𝔇𝔬𝔫'𝔱 𝔥𝔦𝔡𝔢, 𝔪𝔬𝔬𝔫
Der Geschmack von schalem und billigen Kakao verflüchtigte sich auf ihrer Zunge, während sie den Pappbecher fester umschloss und sich mit den Ellenbogen auf ihren Knien abstützte.
Ein Kind fuhr mit einem knall pinken Roller an ihr vorbei und lachte hoch, dann wurde es von der Mutter zurückgerufen.
Sie lehnte sich nun zurück, nahm noch einen Schluck von dem fast kalten Getränk und stellte den Becher anschließend auf der Sitzfläche der Bank ab, auf der sie saß. Kurz schloss sie die Augen, lauschte den Geschichten des milden Windes, die dieser mit sanfter Erzählerstimme erzählte. Sie schmunzelte und musste an das Buch denken, dass sie gerade las, wie gerne würde sie es vom Wind vorgelesen bekommen.
Sie nahm einen letzten Schluck ihres Warmgetränks, erhob sich und versenkte den Pappbecher in einem der anliegenden grauen Mülleimer, die in der Dämmerung aussahen wie diese Poller, die am Rande von Spielstraßen oder ähnlichem standen.
Kurz blieb sie stehen, blickte gen Himmel und beobachtete den Mond, der langsam immer klarer wurde und die Nacht einläutete, während die Sonne nun nicht mehr zu sehen war. Er schien durch die Äste eines kahlen Baumes hindurch, schien sich fast frech hinter ihnen verstecken zu wollen. Die Wipfel des Baumes wippten durch die nun etwas stürmischeren Erzählungen des Windes ein wenig hin und her und manchmal versteckten sie den Mond ganz kurz hinter sich. Aber dann kam er immer wieder hervor, wie als würde er aus seinem neugewonnenen Versteck springen.
Sie seufzte, senkte den Blick und ihre schmalen Finger tasteten nach ihrem Handy, bevor sie dessen Linse auf den Zeugen der Nacht hielt. Wie erwartet war das Bild, das sich ihre bot pixelig und der Mond, den sie so unglaublich liebte, schien nur wie ein plumper weißer Fleck am Horizont zu sein.
Schließlich gab sie es auf und versenkte ihr Telefon wieder in der Tasche ihrer Jacke, ehe sie sich in Bewegung setzte.
Ihre Füße steckten in schwarzen Doc Martens, während ihr restlicher Körper von weiten Jeansstoff umhüllt wurde und sie vergrub ihre Hände in den tiefen Taschen ihrer blauen Jeansjacke, auf dessen Rücken das Antlitz der wohl bekanntesten Disneyfigur aufgedruckt war.
Ihre Kopfhörer hatte sie sich um den Hals gehängt, während sie um eine Ecke bog und kurz darauf von dem Platz, auf dem sie sich gerade befunden hatte, in eine anliegende Straße lief.
Ihr Blick flog über die Häuser, die abgestellten Autos und über die Gefährte, die sich noch auf den Straßen tummelten. Gerne hätte sie diese hoffnungsvolle Melancholie an diesem Abend in der Dämmerung irgendwie festhalten, aber sie wusste nicht wie, weshalb sie einfach weiterlief, sich die Kapuze ihres Pullovers über den Kopf streifte und sich ihre Kopfhörer aufsetzte.
Sie wusste, dass sie jetzt ein Bild abgab, das nicht gerade vertrauensvoll wirkte, was ihr keine Sekunde später durch einen gehässigen Blick einer älteren Frau verdeutlicht wurde, die an ihr vorbeieilte. Er schien sie zu fragen, was ihr einfiele, sich so in der Öffentlichkeit zu kleiden oder ihr ein Verbrechen vorzuwerfen, das sie gar nicht begangen hatte.
Aber das war gewohnt. Seitdem sie sich etwas anders kleidet und nicht mehr so aussah wie das brave Mädchen von nebenan, bekam sie solche Blicke zugeworfen. Früher hatten sie sie verunsichert, jetzt waren sie genau das, was sie erreichen wollte. Denn diese Blicke zeigten ihr, dass sie nicht der Norm entsprach und das war gut so, denn sie wollte sich nicht den Normen der Gesellschaft hingeben, die jeden einzelnen ihrer Angehörigen in eine quadratische Form presste, nur um sie anschließend symmetrisch auf der Erdkugel aufzustellen, im Gegenteil.
Sie wollte ein Kreis, ein Dreieck und ein Zylinder zu gleich sein, sie wollte alles sein, was sie sie konnte und gleichzeitig konnte sie alles sein, was sie wollte.
Sogar jetzt an diesem frühlingshaften Abend nahm sie eine Gestalt an, die sie sein wollte.
Denn so, mit der Kapuze über ihrem Kopf, den weiten Klamotten und dem Gang, den sie an den Tag legte, hätte man sie ohne Probleme auch für einen Mann halten können. Der Stoff verdeckte die Zeugnisse der Weiblichkeit, ihre Haare waren kurz und ihr Blick selbstsicher und gelassen, während sie über den grauen Bürgersteig lief und der Musik lauschte, die aus ihren Kopfhöhen kam.
Sie wusste nicht, wie oft sie schon ihren Gedanken dabei zugehört hatte, wie sie florierten und ihr die interessanten Geschichten erzählten, aber es war jedes Mal eine Erfahrung, die sie gerne machte.
Kurz blickte sie an sich herab, ihr war bewusst, dass sie irgendwann aufhören musste, sich so zu kleiden, spätestens nach ihrem Schulabschluss und doch wollte sie niemals aufhören sich selbst durch Kleidung auszudrücken.
Das war auch der Grund, warum sie sich selbst der Kunst verschrieben hatte, warum diese inzwischen ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens war. Warum war es Künstlern erlaubt sich unkonventionell anzuziehen, aber Büromitarbeitern nicht? Warum durften Künstler sich selbst ausdrücken, während andere, die nicht den Schritt gewagt hatten sich und ihre Ideen zu publizieren, sich den Normen hingeben mussten? Es war unfair, das war ihr klar.
Aber die Welt war nun mal unfair, nicht jeder konnte das tun, was er wollte, dennoch hoffte sie, dass sie eines Tages mal von sich behaupten konnte, dass sie von ihrer Kunst leben konnte und dass sie glücklich sein würde.
Noch war dieses Ziel sehr weit entfernt, aber dennoch schien es ungemein greifbar, irgendwie.
Und als sie schließlich wieder vor der Tür zu ihrem Wohnhaus stand und den Schlüssel herauskramte, wünschte sie sich, dass dieser abendliche Spaziergang niemals enden würde, aber alles hatte ein Ende auch das Leben.
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