
Kapitel 21 - Pläne unter Sternen
»Irgendwie verkauft sich dieser merkwürdige Wein aus dem Westen nicht«, brummte Chase.
»Er schmeckt auch nicht, hat Kenga erzählt«
»Kenga erzählt viel.«
Dolunay schmunzelte.
Der Nachthimmel über ihnen ließ einige Sterne sichtbar werden. Es waren klare, späte Stunden eines annähernden Winters. Kaum Wolken, Frost, der das Dach bedeckte und Kälte, die ihre Hände schmerzhaft biss.
»Notfalls verkaufst du die an einen Sammler.« Sie spielte an einer Kette Federn, die an ihrer Hose herunterhing. Wann immer sie Federn fand, sammelte Dolunay diese auf. Eine merkwürdige Tat reiner Angewohnheiten, die sie seit ihrer frühen Jugend beibehalten hatte.
»Notfalls trinken wir die aus.« Chase schnipste gegen das Glas seiner Flasche. »Oder ich schenke die Kenga.«
»Der wird sich ganz sicher freuen.« Sie lehnte sich auf dem Dach nach hinten. Zwei Fledermäuse zogen durch den Himmel — auf dem Weg zum Turm eines Herrenhauses. »Gibst du mir eigentlich bald mal wieder was zu tun, oder soll ich wirklich nur die mentale Unterstützung für Caden spielen?«
Er versteckte seine Nase im Kragen seines Mantels. Durch den Stoff gedämpft trat seine raue Stimme: »Ich bin selbst noch am überlegen. Ich halte lieber die anderen beschäftigt und gönne euch die Ruhe. Ihr seid eh« Er schob seinen Mund wieder heraus. »Meine letzte Rettung. Euch will ich nur für Ausnahmesituationen riskieren.«
Dolunay stützte ihre Wange auf dem Knie auf. »Ach, du hast Angst um uns. Jedes Mal wenn du mich aber für dich Tabak kaufen schickst, ist dir das kein Risiko? Ich könnte auf den Straßen überfallen werden.«
»Was ein Glück, dass du dich zu verteidigen weißt.« Er hielt inne, blickte herunter. Eine Weile starrte er, dann gab er einen Pfiff von sich.
Sie lehnte sich vor, um zu erfahren, wessen Aufmerksamkeit Harding zu erhaschen versuchte.
Caden verließ die Kneipe durch den Hinterhof und bewegte sich zu Straße. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, blieb stehen. Als er Dolunay auf dem Dach sitzen sah, trat er näher zu ihnen.
»Wohin des Wegs?«, rief Chase.
»Spazieren.«
»Spazier mir nicht von 'ner Klippe runter.«
Caden hob nur eine Hand. Eine stumme Verabschiedung.
Sie blickten ihm eine Weile stumm hinterher. Er schob sich durch den Spalt eines Tores, das seit Jahren mit den selben rostigen Ketten zusammengehalten wurde.
Er verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war.
»Caden steckt den Tod seiner Schwester ziemlich gut weg«, stellte Dolunay für sich fest.
Doch Hardings Augenbrauen wanderten nach oben. Er rutschte auf dem Dach zurück, lehnte sich an einen Schornstein. »Ach ja?«, hauchte er nur gegen den Wind. »Das bezeichnest du als gut?«
Einen so grausamen Eindruck wie sie erwartet hatte, hatte er wahrlich bisher nicht erweckt. Seine Augen fielen nicht traurig zu Boden, wenn man mit ihm sprach. Vielmehr wirkte er unruhig, als habe er etwas zu verheimlichen.
Doch sie wusste nicht, ob sie sich wagen sollte, eine solche Theorie auszusprechen. »Hast du dich nicht auch mal gefragt-«, wollte sie beginnen, doch der Ausdruck zwischen Chase' narbigen Zügen verunsicherte sie, sodass sie die Lippen wieder schloss.
»Doch, ich habe mich gewundert. Er geht häufig hier raus.«
Seit sein Haus zusammengebrochen war, hatte Caden in der eisernen Eiche einen Raum bezogen. Er hatte ein Zimmer direkt neben Dolunay. Die Aart war nun inoffiziell beauftragt worden, auf ihn aufzupassen. Doch dazu kam sie nicht. Man sah ihn außerhalb seines Zimmers kaum — und wenn er hinausging, dann nur zu verdächtigen Zeiten. Früh am Morgen — teilweise nachts, dann, wenn die Dunkelheit einbrach.
»Was ist deine Theorie?«, fragte Dolunay schließlich.
»Wenn ich ganz ehrlich bin, will ich die lieber nicht aussprechen.« Er ließ seine Flasche immer wieder gegen die Dachziegel schlagen. »Fühl du ihm einfach ein wenig auf den Zahn. Zu mir wird er nicht gehen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil er doch der große Junge ist« Chase hatte die Stimme so verzogen, als würde er über ein kleines Kind sprechen. »Beschäftige du ihn einfach ein bisschen, damit er nicht den ganzen Tag schläft morgen.«
»Er schläft nicht-«
»Ich meinte das auch nicht wörtlich« Seine blonden Locken umrandeten die knochigen Wangen. Er ließ sie einfach hängen, ohne sich daran zu stören. »Ich will nur, dass er etwas tut, was uns vielleicht weiterbringt. Es ist nicht so, als würde ich ihn nicht durchfüttern wollen. Er soll nur was machen, damit er-«
»Ich versteh schon, was du meinst. Aber was soll ich denn mit ihm machen?«
»Wie gesagt, in letzter Zeit hab ich euch in Ruhe gelassen und nur Kenga gelegentlich für Informationen rumgescheucht.« Er stellte die Flasche neben sich ab und starrte auf die Stadt. »Ich hab 'nen ganz anderen Abschlag auf euch vir.«
»Der da wäre?«
»Durch den Erdrutsch sind einige Cruoren umgekommen. Hast du davon gehört?«
Dolunay verzog den Mund. »Ja, ich glaube, Kenga hat erwähnt, wie dass es jemanden neuen gibt, der die Wachmänner unterweist« Sie griff in Hardings Tasche, um seine Pfeife hervorzuholen und sich diese anzuzünden.
»Der Kerl verzichtet auf jegliche Angestellte. Auf alles«, erklärte Chase. »Er hat wohl gestern eine Wohnung bekommen, wo er mit nur einem Diener lebt.«
»Du willst doch wohl nicht etwa, dass ich bei einem Cruoren in die Träume blicke... Oder?«
Chase schwieg. »Ich kann es nicht wortgewandter ausdrücken, als doch.«
»Chase-«
»Das Gedächtnis will ich ihm nicht auslöschen. Ich bin nicht lebensmüde. Aber ich will wissen, wo die ganzen Katastrophen in Brus herrühren.«
»Ich kann Sünden aus Träumen entnehmen, kein Wissen.«
»Das spielt keine Rolle. Das, was die Cruoren tun, ist nichts anderes als Sünde.«
»Träumen Cruoren überhaupt?«
Chase lachte abgebrochen. »Natürlich.«
»Vielleicht sollen wir trotzdem lieber die Finger davon lassen. Oder wir löschen ihm das Gedächtnis gänzlich aus. Aber in seine Träume hineingehen?« Sie riss die Augen auf, aber fügte dann ehrlich hinzu: »Dann hängt ja alles wieder von mir ab.«
»Wenn du willst, können dich auch alle begleiten kommen. Caden kommt mit und Kenga meinetwegen auch. Eos werd ich demnächst einweihen... Und notfalls begleite ich dich.«
Dolunay schnaufte amüsiert. »Wie lange hast du dich denn schon nicht an einem Auftrag beteiligt?«
Er nahm ihr die Pfeife aus den Händen. »Lange genug, dass ich das mal wieder brauche.«
»Je mehr Leute in sein Haus einbrechen, desto auffälliger ist es doch.«
»Aber gleichzeitig haben wir auch umso mehr Sicherheit.«
Dolunay ließ sich nach vorne hängen und murrte atemlos: »Ach Chase, ich weiß ehrlich nicht.«
»Ich will wissen, was es mit den Formwandlern auf sich hat.« Er rutschte am Schornstein herunter, als wolle er es sich bequem machen. »Ich weiß, dass die Cruoren etwas mit den Formwandlern zu tun haben. Ich weiß, dass das alles auch irgendwo mit dem anderen Geschehen einhergeht. Aber-«
»Hast du irgendeine Ahnung, wie der Cruor aussieht oder heißt?«
Harding zuckte mit den Achseln, formte mit seinen Lippen ein tonloses „spielt das eine Rolle?"
Dolunay zog die Lippen nach innen, als sie an Caden dachte. Vielleicht waren seine abendlichen Ausflüge nur ein Weg, mit dem Tod seiner Schwester umzugehen, oder er würde der Verräter werden, von dem dieser Aart-Priester gesprochen hatte...
Ihre Gedanken sprangen unwillkürlich zu Oryn.
Noch immer würde er in Brus irgendwo sein, darauf wartend, dass die Stadt unterging. Und wenn Dolunay bis dahin nicht zu dem Priester zurückgegangen war... dann würde Oryn sie finden.
Er würde sie finden können, egal, wo sie sich befanden... weil er ähnlich verdammte Fähigkeit hatte, wie sein Vater.
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