Kapitel 26;2 - Stadt der Dunkelheit
Rhun horchte den kräftigen, vollen Lauten der Monster.
Es glich Musik — eine Hymne zum Kampf.
Die Töne schwollen an und für einen Moment bildete der Cruor sich ein, eine Melodie herauszuhören.
»Solche Scheiße«, kommentierte Chase.
Rhun nickte in stummer Zustimmung.
Wie eine Wache besetzten die Monster den Torbereich. Sie standen darum verteilt, schienen sie zu beobachten, darauf wartend, dass sie naiv genug wären, näherzutreten.
»Sollen wir einen anderen Weg wählen?«, fragte Oryn.
»Wenn sie diesen Ausgang besetzen, dann doch wohl jeden, oder etwa nicht?« Rhun war nicht gewillt, weitere Zeit in Brus zu verschwenden... und sein Leben zu riskieren.
Dolunay ließ von Chase ab, rannte in die Nacht hinein, um weitere herumstehende Wesen auszuschalten.
Harding folgte ihr, als könnte er zu ihrem Schutz etwas beitragen.
Drei weitere Menschen gesellten sich zu Rhuns Gruppe und stellten sich in den Schein, den Oryn ausstrahlte.
Allmählich wurde es eng... Und hätten sie keine Kerzen bei sich getragen irgendwas, hätte der Cruor sie vermutlich fortgeschickt.
»Wollen wir da jetzt durch, oder wie?«
Ein bestialischer Laut erklang unmittelbar über ihnen.
Eine dunkle Gestalt tauchte zu ihrer Linken auf, starrte Rhun mit geweitetem Maul an.
Dieser griff zu seinem Messer.
Er könnte doch nicht blind auf diese Viecher einstechen... Sollte er ein Wesen so seinem Dasein berauben?
Die Bestie lehnte sich gezielt zu ihm vor, als wolle sie ihn herausfordern.
Rhun duckte sich, doch das Monster war schneller.
Er spürte die nackte Haut der Gestalt an seinen Hörnern, während er sich hinkniete. Fast wäre er über seinen Mantel gestolpert, als er nach hinten wich.
Gerade als ihm Kenga zu Hilfe eilen wollte, kamen mehr Wesen auf die Gruppe zu und stürzten sich auf die Armen.
Das Wesen packte Rhuns Hörner. Er ächzte, als er sich nach vorne streckte. Er griff nach hinten, packte etwas Kalten, stieß das Wesen an die Wand.
Das Geschöpf riss den Kopf in seine Richtung, um ihn zu beißen.
Der Cruor schaute um sich — beobachtete, wie immer mehr Wesen von dem Viertel in ihre Richtung flitzen. Schaurige Gestalten, mit gekrümmten Rücken, stürmten direkt auf Rhun zu.
Der trat einen Schritt nach hinten, doch der Kopf des Geschöpfs schnellte erneut nach vorne.
Mit einer schnellen Bewegung konnte er den Hals abfangen — er drückte zu; während er es zurückstieß. Ein solches Wesen zu berühren, war, als würde man auf raue Seide fassen.
Beinahe automatisch flog seine Klinge auf die Bestie zu. Ein leichter Widerstand; abgelöst von der Wahrnehmung, als würde man mit einem Messer in nassen Sand stechen.
Um seine Hände bewegte sich die Haut des Monsters. Als dunkler Strom flossen die Überreste vor seine Füße.
Oryn packte ihn am Arm. Sein Lichtkegel ließ ein anderes Wesen zurückschrecken, das Rhun attackieren wollte.
Die anderen liefen ihnen hinterher — sie hielten unmittelbar auf das Eisentor zu. Wie ein Mahnmal zeigte es sich vor dem Nachthimmel; die Kanten stachen hervor und ließen es unerklimmbar erscheinen.
Ein Schauer jagte über seinen Rücken.
Dolunay tauchte mit Harding neben ihnen auf. Die Aart musste jedoch schnell stehenbleiben, um einen weiteren Angreifer abzuwehren.
Rhun fixierte das geöffnete Eisentor.
Sie verließen die Straße, hin zu dem offenen Platz, der den Ausgang aus Brus freilegte.
Die Monster nahmen ihre Nähe als Aufruf zum Kampf wahr.
In einem von Schreien untermauerten Rausch flitzten sie vorwärts — andere verharrten in ihrer Position... Sie bewachten das Tor, als hätten sie einen taktischen Plan.
Rhun hielt sich neben dem Aart, in der Angst, andernfalls angegriffen zu werden. Die Wesen würden nicht weniger werden. Sie konnten wiederauferstehen. Die Gruppe war ihnen ausgesetzt, ohne einen Fortschritt zu machen.
Dolunay warf sich zwischen zwei Wesen, durchtrennte sie mit einer anmutigen Drehung ihres Schwerts. Sie duckte sich, als ein weißes Monster sie zu erstechen versuchte.
Oryn verließ seine Position als rettender Lichtkegel. Er eilte zu ihr.
Rhun stand ohne Schutz auf einem Schlachtfeld.
Immer mehr Menschen aus dem Armenviertel sammelten sich als Traube hinter ihm, nahmen die Kinder in die Mitte.
Es war ein grauenhaftes Bild reinen Elends.
Rhun lief ohne Licht in die Dunkelheit hinein, ließ sich selbst dann nicht bremsen, als verlockende Stimmen in sein Ohr flüsterten.
Sie erzählten alte Geschichten seiner Kindheit; eines sang ein Lied.
Während die anderen weit entfernt waren und damit beschäftigt, sich zu verteidigen, bemühte er sich, einen Weg zum Tor zu schaffen.
Wären dort nicht diese Stimmen. Verdammt, sie kamen aus den hintersten Nischen der Häuser; wo selbst das Mondlicht nichts offenbarte.
Was würde dort auf ihn lauern?
Rhun gab beinahe seiner Neugierde nach, doch scherte zur anderen Seite ein, als drei Wesen auf ihn zuliefen.
Er griff zu seinem Messer.
Ein spitzer Arm wurde nach ihm ausgestreckt; Rhun konnte ihm nur mit Mühe ausweichen, stach mit seinem Messer in den Nacken der Kreatur. Mehrfach trieb er das Eisen in das Ungetüm, ehe sie zu Boden ging.
Die andere beiden waren hinter ihm aufgetaucht. Rhun spürte einen kalten Zug an seinem Nacken. Als er sich umdrehte blickte er einer weiteren Bestie in das Gesicht. Die verschrobenen Strukturen; die unangenehm einheitliche Haut... es erinnerte ihn an eine schaurige Nachbildung seines eigenen Körpers.
Rhun griff zur Seite, packte eine andere Gestalt an den Schultern, warf sie blind auf die anderen.
Ein spitzer Arm wurde tödlich in seine Richtung geschleudert und schnitt durch seinen Mantel.
Er stürzte sich neben sie auf den Boden, stach mit seinem Messer wieder zu. Schnell musste er allerdings innehalten, als er realisierte, dass etwas unter seiner Berührung weggebrochen war.
Rhun zog die Klinge wieder heraus.
Sein Messer war abgebrochen, in zwei Teile gespalten.
Er schmiss es auf den Boden, rannte zu den Aart.
Er brauchte jemanden, der ihn beschützen konnte.
Ein eisiges Gefühl des Unbehagens zog seinen Nacken aufwärts. Wie eine zweite Haut bettete es sich an seinem Hinterkopf ein.
Zu seiner Rechten vernahm er verzweifelte Hilfeschreie.
Die Menschen aus dem Armenviertel, die sich ihnen als Anhängsel angeschlossen haben, wurden von den Monstern angegriffen.
Einige von den verzweifelten Bürgern liefen blind nach vorne.
Dolunay wollte ihnen helfen, doch Oryn hielt sie zurück. »Wir haben keine Zeit, uns auch noch um sie zu kümmern.«
Rhun sah mit an, wie eine Frau geschnappt worden war, sich auf dem Boden krümmte. Ein Wesen stach auf sie ein. Mit jedem Hieb wurde ihre Haut bleicher. Das Gesicht der Dame wandelte sich zu einem Bild des Schreckens — ohne Struktur. Ihre Finger schienen sich zurückzuentwickeln...
Er musste den Blick abwenden.
Chase Harding trat ein Monster, direkt hinein in den Lichtkegel, den der Aart ausstrahlte.
Mit einer Faust schlug er ein weiteres Wesen, um einem Biss zu entgehen.
Rhun trat näher in den Lichtkegel des Aart.
»Rück mir nicht so nah auf die Pelle«, beschwerte sich Oryn.
»Ich möchte ungern in der Dunkelheit stehen und sterben.«
»Das Licht bringt nur für den Moment etwas!«, zischte Harding, als sei diese Information offensichtlich. »Sonst könnten wir uns nah an die Aart kuscheln und durchspazieren! Das Licht schreckt die nur ab, es hält sie nicht auf«
Rhun verstand nicht, doch er ging auf Distanz.
Der Regenschauer über ihnen wurde stärker.
Er versuchte, auf den nassen Steinen nicht wegzurutschen. Nur langsam konnte sich die Gruppe auf dem Weg vorankämpfen.
An den Häusern lief ein Kind neugierig auf die Monster zu.
Rhun huschte vorwärts, um den Jungen wegzuziehen.
Das Kind krallte sich in seinen Ärmel.
Als es Rhun ins Gesicht sah, vergaß dieser vor Schreck die Umgebung.
Der kleine Junge... er hatte Lumpen an, doch sah auf erschreckende Weise dem Schützling von Zorn ähnlich.
Er hatte nie erfahren, was aus diesem Kind geworden war.
War dies Zorns Sohn, der sich an ihn klammerte?
Er wurde brutal aus den Gedanken geschleudert, als das Ungetüm sich vor ihnen bewegte.
Das Monstrum streckte sich, um das Kind zu beißen.
Rhun riss den Jungen nach hinten.
Doch aus dem Nichts fiel das Geschöpf zur Seite.
Harding tauchte an seiner Seite auf und trieb einen Keil in die Brust des Monstrums.
Rhun zog das Kind hinter sich her — er musste ihm Fragen stellen, wenn all das vorbei war.
Er und Harding wichen den Monstern aus, die ihnen folgten, hielten einzig auf den Ausgang zu.
Rhun blieb vor einem auf dem Boden liegenden Körper stehen und nahm dem Mann sein Schwert ab.
Er brauchte etwas, um das Gefühl der Sicherheit zu haben — selbst wenn es trügte.
Caden schloss sich ihnen an. Er wurde von zwei anderen Menschen begleitet.
Der Nachtschwärmer, Oryn, Dolunay und ein weiterer fremder Mann setzten sich daran, die restlichen Monster am Tor zu vernichten.
Das Eisengitter schwebte mit seinen Spitzen gefährlich über ihnen.
Rhun schloss die Augen und stolperte zur Seite, als ihm ein Wesen unmittelbar ins Ohr schrie.
Er packte das Kind an den Seiten und warf es in das Gras hinter dem Ausgang.
Rhun selbst stieß den Atem flach aus, kniff die Lider zusammen, als er das Tor betrat.
Als er sie öffnete blinzelte er einer Wiese entgegen.
Ein Pfad lag vor ihm, der Fluss schimmerte im Hintergrund, über ihnen einzig der Nachthimmel.
Er ließ sich fallen.
Er hatte es geschafft. Die Anspannung hingegen ließ nicht von seinen Beinen ab — pochte. Die Stille lag wie ein tauber Druck auf seinen Ohren.
Es war eine solche Stille, wie sie nur abseits von dem Risiko zu sterben, existieren konnte.
Der Frieden außerhalb der dunklen Mauern war erschlagend. Der Blick zurück in Brus, war wie ein Riss in der Realität. Die Stadt war ein Schlachtfeld — glich einer Darstellung von brutalsten Kriegen.
Caden ließ sich neben ihm in das Gras fallen.
Oryn und Dolunay blieben vor dem Tor stehen und starrten missmutig daran hoch.
Sie fixierten die Ketten, die das Holzgitter oben hielten.
Möglicherweise wollten sie es durchtrennen, damit kein Wesen hindurchkommen könnte...
Die Monster ließen sich noch von der Außenwelt abhalten. Wer wusste, wie lange es hielt?
Die Unsicherheit lag ihnen alle tief in den Knochen.
Rhun überhörte, wie sich Dolunay und Oryn stritten. Sie schrien sich an, wie kleine Kinder.
Schließlich ließ die Aart ihn stehen und bewegte sich zu Harding..
Kenga tauchte neben Rhun auf und klammerte sich in die Erde: »Tja, das war's dann wohl. Die Stadt werden wir nie wieder sehen, was?«
»Brus soll für immer in diesem Zustand bleiben?«, fragte Dolunay an Oryn gewandt, als hätten die beiden nie miteinander gestritten.
»Genau; deswegen empfehle ich, dass wir zu meinem Vater gehen.«
»Wer bist du Vogel überhaupt?«, schnauzte Chase. »Hätte nicht erwartet, dass es noch einen Aart gibt, der bereit ist, zu töten.«
Oryns Antwort wurde unter Luftmangel hervorgepresst. »Ich bin der Sohn des Priesters, dem ihr das Auge ausgeschossen habt.«
Rhun legte sich im Gras zurück. Er hatte keine Ahnung, was geschah und es interessierte ihn nicht. Er verlor sich in der Überlegung, wieso es außerhalb von Brus nicht regnete.
Dolunay inhalierte tief die kalte Luft. Sie hustete, schwieg lange, ehe sie sprach: »Ich erkläre das später. Wir müssen nur- Ich muss zu seinem Vater zurück..«
Harding murmelte fassungslos ihren Namen. Er setzte sich auf. »Was hast du dir denn dabei gedacht?«, fragte er krächzend.
»Mein Vater hat gute Absichten. Kommt erstmal mit und hört ihn euch an«, verlangte Oryn.
Caden begrub das Gesicht in seinen Händen, schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht mitkommen. Ich muss zurück in die Stadt.«
»So, und warum das jetzt?«, knurrte Harding. »Was hast du jetzt angestellt?«
»Ich kann das nicht erklären. Nya ist noch in Brus«
»Caden, deine Schwester ist tot.«
Rhun setzte sich auf, um den jungen Mann besser sehen zu können.
Seine Lippe zitterte. »Eben nicht.«
»Caden was hast du getan?«
Doch der schwieg.
Rhun ahnte bereits, was sein Geheimnis war. »Du hast deine Schwester mutieren lassen, oder?«
Er riss nur die Lider auf, aber winkte dann ab. »Ja, aber das ist nicht euer Kampf den es zu kämpfen gilt, sondern meiner.«
Rhun stellte sich hin, ließ eine Hand in sein Genick gleiten.
Oryn räusperte sich. »Ich empfehle, ihr alle kommt zu meinem Vater. Ihr lasst euch versorgen und dann könnt ihr euch immer noch aufteilen. Eine andere Wahl habt ihr auch kaum. Euer Zuhause ist übernommen worden.«
Der letzte Satz hämmerte in Rhuns Kopf. Sein Zuhause war übernommen worden.
Brus, das er nur einmal verlassen hatte. Wo er gelernt hatte, in dessen Kellergewölben er grauenvolle Experimente angesehen hatte.
Er blickte zurück in die Stadt, die mit ihren Lichtern sonst stets die Nacht erleuchtet hatte.
Selbst wenn sie zu ihrem alten Ruhm zurückfinden würde... er wollte eine solch dunkle Stadt nicht in seinen Händen wissen.
Es hat zwei Wege gegeben, wie er die Stadt hätte retten können. Und er hatte sich für den entschieden, dieses Schicksal zu ignorieren.
Ende Buch 1
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