•37•
Langsam öffne ich meine verschlafenen Augen. Sobald ich den Grund sehe, wieso ich wach geworden bin, muss ich anfangen zu lächeln.
„Morgen."
Meine Hand wandert wie automatisch an seine Wange und streicht kurz drüber. Leichte Augenringe sind unter seinen Augen zu erkennen.
„Alles okay? Du siehst müde aus.", frage ich leise und merke automatisch wie er sich etwas verspannt.
„Wenn du möchtest kannst du auch hier bleiben, wenn wir nochmal zu meinem Vater gehen, und dich solange noch etwas ausruhen."
Er scheint einen Moment zu überlegen, seufzt dann jedoch auf und nickt.
„Versprich mir, dass ihr aufpasst und nehmt Waffen mit. Nur für den Notfall."
Er schmiegt sich in meine Berührung und schließt seine Augen.
„Ich will nicht, dass euch was passiert.", murmelt er und dreht seinen Kopf etwas platziert einen Kuss in meine Handfläche.
„Sicher. Wir sind spätestens am Abend zurück. Und so habt ihr Männer auch mal wieder etwas Zeit ohne uns Weiber." Letzteres kommt schmunzelnd und sein Mundwinkel hebt sich daraufhin leicht.
Ich schlüpfe aus dem Bett und ziehe mir meine Kleidung über, mache mich soweit fertig, bevor ich Jason noch einen Kuss gebe und dann seine Kajüte verlasse um Valeria zu suchen.
Diese finde ich unten in der Küche, wo sie gerade etwas essen tut.
„Morgen.", begrüße ich Valeria und Joe, die mich angrinsen.
Ich klaue mir etwas von ihrem Essen, was sie empört schauen lässt.
„Du weisst, welcher Tag heute ist."
Nur langsam nickt sie mir ihrem Kopf und schiebt den Rest des Essens von sich.
„Wir zwei gehen heute allein. Holen gleich noch ein paar Waffen, dann können wir los, wenn du soweit bist."
Mit einem kleinen Lächeln lasse ich die beiden allein und gehe in die Waffenkammer, wo ich mich für eine kleine Pistole uns zwei kleine Messer nehme und diese verstaue, genauso wie für Valeria zwei Messer. Oben an Deck wartet sie bereits auf mich und wir verabschieden uns von den Männern, gehen dann vom Schiff auf den Steg und laufen den Weg entlang.
Ich schaue mich die ganze Zeit um und beobachte die Menschen, wie sie ihren alltäglichen Dingen nachgehen. Valeria hingegen scheint sehr aufgewühlt zu sein. Je näher wir seiner Wohnung kommen, desto unruhiger wird sie.
„Valeria, was ist los?"
Sie sieht erst auf den Boden, bevor sie mich endlich ansieht.
„Ich....ich hab mich entschieden."
Da ich weiß, von was sie redet, bleibe ich still und warte.
„Ich denke ich werde-"
Doch bevor sie ein Wort sagen kann erstarre ich in meiner Bewegung.
„Nein.", kommt es wimmernd von mir. Denn in der Gasse, direkt vor uns, kurz vor seiner Wohnung, liegt er.
Vater, blutend am Boden mit einem Messer in seinem Körper stecken. Mehr oder weniger angelehnt an einer Hauswand. Meine Beine rennen auf ihn zu und ich lasse mich vor ihn fallen. Seine Haut ist bleich, sein Atem nur abgehakt. „Papa. Papa, was ist passiert?"
Valeria bleibt geschockt stehen und sagt rein gar nichts. Er fängt an zu röcheln und hustet plötzlich Blut. Mein Kopf reißt nach links zu ihr und ich sehe sie panisch an. Nur ein Gedanke in meinem Kopf. „Renn zurück und hol Jason, sofort!"
Erst scheint sie nichts mit zu bekommen, als ich jedoch nochmal lauter werde reagiert sie endlich und verschwindet um die Ecke. Ich wiederum versuche meinen Vater irgendwie zum Reden zu bringen, doch er kann nur grade so seine Augen etwas offen halten.
„Papa, bitte bleib wach. Für Valeria."
Ununterbrochen versuche ich auf ihn einzureden, dass er ja nicht komplett die Augen schließt. Keine Träne verlässt meine Augen, doch mein Körper ist am zittern. Die Angst sitzt in meinen Knochen, dass es vielleicht schon zu spät ist.
Ich weiß nicht wie lange ich so sitze bis Jason und Valeria endlich da sind. Seine Augen mustern erst besorgt meinen Körper, bevor er sich neben uns hinkniet.
„Was ist passiert?", fragt er nach und sieht dann meinen Vater genauer an.
„Zum Glück hast du das Messer nicht bewegt."
„Ich weiss es nicht. Er sagt nichts...ich weiß nicht, was ich tun soll."
Verzweifelt sehe ich zu Jason.
„Er stirbt. Es ist zu viel Blut."
Die Augenlider meines Vaters flackern und seine Augen schwirren zwischen uns hin und her. Er röchelt und Blut rinnt aus seinem Mund.
„Kannst du ihm helfen?", frage ich leise und sehe wieder auf den sterbenden Körper meines Vaters.
„Hey schauen Sie mir in die Augen.", höre ich Jason kurz darauf zu meinem Vater sagen und sehe wie er dabei auf seine Wange klopft. „Erinnern Sie sich wieder an alles."
Wie bei einem Sinneswandel ändert sich der Ausdruck im Gesicht meines Vaters. Eine Mischung aus Angst und Respekt liegt nun in dem Blick, mit dem er Jason ansieht. Er weiß es.
„Sie wissen, dass ich Sie retten kann Senior. Die Entscheidung liegt bei Ihnen."
Seine Augen sind länger auf denen von Jason, bevor er zu Valeria und dann zu mir sieht. Und langsam, ganz langsam, schüttelt er den Kopf. Ich schlucke hart, denn seine Antwort bedeutet gleichzeitig, dass er sich für den Tod und nicht für uns entschieden hat.
„Nicht...verwandeln.", röchelt er und seufzt. Valeria sieht mit geschwollenen Augen zu ihrem Vater, versteht kein Wort.
„Was...von was redet er?"
Meine Augen weiten sich, weil mir erst jetzt wirklich bewusst wird, dass Valeria eigentlich gar nichts von Jason weiss.
„Verdammt.", murmel ich leise und schüttel meinen Kopf.
„Ist schon ok. Sie kann es wissen.", flüstert Jason mit zu, ehe er sich wieder meinem Vater widmet, der sich gegen die Verwandlung entscheiden will.
„Sind Sie sich sicher? Ihre Töchter haben Sie gerade erst zurück Senior."
Er greift nach der Hand meines Vaters, doch dieser sieht ihn mit einer Ernsthaftigkeit an, dass seine Entscheidung steht. Und die nächsten Worte sind traurig und rührend zugleich.
„Sie...sind bei Ihnen sicher.", sagt er langsam, bevor er versucht nach meiner Hand zu greifen.
„Dein...Captain.", sagt er mit einem kleinen Lächeln und ich weiss sofort, was er meint. Denn er war es schließlich, der uns die Geschichten vom Captain Grant erzählt hat. Und er wusste ebenso, dass ich diesen Captain eines Tages finden wollte. Wer hätte gedacht, dass ich das tatsächlich tue...
Daher nicke ich mit meinem Kopf.
„Ja, mein Captain.", antworte ich und lächle ebenfalls. Danach nimmt er Valerias Hand und verabschiedet sich auch von ihr, bevor seine Hand in ihrer immer schwächer wird und er seinen letzten Atemzug nimmt. Valeria weint bitterlich und krallt sich an seine schlaffe Hand. Ich kann einfach nur seinen nun leblosen Körper ansehen.
Ich merke kaum wie Jason nach meiner Hand greift und mich an sich zieht.
„Wir sollten ihn beerdigen."
Ich nicke motorisch und nehme Valeria in meinen Arm. Jason nimmt den schlaffen Körper meines Vaters und läuft voraus. Wir gehen ihm hinterher. Sie zittert weiter in meinen Armen und krallt ihre Finger so sehr in meinen Körper, dass ich davon noch Spuren tragen werde. Doch bei mir fällt keine einzige Träne. Innerlich fühlt es sich an, als hätte man erneut einen Teil von mir genommen, doch mein Körper weigert sich dagegen den Schmerz rauszulassen. An der Black Hell wird der Körper durch ein Beiboot nach oben an Deck befördert.
„Eine Seebestattung denke ich, wäre angebracht für ihn."
„Ja, das klingt gut.", meine ich leise und versuche mich an einem Lächeln, was wohl eher versagt. An Deck bringe ich meine Schwester direkt zu ihrem Bett, wo sie sich einrollen tut und weiter weint. Ich lege mich hinter sie und versuche sie zu beruhigen, indem ich eine Melodie summe, die sie recht schnell einschlafen lässt, auch wenn sie noch leicht zittert. Wahrscheinlich ist ihrem Körper das alles zu viel, ich kann es ihr nicht verübeln.
Meine Hände streichen noch eine Weile durch ihr Haar, bis ich vorsichtig aus dem Bett klettere und ihre Kajüte verlasse. Hinter mir schließe ich leise die Tür und gehe zurück an Deck, wo ich mich an die Reling stelle und meine Augen schließe. Nur tief durchatme und an die letzten Momente denke, die wir mit ihm verbracht haben. Ein letztes Mal.
„Hey Baby."
Ich habe nicht einmal mitbekommen wie Jason sich einen meinen Körper gelehnt und sein Gesicht in meinem Haar versteckt hat. Als wäre ich von meiner Außenwelt abgeschottet und nur er mein einziger Anhaltspunkt. „Du musst nicht die Starke sein. Zumindest nicht vor mir."
Meine Finger krallen sich in seinen Rücken, als ich mich zu ihm drehe, und stumm laufen nun die Tränen. Als hätte mein Körper nur darauf gewartet seinen zu spüren. Dass meine Tränen sein Hemd einweichen interessiert ihn nicht, er hält mich einfach fest. Zum zweiten Mal verliere ich meinen Vater. Einen Menschen, den ich geliebt habe.
Jetzt habe ich nur noch Valeria....und ihn.
Nur für wie lange ist die Frage.
Sobald die Tränen versiegen atme ich tief durch und flüstere nur noch ein „Ich will weg von diesem Ort."
„Wir haben schon abgelegt. Schläft deine Schwester?"
„Ja, sie ist innerhalb von ein paar Minuten eingeschlafen.", antworte ich und drücke mich noch enger an ihn.
„Sie wird Fragen haben Jason."
Beruhigend fährt seine Hand durch mein Haar und er drückt seinen Mund auf meinen Kopf. „Sie kann es wissen. Ich vertraue euch. Wenn sie aufwacht sind wir weit genug weg vom Festland und können euren Vater zu Wasser lassen. Leg dich solange auch noch was hin, ich wecke dich auch auf."
Mit einem sanften Lächeln auf seinen Lippen sieht er zu mir runter und legt seine Hand von meinem Haar auf meine Wange, über die er streicht.
„Wenn du willst, lege ich mich gleich noch ein wenig zu dir."
„Ja, das wäre schön."
Mein Kopf dreht sich und ich gebe ihm einen Kuss in die Hand, bevor ich mich von ihm löse und Richtung seiner Kajüte gehe. Dann befreie ich mich von der mit Blut befleckten Kleidung und ziehe mir eines seiner Hemden über. Sein Geruch umgibt mich sofort und beruhigt mein schneller schlagendes Herz als ich mich in die Laken lege und tief durchatme. Meine Augenlider werden immer schwerer, doch versuche ich mich wach zu halten.
Kurz bevor ich gänzlich einschlafe kann ich hören wie die Tür der Kajüte sich öffnet und das darauffolgende Rascheln von Kleidung.
„Du bist ja noch wach.", flüstert er leise, nachdem er sich neben mich gelegt hat.
„Ich hab auf dich gewartet.", nuschel ich an seine Brust und lege meine Arme um ihn. Erst jetzt fällt mir auf, wie sehr sich unser Verhalten geändert hat.
Ja, wir ärgern uns immer noch gern, kontern gegenseitig und haben leidenschaftlichen, harten Sex. Aber die Momente, solche Momente, die sich viel intensiver anfühlen, werden mehr. Mein Herz reagiert ebenso darauf, was ich anfangs doch eigentlich vermeiden wollte und ich schlucke bei dieser Erkenntnis, die mich überkommt.
„Wann machen wir die Seebestattung?", frage ich um meine Gedanken abzulenken und fahre mit meinem Finger die Konturen seiner Tattoos nach. Hauptsache, ich denke nicht weiter darüber nach. Das kann für mich zu gefährlich werden und das darf nicht passieren.
„Wenn du geschlafen hast."
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