Kapitel 17;2 - Zweischneidiges Schwert
Es verstrichen Wochen.
Wochen, in denen Dolunay keine Zeit hatte, zu erfragen, was exakt mit der Tante von Eos geschehen war.
Die Frau sei aus dem Haus geschliffen worden und selbst als Dolunay es ihrer Nichte erzählt hatte, hatte diese nur mit einem Nicken reagiert. Jede Frage wurde mit einem Schulterzucken kommentiert und Eos hatte sie schnell abgewiesen.
Diese Familie war alles andere als normal. Wie kam eine blinde Frau an eine kriminelle Organisation, in der Hoffnung, diese könne sie vor ewiger Dunkelheit schützen?
Wusste Eos davon, dass ihre Tante irgendwann verschwinden könnte? Hatte sie es geahnt — einen Notfallplan bereits ausgearbeitet?
Und noch wichtiger: Hatte sie vergessen, dass eben diese Gruppe für das Legen der Bombe auf dem Fest verantwortlich war?
Dolunay biss die Zähne zusammen, zischte einen Fluch, als sie das Besteck in die Hand nahm, um es abzutrocknen.
Eos hatte mit einer solch professionellen Neutralität reagiert, als wäre es ihr gleichgültig. Das, trotzdem ihre Freundin erst verschwunden war.
Wie eine Maschine hatte sie die Informationen in sich aufgenommen, gesagt, sie könne nicht lange an der geöffneten Tür stehen, da ihre Haare nass waren.
Dolunay legte ein Messer zurück in den Kasten. Das Eisen schimmerte und der Griff war aufwendig mit Ranken verziert worden.
Immerhin war die Zeit, die Dolunay hier arbeitete, ruhig gewesen: seither keine Vorfälle, keine Unregelmäßigkeiten an der Grenze. Vereinzelt hatte sie sich mit Chase vor den Mauern des Anwesens getroffen und Bericht erstattet. Mit keinem Wort hatte sie Oryn erwähnt.
Stattdessen ignorierte sie ihn, sprach ausschließlich über das Relevanteste. Ihr Fokus galt der Familie Treda. An den verschrobenen Gestalten hatte sie etwas vertrautes gefunden. Der Mann hatte eine stets freundliche Miene... doch wenn er annahm, alleine zu sein — nun, dann veränderte sich seine Ausstrahlung. Anders konnte Dolunay es nicht beschreiben. Seine Augen senkten sich auf den Boden — jeder Faser an ihm schön in Trauer zu zerfallen.
Oryn kam in den Raum zu ihr und mit seiner Anwesenheit brachen ihre Gedanken ab.
Er stellte ihr eine Tasse an das Waschbecken.
Ein Wachmann spähte für einen Moment in die Küche, dann bewegte er sich weiter.
Der Aart ignorierte ihn. Der Ausdruck auf seinen Zügen seltsam menschlich, begann er damit, einige Kekse auf Teller zu stapeln. »Heute bist du für die Kinder verantwortlich«, brummte er. Es war ein wahrhaftiges Brummen, dass sie erst überlegen musste, um seine Worte zu sortieren. Dolunay hatte den Eindruck, dass seine Stimme tiefer wurde, je weniger sie miteinander redeten. Länger hatte sie ihn nicht laut sprechen gehört.
Auch er hatte es schnell aufgegeben, sie anzusprechen, seitdem sie ihn stets umgangen war.
»Warum?« Sie nahm die Tasse an sich.
»Weil du das lernen musst.«
»Ach, du denkst, du hättest Ahnung und musst mir den Umgang mit Gefundenen beibringen?« Dolunay musterte ihn von der Seite.
Er kniff die Lider zusammen. »Ich will auch mal meine Ruhe haben. Die Kinder haben gesagt, sie haben Angst vor dir. Wenn du hier weiter arbeiten willst-«
»Angst vor mir?«
»Begründet. Du starrst einem die Seele aus dem Leib. Ständig bist du leise, hast einen verdammt gruselig-müden Blick.«
Dolunays Augenbrauen wanderten hoch. »Sagst du, Großnarbe. Was suchst du eigentlich noch hier?«
»Das frag ich mich mittlerweile auch. Eigentlich hab ich dich gesucht, aber mittlerweile warte ich nur noch darauf, dass die Welt untergeht.«
»Das hat man davon, wenn man immer noch auf seinen Papa hört. Dein Plan, mich zu überreden, läuft wohl auch nicht so gut.«
»Wie denn auch, wenn du eigentlich nie mit mir redest? Ich will dich nicht zwingen, aber eine andere Wahl lässt du mir nicht«
»Warum hast du das bisher denn auch nicht?« Eine dumme Frage, deren Antwort sie jedoch interessierte. Es war eine Überlegung, wie sie Dolunays Nächte lang werden ließ. »Warum bist du so zart, aber stellst dich an, als würdest du Bäume entwurzeln können?«
»Wenn ich dich zwinge bin ich tot. Früher oder später.«
»Taktisch schlaue Denkweise, auch wenn du gerade versuchst, mich mit deiner alleinigen Anwesenheit zu erweichen.«
»Ich würde dennoch soziale Interaktionen bevorzugen. Vielleicht lernst du es, mich zu verstehen.«
»Ich würde bevorzugen, wenn du gänzlich weg wärst. Such dir doch eine andere Bleibe.«
»Nein, aber danke für das Angebot.«
Dolunay legte ein Messer provokativ neben den Besteckkasten. »Bevor du mich zwingen kannst, werde ich dich dazu zwingen, dass du verschwindest.«
Eine Weile Stille. Er sah nur über seine Schultern, ein sanftes, falsches Lächeln. »Oh.« Der Ton war wie ein Säuseln. »Das würde ich dir aber nicht raten.« Er kam näher, beugte sich neben sie über die Theke. »Keine Sorge, du wirst mich nicht mitbekommen. Ich werde deine Pläne nicht stören.«
Ihr Rücken wurde kalt. Wie ein Stein bettete sich Missmut in ihrem Brustkorb ein und sie verschluckte sich beinahe an dem Gefühl. »Meine Pläne?«
»Du arbeitest doch nicht umsonst hier, oder?« Als sie nicht antwortete, übte er etwas Druck an ihrem Arm aus, als wolle er sie nach hinten schieben. »Komm, wir gehen jetzt lieber zu den Mädchen.«
Sie ließ sich auf seine Anweisung ein und bewegte sich.
Doch er ließ es nicht unkommentiert und jubelte von hinten. »Oh, welch ein Wunder, du bist ja doch nicht so stur.«
»Ich bin auch nicht stur. Ich mache nur das, was ich als vernünftig empfinde.«
»Jetzt mach deinen Erfolg nicht weg, indem du mir widersprichst, junge Frau.«
Sie liefen hintereinander die Treppe aufwärts. Und trotz der Wachmänner Vorort, fühlte sie sich unwohl, Oryn nicht sehen zu können. Ihn im Rücken zu haben müsste sie zukünftig besser vermeiden.
Mit gewecktem Interesse konnte Dolunay feststellen, dass die Tür zum Büro offen stand. Das Büro — der Raum, den sie nicht alleine betreten durften.
Sie blieb unvermittelt stehen. Dann hörte sie die Stimme des Mannes. »Er hat zu mir gesagt, dass er weiß, warum das Licht ausgefallen ist in der Stadt.«
»Und warum?« Es war die Herzogin, mit der er scheinbar sprach.
Oryn blieb neben ihr stehen und schüttelte lächelnd den Kopf. Er empfand Dolunays Neugierde wohl als unterhaltsam.
Sie wollte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite stoßen, doch er hielt ihren Arm fest.
»Ich weiß es nicht, er« Etwas schellte auf dem Boden auf — klang, wie einer der mechanischen Käfer, die Briefe durch den Himmel trugen. »Der Herr will's mir nicht sagen.« Die Stimme wie im Scherz verzogen fuhr er fort. »Fühlt sich ja zu fein dafür. Zu fein ist er sich, zu sagen, was fast Fleur und Coral umgebracht hat. Ist ja auch nicht wichtig. Es geht mich nichts an. Ich bin ja nur ein Mensch.«
»Sei vorsichtig mit deinen Worten, er hat recht. Du solltest einem Cruoren gegenüber nicht zu vorlaut werden.«
»Ich bin vorsichtig! Die Götter wissen, wie vorsichtig ich bin! Aber wie soll ich ruhig schlafen können, wenn ich nicht weiß, wann etwas im Dunklen lauert!«
Er hatte Verbindung zu einem Cruoren — möglicherweise war das der Grund, das Chase sein Gedächtnis wollte.
Dolunay musste sich bewegen, als sie bemerkte, dass ein Wachmann in ihre Sichtweite schritt. Sie wollte nicht beim Belauschen erwischt werden.
Als sie an der offenen Tür vorbeigingen, in der die Herzogin stand, nickten beide freundlich, als hätten sie nichts gehört.
Als sie weit genug weg waren, räusperte sich Oryn. »Deswegen willst du ihm das Gedächtnis auslöschen?«
Genauso gut hätte er auch ihr Todesurteil aussprechen können. Sie wirbelte herum. »Wo-«
»War doch klar. Denkst du ehrlich, nur eure Gruppe weiß, wie man an Informationen gelangt?«
»Du weißt was ich vorhabe. Du musst... Oryn-«
»Ich kann dein Alibi sein, wenn du es tust« Er zog die Schultern unschuldig nach oben. »Wenn du im Gegensatz zu mir und meinem Vater kommst. Wenigstens zum reden einmal.«
»Was?« Es war nicht mal als Frage zu erkennen — zu schwach; abgetragen hatte ihre Stimme jeden Klang verloren. Ihr Anblick musste erbärmlich sein. Sie hatte jeden Schutz verloren, den sie besaß.
Die Tür schloss sich hinter ihnen und die Herrschaften fuhren flüsternd fort.
»Dolunay, Liebes«, flüsterte er »Ich biete dir ein Alibi, damit du gar nicht erst verdächtigt wirst. Aber wenn du nicht zu meinem Vater mitkommen willst... dann kann ich dich auch verraten«
»Lieber werde ich wegen deiner Ermordung angeklagt, als dir Genugtuung zu geben.«
»Oh, das ist dumm« Er lehnte sich zu ihrem Ohr. Jedes Wort kitzelte als Windzug ihre Haut. »Ich habe auch Leute, die mich suchen und vermissen würden. Und wenn wir nicht dich finden, dann deine Gruppe.«
»Wir werden sehen.«
Er hielt Abstand, sprach lauter, als sich wieder ein Wachmann auf sie zubewegte. »Wenn du Hilfe dabei brauchst, dann helfe ich dir gerne.«
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