Kapitel 13;2 - Stimmen verlorener Gedanken
Cadens Füße rutschten auf den Ziegeln, als er ihr folgte. Er krallte sich an die aufwendigen Dekorationen, nutzte sie wie eine Stütze beim Klettern.
Die Nachtschwärmerin hatte sich auf ein Fensterbett fallen lassen. Die goldenen Spitzen ihrer Hörner wurde vom Licht, das hinausstrahlte, angeleuchtet. Erst blickte sie zu den anderen herunter, dann zu ihm. »Soll ich im Raum auf dich warten?«
»Du gehst nicht ohne mich weiter«, betonte er. Er sah noch, wie sie ihre Finger durch den geöffneten Schlitz schob und das Glas hochstemmte. Sie verschwand im Inneren des Hauses.
Kenga und Dolunay verharrten unten, würden darauf warten, dass sie die Tür für sie öffneten. Dolunay strahlte ein blaues Licht aus – ein gesundes Leuchten... Ein auffälliges Signal, das sie leicht verraten könnte.
Caden schwang sich herunter, landete auf dem Brett, auf dem zuvor auch Eos gestanden hatte.
Ihre zierliche Gestalt konnte er in dem Zimmer wahrnehmen, das wie ein Büroraum anmutete. Regale säumten die Wände. Der Schreibtisch vor dem Fenster bildete eine solide Treppe, durch die man hineingelangen konnte.
Sie hatte ein Buch in der Hand, dessen Seiten mit Tinte bezeichnet waren. Eine feine Handschrift – jeder Buchstabe mutete gleich an. Ein Schriftbild, wie Caden es von seinen Professoren nie gesehen hatte.
Er drückte sich an ihr vorbei, wollte sich einen Überblick über die Zimmeraufteilung verschaffen, doch musste feststellen, dass alle Türen offen standen. Ein Blick nach links; ein Mann lag im Bett. Das Zimmer war von einer Lichtkugel ausgeleuchtet, doch sein leises Schnarchen drang friedlich durch die Gänge.
Caden stolperte zurück, lief mit den Rücken in Eos hinein, deren Reaktion nur ein empörtes Schnaufen war.
»Was für ein Kerl schläft denn mit vollständig-weit geöffneter Tür? Ist der ein kleines Kind und hat Angst, dass seine Mutter seine Rufe sonst nicht hört?«
»Ist doch egal, wenn er schläft.«
Er horchte wieder.
Tatsächlich atmete der Professor noch immer regelmäßig — und laut. Ein Schlaf. Ein unnatürlich fester Schlaf um diese Uhrzeit.
Ein Griff in die Hosentasche, vergewisserte sich Caden, dass er noch immer das Werkzeug bei sich trug, um dem Mann das Gedächtnis zu rauben.
Er konnte die Finger jedoch nicht auf dem Metallstück lassen. Es fühlte sich an, als würde es reine Schuld in seine Fingerkuppen schießen. Das Gefühl jagte seine Adern aufwärts, nahm seinen Körper ein... und als würde dadurch ein Fluchtreflex ausgelöst werden, preschte er nach vorne, schlich auf den Flur geradeaus, nahm die Treppe abwärts.
Den Gedanken ließ er hinter sich zurück.
An den Seiten zeichneten sich die Schatten von Eos ab, als die Nachtschwärmerin sich umsah.
Sie öffnete derweilen jeden Raum auf dem Weg: ein kleines sporadisch-eingerichtetes Esszimmer, eine Küche daneben. Ein Wohnzimmer, das auch als Lehrraum verwendet zu werden schien. Eine Tafel im Flur. Es war ein recht überschaubares Haus, wie Caden es bezeichnen würde. Auch, wenn Eos von den Statuen auf den Regalen begeistert zu werden schien.
In der Tür steckte der Schlüssel. Caden drehte ihn herum, gewehrte seinen Freunden Einlass.
Dolunay rückte sofort an seine Seite. Er informierte sie ohne Nachfrage. »Er schläft oben. Das Licht ist an.«
»Wir sollten trotzdem nicht riskieren, dass ich hineinkomme«, murmelte Dolunay und zog ihre Kapuze über den Kopf, wickelte sich gänzlich in den Stoff ihrer Kleidung ein, streifte sich Handschuhe über die Finger.
Eos lief im Wohnzimmer umher, füllte die Säcke an ihrem Gürtel mit dem, was sie finden konnte. Immer wieder huschte ihre Silhouette am Türrahmen vorbei.
Caden blickte ihr fassungslos hinterher. Sie hatte wahrlich noch genug Ruhe, zu stehlen. Als würde sie nicht stehenbleiben können. Als würde sie alles tun, um sich abzulenken. Er wusste nicht einmal mehr, ob sie aufgegeben hatte, nach Scarlett zu suchen.
»Sie will sich echt bei Harding beliebt machen«, raunte Dolunay kopfschüttelnd aus der Ferne.
»Es ist hier nicht der richtige Ort, sich darüber zu unterhalten.« Caden preschte vorwärts, schlug einmal mit der flachen Hand auf den Türrahmen. »Komm jetzt, Hörnchen. Wir gehen jetzt hoch.«
Er wäre fast zusammengezuckt, als Doluany neben ihm auftauchte. Das Licht war getilgt und ohne ihren charakteristisch präsenten Schein verlor sie ihre Erkennbarkeit. Sie bewegte sich schon immer lautlos. Nun war sie noch gespenstischer als sonst.
Eos kam zu ihnen, lächelte flüchtig zu Kenga, dann gewährte sie Caden den Platz, vorzugehen.
Dieser holte das Werkzeug aus seiner Hosentasche, nahm einen Beutel von Dolunay entgegen.
Nun, wo alle vier im Haus standen, fühlte sich dieser Auftrag alles andere als herausfordernd an — mehr wie ein Zeitverteib; wie ein Ausflug aus Freude. Wieso mussten sie alle dabeisein, wenn sie nur einer Person das Gedächtnis stehlen mussten?
Selbst, wenn der Mann aufwachen und auf sie schießen würde... Sie wären in der Überzahl, dass mindestens einer von ihnen nur tatenlos herumstehen würde, während die anderen sich um das Problem kümmerten.
So könnten die Einzelnen von ihnen nicht einmal richtig zusehen, wie sie ihn als Versuchsobjekte missbrauchten...
Cadens Füße wurden mit einem Mal schwerer, träger, seine Bewegungen langsamer, als er die Treppe wieder aufwärts stieg.
Wollte er diesem Professor tatsächlich das Gedächtnis auslöschen? Wollte er derjenige sein, der diesen Kummer über sie brachte?
Wollte er diesen Gedanken nicht mehr loswerden können?
Früher oder später würde auch er es tun müssen. Irgendwann würde Chase sie in Paaren, oder gar alleine losschicken.
Doch was, wenn er nun einen Fehler machte? Etwas Falsches tat? Was war, wenn der Professor nicht alles vergessen würde?
Er erinnerte sich an die Frau, die er getroffen hatte, als er das Lager aufgesucht hatte. Jene ältere Dame, die seinen Namen kannte, die wusste, dass ihr das Gedächtnis ausgelöscht wurde...
Caden blieb unvermittelt stehen. Was, wenn er auch dafür sorgte, dass der Professor sich an sie erinnerte?
Er drehte sich um, drückte Dolunay beide Gegenstände in die Hand. Eine stumme Anweisung. Du tust es.
Sie riss die Augen auf, zerknautschte das Gesicht; gab erst einen verständnislos- hohen Laut von sich und haspelte dann: »Was? Was? Warum?«
Er schüttelte den Kopf, ging nur weiter voran; ignorierend, dass Kenga den Hals gereckt hatte, um ihn anzusehen.
Stattdessen führte er sie zum Schlafzimmer, dessen Tür noch immer offen stand. Er blieb sofort Rahmen stehen, warf noch einmal einen Blick zu Dolunay.
Diese schien sein Mitleid zu verstehen, blies nur die Wangen auf, aber stellte sich ins Licht.
Ein hohles Geräusch. Sie füllte Wasser in das Werkzeug, streute dann eine Prise der Droge hinzu.
Einen kleinen Moment stutzte sie, hielt das Objekt hoch, schien zu überlegen, ob es genug war. Dann füllte sie noch mehr des Pulvers hinein und schüttelte es.
Eine Seelenruhe für jemanden, der in dem Schlafzimmer eines Fremden stand; eingebrochen war. Selbstverständlich war auch ihr bewusst, dass sie nichts zu befürchten hatten, dennoch... Sie bemühte sich noch nicht einmal, dabei leise zu sein.
Sie schien bereit zu sein, das Experiment durchzuführen. Und so trat sie an das Bett heran, dicht gefolgt von Eos. Kenga blieb neben Caden am Eingang stehen.
»Was kuschst du davor?«
»Hättest du es getan?«
»Nein... Naja, schon. Ich-« Kenga hielt inne, als Dolunay ihn finster anstarrte
Sie und Eos schienen volle Kontrolle übernehmen zu wollen.
Schließlich trat Caden vor, an die Bettseite heran. Er würde den Mann immerhin festhalten, sollte er aufwachen.
Wie konnte jemand so fest schlafen?
Er betrachtete, wie Dolunay das Gerät an die Schläfe des Mannes anlegte und wie er im selben Moment die Lider aufschlug. Nur ein wenig. Er verzog das Gesicht, blinzelte gegen das Licht, wollte eine Hand heben.
Caden hingegen lehnte sich vor, drückte ihn herunter.
Der Professor trat zur Seite aus, wehrte sich gegen seinen Griff. Er versuchte Cadens Hand von seinem Mund zu drücken, bemühte sich, in seinen Finger zu beißen.
Sein Blick raste zu Dolunay und er musste feststellen, dass sie das Gerät bereits gänzlich an seine Haut gedrückt hatte
»Scheiße!«, zischte die Aart und zog sich von seinem Kopf zurück. »Ich glaub, da war nicht genug Pulver drin.«
»Und jetzt?«, fragte Kenga.
Der Mann schüttelte sich, wollte Caden wegtreten. Schließlich lehnte Eos sich vor, hielt seine Beine fest.
Dolunay schob ihre Kapuze vom Kopf. »Ich, ich. Ich werd nochmal mehr reinmachen und es einfach weiterprobieren.«
»Können wir das?« Stellte Caden die erste Frage die ihm in den Kopf kam. »Wie funktioniert dieses Ding überhaupt? Wie kann man jemandem durch die Schläfe das Gedächtnis rausziehen? Wo bleibt das dann?«
»Keine Zeit dafür«, zischte Eos.
Der Lehrer hatte erstaunliche Kraft. Caden lehnte sich vor, presste sein gesamtes Gewicht auf ihn. Erste Tränen verließen die Augen des Mannes.
Folter. Das war, was sie taten. Und nun könnten sie es nicht mehr rückgängig machen. »Hey hey, ich weiß schon, ist gut, ist gut. Das wird wieder. Ich weiß, es ist gleich vorbei.«
Folter. Gut für ihn, das er das alles bald vergaß. »Es ist gleich vorbei. Wir sind gleich fertig, tut mir Leid.« Wusste der Mann, was auf ihn wartete?
Die Fragen brannten wie Säure auf Cadens Seele. Er wusste, sie mussten es beenden, ehe sie ihn noch mehr quälten — Und seine Augen leuchteten vor Wut. »Dolunay!«
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