Das Problem
Ich wünschte, ich könnte sagen, es wäre eine neue Erfahrung, die ich gerade mache. Aber abends wach zu liegen, bei dem Versuch rauszufinden, ob nun ich oder alle anderen das Problem sind, ist inzwischen eine Art Hochleistungssport für mich geworden. Bin ich zu naiv, zu nah an meinen Sorgen, zu romantisch, zu egoistisch, zu dramatisch, zu zynisch, zu müde? Oder ist die Welt da draußen nur zu grau, zu laut, zu kurzsichtig, zu zerstreut, zu sexfokussiert, zu grell, zu einsam.
Vielleicht ist es auch einfach traurig, dass ich mich in meinem Alter nicht lösen und einfach leben, mich fallen lassen kann. Doch da ist niemand der mich fängt. Ich will nicht fliegen und fallen. Ich will spazieren, vielleicht schwimmen, mich treiben lassen, mit dem Wissen, dass meine Füße mich im Zweifelsfall tragen können.
Ich möchte schreiben, dass wir zu viel Wert auf romantische und sexuelle Beziehungen legen. Aber bisher waren das noch die zwischenmenschlichen Interaktionen, die mir am meisten über mich selbst beigebracht haben. Wenn ich ehrlich bin, glaub ich, ich mag mich nicht sehr gerne. Im Dunkeln wäre ich vielleicht glücklicher gewesen.
Glücklich bin ich nicht. Aber ich fühle viel. Und da ich nicht singen kann schreibe ich. In der Hoffnung meine Gedanken ein bisschen zu beruhigen, indem ich ihnen einen Raum, über meinen traurigen Kopf hinaus, gebe.
Als Orientierungspunkt starte ich mit folgendem: Liebe, wie wir sie in Filmen sehen und in „klassischen" monogamen Beziehungen praktizieren ist für mich nichts anderes als Abhängigkeit. Und um das an dieser Stelle einmal festzuhalten, so ist es für mich. Ich glaube, oder hoffe zumindest vom ganzen Herzen, dass ganz viele, am besten alle, das genauso erleben, wie es all die Liebensgeschichten da draußen erzählen. Auch über das „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage" hinaus. Ich komme häufig kurz vorm einschlafen zu dem Schluss, dass ich das Problem bin und das gibt mir immerhin etwas Frieden.
Da das nun klargestellt ist, nochmal ganz klar formuliert: romantisch-monogame Liebe ist nur Abhängigkeit.
Geformt hat sich dieser Gedanke, als ich mich gefragt habe, was der Unterschied zwischen der Liebe zu meinen Freund*innen und der zu meinem letzten Partner ist. Ich habe unglaubliches Glück damit eine gute, großartige Hand voll Freunde zu haben, die mir die nächsten Menschen in meinem Leben sind. Wenn ich an sie denke wird mein Herz warm, ich habe nicht einen Knoten in meinem Bauch und jede Erinnerung malt mir ein Lächeln ins Gesicht. Es würde mir nicht im Traum einfallen, die Zuneigung zu meinen besten Freund*innen als weniger innig, wichtig oder ehrlich zu beschreiben, als die zu meinem letzten Partner. Zu dem ich auch jetzt, über ein halbes Jahr nach der Trennung, noch unheimlich viel Zuneigung empfinde. Was ist also der Unterschied? Warum konnte es mit ihm nicht ewig halten? Warum differenziere ich überhaupt?
Eine scheinbar offensichtliche Antwort: Sex. Ein Level an Intimität, was ich sonst mit niemandem teile oder teilen möchte. Gut in meinem speziellen Fall könnte ich das ganz einfach verwerfen und sagen, dass er neben mir auch sexuelle Erfahrungen mit anderen machen wollte. Womit übrigens überhaupt nichts falsch ist, an einigen dieser Erfahrungen hatte ich auch sehr viel Spaß. Aber davon abgesehen, habe ich mich selten so angekommen und im Moment gefühlt, wie auf dem Festival, als ich mit meiner besten Freundin im Arm getanzt habe und wir uns einen Kuss gegeben haben. Oder als dieselbe Freundin mein Haar gestreichelt hat, während ich versucht habe mich von einem schlimmen allergischen Anfall zu beruhigen. Die Umarmung meines besten Freundes, die irgendwie alles zusammengehalten hat, als ich das Gefühl hatte an meiner Trennung zu zerbrechen. Der bestimmte Griff um meine Hand, um zu verhindern, dass ich die Haut an meinem Daumen weiter aufreiße. Der ausgesprochen gute Sex mit demselben Freund, der nicht nur viel Spaß in eine schwierige Zeit, sondern mich auch wieder etwas näher zu mir selbst gebracht hat. Und dennoch möchte ich mit keinen von beiden in einer Beziehung sein, nicht „ich liebe dich" sagen, keine gemeinsame Zukunft planen.
Dann ist es also das, was es irgendwie ausmacht. Die gemeinsame Unterstützung, der Halt, den man sich gibt, die Gefühle, durch die man einander begleitet. Und dennoch habe ich bis jetzt noch nie etwas erlebt, was ich nicht mit meiner fernen, besten Freundin teilen wollte. Kein Gefühl, durch das sie mich nicht durch begleiten konnte. Und so wenig ich aktuell in die weite Zukunft plane, ein kleiner Traum wird immer die Farm sein, auf der ich mit all meinen Freund*innen zusammenlebe. Aber keine würde kommen und mich fragen, ob wir zusammen sind. Ich habe keine Angst vor möglichen Trennungsgründen, mit niemandem streite ich mich seltener, wenn überhaupt.
Mir bleibt also nur die Abhängigkeit.
Während ich nämlich in Situationships und mit Freunden casual Sex haben kann, wenn alle Beteiligten das möchten, bin ich nicht von dem Sexdrive irgendeiner dieser Personen abhängig. Die Auswirkungen in beide Richtungen sind vergleichsweise gering. Wird mein Bedürfnis nicht erfüllt, muss ich nicht auf Frust sitzen bleiben, sondern kann im Zweifelsfall ein anderes Ventil finden, vielleicht auch einfach selbst Hand anlegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich nun in Abgründe versinke, ob die andere Person mich nicht mehr attraktiv findet, ist deutlich geringer, denn hey im „schlimmsten" Fall sind wir halt einfach wieder nur Freunde. Wenn ich mal nicht so viel geben kann, wie der andere braucht, frage ich mich nicht, ob ich nun verlassen werde, mehr schaffen müsste. Ich sage einfach ab. Oder freue mich auf einen entspannten Abend auf der Couch mit einem guten Freund. Weil meine Sexualität nicht in direkter Relation zu einer bestimmten Person und unserem Vibe ist. Meine Sexualität ist weitestgehend unabhängig von anderen. Ich kann mich nur auf mich uns meine Bedürfnisse konzentrieren, diese kommunizieren und schauen wer diese wie erfüllen kann bzw. möchte. Und das gleiche kann ich von anderen erwarten.
Ob Freund*innen in meinem Leben bleiben ist nicht davon bedingt, wo diese arbeiten, studieren. Wie ordentlich sie ihren Haushalt führen, welche Hobbys sie im Alltag ausüben oder ob sie mal Kinder wollen. Es ist mir weitestgehend egal. Damit meine Freund*innen keinen Platz mehr in meinem Leben finden, müsste schon eine ganze Menge passieren. Bei meinem letzten Partner? Ein paar unterschiedliche Einstellungen zum Leben und Beziehungen, ein, zwei dumme Fehler und schon ist es vorbei. Es ist so viel leichter zu verletzen und verletzt zu werden, weil man aus irgendeinem Grund alles auf eine Karte setzt. Weil man das Leben in einem engen, direkten Bezug zur anderen Person plant. Wie machen wir das? Wie stehen wir dazu? Mit Freund*innen dagegen: Was möchtest du morgen machen? Habt ihr Lust im Juni zusammen weg zu fahren? Wir haben nicht das Bedürfnis unsere Freund*innen zu formen, zu ändern, als Teil unseres Lebens konstant zu beurteilen und zu hinterfragen. Weil sie so wunderbar wenig Einfluss auf unseren Alltag haben und in gleichzeitig an jedem Berührungspunkt besser machen. Die Gestaltung meines Lebens ist nicht unabdingbar mit der des Lebens meiner Freund*innen verbunden. Und damit ist meine Zukunft und wie ich leben will nicht abhängig von ihnen. Ich bin einfach nur froh, wenn sie dabei sind und ich Stunden und Tage mit ihnen teilen kann.
Ich stelle an meine Freund*innen nicht die Erwartung all meine emotionalen Bedürfnisse zu erfüllen. Mein bester Freund ist super zum Festhalten, Kuscheln, Nähe geben. Meine beste Freundin treibt meine Kreativität an und ist mir offenes Ohr und beste Alltagsbegleiterin. Während ich nie jemanden finden werde, der mich so versteht wie meine ferne, beste Freundin, der bereit ist so weit mit mir in meine traurigen Gedanken zu gehen und diese etwas leichter macht. Natürlich kann man lernen und ich denke einige sind darum bemüht, nicht alles von einer Partnerschaft zu erwarten. Aber ich beobachte, dass es schwerer ist nicht enttäuscht zu werden. Weil man der anderen Person gleich so unglaublich viel Raum und Bedeutung im eigenen Leben, im eigenen Alltag gibt. Und schon ist mein tägliches Glück abhängig von der Stimmung und Zuneigung einer anderen Person.
Mein Leben ist weit und bunt und frei, jetzt da ich nicht abhängig von einem Menschen bin. Und ich kann mit 100%iger Sicherheit sagen, dass der Mensch selber nicht das Problem war. Ein kleiner Exkurs dazu folgt.
Vor kurzem habe ich mich in einem Gespräch daran erinnert, was ich zum Beginn der Beziehung zu meinem letzten Partner gesagt habe. Unzwar, dass ich glaube, dass ich mich unweigerlich immer für die andere Person biegen und ändern werde, dass ich schlicht und ergreifend nicht anders kann. Und dass es daher meine Aufgabe sein wird, mir Menschen zu suchen, die mich in eine gesündere, bessere Richtung bewegen.
Wenn ich mir das jetzt so anhöre klingt das nach „ja, ich bin super suchtanfällig, ich brauch also einfach nur eine Droge, die nicht ganz so schädlich ist". Ja, manche sind weniger schlimm. Manche sind schon scheiße, wenn man sie nur ganz selten nimmt, andere versauen einem erst so richtig das Leben, wenn man täglich dranhängt. So oder so es beeinflusst das eigene Leben, in irgendeiner Weise. Zu einem gewissen Maß bin ich in den Stunden nicht ganz der Mensch, der ich alleine zu Hause wäre. Und das ist ja auch mal in Ordnung. Ich bin die Letzte, die zu einem lustigen Spieleabend mit etwas zu viel Alkohol nein sagt. Aber es ist ein Abend weniger, den ich in meinem Wohnzimmer sitze und male. Und wie sehr würde ich verlernen die Farben zu sehen, wenn ich jeden Tag betrunken wäre.
Meine ferne, beste Freundin bezeichnet verliebt sein als Rausch. Das passt mir natürlich gerade wunderschön in den Vergleich, nicht zuletzt, weil es einen anderen Punkt unterstreicht. Es geht denke ich nicht jedem so. Süchtig können wir schließlich nicht nur nach Drogen werden. Eine Esssucht ist ein schrecklich treffendes Beispiel dafür, wie etwas ganz Essenzielles fürs Leben zur schlimmsten Last werden kann. Und mit einem Mal ist Essen für die eine Person der größte Frust, während eine andere es genießen und lieben kann. Der Rausch kann denke ich etwas Schönes sein. Wenn man nicht gerade suchtanfällig ist.
Schon sind wir an dem Punkt angekommen, wo ich von „warum definiert die Welt das so" zu „vielleicht bin ich das Problem" übergehe. Denn das Essen ist ja nicht böse, ich kann nur nicht damit umgehen. Und das ist was Ernstes, daran müsste man arbeiten. Aber um mir mal einen Moment Pause zu gönnen: ist eine monogam, romantische Beziehung für das Leben so essentiell wie essen? Liebe, ja definitiv. Wir brauchen sie in der ein oder anderen Form, um uns warm, sicher und angekommen zu fühlen. Aber muss es diese eine Liebe sein?
Ich denke ich habe vorab schon recht ausführlich beschrieben, dass ich keine Einzigartigkeit in einer Partnerschaft gegenüber einer Freundschaft sehe. Aber dennoch, ich bin hingezogen zum Rausch, es steht im Raum sobald man Freundschaft mit Sex mischt, sobald man jemanden datet, muss man zumindest deutlich und mehrmals klar machen, dass man aber keine Beziehung will. Es scheint der Mittelpunkt für die Definition jeder weiterer zwischenmenschlicher Interaktion zu sein. Man ist ja „nur" befreundet. Die Frage ist nun kann man – kann ich – ohne das? Will ich ohne?
Ich beantworte die zweite Frage zuerst, weil die Antwort leicht ist: ja. Ich will ohne. Wenn ich die Wahl habe zwischen der Sucht, dem Zwang, der Angst oder jeden Tag zu genießen, was mich glücklich macht, losgelöst von dem „muss", dann fällt mir die Wahl leicht. Ich will nicht abhängig sein, ich weiß vielleicht auch einfach nicht wie ich ohne genieße. Und mit meinem Wissensstand gerade, will ich es auch nicht lernen. Das ändert sich vielleicht, wenn ich mich im nächsten Schritt genauer damit auseinandersetze, ob ich ohne kann. Dann muss ich schauen, was mehr Anstrengung erfordert. Ohne etwas leben zu wollen, ohne das ich aber nicht kann und immer etwas zu vermissen oder einmal meine Muster aufzubrechen. Ich meine ein Alkoholiker kann sich theoretisch auch entscheiden, aber die richtige Wahl scheint irgendwie klar, oder? Auch wenn er dem Rausch vielleicht manchmal hinterher trauert.
Nun ja, weiter im Text – kann ich ohne? Werde ich tatsächlich ohne eine konstante, monogame Partnerschaft so glücklich, wie es mir erhoffe. Tja, weiß ich nicht. Hab's ja nicht versucht. Ich will es gerne versuchen. Und scheitere an der Welt. Was ich möchte scheint mir auf den ersten Blick nicht komplett absurd. Zwischenmenschliche connection, gegenseitiges mögen, wertschätzen und supporten. Mehr erwarte ich gar nicht. Eine schöne Zeit zusammen. Wenn es sich ergibt diese Zeit mit Sex zu ergänzen, an dem beide Spaß habe, super, optimal, warum nicht, wenn die Anziehung passt.
Kleiner Einschub dazu. Ich habe vor kurzem in dem Buch gelesen, dass es Freundschaften stärken kann, ganz banale Kindheitsspiele zu spielen. Das diese Art von (albernen,) körperlichen Kontakt beim gemeinsamen Schaukel-Weitspringen oder Fangen Menschen auf eine neue, ungezwungenere Art verbindet. Ich behaupte genau dieses Phänomen in meiner Freundesgruppe beobachtet zu haben nach unserem gemeinsamen Urlaub, in dem wir in unserer eigenen kleinen Olympiade gemeinsam Pool-Volleyball und Fangen gespielt, Eierläufe und Wettrennen veranstaltet haben. Wir sind seitdem auf einer anderen noch ungezwungeneren Ebene. Jedenfalls schloss der Teil des Buchs damit ab, dass etwas ähnliches passiert, wenn Menschen Sex miteinander haben, wir aber ja nun mal nicht mit all unseren Freund*innen Sex haben können. Und mein erster Gedanke war „warum eigentlich nicht?". Eine eindeutige Antwort ist, dass man das nicht mit jeder Person möchte und das ist vollkommen valide und verständlich. Aber gehen wir einmal von einer grundlegenden Anziehung aus – warum eigentlich nicht?
Nun gut, ich mache mich also erstmal ganz unüberlegt auf die Such nach neuen Menschen auf Dating-Plattformen. Raus in die Welt. Oder naja, vielleicht bin ich auch das Problem, weil ich glaube ernsthafte Verbindungen zu Menschen auf Bumble finden zu können, aber bleiben wir erstmal bei der Welt. Die zugegeben für mich etwas überraschende Erfahrung die ich nun gemacht habe, ist dass eine Situationship einzugehen scheinbar schnelleres commitment erfordert, als eine Beziehung. Beim daten zu Beziehungs-zwecken trifft man sich ein paar Mal, um zu schauen, was sich entwickelt – im Idealfall eine Beziehung, vielleicht passt man aber auch gar nicht zusammen oder man entscheidet sich für ein Zwischending, sei es eine Freundschaft mit oder ohne „plus". Treffe ich nun jemandem und wir beide haben angegeben, dass wir nach etwas Lockerem suchen, scheint es von mir erwartet zu werden, dass ich mich schon beim ersten Treffen entscheide, ob ich mit der Person schlafen will oder nicht. Will ich mir Zeit lassen, um zu schauen, ob es passt, meint die andere Person diese Zeit sei besser genutzt, indem man sich einfach jemand neuen sucht, der beim ersten Treffen bereitsteht bzw. liegt. Wieso wird von dieser Art der Beziehung so viel weniger Kennenlernen vorab erwartet? Ist es das mangelnde Bedürfnis nach Tiefe? Gibt es da draußen wirklich Menschen, die lieber nur Sex mit jemandem haben und dann wieder nach Hause gehen, statt Gemeinsamkeiten zu finden, Zeit mit Lachen und Gesprächen zu verbringen? Die Vorstellung lässt mich die Welt als unglaublich kalt und einsam empfinden. Vielleicht habe ich aber auch nur Mitleid für die Menschen, die nicht mehr wollen oder können. Vielleicht liege ich aber auch falsch, bin zu blauäugig, habe das System nicht verstanden. Diese Menschen haben möglicherweise schon genug Freund*innen, enge Bindungen und brauchen das nicht von mir. Wollen mich nur für das eine – ich weiß nicht, ob das ein Fehler ist, den ich bei mir sehen will.
Gehen wir jetzt mal davon aus, dass diese Herausforderung überwunden ist insofern, dass die nötige Anziehung bei so einem Treffen von beiden Seiten da ist, man ist sich sympathisch, die Chemie stimmt. Die nächsten Schritte sind nun unklarer denn je. Gut, ich habe nun bestätigt, dass ich dazu offen wäre Sex zu haben, aber passiert das nicht innerhalb der ersten fünf Treffen, lohnt sich das dann wirklich? Oder macht es dann doch eher Sinn jemanden zu suchen, der sich weniger rarmacht, es weniger verkompliziert. Wir hören schon, ich scheine wieder das Problem zu sein. Es gibt hier kein Drehbuch, die Parameter scheinen so viel unbestimmter, als sie bei dem herkömmlichen Modell der Beziehungssuche sind. Und scheinbar muss ich persönlich mich wohl bei jemandem fühlen, um das zu wollen, was denk ich mir nur dabei? Wer fühlt sich denn schon beim ersten Treffen wohl genug, um alles von sich zu zeigen und bereit zu sein gesehen zu werden? Oder ist Sex dann doch rein transaktional, Haut auf Haut ohne Nerven und Gefühle darunter? Ist ein stumpfes rein raus besser als der Kontakt zwischen zwei Menschen, die sich kennen und schätzen und einander wirklich fühlen wollen?
Und so frage ich mich nun doch, ob es den Aufwand wert ist. Mich mit all diesen Menschen, der Welt und ihren Erwartungen auseinander zu setzen – für was? Benutzt, bewertet, gedrängt, enttäuscht zu werden. Ich mach mir mein Leben vielleicht schwerer als es sein müsste. Lass die anderen doch so leben, niemand sagt, dass ich das muss. Ich habe Liebe in meinem Leben, tolle Freund*innen und kann im Moment auch nicht behaupten, dass mir Nähe fehlt, also was ist mein Problem? Wozu bastel ich mir ein Problem?
Nun ja, ich will eben Neues. Will vielleicht einen Teil des Rauschs zumindest einen alkoholfreien Cocktail. Nur so für den Appetit essen. Ich will das gelb-gestreifte Ringelblümchen, wie meine Mama sagen würde. Und das ist dann womöglich doch irgendwie egoistisch. Denn hier bin ich und verschwende die Zeit von Menschen, die offensichtlich etwas anderes wollen als ich. Riskiere zu verletzten, wo ich vielleicht nicht klar genug bin. Ja ich will Sex, aber ich will auch connection, Nähe und deine Zeit, dann sonst reich es mir nicht. Ich will deine Nähe, seinen support, deine Wärme, aber ich will nicht „ich liebe dich" sagen, denn ich meine es nicht.
Ich weiß nicht, ob ich ohne kann. Zumindest nicht ohne den Gedanken daran. Ich weiß kaum noch, ob ich es versuchen will und in Anbetracht dessen scheine ich mir ziemlich dramatisch, denn ich habe ja erst zwei Menschen getroffen. Doch mein Herz liegt offen auf dem OP-Tisch und schlägt und ist verwirrt, verlangt, dass ich es zunähe, fixe mit einer Erklärung einem Plan. Ich befürchte, dass ich den nicht geben kann, denn ich bin das Problem.
Um das nochmal zur Abhängigkeit zurückzuführen, man braucht halt eine Ersatzhandlung. Ich kann mir nun nicht mehr den Kopf zerbrechen, wie ich meinen Partner, den Mittelpunkt meines Alltags, meines Seins glücklich machen kann, also muss ich wohl rausfinden, wie ich eigentlich selbst glücklich werde. Und zudem am besten alle um mich herum weiterhin glücklich mache.
Ich bin das Problem. Diese Antwort war vielleicht offensichtlich, da ich es für zielführend erachtet habe meine ach so wichtigen Gedanken unbedingt aus meinem dummen, schmerzenden Kopf rauszuholen, nur um zu dem Ergebnis zu kommen, dass ich es halt mal ausprobieren muss, um zu gucken was passiert. Aber würde ich mich selbst nicht so wichtig nehmen, hätte ich das Problem nicht. Oder ich bilde mir ein, dass es sich lösen wird, wenn die Welt mich einfach ein bisschen besser versteht oder sich direkt komplett auf meine Seite schlägt. Wäre doch einfacher, wenn das alle einfach so sehen würden wie ich. Naja, wie gesagt, ich befürchte ich bin das Problem.
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