Kapitel 26 ~ Rettet euch vor den Bestien
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Die Reservatsleute liefen wie wild durcheinander, rannten über den Strand in Richtung Wald. Seath sah ihnen mit beinahe panischem Blick hinterher, sein gesamter Körper schien zu vibrieren. Er blickte von seinen Freunden zurück zu mir, dann wieder in den Wald.
"Magda, ich..."
Mit dem Kopf bedeutete ich ihm, den anderen zu folgen. Ich hatte zwar nicht die leistete Ahnung, was hier vor sich ging, doch ich brauchte keinen Beschützer. Es gab gerade wichtigere Dinge als mich.
Schreie ertönten, die nicht nur Seath zusammen zucken ließen. Etwas knurrte, dann erneut Schreie. Ein lautes Knallen ließ mich mich fragen, ob ich meine Einschätzung meiner Sicherheit gegenüber nicht überdenken sollte. Doch Seath saß auf heißen Kohlen. Er wollte helfen und ich war mir sicher, was auch immer vor sich ging, sie brauchten ihnen.
"Geh!"
Eine Last schien von seinen Schultern zu fallen, als er nickte.
"Geh zu Emmas Eltern. Sie werden dich beschützen!", wies er mich an, dann rannte er los. Schnell wie der Blitz und ohne einmal ins stolpern zu kommen eilte er über den unebenen Strand. Im Laufen zog er sich sein T-Shirt über den Kopf, das erschreckend langsam zu Boden glitt. Doch viel erschreckender war die Tatsache, dass Seath in die Luft sprang und in Sekundenbruchteilen verschwunden war. An seiner Stelle kam ein riesiger, grauer Wolf auf dem Fußboden auf, der weiter sprintete. Voller Entsetzen taumelte ich einige Schritte rückwärts. Mir schlug das Herz bis zum Hals, denn das Tier, das in Richtung der Reservatsleute lief, war ein Ungetüm. Ein Monster, das uns alle töten würde.
"Lauft!", schrie ich mit panischer Stimme, doch niemand war in meiner Hörweite. Am ganzen Körper zitternd sah ich mich nach Seath um, doch dieser war verschwunden. Nur sein im Sand liegenden T-Shirt lag noch dort, als wolle es mich auslachen. Kein Mensch konnte einfach so verschwinden.
Ich musste den Verstand verloren haben.
Der Strand lag verlassen vor mir, ich konnte nur die Schreie hören und die knackenden Äste in der Nähe. Der Wald lag nicht weit entfernt vom Strand. In wenigen Schritten würde ich ihn erreichen und die anderen warnen können. Doch die Geräusche klangen so, als hätten sie das Monster bereits entdeckt. Seath hatte Recht, ich sollte es ihm gleich tun und von hier verschwinden, ehe die Gefahr mich fand. Eilig rannte ich davon in Richtung Häuser, über die Strand hinweg, doch ich kam immer wieder ins Stolpern. Zudem war ich zu langsam und bei jeder Bewegung brannten meine Rippen, als würde ein Feuer in meinem Inneren lodern. Trotzdem kämpfte ich mich vorwärts, aber nicht länger zu den Häusern des Reservats. Ich konnte nicht einordnen, woher das plötzliche Bedürfnis kam, doch ich war mit sicher, dass es besser für mich war, in den Wald zu gehen. Dorthin, wo die Schreie herkamen. Also änderte ich die Richtung, lief, so schnell ich konnte. Ein Gefühl, das ich nie zuvor gespürt hatte, hatte mich heimgesucht und war so drängend, dass ich meine Schmerzen kaum noch bemerkte. Da war etwas, was viel einnehmender war, viel wichtiger als mein persönliches Wohlbefinden: das unerschütterliche Wissen, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn ich nicht auf der Stelle dorthin kam, wo die Reservatsleute mit dem Monster kämpften. Also sammelte ich meine gesamten Kraftreserven zusammen, biss mir auf die Zähne und blinzelte gegen den Sand an, den der Wind aufwirbelte und mir ins Gesicht blies. Ich war beinahe erleichtert, als ich den weichen Sand unter meinen Füßen gegen Waldboden eintauschte. Doch die Geräusche, die eindeutig von einem Kampf stammten, wurden immer lauter. Lauter und grausamer. Gegen was auch immer dort gekämpft wurde, es musste ungläubig stark und ohne Gewissen sein. Ein Biest, ein Wesen ohne Reue, ohne Gnade, mit so schrecklichen Aussehen, dass...
Ein Ruck ging durch meinen Körper. Wie angewurzelt blieb ich stehen und betrachtete mit aufgerissen Augen das Bild, das sich mir bot. Riesige Wölfe standen zwischen den Bäumen, unheilvoll knurrend und mit gefletschten Zähnen. In ihrer Mitte, eingekreist, stand, einsam und verlassen, ein Mensch.
Nicht irgendein Mensch.
Es war Jasper.
"Pass auf!", rief ich aus voller Kehle, als ich sah, wie einer der Wölfe zum Sprung ansetzte. Doch da war es bereits zu spät. Jasper sah zu mir, Verwirrung lag in seinem Blick. Nur einen Wimpernschlag wurde er von dem Wolf begraben.
Ich schrie. Ich bekam kaum mit, wie laut und wie lang ich schrie. Noch nie in meinem Leben hatte ich derartige Verzweiflung gespürt, noch nie so viel Angst. Ich durfte nicht zulassen, dass Jasper etwas geschah. Er musste leben. Ich brauchte ihn doch!
Ohne darüber nachzudenken taumelte ich nach vorn, mitten rein in das Geschehen. Todesmutig stürzte ich auf die Wölfe zu, als ob ich gegen sie auch nur den Hauch einer Chance hätte. Am Rande meines Unterbewusstseins kam der Gedanke auf, wo die Reservatsleute waren und wieso keiner Jasper zur Hilfe kam. Doch als sich mir ein rostroter Wolf in den Weg stellte, rückte diese Frage in den Hintergrund. Das riesige Tier knurrte mich voller Wut an, trat einen Schritt auf mich zu. Doch ich wich nicht zurück. Es ging hier immerhin um Jasper. Ich musste ihn beschützen, koste es, was es wolle.
Mutiger, als ich mich fühlte, erwiderte ich den stechenden Blick des Tieres. Ich richtete mich auf, hob das Kinn an und schrie: "Verschwinde, Bestie!"
Ich hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass das Tier meiner Forderung nachkommen würde. Doch als hätte ich es soeben geschlagen, taumelte es zur Seite. Ich hielt mich nicht damit auf, mir über dieses Verhalten Gedanken zu machen. Stattdessen rannte ich weiter vorwärts und sah gerade noch, wie Jasper den Wolf von sich schmiss. Mit einer Kraft, die mich ängstigen sollte. Doch das tat sie nicht, denn mir war eines klar: Jasper mochte vielleicht stark sein, doch gegen so viele Monster hatte er nicht den Hauch einer Chance. Bereits das nächste Untier setzte zum Sprung an, bereit, ihm die Kehle zu durchbeißen.
Ich zögerte nicht lange. Ich überwand die letzten Meter Distanz zwischen uns und stieß Jasper zur Seite. Dieser hatte nicht damit gerechnet, wie mir sein erschrockener Gesichtsausdruck zeigte. Er taumelte zurück, sein Blick voller Panik. Ich wollte etwas zu ihm sagen, doch im gleichen Moment landete der Wolf und begrub mich mit seinem gesamten Gewicht unter sich. Ich spürte die Schmerzen kaum, denn ich konnte hören, wie Jasper neben mir schrie. Die Gefühle, die aus seiner Stimme tropfen, kannte ich selbst nur zu gut. Es war die Angst, die man um den Menschen hatte, den man liebte. Ich spürte sie am eigenen Leib. Lieber starb ich, als das irgendjemand Jasper verletzen würde.
Es dauerte nur wenige Wimpernschläge, dann verschwand das Gewicht des Tieres wieder von mir. Schmerzverzerrt rollte ich mich zur Seite und konnte gerade noch sehen, wie einer der Wölfe seine riesigen Zähne in Jaspers Seite bohrte. Er sackte zu Boden als wäre jegliche Kraft aus seinem Körper gewichen.
"NEIN! AUFHÖREN!"
Meine Worte gingen im Knurren der Wölfe unter. So gut es ging zog ich mich über den Waldboden, direkt auf Jasper zu. Er lag keinen Meter von mir entfernt und doch kam es mir vor, als würden uns Welten trennen. Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm, denn mein ganzer Körper schmerzte. Trotzdem schaffte ich es, zu Jasper zu gelangen. Gerade rechtzeitig, um mich über ihn zu werden und eine erneute Attacke der Wölfe abzuwehren.
"AUFHÖREN!", schrie ich nochmal, in der Hoffnung, sie würden auf mich hören. "Lasst ihn in Frieden!"
Ich wartete nicht darauf, was geschehen würde. Schluchzend krallte ich meine Hände in Jaspers blutverschmiertes Hemd. Ich vergrub mein Gesicht an seinem Hals und schlang meine Arme um ihn. Wenn wir jetzt und hier sterben würden, dann nur gemeinsam.
"Ich liebe dich", wisperte ich mit von den Tränen kratziger Stimme. "Ich liebe dich, Jasper!" Im nächsten Moment schloss ich die Augen und wartete auf den letzten, tödlichen Schlag. Doch er blieb aus.
Mit klopfendem Herz stellte ich fest, dass das Kampfgeschrei verstummt war. Stille hatte sich über den Wald gelegt, doch sie war so ohrenbetäubend laut wie nichts, was ich zuvor in meinem Leben gehört hätte.
Zitternd richtete ich mich auf, nur soweit, wie es mir möglich war. Es kam mir vor, als würde mein Körper in Flammen stehen. Jedes Teil davon schmerzte. Es war ein Wunder, dass ich noch bei Bewusstsein war.
Mit flatternd Lidern sah ich auf und schnappte tief nach Luft. Die Wölfe waren verschwunden. Stattdessen standen Seath und die anderen Leute aus dem Reservat vor uns. Ihre Blicke strahlten die unterschiedlichsten Emotionen aus. Abneigung, Unverständnis, Bewunderung. Hass.
"WO WART IHR!", schrie ich sie an. "Wir hätten eure Hilfe gebraucht! Da waren Bestien, sie wollten uns töten. Ich... Wir... Wir hätten euch gebraucht!"
Niemand antwortete mir. Nicht Seath, nicht Sam. Auch nicht Leah oder Embry.
Verständnislos und mit Tränen in den Augen schüttelte ich den Kopf.
Sie hatten uns im Stich gelassen.
"Ihr... Ihr Monster!", schrie ich und sah hinab zu Jasper, der vor mir lag und nicht atmete. Er rührte sich nicht, seine Augen waren geschlossen. Ich betete zu Gott, dass er noch am Leben war. Er durfte nicht tot sein. Er musste leben. Er...
"Das ist alles eure Schuld!"
Schluchzend sah ich zu Seath, doch fand in seinem Blick kein Anzeichen von Reue. Stattdessen war es Ekel, der mir die Luft zum Atem raubte.
Ich setzte erneut an, loszubrüllen, da erklang eine Stimme und durchschnitt statt mir die Stille.
"Spar dir deinen Atem, Magda. Die Köter sind es nicht wert."
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