14 - Wer ist er wirklich?
Samstag, 10.10.2020
Mit einem Brennen in der Brust, das dem Ausbruch eines Vulkans gleicht, erwache ich aus einem angenehmen Traum, als mich etwas an der Wange kitzelt. Irritiert verziehe ich das Gesicht und schlage neugierig die Augen auf, als ich innerlich vor mich hin fluche. Ich habe selten solch schöne Träume, warum darf ich sie also nicht genießen? Was ich vor mir sehe, ist allerdings bezaubernder als jede Fantasie, die ich mir zusammenspinnen könnte. Der Anblick raubt mir im wahrsten Sinne des Wortes den Atem. Unwillkürlich ziehe ich scharf die Luft ein und betrachte den schönen Mann, der mich verträumt anblickt. Wenn der Tag schon so beginnt, dann kann er nur schön werden.
Jordan liegt in seiner Uniform bekleidet neben mir auf der Decke, während sie mich von oben umhüllt. Er hat seinen rechten Arm angewinkelt und seinen Kopf darauf abgelegt, während er mit der linken Hand mein Gesicht liebkost. Seine Fingerkuppen fliegen regelrecht über meine erhitzte Wange, über meine Stirn und meine Nase bis hin zu meinem Hals. Ein Schauder durchfährt meinen versteiften Körper, als ich befangen nach seiner Hand greife. Als würde ich ihn damit aus einer Trance reißen, schreckt er zurück und blinzelt mich wie verrückt an.
„Tut mir leid", murmelt er verlegen, weil ich ihn beim Starren erwischt habe. Er will seine Hand zurückziehen, doch ich umschlinge sie fester mit meiner. Jordan scheint überrascht von meiner Geste zu sein, doch augenblicklich schleicht sich ein erleichtertes Lächeln auf seine rosigen Lippen. „Guten Morgen", raunt er daraufhin und führt seine Hand erneut an mein Gesicht. Ich unterdrücke ein genüssliches Seufzen und lächele stattdessen beglückt.
„Guten Morgen", erwidere ich mit kratziger Stimme. „Musst du arbeiten?", frage ich und fahre seinen Körper mit den Augen auf und ab, dabei versuche ich mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.
„Viele Kollegen sind ausgefallen und jemand muss einspringen", antwortet Jordan, offenbar auch nicht angetan von diesen Umständen. „Ich weiß, dass wir jede Menge zu bereden haben und es tut mir leid, dass sich das so hinauszögert. Wir sprechen aber spätestens heute Abend, einverstanden?"
Ich nicke zaghaft. Schließlich bleibt mir nichts anderes übrig, als mich dem zu fügen. Auch meine negativen Gedanken und Gefühle von letzter Nacht sind beinahe wie weggefegt. Jetzt wo ich seinem elektrisierenden Blick begegne, sogar umso mehr. Ich schiebe es auf den romantischen, gefühlvollen Traum, den ich von ihm gehabt habe und der mich noch immer betäubt. Alles, woran ich mich noch erinnere, ist, dass er mich an sich gezogen und geküsst hat, nachdem er mir seine Liebe gestanden hat. Wie gerne wünsche ich mir, dass dieser Traum in Erfüllung geht. Allerdings kann ich sein großes Geheimnis nicht einfach ignorieren und schon gar nicht den Fakt, dass ich in meinen besten Freund verliebt bin. Es wird mich vermutlich jede Menge Zeit kosten, mich daran zu gewöhnen. Eine Runde Schlaf hat jedoch zumindest ein wenig dem Nebel in meinem Kopf vertrieben, dank welchem ich nicht habe klar sehen und denken können.
„Soll ich dich noch nach Hause fahren?", bietet Jordan an und sieht aus, als hoffe er, dass ich verneine. „Du kannst auch hier bleiben, wenn du willst", schlägt er daher vor.
Ich schüttele grinsend den Kopf. „Ich komme selbst nach Hause, fahr ruhig zur Arbeit."
Abschätzig mustert er mich und scheint nach etwas zu suchen, dass auf mein Unbehagen hindeutet. Doch als er nichts dergleichen findet, schmunzelt er erleichtert. „Deute ich deine Stimmung richtig? Bist du nicht mehr sauer?"
Eine Weile denke ich über seine Frage nach. Ich bin nie wirklich sauer auf ihn gewesen, sondern lediglich enttäuscht. Das bin ich noch immer und dieses Gefühl wird vermutlich so lange anhalten, bis er mir die ganze Geschichte erzählt hat.
Als Antwort schüttele ich den Kopf. Jordan runzelt die Stirn, als kaufe er mir das nicht ganz ab, also füge ich hinzu: „Nicht sauer, aber ich erwarte trotzdem die ganze Wahrheit." Ich drehe mich auf den Rücken, sodass seine Hand von meiner Wange rutscht. Gespielt sorglos schließe ich die Augen, aber in Wahrheit bebt alles in mir. Nie habe ich zu träumen gewagt, dass ich mit Jordan in einem Bett schlafen würde und dass er der Erste wäre, den ich am Morgen sehen würde. Letzte Nacht, als er ins Bett gekommen ist, bin ich so schlaftrunken gewesen, dass ich mir nicht viel bei meiner Handlung gedacht habe. Nicht einmal die Küsse, die wir miteinander ausgetauscht haben, sind mir so intim vorgekommen, wie die letzte Nacht. Wir haben unschuldig und eng umschlungen nebeneinander gelegen, dennoch hat das eine spezielle Intimität gehabt. Eine Intimität, die mir die Röte ins Gesicht treibt, je länger ich darüber nachdenke. Er ist Blue Rose, verdammt nochmal!
Plötzlich sinkt die Matratze neben meinem Kopf und ich reiße die Augen wieder auf, um direkt in Jordans Gesicht zu sehen. Er stützt sich mit dem Ellenbogen an meiner Seite ab und blickt von oben liebevoll auf mich herab. Der Ausdruck in seinen Augen hat gleichzeitig etwas Zaghaftes an sich. Mir stockt der Atem, als er seine Hand wieder an meine erhitzte Wange legt und sie sanft mit dem Daumen streichelt. Das Herz droht mir in der Brust zu zerspringen, als wir uns betrachten. Der Polizist sieht mir so fest in die Augen, als würde er in meine Seele blicken wollen. Das einzige, worauf ich mich konzentrieren kann, sind allerdings seine Lippen, die ein Spalt breit offen stehen. Der Geruch von Minze und das spezifische Aroma von Jordan steigen mir in die Nase und lullen mich ein. Kurz erwische ich ihn dabei, wie auch sein Blick auf meinen Mund schweift. Bevor meine Triebe die Überhand nehmen können, ertönt ein lautes Türknallen, gefolgt von einem energischen Rufen. „Jordan!" Dieser erschreckt sich so sehr, dass er ruckartig von mir ablässt und aufspringt. Peinlich berührt setze auch ich mich auf und ziehe die Decke hoch, als würde es meine Scham bedecken.
Jordan sieht aus, als würde er etwas sagen wollen, doch bevor er das kann, steht Nicolas schon im Raum. „Geh an dein Handy, wenn du schon eins hast!", schimpft er aufgebracht und fährt sich ruhelos durch das Haar. „Hast du Rose gestern Abend noch gefunden? Sie–" Der aufgeriebene junge O'Connor Bruder hält inne, als sein hitziger Blick auf mich fällt. Verblüfft starrt er erst mich und dann Jordan an, der sich vor ihm aufgebaut hat. „Du hast sie also gefunden", beantwortet Nicolas nüchtern seine eigene Frage.
Unsicher sehe ich zu Jordan, der anscheinend auch nicht weiß, wie er auf die Situation reagieren soll. Bevor einer von uns aber etwas sagen kann, breitet sich ein breites Grinsen auf Nicolas' Gesicht aus. Er entblößt eine Reihe strahlend weißer Zähne, als wäre er der glücklichste Mensch auf Erden. „Dann lasse ich euch mal wieder alleine", bringt er unter einem tiefen Kichern heraus. Bevor er den Raum wieder verlässt, schenkt er mir einen vielsagenden Blick. „Wir reden gleich noch."
Sobald er die Tür hinter sich in Schloss fallen lässt, wendet Jordan sich mir zu. Seine Miene spiegelt das Gegenteil von dem wider, was ich fühle: Verlegenheit. Manchmal beneide ich ihn dafür, dass er in solchen Momenten seine Emotionen im Griff hat. Nur letzten Abend habe ich das erste Mal gesehen, wie er seinen Gefühlen nachgegeben hat. Er hat noch nie so schwach und verwundbar ausgesehen, wie an diesem Tag. Seltsamerweise löst es in mir so etwas wie Stolz und Frohsinn aus. Es hat gut getan, den sonst so gleichmütigen und charakterstarken Jordan so bangend zu sehen. Noch besser ist es, weil ich der Grund dafür bin.
Plötzlich reißt Jordan mich aus den Gedanken, als er sich ans Ende des Bettes setzt und mich abwartend anblickt. Fragend sehe ich zu ihm hoch. „Was hältst du davon, wenn Nicolas dich später nach Hause fährt? Dann könnt ihr noch sprechen und du hast Zeit zu frühstücken. Ich habe dir eine Kleinigkeit vorbereitet."
*
Schließlich habe ich es für die beste Entscheidung gehalten, nicht mit Jordan nach Hause zu fahren. Hauptsächlich, weil ich auf diese Weise Abstand zu ihm gewinne. Seine Nähe vernebelt mir den Verstand und lässt mich Dinge fühlen und denken, die mich in meinen Entscheidungen beeinflussen. Ich brauche diese Zeit und die Distanz, um mir über einige Sachen klar zu werden. Allem voran: Wie ich wirklich für ihn fühle und wer es ist, in den ich verliebt bin. Ist es Jordan, wie ich ihn kennengelernt habe oder ist es Blue Rose, der mich jahrelang durch Höhen und Tiefen begleitet hat?
Die Zeit, um meine Gedanken zu sortieren, bekomme ich allerdings nicht mit Nicolas im Auto. Er schwärmt regelrecht davon, wie sehr es ihn erleichtert hat, uns heute Morgen zusammen entdeckt zu haben. Anscheinend haben die drei sich gesorgt, weil sie weder Jordan noch mich haben erreichen können. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich keinen Akku mehr habe und deswegen alle Anrufe verpasst habe. Mich freut es, dass Nicolas so viel Begeisterung an unserem vermeintlichen Zusammenkommen hat. Auch ich verspüre so etwas wie Entspannung, als wäre mir eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen worden. Allerdings komme ich nicht gegen die lauten und nervigen Stimmen in meinem Kopf an. Eine verflucht mich dafür, dass ich meinen Stolz und meine Selbstdisziplin über Board geworfen habe, als ich seine Wohnung nicht fluchtartig verlassen habe. Stattdessen habe ich bei ihm übernachtet und das auch noch in seinem Bett. Zu allem Überfluss bin ich kurz davor gewesen ihm um den Hals zu fallen, und das alles nur wegen eines berauschenden Traumes. Die andere Stimme lobt mich genau für diese Dinge und tadelt mich gleichzeitig dafür, dass ich ein unnötiges Drama veranstalte. Für Andere mag die Auflösung von Blue Rose' Identität nichts Außergewöhnliches sein, für mich stellt es jedoch meine ganze Welt auf den Kopf. Jordan hat mit seiner Offenbarung mein Herz zerwühlt und nun muss ich schauen, wie ich klarkomme.
Als wir letztendlich in der neuen Wohnung ankommen, wo meine Mitbewohnerinnen bereits den letzten Schliff vor dem Einzug unternehmen, wollen sie sofort alles wissen. Amber freut sich, dass ich mich anscheinend wieder so gut mit Jordan verstehe und ist sich sicher, dass es von nun an sogar noch besser zwischen uns wird. Pamela hingegen ist sich unschlüssig, wie sie über die Sache denken soll.
„Nachdem was er zu dir gesagt hat, kann ich ihn nicht einfach wieder mögen", murmelt sie und sieht entschuldigend zu Nicolas, der augenblicklich für seinen Bruder einsteht.
„Er hatte seine Gründe", wirft er ein.
„Keine sonderlich guten", entgegnet meine beste Freundin schnaubend.
Ungläubig schaut Nicolas drein. „Was könnte ein besserer Grund sein als der, den er hatte?"
„Ich finde–"
„Stopp!", ruft Amber aufgebracht dazwischen und sieht warnend in die Runde. „Was ihr zwei darüber denkt, spielt keine Rolle. Es geht darum, wie Rose fühlt." Mit diesen Worten wendet sie sich an mich, ein mitleidiger Ausdruck in ihrem Gesicht. Auch die anderen sehen mich nun erwartungsvoll an.
„Ich weiß nicht", murmele ich wahrheitsgemäß und sehe verlegen auf meine Finger, die ich auf dem Tisch vor mir knete. „Ich bin froh, dass er es ist. Ich wünschte nur, er hätte es mir vorher erzählt. Bevor ich mich in ihn verliebt habe." Die Worte laut auszusprechen, fühlt sich an wie eine Bestätigung meines inneren Dilemmas. Ich habe meine Gefühle für Jordan schon vor langer Zeit erkannt, doch nun bin ich mir nicht mehr sicher. Unwillkürlich frage ich mich, ob es mir einfacher gefallen wäre, hätte ich Jordan nie als Jordan kennengelernt. Was wäre, wenn die Offenbarung unsere erste Begegnung gewesen wäre? Wenn ich ihn als den lieben Blue Rose kennengelernt hätte und nicht als den grobklotzigen Polizisten? Würde mein Herz trotzdem ihm gehören?
„Ich verstehe, dass du verwirrt bist", spricht Nicolas plötzlich mit ruhiger Stimme. Als ich aufgelöst zu ihm hochsehe, fährt er fort. „Aber gib ihm eine Chance und versuch nicht irgendwelche Entschlüsse zu fassen, ohne seine Geschichte gehört zu haben."
„Du hast ja recht", gebe ich seufzend zu. „Aber ich kann nicht anders, als mich zu fragen, wie Jordan wirklich ist. Wer er ist."
Eine Weile sagt er nichts und blickt mich stattdessen gedankenverloren an. Gerade als die Stille beginnt unangenehm zu werden, fährt er fort „Denk nicht, dass ich voreingenommen bin, weil er mein Bruder ist, aber ich kann dir versichern, dass in ihm mehr von Blue Rose steckt als von Jordan, wie du ihn kennengelernt hast."
Die Zahnräder in meinem Kopf beginnen zu rattern und sich zu drehen. Wahllos durchforste ich meine Erinnerungen an Jordan und Blue Rose und suche nach Argumenten, die gegen das sprechen würden, was Nicolas gesagt hat. Letzten Endes stelle ich aber fest, dass es kein Argument dafür gibt. Ich habe zwei Seiten von Jordan kennengelernt und glaube kaum, dass es seine plumpe Eigenschaft ist, mit der er unbewusst mein Herz erobert hat. Es ist seine fürsorgliche Art und sein selbstsicheres Auftreten gewesen, mit dem er mich in seinen Bann gezogen hat. Meine Gefühle zu ihm sind gewachsen, ohne dass ich es gemerkt habe. Als ich es realisiert habe, ist es bereits zu spät gewesen. Ich bin ihm vollkommen verfallen und es gibt kein Zurück mehr.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als plötzlich ein Handyklingeln ertönt. Nicolas holt das Gerät aus der Tasche seiner Jeansjacke und hält es sich ans Ohr. „Ja, sie ist hier", sagt er nach ein paar Sekunden. Ein Schmunzeln ziert seine Lippen, als er weiter lauscht und mich dabei nicht aus den Augen lässt. Sofort wird mir klar, dass es Jordan sein muss, mit dem er telefoniert. „Soll ich sie dir geben? Dann kannst du es ihr selbst sagen." Reflexartig zucke ich zurück und schüttele meinen erhitzten Kopf. Abstand, rufe ich mir ins Gedächtnis. Bis heute Abend muss ich meine Gedanken sortiert haben. Wenn ich jetzt mit ihm spreche, werde ich wieder schwach und werfe meinen Vorsatz, standhaft zu bleiben, hin.
Nicolas hört seinem Bruder am anderen Ende des Hörers zu, das Grinsen in seinem Gesicht wachsend. Plötzlich bricht er in schallendem Gelächter aus, was meine Freundinnen und mich erschrocken zusammenfahren lässt. „Ich richte es ihr aus", bringt er unter seinem Lachen hervor und legt auf. Verdutzt starre ich ihn an und bekomme erst eine Antwort auf meine unausgesprochene Frage, als er sich wieder beruhigt hat. „Er wollte nicht mit dir sprechen, weil er sonst nicht wieder auflegen könnte", kichert er. „Hach, meinen Bruder hat es echt erwischt." Meine Mitbewohnerinnen stimmen mit seinem Lachen ein, nur ich kämpfe krampfhaft gegen mein wild klopfendes Herz und die aufsteigende Hitze in meinem Kopf an. „Jedenfalls soll ich dir sagen, dass du Steven meiden sollst, bis ihr zwei euch ausgesprochen habt." Die Erwähnung seines Namens reißt mich aus allen Wolken, sodass ich hart auf dem Boden der Tatsachen aufkomme.
In dem Moment scheint Pamela das Gleiche zu denken wie ich. „Habt ihr euch mal gefragt, was es mit dem Kerl auf sich hat? Er hat nicht einfach nur gelogen, sondern eine ganze Identität vorgetäuscht."
„Er war mir vom ersten Augenblick an nicht geheuer", wirft Nicolas ein und legt die Stirn in tiefe Falten.
„Woher wusste er überhaupt von Blue Rose?", will Amber neugierig wissen und lehnt sich interessiert über den Esstisch zwischen uns. „Hast du ihm etwas erzählt?"
Fest schüttele ich den Kopf. „Nein", bringe ich zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. Ich denke an das zurück, was Jordan gesagt hat. Dass Steven mein Handy damals geklaut hat, habe ich bereits vermutet, aber nun einen festen Beweis zu haben, bringt mich zur Weißglut. Ich habe das Gefühl, niemandem in meinem Umfeld wirklich vertrauen zu können und nur hintergangen zu werden.
Insgeheim habe ich gehofft, dass Steven nicht der ist, der er vorzugeben scheint. Dass er nicht Blue Rose ist. Daher erleichtert mich diese Erkenntnis, aber gleichzeitig empfinde ich ihm gegenüber noch mehr Angst als je zuvor. Wenn er mich so hinters Licht geführt hat, dann wird er einen Grund dafür haben. Ich denke nicht, dass es einfach nur eine spaßige Beschäftigung für ihn ist. Nein, da steckt mehr hinter seinem Handeln und dieser Maske und etwas sagt mir, dass es etwas Gefährliches ist. Alles, was er erzählt hat, ist gelogen gewesen. Die Geschichten von seiner Mutter bis hin zu den Antworten auf meine Fragen. Warum hätte er diese Geschichten erfinden sollen, wenn er sich nur einen Scherz hat erlauben wollen? „Das ergibt alles keinen Sinn", spreche ich meine Gedanken murmelnd aus. Der Blick meiner Freunde richtet sich auf mich. „Ich verstehe nicht, warum er das getan haben sollte", erkläre ich mich ruhig und lege das Kinn in die Hände.
„Was weißt du über ihn?", bohrt Nicolas interessiert nach.
Ich zucke mit den Schultern. „Außer, dass er ein Lügner ist?", frage ich mit sarkastischem Unterton und schnaube. „Gefühlt kenne ich ihn gar nicht mehr." Ich mache eine abwerfende Bewegung und will das Thema beenden, als mir plötzlich doch etwas einfällt. „Oh, ich hab's! Er ist der Bruder von Patrick."
„Deinem Ekel von Chef?", ruft Pamela überrascht aus und reißt die Augen vor Schreck auf.
„Genau der", bestätige ich mit gerümpfter Nase, weil die Erkenntnis tatsächlich ekelerregend ist.
„Macht Sinn", grunzt Nicolas und verschränkt die Arme vor der Brust. „Geschwister sind unterschiedliche Blumen aus demselben Garten, oder wie ging das Sprichwort? Sie sind beide ziemlich skurril, aber andere Ähnlichkeiten sind mir nicht aufgefallen."
„Wie wäre es, wenn du versuchst, mehr über ihn herauszufinden?", schlägt Amber vor. Stolz grinst sie, als hätte sie die Idee des Jahrhunderts gehabt. „Lass ihn nicht wissen, dass du von seinen Lügen weißt und versuch mehr über ihn in Erfahrung zu bringen."
Skeptisch runzle ich die Stirn. „Woher weiß ich denn, dass nicht alles, was er sagt, gelogen ist?"
„Wenn jemand lügt, dann merkt man das ziemlich schnell", erklärt sie. „Irgendwann stimmen die Geschichten nicht mehr überein oder es ist keine Verbindung zu erkennen. Du kannst ihn auch austricksen. Erfinde etwas, was er als Blue Rose zu dir gesagt hat, und schau, was er antwortet. Entlocke ihm heimlich Details und gewinne sein Vertrauen."
*
Es ist kurz vor Abenddämmerung, als ich einen Anruf von Jordan bekomme. Mein Herz hämmert wie verrückt gegen meine Rippen, als ich auf den grünen Hörer drücke und seine tiefe Stimme meinen gesamten Körper von innen erschüttert.
„Hey", spricht er atemlos an mein Ohr.
„Hey", erwidere ich nervös und hüpfe hibbelig auf meinem Bett in Ambers Zimmer herum.
„Ich bin in etwa einer halben Stunde bei dir. Zieh dir etwas gemütliches und warmes an, es könnte kalt werden."
Skeptisch lege ich die Stirn in Falten. „Wo fahren wir hin?"
„Das siehst du dann, wenn es soweit ist", lacht er neckisch. „Bis gleich." Mit diesen Worten legt er auf und lässt mich mit einer erdrückenden Leere in meinem Kopf alleine.
Gedankenverloren sehe ich geradeaus, mitten in den Schrankspiegel, gegenüber von meinem Bett. Der Anblick meiner Vogelnest ähnlichen Haare lässt mich kurz erschrocken aufschreien. Aufgescheucht springe ich auf und versuche meine Mähne zu bändigen. Während ich überlege, wohin Jordan uns fahren könnte, ziehe ich mir einen gemütlichen und dicken Jogginganzug an. Nicht gerade elegant, aber ich fühle mich wohl darin.
Wie versprochen höre ich eine halbe Stunde später ein Autohupen von draußen. Schnell verabschiede ich mich noch von meinen Freundinnen und renne heraus. Mein Herz schlägt unaufhörlich in einem ungesunden Tempo und platzt beinah aus allen Nähten, als ich mich endlich neben ihn auf den Beifahrersitz sinken lasse. Augenblicklich umhüllt mich sein minziger Geruch.
„Hey", begrüßt er mich leise und greift wie selbstverständlich nach meiner Hand.
„Hey", erwidere ich etwas perplex, lass es aber dennoch zu, da das Gefühl, das er auf meiner Haut hinterlässt, viel zu schön ist. „Wo fahren wir hin?", frage ich ungeduldig, um meinen Körper von seiner Berührung abzulenken.
„Irgendwohin wo es ruhig und romantisch ist", entgegnet er mit einem Schmunzeln auf den Lippen und manövriert den Wagen lässig wieder in den Straßenverkehr.
„Romantisch?", wiederhole ich irritiert und betrachte ihn skeptisch von der Seite.
Er drückt sanft meine Hand. „Ich will dir zeigen, dass ich mehr für dich sein kann als der flegelhafte Jordan, den du kennst."
Unsicher, wie ich seine Worte einordnen soll, stoße ich bloß ein unsicheres, leises Kichern aus. Er wirft schon wieder unzählige Fragen in meinem Kopf auf, die ich allerdings beiseite schiebe. Nicolas hat recht gehabt. Ich will nicht schon wieder darüber nachdenken, wie ich Jordan nun einschätzen soll. Nicht, solange ich nicht seine Geschichte gehört habe. Also entscheide ich mich dafür, den Rest der Fahrt zu Schweigen und stattdessen die Musik aus dem Radio, die Stille zwischen uns füllen zu lassen.
Wir fahren eine ganze Weile und kommen schließlich an einem fast leeren Parkplatz, inmitten von Büschen und Bäumen an. Fragend blicke ich mich um, doch ich kann nicht ausmachen, wo wir uns befinden. Als Jordan meine Hand loslässt und ein sehnsüchtiges Kribbeln auf meiner Haut hinterlässt, folge ich ihm nach draußen.
„Wo sind wir?", frage ich. Von Weitem ertönt das Gemurmel einer Menschenmenge und leise Pop-Musik, doch das dichte Gewächs gibt keinen Blick darauf frei, woher die Stimmen kommen.
Jordan schüttelt nur grinsend den Kopf und öffnet den Kofferraum seines Wagens. „Nimm du die Tasche", sagt er und winkt mich zu sich. Schnell drückt er mir eine Reisetasche in die Hand, die leichter ist als sie aussieht. Er selbst wirft sich zwei aneinandergebundene Schlafsäcke und zwei blaue Stoffdecken über die Schultern. Daraufhin knallt er die Tür zu, greift wieder nach meiner Hand und verschränkt unser Finger miteinander. Mein Herz setzt vor Schreck ein paar Sekunden aus und holt all die verpassten Schläge in Rekordzeit wieder auf. Jordan hingegen lässt sich nicht ansehen, dass diese Zärtlichkeiten auch für ihn neu sind. Stur blickt er geradeaus und führt mich durch eine Reihe hochrankende Bäume. Am Ende eines unebenen und steinigen Weges erstreckt sich eine grüne Wiese vor uns. Nach genauem Hinsehen erkenne ich, dass wir uns auf einem kleinen Felsvorsprung befinden. Meine Begleitung zieht mich geschickt in Richtung eines steilen Weges, die uns nach unten bringt. Nun kann ich auch sehen, woher das laute Stimmengewirr und die Musik herkommt. Mir fällt das Holzschild neben mir auf, mit der Aufschrift „Campingplatz. Zelte zu mieten".
Mit erhobenen Brauen lasse ich meinen Blick über die vielen aufgeschlagenen Zelte und Lagerfeuer fahren. Die Zelte sehen alle gleich aus und wurden systematisch in den gleichen Abständen voneinander aufgebaut. Ein paar Meter von ihnen entfernt steht je ein Haufen Holz. Manche brennen lichterloh, um sie wenige Personen versammelt, die Stäbe in die Flammen halten. Andere hingegen warten darauf angezündet zu werden.
„Du hast ein Zelt gemietet?", rufe ich aus und sehe Jordan entgeistert an. „Wir übernachten hier?"
Sein selbstsicherer Blick nimmt etwas ab und ein zögerlicher Ausdruck tritt in sein Gesicht. „Nur, wenn du willst."
„Ich weiß nicht", druckse ich herum. „Findest du das nicht etwas... Voreilig?"
Er zuckt mit den Schultern. „Wir haben schon zweimal zusammen geschlafen", entgegnet er lässig und zieht mich wieder hinter sich her. „Aber wir müssen es nicht nochmal. Ich hab dich nicht mit dieser Intention hergebracht. Wir fahren, wann immer du willst, aber ich dachte, dass eine ungewohnte Atmosphäre besser für das wäre, was ich dir heute erzählen werde. Wenn du danach Abstand haben willst, verstehe ich das völlig. Wenn nicht, dann haben wir die ganze Nacht, unsere verschwendete Zeit miteinander wieder nachzuholen."
Es tut mir leid, dass sooo lange nichts kam, aber die Zeit hat es leider nicht zugelasen. Dafür ist aber das nächst Kapitel fast fertig. Fehlt nur doch der Feinschliff"
Jetzt ist die richtige Zeit, um Theorien aufzustellen :D
Was wird Jordan ihr wohl erzählen?
Warum hat er Kindheitsbilder von ihr?
Warum hat er so lange nichts gesagt?
Und wird Rose sich ENDLICH für Jordan entscheiden?
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