfahren war. Ihn beschützen.
Kelrons Lebens gehörte ihm nicht mehr allein.
Fürst Valendar war von der Heftigkeit der Attacke offenkundig überrascht, denn seine Reaktion kam Sekundenbruchteile zu spät. Kelrons Schwert bohrte sich in dessen Schulter und durchdrang ein Stück weit die Rüstung. Der Vampir taumelte rückwärts und hätte beinahe seine eigene Waffe fallengelassen. Doch dann fing er sich, um den nächsten Schlag zu parieren.
Kelron war jedoch nicht mehr aufzuhalten. Immer schneller wurden seine Bewegungen, immer deutlicher konnte er vorausahnen, was der Vampirfürst als Nächstes tun würde. Kelron hatte sich niemals zuvor so ruhig und klar gefühlt. Doch es lag nicht daran, dass er ohne Gefühl kämpfte, wie sein Meister ihm jahrelang eingetrichtert hatte. Nein, es war, weil er für jemand anderen kämpfte, nicht nur für sich selbst.
Valendar machte zwei Schritte rückwärts, und Kelron sah seine Chance. Mit einem mächtigen Hieb schlug er dem Vampirfürsten die Waffe aus der Hand.
Schweratmend hielten beide inne. Ardan und die anderen Vampire waren von ihren Sitzen aufgesprungen und starrten Kelron wie gebannt an. Keiner jedoch machte Anstalten, einzuschreiten.
"Beende es", forderte Valendar leise ihn auf. "Es ist dein Recht, Kelron."
Dieser schüttelte den Kopf. "Nicht, bevor ich nicht die ganze Wahrheit kenne. Ich will alles über die Vampire und ihre Beweggründe erfahren. Und ich will Euch ins Gesicht sehen."
Der Vampirfürst zögerte, dann hob er seine unverletzte Hand und nahm den Helm ab. Silberweißes Haar quoll darunter hervor.
Kelron keuchte erschrocken auf, als er in Silverians Gesicht blickte. "Das... das kann nicht wahr sein!"
"Doch, das ist es", erwiderte sein Gegenüber. "Ich bin Fürst Silverian Valendar."
Fortsetzung folgt...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro