22 - Zwischen Freundschaft und Gerechtigkeit
Montag, 12.10.2020
Es vergehen weitere Minuten, in denen die Neugierde mich zu übermannen droht. Patrick hingegen wirkt seltsam entspannt, als er sich einen neuen Drink bestellt. Auch ich nutze den Moment, um mein Glas auffüllen zu lassen und meine Nerven zu beruhigen. Etwas Essbares würde ich ohnehin nicht herunterbekommen, denn mein stetig wachsendes Unwohlsein verursacht unangenehme Aufregung.
„Ich bin froh, dass Jordan und du euch wieder vertragen habt", bricht Steven das angespannte Schweigen am Tisch.
Verächtlich verziehe ich das Gesicht über seine Beichte. „Warst du nicht derjenige, der mir weiß machen wollte, dass er mir die zwielichtigen Nachrichten schreibt?"
Abwehrend hebt er die Hände in die Höhe. „Hey, es war nur ein Gedankengang."
„Und zu dem Zeitpunkt wusstest du nicht, von wem die Drohungen wirklich stammen?", bohre ich nach, kann mir aber einen anschuldigenden Unterton nicht verkneifen. „Oder Sie, Mr. Price?", frage ich nun mit bissigem Unterton an meinen Chef gewendet.
Dieser zuckt gleichgültig mit den Schultern. „Nein", lautet seine knappe Antwort. Nach einigen Momenten fügt er hinzu: „Gewundert hat es mich aber nicht, als er gestanden hat. Einmal auf der falschen Schiene und der Weg auf die Richtige ist nicht mehr so einfach."
Alarmiert horche ich auf. „Woher wissen Sie, dass er gestanden hat?"
Trocken lacht Patrick auf. „Darum habe ich dich hierher gebeten, Rosie. Ich bin sein Verteidiger in diesem Fall", eröffnet er mir wie beiläufig, während er an seinem Getränkt schlürft. Dabei sieht er mir fest in die Augen.
Irritiert runzele ich die Stirn. „Sie wollen ihn verteidigen?", frage ich nach, obwohl ich ihn genau verstanden habe. „Sollten Sie sich nicht eigentlich auf die Seite der Gerechtigkeit stellen?"
„Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich es bin. Jeder andere würde alles tun, um ihm die möglichst geringste Strafe auszuhandeln. Ich nicht." Überheblich schnauft er, als hätte er mit seiner Entscheidung etwas Großartiges geleistet.
„Sind Sie nicht befreundet?" Irritiert runzele ich die Stirn über diese verzwickte Beziehung der beiden Männer. Als ich Robert das erste Mal im Club begegnet bin, haben sie so gewirkt, als würden sie sich relativ nah stehen.
„Befreundet?", lacht Patrick auf, als hätte ich einen urkomischen Witz gerissen. „Ich habe keine Freunde, Rosie. Das ist ein Prozess, den ich nicht gewinnen kann. Freundschaft hin oder her." Sobald er die Worte ausspricht, regt sich etwas in meinen Erinnerungen. Es ist wie ein Déjà-vu, als ich an den Tag zurückdenke, an dem ich Steven und seinen Bruder belauscht habe. Ich meine mich zu erinnern, dass Patrick auch da gesagt hat, dass jemand ihn gebeten habe, einen Fall zu übernehmen und dass es ein Prozess sei, den er nicht gewinnen könne. Zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht verstanden, was er damit meint, aber jetzt ergibt alles Sinn. Angestrengt versuche ich mich an den Rest des Gespräches zu entsinnen, bis es mir endlich einfällt. Patrick hat etwas von Drecksarbeit gesagt und dass Robert nun keinen Nutzen mehr für die beiden hat. Bedeutet das in dem Kontext, dass die beiden ihn auf mich gehetzt haben, wie ich es vermute? Zusätzlich fällt mir ein, dass Steven sich beschwert hat, damals die Drecksarbeit erledigt zu haben. Jetzt, wo ich genauer darüber nachdenke, bilden sich zum wiederholten Mal, unzählige Fragezeichen in meinem Kopf, die ich nicht vertreiben kann.
Ich spüre, wie sich Schweißtropfen der Angst aus den Poren meiner Stirn stehlen. Mein Atem geht flacher und mein ganzer Körper beginnt zu glühen, während ich die beiden Männer vor mir mustere. Ich will mir mein Unbehagen nicht anmerken lassen, um ihnen die Genugtuung zu verwehren, was sie in mir auslösen. Panik. Blanke Panik. Hilfesuchend klammere ich mich an mein Handy, in dem Wissen, dass Jordan irgendwo hier ist. In der Vergangenheit ist Blue Rose mein Anker gewesen und das ist er auch heute noch, nur hat er nach all den Jahren endlich ein Gesicht.
Wie beiläufig lasse ich meinen Blick durch das Lokal schweifen, auf der Suche nach dem Mann, der mich bei Sinnen hält. Er hat zwar gemeint, dass er sich verstecken würde, allerdings habe ich nicht erwartet, dass er so gut darin ist. Nirgendwo kann ich ihn entdecken. Kurz kommt mir der Gedanke, dass er das Treffen vergessen haben könnte. Meine angestaute Panik steigt immer mehr auf.
„Wie dem auch sei", reißt Patrick mich aus meiner Starre. „Ich will, dass du bei der Gerichtsverhandlung auch als Zuschauerin dabei bist."
„Was?", entkommt es mir mit erstickter Stimme.
„Du hast mich schon gehört." Er verdreht entnervt die Augen.
„Das ist doch klasse!", kommentiert nun auch Steven voller überschwänglicher Begeisterung. „Du wolltest doch schon immer bei einer Verhandlung von ihm zusehen."
„Aber nicht bei dieser", keuche ich verständnislos. Seit ich in der Kanzlei angestellt bin, habe ich auf den Tag gewartet, dass er mich zu einer Verhandlung mitnimmt. Doch jetzt, wo es soweit ist, kann ich gerne darauf verzichten.
„Warum nicht? Du kannst was lernen und deine Rache bekommen. Abgesehen davon... Hast du vergessen, dass du ihn wegen Körperverletzung angezeigt hast? Du hast also gar keine andere Wahl, als auszusagen." So ein Mist! Wie habe ich das vergessen können? Nach all dem Drama habe ich völlig verdrängt, dass ich diejenige bin, die Robert angezeigt hat. Bei dem Gedanken daran, ihm im Gerichtssaal gegenüberzusitzen, wird mir speiübel. Dass mein Boss ihn auch noch verteidigt, macht die ganze Situation nicht viel besser. „Aber mach dir keine Sorgen, Rosie", räuspert sich Patrick. „Ich habe alles im Griff und werde ihn nicht einfach so davon kommen lassen."
Einen sarkastischen Kommentar kann ich mir nicht verkneifen. „Müssen Sie nicht Ihr Bestes geben, um ihm die geringste Strafe auszuhandeln?"
„Muss ich", entgegnet er lässig. „Aber wie du wolltest, stehe ich für die Gerechtigkeit ein. Und ich finde, das, was dir angetan wurde, ist alles andere als gerecht."
„Wissen Sie... Ich habe da eine Frage an Sie", beginne ich und versuche den unterstellenden Unterton in meiner Stimme zu verbergen. „An Sie beide", füge ich schnell hinzu und bedenke Steven mit einem kritischen Blick.
„Schieß los", fordert dieser mich auf.
„Wie ist Robert an meine Nummer gekommen?", will ich wissen und klinge dabei mehr interessiert als verurteilend, denn ich bin mir ziemlich sicher, die Antwort darauf zu kennen. Möglicherweise ist es aber keine gute Idee, die beiden damit zu konfrontieren, wenn ich Steven in dem Glauben lassen möchte, dass ich ihm seine gestohlene Identität abkaufe.
Die beiden Männer tauschen für den Bruchteil einer Sekunde einen vielsagenden Blick miteinander aus, der mir allerdings ein Rätsel aufgibt. Skeptisch beäuge ich sie, bis Patrick erklärt: „Hacker sind schlaue Füchse, meine Liebe."
„Ah", staune ich bloß, ihm seine Lüge nicht abkaufend. Anschließend mustere ich Steven, denn er scheint wirklich ein schlauer Fuchs zu sein oder einfach ein unheimlicher Hacker. Dass er in der Lage gewesen ist, all meine privaten Nachrichten mit Blue Rose zu lesen, lässt mich rasend vor Wut werden. Mir ist meine Privatsphäre wichtig. Umso mehr, wenn es um meinen besten Freund geht. Aufgebracht balle ich die Hände im Schoß zu Fäusten, lockere sie aber wieder, als mein Handy plötzlich vibriert. Stirnrunzelnd lese ich Jordans Namen auf dem Display und plötzlich verraucht mein Zorn. Alles, was ich sonst Blue Rose geschrieben hätte, kann ich ihm nun ganz einfach sagen. Ich kann ihn ansehen, mit ihm reden und mich an seiner Schulter ausheulen. All das, was ich mir schon seit einer Ewigkeit von ihm wünsche. Das macht die Missachtung meiner Privatsphäre zwar nicht wett, aber weniger tragisch.
„Ich muss da kurz rangehen", verkünde ich den Männern vor mir und suche mir eine ruhige Ecke.
„Rose", höre ich den Polizisten in den Hörer schnaufen, sobald ich abnehme. „Seid ihr noch da?"
„Was meinst du?", frage ich verdattert und sehe mich ein weiteres Mal im Lokal um. „Bist du nicht hier?"
„Nein", antwortet er und erst dann höre ich das Rauschen der vorbeiziehenden Autos aus dem Handy. „Ich wurde auf der Arbeit aufgehalten, bin aber gleich da. Ist alles in Ordnung?"
„Ja", murmele ich bedrückt. „Alles okay."
„Wirklich?", bohrt er besorgt nach.
„Ich dachte, du wärst hier."
„Ich weiß", seufzt Jordan und fährt entschuldigend fort. „Ich bin in fünf Minuten da. Sag ihnen, dass wir gleich eine Verabredung haben."
„Okay", gebe ich zurück und werfe einen prüfenden Blick auf meinen Boss und meinen Kollegen. Ihre Augen liegen auf mir, während sie sich mit ihren Händen vor dem Mund offenbar etwas zuflüstern. „Sie gucken mich an, ich muss zurück, ja? Bis gleich."
„Bis gleich."
Betrübt und nervös trotte ich zurück zu meinem Platz und versuche den Blicken der Männer keine Beachtung zu schenken. Der Glaube, dass ich nicht alleine hier bin, hat mich bis eben noch bei klarem Verstand gehalten und mir Sicherheit gegeben. Auch, wenn ich sicher bin, dass sie mir in aller Öffentlichkeit nichts antun werden, macht sich dennoch Sorge in mir breit. Ich rede mir ein, dass Jordans übermäßige Sorge auf mich abgefärbt ist. Innerlich tadele ich mich dafür, dass ich mich so sehr von ihm abhängig mache und mich beeinflussen lasse, aber ich kann nichts für die Gefühle, die er in mir auslöst.
„Tut mir leid", entschuldige ich mich, als Patrick sich abwartend räuspert. „Das war wichtig."
„Dein Polizisten-Freund?"
Ich nicke zustimmend. „Wir haben eine Verabredung. Er müsste gleich hier sein." Suchend und sehnsüchtig sehe ich aus dem Panoramafenster des hellen und belebten Lokals, doch es ist keine Sicht von Jordan oder seinem Wagen.
Ich vernehme ein unterdrücktes Lachen und wende mich fragend meinem Arbeitgeber zu. Er nimmt genüsslich einen Schluck aus seiner Tasse und mustert mich amüsiert. „Ich würde ja gerne sagen, dass du einen guten Fang mit ihm gemacht hast, Rosie, aber er hat mich beschuldigt."
„Mich auch!", wendet Steven ein, wie ein kleines Kind. In Momenten wie diesen frage ich mich, warum mir seine gespielte unschuldige Art nicht vorher schon aufgefallen ist. Es ist so offensichtlich, dass er nur eine Rolle spielt. Vielleicht bin ich aber auch einfach nur sensibel und interpretiere zu viel in sein Verhalten hinein.
„Es kam jeder infrage", verteidige ich Jordan schnippisch. „Man muss alle Möglichkeiten in Betracht ziehen."
„Aber den Verdächtigen keine Worte in den Mund legen", schnaubt Steven beleidigt.
„Ich bin sicher, dass du das nur falsch aufgenommen hast." Genervt verdrehe ich die Augen und überlege, wie ich auf ein anderes Thema lenken kann, bis Jordan endlich ankommt. Plötzlich fällt mir etwas ein. „Mr. Price! Wie sieht es jetzt eigentlich mit dem Motel aus? Haben Sie sie verklagt?"
Ein stolzes Grinsen bildet sich auf den Lippen des Rechtsanwalts, doch bevor er zu einer Antwort ansetzen kann, fällt sein Blick auf etwas hinter mir.
„Guten Tagen, die Herren", ertönt eine tiefe attraktive Stimme nun an meiner Seite. Jegliche Anspannung fällt von mir ab, als ich Jordan in seiner Uniform erblicke. Er zieht den freien Stuhl neben mir zurück und lässt sich selbstbewusst nieder. Aufmerksam fixiert er die Personen vor uns und nickt ihnen zu, ehe er mich kurz anlächelt und unter dem Tisch meine Hand ergreift.
„Wie schön, Sie wiederzusehen", flötet Patrick mit gespielter Fröhlichkeit.
„Die Freude ist ganz meinerseits", erwidert Jordan monoton. „Ich hoffe, ich störe nicht. Ist das so etwas wie ein Mitarbeitergespräch?"
„Nein", winkt Steven ab, ohne ihn zu begrüßen. „Ist also halb so wild."
„Dann ist ja gut." Es entsteht eine kurze Pause, in der die drei Männer sich bloß schweigend anstarren. Auch wenn die Blicke freundlich und neutral zu sein scheinen, ist die Anspannung in der Luft beinahe zu greifen.
„Also, wo waren wir stehengeblieben?", denkt Patrick laut nach und schenkt mir wieder seine Aufmerksamkeit. „Das Motel, genau! Das ist jetzt geschlossen. In allen Zimmern wurden Kameras gefunden, aber die Aufnahmen von dir waren nicht dramatisch, also keine Sorge. Ich wünschte aber, du hättest den Mistkerl auch wegen Körperverletzung angezeigt, das hätte seine Strafe erhöht."
„Mistkerl?", schießt es plötzlich aus Jordan heraus und ich spüre seinen bohrenden Blick an meiner Schläfe. „Körperverletzung?"
„Ach, das wussten Sie nicht?", fragt Patrick sichtlich amüsiert über meinen warnenden Blick, mit dem ich ihn bedenke. „Meine hübsche Sekretärin wurde im Büro des Hausmeisters eingesperrt und verprügelt."
„Was?", rufen Jordan und ich wie aus einem Munde heraus. Während ich Patrick fassungslos ansehe, richtet Jordan seine ganze Aufmerksamkeit mir. Drängend übt er Druck auf meine Hand aus und zieht sogar an meinem Arm, als ich nicht reagiere.
„Sie übertreiben, Mr. Price!", klage ich laut. „So war das nicht! So war es wirklich nicht", versuche ich Jordan zu erklären und ihm stumm mitzuteilen, dass er das Thema nicht vertiefen soll. Wir würden später darüber reden, dessen bin ich mir sicher.
„Wir reden nachher", knurrt er leise und bestätigt somit meine Vermutung. Dankbar drücke ich seine Hand.
Patrick sieht mit einem undefinierbaren Blick zwischen Jordan und mir hin und her, ehe ein unheimliches Lächeln sich auf seinem Gesicht breitmacht. „Sie sind bei der Gerichtsverhandlung von Herrn Robinson auch dabei, nehme ich an?", will er von dem uniformierten Mann wissen.
Auch ich sehe ihn fragend und hoffnungsvoll an. Zu meiner Erleichterung nickt er bestätigend und drückt aufmunternd meine Hand. „Ich habe Rose nach dem Angriff gefunden."
Es ist wieder Steven, der Mitleid vorspielt. „Es muss furchtbar gewesen sein, Rosie. Ich gebe mir immer noch die Schuld dafür. Niemals hätte ich dich alleine gehen lassen sollen." Als der Spitzname seinen Mund verlässt, glaube ich zu spüren, wie Jordan sich neben mir anspannt.
„Ich habe gehört, du bist ihr langjähriger Freund", spricht der Mann neben mir mit kühler Stimme und stützt sich mit den Armen am Tisch ab. Der überlegene Gesichtsausdruck, gepaart mit seiner selbstsicheren Körperhaltung, vermittelt ganz eindeutig seine Dominanz. Ich beneide ihn um sein Auftreten. Selbst wenn ihm etwas nicht passt, lässt er sich trotzdem nicht aus dem Konzept bringen. Weder seine Stimme noch seine Miene und auch sonst nichts an ihm lässt vermuten, was wirklich in ihm vorgeht.
„Das hat sie dir erzählt?", fragt Steven überrascht und sieht mich mit großen Augen an.
„Du bist nicht der Einzige, mit dem sie offen über alles spricht", erwidert Jordan mit einem breiten Grinsen, das mein Herz höher schlagen lässt. „Wie ist dein Deckname? Blue Rose?"
Für einen kurzen Moment kneift Steven seine Augen zusammen, doch er fasst sich so schnell wieder, dass ich glaube, es mir nur eingebildet zu haben. „Genau."
„Wie kamst du auf den Namen?", will Jordan interessiert wissen. „Der ist ziemlich einfallsreich."
Eine leichte Röte lässt sich an Stevens Hals erkennen, der einen kurzen Blick mit seinem Bruder austauscht, ehe er beginnt zu lachen. Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Ach ja, mein Name! Das hat gar keine so tiefgründige Bedeutung wie du denkst, oder Rosie?"
„Eh...", stammele ich überrumpelt.
„Erklär du es ihm doch", bietet er mir an, doch ich weiß ganz genau, was sein Plan ist. Und jetzt verstehe ich auch, was Jordan hat bezwecken wollen. Lächelnd und auffordernd schaut er zu mir nach hinten.
„Die Bedeutung ist wirklich nicht tiefgründig", säusele ich und stimme in Stevens unangenehmes Lachen ein. „Blau ist seine Lieblingsfarbe und Rose erklärt sich von selbst."
Überrascht schießen Jordans Augenbrauen in die Höhe. „Das war's? Da wären deine Initialen kreativer gewesen." Der falsche Blue Rose scheint offensichtlich keine Antwort darauf zu haben. Alles, was er tut, ist lachen. Zufrieden lehnt Jordan sich wieder zurück und bedenkt mich mit einem leichten Kopfnicken. „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt? Rose hat nur gesagt, dass du dich ihr erst nach sehr langer Zeit gezeigt hast. Wie viele Jahre waren das? Sieben?"
Schnell wende ich den Blick ab, als sich Überforderung auf Stevens Gesicht schleicht. Er versucht eine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, indem er mit den Fingern nervös auf den Tisch trommelt. Fast schon gehässig lacht Jordan ihn an. „Ja, ich denke es waren sieben Jahre", säuselt mein Kollege nun, bemüht um einen selbstsicheren Ton.
„Das ist wirklich eine lange Zeit", kommentiert der Polizist gespielt anerkennend.
Stevens unangenehme Wortlosigkeit wird durch Patrick unterbrochen. Mein Chef klopft sich auf die Oberschenkel und erhebt sich mit steinhartem Gesichtsausdruck von seinem Stuhl. „Ich denke, wir sind für heute fertig hier, Rosie. Genießt euere Verabredung und wir sehen uns morgen in alter Frische wieder."
*
„Ich kann es nicht fassen, dass er all meine Mühen mit seinem dummen Gerede zunichtemacht!" regt Jordan sich zum wiederholten Mal auf.
Schmunzelnd schließe ich die Tür zu meiner neuen Wohnung auf und wende mich wieder an den aufgebrachten Polizisten. „Ich kenne doch die Wahrheit", versuche ich ihn froh zustimmen. „Reicht das nicht?"
„Er hat gesagt, dass der Name keine tiefgründige Bedeutung hat", wiederholt er fassungslos und schüttelt den Kopf. „Kein Wunder, dass er dir Dahlien geschenkt hat", schnaubt er verächtlich und fährt sich frustriert mit der Hand durch die Haare.
„Reg dich nicht so darüber auf", versuche ich erneut ihn von seiner Wut abzubringen und schlinge die Arme um seinen Oberkörper. Das Kinn an seiner Brust und mein Kopf in meinem Nacken sehe ich verliebt zu ihm hoch.
Ein paar Mal holt er tief Luft, ehe auch er seine Arme um mich legt und zu mir herabsieht. Das tiefe Braun seiner Augen löst ein warmes Gefühl in mir aus. „Die nennen dich sogar beide Rosie", raunt er nach einigen Sekunden, in denen wir uns still angeschaut haben.
„Steven hat erst seit kurzem damit angefangen und Patrick hat das schon vorher gemacht", informiere ich ihn schulterzuckend. „Einmal habe ich geglaubt, dass er Blue Rose sein könnte."
Schockiert reißt Jordan die Augen auf und drückt mich an den Schultern von sich. „Jetzt beleidigst du mich aber."
Amüsiert lache ich auf. „Den Gedanken habe ich auch schnell wieder verworfen."
„Das will ich hoffen", schnaubt er erneut und zieht mich wieder an seine Brust. Bevor ich etwas sagen kann, liegen seine Lippen an meiner Stirn und geben mir den wohl zartesten Kuss, den ich je erhalten habe. „Halte dir den ganzen Sonntag und Montag frei", raunt er sanft an meiner Haut und verteilt weitere klitzekleine Küsse auf meinem Gesicht. Die Schmetterlinge in meinem Bauch beginnen zu toben. „Ich will den ganzen Tag mit dir verbringen."
„Ist etwas Besonderes?", frage ich neugierig nach, doch er schüttelt nur lächelnd den Kopf.
„Einfach so", gibt er zurück. „Einverstanden?" Eifrig nicke ich. Einen ganzen Tag mit Jordan alleine zu verbringen, klingt vielversprechend. „ Ich muss aber wieder los", seufzt er lang und sieht mich bedauernd an. „Vorher will ich aber wissen, was im Motel vorgefallen ist."
Diesmal bin ich es, die seufzt. Ich habe gewusst, dass ich nicht darum herumkomme, dieses Thema mit ihm zu besprechen. „Es ist nichts Schlimmes passiert", versuche ich die Sache kleinzureden, damit er sich nicht jetzt schon darüber aufregt. „Ich habe dir doch damals von der Kamera im Motel erzählt. Als ich den Hausmeister in seinem Büro damit konfrontiert habe, hat er mir ins Gesicht geschlagen. Aber nur einmal und dann kam Patrick und–"
„Warum hast du es mir nicht gesagt?", unterbricht er mich barsch. Im Gegensatz zu seinem Tonfall, wirkt seine Miene nicht wütend, sondern vielmehr verletzt. „Wenn nicht Jordan, dann zumindest Blue Rose."
„Zu dem Zeitpunkt wollte ich einfach mit dir reden. Über normale Dinge und nicht über Probleme. Ich hatte das Gefühl, dass es das Einzige war, worüber wir uns unterhalten konnten. Das wollte ich nicht", gestehe ich kleinlaut und sehe entschuldigend zu ihm auf.
Nachdenklich mustert er mich und legt eine Hand an meine Wange. Sanft fährt er mit dem Daumen über meine erhitzte Haut und lässt erneut hauchzarte Küsse regnen. „Ich verstehe, dass es schwer für dich ist, dich an das alles zu gewöhnen, aber in Zukunft... Rede mit mir. So, wie du es früher getan hast. Du hast mir immer alles erzählt, jede Kleinigkeit. Ich will nicht, dass sich das ändert, denn ich bin immer noch der gleiche Mensch. Ich bin Blue Rose, dein bester Freund, deine Stütze, dein Anker. Wenn du willst, bin ich alles für dich. Alles, was du willst."
„Ich weiß", flüstere ich dankbar und drücke ihn fester an mich. Sein schneller Herzschlag vermischt sich mit dem Pulsieren an meiner Schläfe und komischerweise beruhigt mich das etwas. Es ist schön zu hören – zu spüren, – dass ich den gleichen Effekt auf ihn habe wie er auf mich. „Danke."
„Nicht dafür", säuselt er an meine Kopfhaut und streicht mir sanft über die Haare. Einige Zeit verharren wir in unserer Umarmung und genießen die Stille und die Nähe des jeweils anderen, bis Jordan sich schließlich als erstes löst. „Ich würde dich am liebsten den ganzen Tag in die Arme schließen, Rosie, aber ich muss jetzt wirklich gehen."
Verständnisvoll nicke ich und gebe ihm einen letzten Kuss auf den Mund, bevor ich mich schweren Herzens von ihm löse und in meiner Wohnung verschwinde. Es sollte mich nicht so sehr mitnehmen, wie es das tut, doch ich kann nichts für das Ziehen in meinem Brustkorb, jedes Mal, wenn wir uns trennen.
Daher ist meine Hoffnung groß, als es etwa eine Minute später an der Tür klingelt. Aufgeregt reiße ich diese auf, bereit, Jordan zu sehen und in seine Arme zu springen. Doch ich werde enttäuscht, denn dort steht niemand. Verwundert strecke ich den Kopf heraus, doch anscheinend versteckt er sich auch nicht. Erst dann fällt mein Blick auf einen kleinen Karton auf der Fußmatte. Neugierig hebe ich diesen auf und lächle, als ich den Namen des Absenders lese.
Von Blue Rose. Für Rosie.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro