27 - Neue Anhaltspunkte
Montag, 19.10.2020
Ich werde aus einem erholsamen Schlaf gerissen, als mich etwas Weiches an meiner nackten Schulter berührt und eine warme Spur zu meinem Hals zieht. Benommen öffne ich die Augen auf und drehe den Kopf nach hinten, um festzustellen, dass es Jordans Lippen sind, die mich geweckt haben. Er lehnt über meiner Seite und küsst sich einen Weg von meinem Oberarm zu meinem Hals und zu meiner Wange.
Plötzlich brechen die Ereignisse von letzter Nacht über mich ein und überschwängliches Glück überkommt mich. „Guten Morgen", säusele ich freudestrahlend und begegne seinem warmen Blick.
„Morgen", erwidert er und drückt mir einen letzten Kuss auf die Wange, bevor er sein zu großes Oberteil, das er mir vergangene Nacht zum Schlafen geliehen hat, über meine Schulter zieht und mich wieder bedeckt. „Wie fühlst du dich? Tut dir etwas weh?", erkundigt er sich beunruhigt und schiebt einen Arm unter meinen Kopf. Gemütlich drehe ich mich auf meine andere Seite, sodass wir uns ansehen können.
„Etwas", gebe ich zu, als ich genauer auf das wunde Gefühl zwischen meinen Beinen achte. „Aber mir geht's gut. Sehr gut. Wie... Äh, fandest du es?" Verlegen wende ich den Blick von seinen Augen ab und versuche interessiert seine Nase zu begutachten, um seinem Charme nicht sofort wieder zu verfallen.
Ein spitzbübisches Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus. „Das war der beste Sex, den ich seit langem hatte."
Überrascht horche ich auf. „Wann war dein letztes Mal?", frage ich kleinlaut, unsicher, ob ich es überhaupt wissen will. Ich habe mir schon gedacht, dass er sich seine Unschuld nicht aufgehoben hat, aber es direkt gesagt zu bekommen, löst doch so etwas wie Schwermut in mir aus.
Jordans Stirn legt sich in tiefe Falten, ehe er nachdenklich an die Wand schaut. „Vor etwa vier Jahren, glaube ich."
Noch bevor ich mich selbst daran hindern kann, hat der Name bereits meinen Mund verlassen. „Mit Madeline?"
Empört keucht er auf. „Die Beziehung zu meinen Kolleginnen ist und bleibt rein geschäftlich und freundschaftlich. Darüber hinaus ist nie etwas gelaufen und das wird es auch nicht. Zerbrich dir also nicht den Kopf darüber", seufzt er schließlich und streicht mir meinen zerzausten Pony aus dem Gesicht. „Warum machst du dir so viele Gedanken um sie? Habe ich dir je den Eindruck vermittelt, dass zwischen ihr und mir mehr ist als das, was wir beide haben?"
„Es ist nur so... Sie ist eine Frau, die–"
„Und du bist keine?", fällt er mir barsch ins Wort.
Kleinlaut versuche ich mich zu erklären. „Neben ihr und deinen Freunden komme ich mir vor wie ein junges Mädchen. Sogar Elias hat mich den ganzen Abend so genannt. Ich weiß, dass wir einen großen Altersunterschied haben, aber ich bin trotzdem erwachsen und–"
„Du lässt das so klingen, als wäre ich uralt", murrt er beinahe schon gekränkt. „Ich bin nur sieben Jahre älter. Das ist nicht die Welt und gesetzlich im Rahmen. Außerdem bist du auch kein junges Mädchen, sondern eine reife, junge Frau. Wäre dem nicht so, hätte ich keines der Dinge von letzter Nacht mit dir gemacht", stützt er seine Argumentation mit einem frechen Grinsen und lässt lasziv eine Hand an meiner Seite entlangfahren. Mit einer geschickten Bewegung begeben sich seine Finger unter das langärmlige Oberteil und streicheln meine warme Haut, auf der sich meine Haare aufstellen. „Hab ein bisschen mehr Selbstbewusstsein, Rose. Gib nicht so viel auf die Meinung der anderen und schon gar nicht auf die, die deine Hirngespinste dir einreden. Ich weiß, dass ich auch mal gesagt habe, dass du dich kindisch verhältst, aber das habe ich nicht so gemeint. Nur die wenigsten, die so etwas erlebt haben wie du, wachsen zu reifen und starken Erwachsenen heran. Ich bin stolz auf dich und das kannst du auch sein."
Seine Worte, die so typisch für Blue Rose sind, machen mir wieder einmal bewusst, wen ich vor mir habe und was er mir bedeutet. Mit flatterndem Herzen ziehe ich ihn in eine feste Umarmung und nuschele in seine Brust: „Danke."
„Nicht dafür", lacht er an meiner Stirn und will gerade noch etwas hinzufügen, als plötzlich ein Klingeln ertönt. Genervt brummt er etwas vor sich hin, löst sich aus meiner Umklammerung und greift nach seinem Handy auf dem Nachttisch. „Was ist?", spricht er unhöflich in den Hörer und legt eine Hand an meinen nackten Oberschenkel. Mir ist klar, was er für ein Spiel spielt, sobald ich ihn herausfordernd grinsen sehe. Ebenso provokativ wie er, lege ich meine Hand flach auf seinen harten Bauch unter seinem T-Shirt und stoße ihn sachte auf den Rücken. „Was ist denn in dich gefahren? Sonst schreibst du doch jedes Jahr nur eine Nachricht", sagt er amüsiert zu der Person am anderen Ende der Leitung, lässt mich aber für keine Sekunde aus seinem durchbohrenden Blick.
Kühn senke diesmal ich meinen Mund auf seinen Hals und presse einen Kuss nach dem anderen auf seine warme Haut. Genüsslich seufzt er leise und legt den Kopf in den Nacken, während er meinen mit seinen langen Fingern krault. „Gut erkannt", lacht er plötzlich tief. „Also mach schnell. Was verschafft mir die Ehre?" Meine Hand gleitet schmeichelnd über die Muskeln auf seinem Bauch, die ich letzte Nacht nicht genug habe anhimmeln können. Allerdings werde ich von dem Genuss seiner gebräunten Haut an meinem Mund weggerissen, als Jordan verwirrt meinen Namen sagt. „Rose? Warum das denn?" Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass er nicht zu mir spricht, sondern über mich. Seine Stirn legt sich in Falten, als er mich so stutzig ansieht wie ich mich fühle. „Nein, sag mir erst, was du zu erzählen hast, dann– Maddie, ich habe ein Mitspracherecht!"
„Was ist los?", frage ich ihn neugierig und setze mich im Schneidersitz neben ihn.
„Lass mich erst mit ihr darüber reden... Schon gut! Aber wehe, du– Ich drohe dir nicht!" Gereizt setzt auch er sich auf und stellt sein Handy auf Lautsprecher. „Ich will dir eins sagen, Rose. Du musst nichts tun, was du nicht willst. Dir steht es offen, ob du hören willst, was Maddie zu sagen hat."
„Jetzt rede der Kleinen doch keinen Mist ein", ertönt die genervte Stimme von Madeline. Beklemmt sehe ich zu Jordan auf, der eine entschuldigende Miene zieht.
Souverän strecke ich meinen Rücken durch, als würde die Detektivin mich sehen können. „Was gibt es denn?", frage ich mit fester Stimme.
„Ich will eure gemeinsame Zeit nur ungern stören, aber ich muss mit dir reden. Es geht um deinen Vater."
„Meinen Vater?", wiederhole ich entrüstet und suche panisch nach Antworten in Jordans Augen. „Was hat er... Ich meine, warum...", setze ich zögerlich an, weiß aber selbst nicht so recht, was ich eigentlich sagen will.
„Das erfährst du dann, wenn ich nachher vorbeikomme. Ich muss dir ein paar Fragen stellen und ich denke, dich würde auch interessieren, was ich herausgefunden habe."
„Wenn du nicht willst, dann–", spricht Jordan sofort auf mich ein, bevor ich die Chance habe etwas zu sagen.
„Natürlich will ich", antworte ich, doch mein Tonfall ist schwach. Schon so lange will ich mehr über meine Vergangenheit in Erfahrungen bringen und jetzt bietet sich mir endlich die Chance. Zwar habe ich meinen Vater nie kennenlernen wollen, aber wenn sich mir die Möglichkeit bietet auch nur einen neuen Ansatzpunkt zu finden, dann werde ich diesen wahrnehmen.
„Gut, dann fahre ich gleich los", verkündet sie erleichtert. „Zieht euch etwas an."
Trotz der ernsten Atmosphäre, die unsere Leidenschaft eben vertrieben hat, schleicht sich ein lüsternes Lächeln auf seine Lippen, die mich noch vor ein paar Stunden in den Wahnsinn getrieben haben. „Gib uns eine– nein, zwei Stunden", wendet Jordan schnell ein und legt ohne Weiteres auf. Gleichgültig stellt er sein Handy wieder auf dem Nachttisch ab und setzt seine rauen Hände an meinen Knien ab. Fragend sehe ich ihn an, doch sein Blick ist starr auf meine nackten Beine geheftet, die er gedankenverloren liebkost. „Du hast anders reagiert, als ich erwartet habe."
„Was hast du denn erwartet?", will ich wissen und lasse mich von ihm wieder auf die weiche Matratze ziehen.
„Schweißausbrüche, Atemnot, Angst", raunt er leise und streicht mir mit der Hand über die Wange. „Die Rose, die ich kennengelernt habe, hätte gezögert. Ich sagte doch, dass du stolz auf dich sein kannst."
Dankbar lächele ich ihn an. „Aber warum zögerst du? Warum sollen wir noch zwei Stunden warten?" Noch bevor ich meine Frage ausgesprochen habe, kann ich seine Gedanken in seinem Gesicht ablesen. Ein Blick in seinen tiefbraunen Augen reicht, um all die Spekulationen und die Aufregung vor dem Gespräch mit Madeline zu vertreiben.
Gemütlich stützt er sich auf einem Arm ab und beugt sich über mich. Mit seiner freien Hand fährt er langsam meinen Oberschenkel auf und ab und flüstert mir verführerisch ins Ohr: „Was hältst du davon, wenn ich dir in dieser Zeit zeige, was ich mit so einer atemberaubenden Frau wie dir gerne tun möchte? Dann gehen wir zusammen duschen und ich mache dir ein leckeres Frühstück, bevor der Ernst des Lebens wieder beginnt. Wie klingt das?"
*
Aufgewühlt sitze ich Jordan und Madeline gegenüber, die angestrengt über ein paar Dokumenten lehnen und sich austauschen, doch ich kann mich gar nicht auf die beiden konzentrieren. Mein Blick wandert fiebrig durch den mir fremden Raum.
Als Maddie angekommen ist, habe ich erwartet, dass wir uns ins Wohnzimmer setzen würden, aber zu meiner Überraschung hat Jordan die Tür mit dem Kreuz aufgeschlossen, zu dem mir der Zutritt bisher verwehrt gewesen ist. Ohne viel zu sagen, hat er mich zu zwei aneinander stehenden braunen Holztischen in der Mitte des Raumes geführt und gemeint, dass er und die Detektivin gleich soweit sein würden.
Seither haften meine Augen an den verstaubten dunklen Holzregalen, auf denen so viele Ordner stehen, wie auf denen in Patricks Büro, wenn nicht sogar mehr. Direkt vor den zusammengerückten Tischen ragt ein Whiteboard, auf dem die blauen Reste von Buchstaben zu sehen sind. Das Licht dahinter, das durch das offene Fenster hineinscheint, verleiht dem improvisierten Büro, das mehr einem großen Kabuff ähnelt, eine gewisse seriöse Aura. Die Frage in meinem Kopf, warum ich diesen Raum nie habe betreten dürfen, bleibt unbeantwortet, doch ich nehme mir vor Jordan nachher zu fragen. Vor Madeline möchte ich mir diese Blöße nicht geben. Ich erinnere mich an den Tag, an dem ich ihr das erste Mal begegnet bin. Jordan hat sie ohne Weiteres hierhergeführt. Das bedeutet, was immer er versteckt hat, ist nur nicht für meine Augen bestimmt gewesen. Vor einiger Zeit hätte ich mich sicherlich darüber geärgert und wäre verletzt gewesen, aber nun bin ich mir sicher, dass Jordan seine guten Gründe gehabt hat.
„Bist du bereit?", reißt mich seine tiefe Stimme unvermittelt aus meinen Spekulationen, die ich unbewusst in meinem Kopf zusammenspinne. Ratlos sehe ich zu ihm auf, während er mich mit einem besorgten Blick bedenkt und um den Tisch herum kommt. Lässig lässt er sich auf den Stuhl neben mir fallen und greift nach meiner Hand in meinem Schoß. Fragend schaut er mich an und fährt mit seinem Daumen beruhigend über meine Finger.
„Ja", beantworte ich seine Frage und wende mich an Maddie, die das Schauspiel belustigt beobachtet.
„Dann legen wir mal los", seufzt sie und stellt sich neben das Whiteboard, bereit für ihre folgende Präsentation. Ihre dunkel bemalten vollen Lippen schließen sich um die Kappe eines roten Stifts und ziehen diese ab, ehe sie beginnt auf die Tafel zu kritzeln.
James Black, schreibt sie mittig oben und kreist den Namen ein. Von ihm gehen vier Pfeile aus nach unten und führen zu weiteren Namen. Claudia Black, Ryan Price, Sara Price und Ryder.
„Ich glaube, ich erzähle dir nichts Neues, wenn ich sage, dass James der Name deines Vaters ist. Claudia, deine Mutter, ist seine Frau gewesen. Sie waren zwar nicht geschieden, weil James den Antrag nie unterschrieben hat, aber sie lebten seit 2000 getrennt." Mama hat seinen Namen nie vor mir erwähnt und ihn immer nur als ihn oder dein Vater betitelt. Es ist schon ziemlich seltsam, dass ich das meiste über ihn durch Jordans Recherchen erfahren habe. Dinge, die Mama nicht für nötig gehalten hat mich darüber in Kenntnis zu setzen. „Ryan Price, der Name klingelt sicher bei dir, ist sein Arbeitgeber gewesen. Dein Vater hatte hohe Schulden, als er deine Mutter geheiratet hat, weil er kurz vorher seinen Job verloren hat. Ich weiß nicht genau seit wann, aber er hat angefangen für Ryan zu arbeiten, und zwar als Leibwächter für seine Frau Sara. Als Spitzenpolitiker hatte er viele Feinde und wollte sie wahrscheinlich schützen. Was er aber nicht erwartet hat, war, dass die beiden eine Affäre miteinander führen würden. Sara ist im Jahr 2008 tot aufgefunden worden. Irgendjemand hat einen Krankenwagen bestellt, aber als man am Tatort ankam, war die Leiche das einzige, das man hatte finden können. Bei der Autopsie kam heraus, dass sie in der elften Woche schwanger gewesen ist. Ich habe recherchiert und herausgefunden, dass sie sich ein Jahr zuvor eines Schwangerschaftsabbruchs untersetzt hat. Beweise konnte ich nicht finden, aber ich gehe schwer davon aus, dass James in beiden Fällen der biologische Vater gewesen ist."
Der Schock muss mir buchstäblich ins Gesicht geschrieben sein. Madeline verzieht kurz entschuldigend die Miene und gibt mir Zeit, das Gesagte zu verarbeiten. Mir ist bewusst gewesen, dass die Ehe meiner Eltern keine gute gewesen ist. Ich habe ihn nie sehen dürfen, wenn er gekommen ist. Sie hat mir aufgetragen, dass ich still in meinem Zimmer bleibe oder hat mich vorher schon zu Freunden gebracht, damit wir uns nicht über den Weg laufen. Als Kind habe ich das noch nicht realisiert, wenn ich jetzt allerdings an ihr Verhalten zurückdenke, kann nur das der Grund gewesen sein, warum sie mich so oft weggeschickt hat, wenn es an der Tür geklingelt hat. Jetzt ergibt auch ihr Brief Sinn, indem sie mich davor gewarnt hat, nicht den gleichen Fehler zu machen wie sie. Entweder du bist die Frau, die er liebt oder jemand anderes, hat sie geschrieben. Sie hat von seiner Affäre gewusst. Ich will mir nicht ausmalen, wie sie sich gefühlt haben muss. Ich habe Mama als eine wahnsinnig starke Frau in Erinnerung, aber wer wäre nach so einem Vertrauensbruch nicht am Boden zerstört?
Verhalten räuspert sich Madeline als Zeichen dafür, dass sie gerne weitersprechen würde. Mit glasigen Augen nicke ich und spüre, wie Jordan meine Hand fester drückt. „Kommen wir jetzt zum interessanten Teil. Ryder. In der Datenbank lassen sich genau zwei Personen finden, die mit James in Verbindung stehen. Ryder Black und Ryder Price. Unter dem Namen deiner Mutter ist Ryder Black als ihr biologischer Sohn verzeichnet, aber über ihn ist so gut wie nichts herauszufinden, genauso wenig wie über Price. Sara und Ryan haben nämlich nur einen biologischen Sohn und das ist dein Boss, Patrick Price. Jetzt pass gut auf. Jordan hat mir erzählt, dass Steven behauptet, der Bruder von Patrick zu sein. Ich habe seine Lehrer auf der weiterführenden Schule befragt und sie alle sagen, dass Patrick keinen Bruder namens Steven hatte, sondern einen Pflegebruder mit dem Namen Ryder, den James und Sara später adoptiert haben sollen. Aber es waren nirgends offizielle Adoptionspapiere hinterlegt. Warum also behauptet Steven so etwas? Wir sollten uns fragen, wer er wirklich ist, denn ich bin ziemlich sicher, dass er uns etwas vorspielt. Jordan und ich vermuten, dass Steven in Wahrheit Ryder Price ist. Wir haben lange gegrübelt, warum er einen falschen Namen annehmen sollte und sind schließlich zu einem logischen Entschluss gekommen: Er ist der Mörder deiner Mutter." Den letzten Satz spricht sie aus, als würde sie mir eröffnen, wer mein neuer netter Nachbar von nebenan wäre. Als würde ihre Vermutung mir nicht das Herz aus dem Leib reißen. „Erinnerst du dich an die DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden und zu Ryder gehören? Ist das nicht Grund genug, eine falsche Identität anzunehmen? Du bist die Tochter seines Mordopfers von vor dreizehn Jahren. Ich will dir keine Angst machen, Kleines, aber gib auf dich acht. Es würde mich nicht wundern, wenn du die Nächste auf seiner Liste bist."
„Stopp!", zischt Jordan plötzlich neben mir und knallt seine Faust so heftig auf den Tisch, dass die Dokumente verrutschen. „Rede ihr nicht so einen Blödsinn ein."
„Du magst es für Blödsinn halten, aber du weißt genauso gut wie ich, dass die Gefahr besteht, dass sie sein nächstes Opfer wird."
„Aus welchem Grund?", bringe ich mit erstickter Stimme heraus und versuche den Kloß in meinem Hals herunterzuschlucken. „Ich habe ihm nichts getan und kenne ihn erst, seitdem er in der Kanzlei angefangen hat. Ich– Nein, ich habe nichts getan!"
„Hey, beruhig dich", spricht Jordan behutsam auf mich ein und streicht langsam meine Oberarme auf und ab. Erst dann merke ich, wie sich meine Brust rasant hebt und senkt und mein Atem beginnt, flacher zu werden. Es hat eine Zeit gegeben, in der ich regelmäßig meditiert habe. Mir ist bewusst, dass ich diese Routine wieder aufnehmen sollte. Das Internet ist voller Videos, Anleitungen und Apps, die einem das Meditieren und eine innere Ruhe beibringen wollen. Die Panikattacken haben etwas nachgelassen, doch sobald ich etwas unzuverlässiger geworden bin, ist auch die Wirkung der erprobten Ruhe abgeklungen.
Benommen sehe ich zu Jordan auf, aber alles, was ich erkenne, sind schwarze Punkte, die vor meinen Augen tanzen. Ignoriere sie, spreche ich mir in Gedanken zu und versuche, mein Gegenüber zu fokussieren. Ich atme tief durch die Nase ein und durch den Mund aus. Immer und immer wieder. Langsam und jedem Atemzug bewusst. Nach einigen Momenten lösen sich die Punkte auf und meine Angst verraucht mit ihnen. Erleichterung breitet sich in seinen Gesichtszügen aus, als sich meine Atmung reguliert und das Zittern nachlässt. Vorsichtig legt Jordan einen Arm um meine Schultern und zieht meinen Kopf gegen seine Brust. Fürsorglich streichelt er mir über den Hinterkopf. „Maddie, bring ihr etwas zu trinken."
Meine Sicht und meine Gedanken sind noch zu vernebelt, um mitzubekommen, wie die Detektivin den Raum verlässt und wenig später ein Glas Wasser vor mir abstellt.
„Werd mir bloß nicht wieder bewusstlos", tadelt Jordan mich witzelnd, vermutlich, um mich aufzuheitern. „Hier, trink etwas", sagt er und hält mir das Glas vor die Lippen. Dankend nehme ich es ihm ab und kippe den Inhalt in nur wenigen Schlucken herunter.
Die kühle Flüssigkeit spült die unangenehme Hitze in meinem Körper Stück für Stück weg, bis ich endlich wieder aufsehen kann. Ich begegne Jordans beunruhigtem Ausdruck und dem ungeduldigen von Maddie.
„Ich glaube, das reicht fürs Erste", spricht Jordan an seine Kollegin gewandt, doch ich winke ab.
„Was hast du noch herausgefunden?", frage ich und versuche einen Blick auf die ausgebreiteten Dokumente zu erhaschen, indem ich mich über den Tisch beuge.
„Rose–"
„Mir geht es gut", unterbreche ich Jordan und schenke ihm ein überzeugendes Lächeln. „Wenn ich nicht jetzt mehr über die Vergangenheit erfahre, dann werde ich es nie tun. Bitte lass es mich selbst entscheiden." Ich sehe ihm an, dass er noch etwas zu sagen hat, aber stattdessen beißt er die Zähne zusammen und nickt ergebend.
„Da das jetzt auch geklärt ist", seufzt Madeline und blättert in einer blauen Mappe herum, aus dem sie ein Foto herausholt und zu mir herüberschiebt. „Erkennst du einen von ihnen?" Angestrengt mustere ich die zwei kleinen Jungen, die ernst in die Kamera blicken. Der kleinere von ihnen umklammert eine Einschulungstüte, während der offenbar ältere starr neben ihm steht. Hinter ihnen steht eine ältere Frau, die fröhlich in die Linse lächelt und je eine Hand auf den Schultern der Jungen abgelegt hat. Egal, wie lange ich das Gesicht der beiden studiere, regen sich bei mir keine Erinnerungen. Jordan hingegen zieht scharf die Luft ein.
Fragend sehe ich ihn an, allerdings beachtet er mich gar nicht. Sein Gesicht ist verzerrt, als er das alte Foto an sich reißt und es genauer betrachtet.
„Was ist los?", will ich wissen und sehe ihm über die Schulter, auf der Suche nach etwas, das so eine Reaktion bei ihm ausgelöst hat. „Kennst du die Kinder?" Er wirkt zwiegespalten, als er zwischen dem Foto und mir hin und her sieht.
„Du bist keine Hilfe, wenn du alles für dich behältst", fasst Madeline meine exakten Gedanken in Worte und stellt sich nun auf seine andere Seite.
„Ich kenne ihn", raunt er gedankenverloren und tippt auf den kleineren Jungen auf dem Bild. Jordans Augen sind geweitet, als er mir ins Gesicht sieht und Madeline fragt: „Wer sind die Beiden?"
„Patrick und Ryder Price."
„Nein", knurrt er den Kopf schüttelnd. Sein Blick verlässt für keine Sekunde meinen. „Das ist Ryder Black. Dein Bruder, Rose."
„Was?", entkommt es mir atemlos. „Du kennst meinen... Du– Du kennst ihn?"
„Nicht direkt, aber ich erinnere mich an einen kleinen Jungen, mit dem ich gespielt habe, bevor du geboren wurdest. Ryders Spur verliert sich 1997, da muss ich etwa sieben Jahre gewesen sein. Ich kann mich nicht ganz genau erinnern, vielleicht irre ich mich auch, aber ich glaube Fotos von ihm gesehen zu haben, als ich mich mit Claudia getroffen habe. Ich hatte sie gefragt, wer das ist, aber sie wollte mir nicht antworten. Ich glaube– nein, ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass er der Junge von den Fotos damals ist."
„Da würde bedeuten, dass Ryder Black und Ryder Price wirklich ein und dieselbe Person sind?", wirft Madeline eine Vermutung in den Raum, lässt es aber wie eine Frage klingen.
„Ich verstehe das nicht", sage ich verwirrt und springe von meinem Stuhl auf. „Ich habe nie etwas von einem Bruder gewusst. Warum hätte Mama es mir verschweigen sollen? Warum sollte mein vermeintlicher Bruder sich überhaupt als Sohn von anderen ausgeben? Wieso sollte er mich tot sehen wollen? Und– oh Gott! Wollt ihr mir sagen, dass er meine... unsere Mama umgebracht hat?"
„So scheint es zu sein", erwidert Maddie auf meinen emotionalen Ausbruch und erntet einen giftigen Blick von Jordan.
„Noch ist nichts sicher, Rose", redet er behutsam auf mich ein und stellt sich vor mich. Er will mich in den Arm nehmen, aber ich entziehe mich seiner Berührung. Überfordert haste ich im Raum auf und ab und bleibe schließlich vor dem Whiteboard stehen. Unverwandt hefte ich meinen Blick auf die aufgeschriebenen Namen und versuche mir einen Reim aus dem zu bilden, was mir soeben erzählt wurde. Nichts davon ergibt Sinn. Absolut gar nichts.
„Genau deswegen bin ich hier, Kleines. Ich habe jemanden gefunden, der bereit ist, uns mehr zu erzählen."
„Wen?", schießt es schon aus Jordan heraus, bevor ich reagieren kann.
„James."
Tut mir leid, dass so lange nichts kam! Das Kapitel ist schon lange fertig, wurde aber noch nicht korrigiert, weil einfach die Zeit dazu fehlt. Entschuldigt also die Fehler und genießt das Kapitel trotzdem :)
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