four
Verschlafen schmiegtest du dich an Quinns Brust. Er selbst war noch nicht wach, doch das störte dich nicht. Noch immer faszinierte dich der friedliche Ausdruck in seinem Gesicht. Im Halbschlaf schlang der junge Mann seinen Arm um deine Taille und zog dich enger an sich. Allein diese kleine Geste ließ dein Herz höher schlagen als Vieles, das dir vor deiner Entführung geschehen war.
Wobei du natürlich nicht sagen wolltest, dass es gut war, dass du verschleppt worden warst. Nein, ganz im Gegenteil. Du würdest alles tun, um diese Erinnerungen und die daraus resultierenden Albträume zu verbannen. Doch so einfach war es nicht. Verrückte Wissenschaftler mit Spritzen, Kanülen und Skalpellen. Endlos lange Flure, deren Wände mit Blut geschmierte Fratzen gezeichnet wären. Du ranntest, die Monster deiner Ängste klebten dir an den Fersen wie Honig, doch du kamst in dem hoffnungslosen Totengang keinen Schritt voran. In der ersten Nacht, in der du hier gewesen warst, hattest du die ganze Wohnung zusammengekreischt, bis du letztendlich aus dem Schlaf gefahren warst und einen zerzausten Quinn angestarrt hattest, der vor lauter Schreck in dein Zimmer gestürmt gekommen war. Seitdem schlief er neben dir und die Albträume waren, wenn vorhanden, viel milder.
Jedoch war nicht alles so harmonisch abgelaufen wie eure Schlafgewohnheiten. Denn am Nachmittag in der Küche vor einigen Wochen, es war der erste Tag gewesen, an welchem du bei Quinn gewesen warst, als du verlangt hattest, nach Hause gehen zu dürfen, hatte der junge Mann es dir verboten. Natürlich warst du über diese Aussage weniger erfreut gewesen und im nächsten Moment komplett ausgerastete. Hattest geschrieen, um dich gehauen und wolltest aus der Wohnung flüchten. Nur mit Mühe hatte Quinn es geschafft, dich zu packen und wieder in die Küche zu schleifen, bevor du ins Treppenhaus stürmen konntest. Anschließend musste er sich mit deiner Wut wortwörtlich rumschlagen, noch immer zierten blaue Flecken seine Arme und Rippen, seine Wange hatte die scharlachrote Färbung der Ohrfeige, die du ihm verpasst hattest, am nächsten Morgen vergessen gehabt.
Doch nicht einmal während deines Tobsuchtanfalles hattest du eine Schelle kassiert - und das, obwohl du es nach der Aktion mehr als nur verdient hattest. Als ihm der Kragen geplatz war, hatte er dich nur zusammengepfiffen. Seine laute Stimme hatte dir für einen Moment die Energie geraubt und in der Zeit war dir klar geworden, wie erbärmlich du dich aufgeführt hattest.
Schamesrot hattest du mit gesenkten Kopf auf seinem Küchenstuhl gesessen und als Quinn sicher war, dass du keinen weiteren Fluchtversuch veranstalten würdest, war er sich duch die leichten Löckchen gefahren und hatte angefangen langsam und deutlich alles zu erklären.
Er hatte dich, nachdem du bewusstlos geworden warst, erst in eine Waschkammer gebracht und dir dort etwas von dem Heilmittel gegeben, das er bei John im Labor gefunden hatte. Um was es sich dabei handelte, wollte Quinn dir bis heute nicht sagen. Anschließend hatte der junge Mann dich in einem Schmutzwäschesack aus dem Gebäude geschmuggelt und zu sich nach Hause gebracht. Du wolltest gar nicht wissen, wie er das angestellt haben musste. Vor allen, der Mann hatte ja während der ganzen Aktion unentdeckt bleiben müssen.
Dass Quinn damit sein Leben auf Spiel gesetzt, hatte, wusstet ihr alle beide. Ebenso war euch der Fakt bewusst, dass sie hinter dir her waren. Zwar hatte der junge Mann sich dazu entschlossen, seinen Job in der Experiemtieranstalt als Essenverteiler und Mädchen für alles weiter auszuüben, doch auch wenn bis jetzt niemand Verdacht geschöpft hatte, war dort anscheinend die Hölle los gewesen. Alister hatte den Wissenschaftler körperlich zugerichtet, dass er nach Quinns Angaben noch immer völlig demoliert - übersäht mit Hämatomen und Platzwunde - durch die Gänge streifte. Und das um einiges paranoider als bisher. Zumal Alec ebenso verprügelt aussehen sollte. Noch immer war es für dich ein Rätsel, wer es geschafft hatte, den Kahlkopf so zu blessieren. Schließlich gingst du nicht einfach davon aus, dass Alec sich alles so dir nichts mir nichts gefallen ließ.
Verschlafen vergrub Quinn seine Nase in deinem blonden Haar und entlockte dir so ein wohliges Seufzen. Prickelnde Geborgenheit schwemmte dein Herz stetig steigend wie die am Strand leckenden Wellen bei Flut. Bis jetzt hattest du dich bei noch keinem Kerl so sicher gefühlt, so geliebt, so wertgeschätzt. Zwar hatte der Runentattoo-Typ aus dem Club an dem Abend deiner Entführung ebenfalls feuriges Verlangen in dir erblühen lassen wie ein gezacktes Blumenköpfchen, aber ein Begehrten, wie du es bei Quinn verspürtest, hattest du wahrhaftig noch nie empfinden vermocht.
Aber egal, wie wichtig dieser Mann dir in den letzten Wochen geworden war, dennoch vermisstest du deine Familie und deine beiden Freunde schmerzlich. Dein Handy hattest du auf der Tanzfläche im Club das letzte Mal in deiner Hosentasche gespürt, seitdem war es von Boden verschluckt. So auch die Telefonnummern deiner Liebsten. Quinn hatte dir geholfen, zumindest deine Freunde und deine kleine Schwester Simi auf über Instagram zu finden, sodass du zumindest irgendwie ein Lebenszeichen von dir geben konntest. Ihr hattest ein paar Mal über diese Social-Media-Plattform telefoniert und alle waren fürchterlich erleichtert, dass es dir gut ging. Allerdings hatte dich dein Retter auch dazu angehalten, weder deinen Standort noch sonstige Informationen preiszugeben, welche Alister und den Rest auf eure Spur zu bringen.
Denn wie bereits gesagt, sie waren ohne Zweifel auf der Suche nach 482, ihrem besten Objekt.
Ein weiterer Punkt war, dass die Gesamtsituation auf der Welt gerade katastrophal den Bach runterging. Wie eine kleine Papierschiffchenflotte, die geradewegs auf die Niragara-Fälle zu trudelte. Hier in den USA war aus unerklärlichen Gründen ein paar Tage vor meiner Rettung ein Virus ausgebrochen, der mit seinem seichten Beginn dem radikalen Umschlag und den daraus resultieren Zerfallen sämtlicher Schleimhäute dem Ebola-Virus ähnelte, aber viel aggesiver war und schon hunderttausende Opfer alleine in diesem Land gefordert hatte. Einmal infiziert bedeutete es in achtundneunzig Prozent der Fälle den sofortigen Tod der betroffenen Person, denn auch, wenn die Forschung nach einem Heilmittel auf Hochtouren lief, war bis jetzt keine Substanz zu finden, die überhaupt erst einmal die Symptome minderte und durch das Stecken des Verlaufes dem Kranken zumindest etwas mehr Zeit erkaufte. Bis auf abgeschottete Inselwelten im Pazifik und entfernte Stämme in den Regel-, Laub und Tannenwäldern sowie Steppen und Tundren waren alle Kontinente betroffen. Großstädte waren am schlimmsten dran. Selbst hier kämpfte das Gesundheitssystem, doch die Menschen starben ihnen wie Fische in einem gekippten See einfach unter der Hand weg. Eine Dokumentation, die ihr euch vorgestern im Fernsehen angeschaut hatte, war davon ausgegangen, dass selbst die Krematorien nicht mehr damit hinterherkamen, die ganzen infizierten Leichen zu verbrennen.
Ein paar Tage nach deiner Befreiung war auch in der Kleinstadt in der Nähe von Los Angeles, in welcher Quinn seine Wohnung hatte, der Notstand und ein leicht abgemildertes Ausgangsverbot verhangen worden. Nur noch überlebenswichtige Ausgänge wurden geduldet und ihr rechnete jederzeit damit, dass die Regierung das auch noch verschärfte.
Heute war ein Meeting - selbstverständlich online - der wichtigsten Personen der Weit angesetzt, in welchem entschieden werden sollte, wie man weiter verfuhr. Die ganze Welt bangte und hoffte zugleich. Zum einen schürten manche Menschen die Erwartung, dass die Regierungen wie aus dem Nichts ein Heimmittel aus dem Ärmel hervorzauberte. Andere richteten sich in ihren Gärten schon wie bei einer Apokalypse den Bunker her, da sie mit einer Ausrottung der gesamten menschlichen Spezies rechneten.
Du spürtest, wie Quinn neben dir langsam aus dem süßen Reich der Träume erwachte und sich brummend an dich schmiegte. Vorsichtig befreitest du deine rechte Hand, die zwischen euch eingequetscht war, und strichst ihm sanft über die Wangen.
Allein die Art, wie er die Augen aufschlug und dich mit seinem flaschengrünen Blick ansah, raubte dir den Atem. »Guten Morgen, Kleines«, flüsterte er rau und kostete mit seinen seidig weichen Lippen deinen Mund.
»Morgen.« Ein Lächeln erhellte dein Gesicht, jedoch erlosch es schlagartig, als Quinn die Bettdecke zurückschlug und auch aufsetzte. »Hey, was soll das? Es ist kalt!«
Doch er rutsche nur hastig aus dem Bett, die Schlaffalten zeichneten wilde auf seinen fein trainierten Oberkörper und ließen ihn zusammen mit seinen zerwuschelten Löckchen noch niedlicher wirken, als er eigentlich schon war. »Ich bin gleich wieder da, muss nur mal schnell auf Toilette.« Und schon war der Mann aus dem Raum gestürmt.
Zerknirscht schnapptest du dir die Oberkante der Bettdecke und mummelste dich wieder darin ein. Natürlich war ein Großteil der Wärme bereits verflogen und dir jetzt entsprechend kalt. Ein beleidigtes Grummeln gewollte in dir. Quinn konnte wirklich herzzerreißend süß und romantisch sein, aber manchmal brachte er Dinger, sie genauso plump wie unangebracht waren.
Beispielsweise seine Freundin nach so einer besonderen Nacht nach dem Erwachen in einem so riesigen Bett alleine zu lassen.
Deine Trotzgedanken übertönten fast das scheußliche Bersten von Holz, welches jäh die unschuldige Stille zerschellte. Schlagartig saßst du kerzengrade im Bett und dein Spaghetti-Top, welches du heute nach in der Eile noch schnell übergestreift hattest, passend zu der grau gestreiften Schlafpants, rutschte von deiner Schulter. Nur einen Wimperschlag später hatte die Kälte ihre eisigen Finger schon nach dir ausgestreckt und umschmeichelte grausig seine größtenteils nackte Haut. Doch die Angst in einem Herz sorgte dafür, dass du kaum etwas davon spürtest.
»Quinn?« Kreidebleich huschtest du aus dem Bett und tapstest zur Tür, die Hand in Richtung Klinke ausgestreckt.
Aber du kamst nicht dazu, sie zu öffnen. Denn genau in dem Moment wurde das blasse Holz von außen aufgerissen und bernsteinfarbenen Augen, aus der rechten seine nur weinig durch das helle Veilchen geschmeichelt, starrten dich geradezu fasziniert an. »Wen haben wir denn da?«
Dein kleines Herz rutschte tiefer, als du es jemals für möglich gehalten hättest. Geschockt stolpertest du nach hinten und fielst wieder auf das Bett. Dort verharrtest du, völlig unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu erhaschen. Du konntest nur daran denken, dass du nie wieder deinen Platz als Versuchskaninchen einnehmen und diese grausigen Qualen wieder und wieder durchleiden müssen wolltest. Alles drehte sich und für einen Moment fühltest du dich wie an dem Tag vor deiner Befreiung, bevor du in Quinns Schoß gekippt warst.
Mit einem fetten Grinsen im Gesicht schritt Alec auf dich zu. Aber als er seine kräftigen Fingern nach dir ausstreckte, schlich sich in leises Rascheln in dein Bewusstsein. Nur den Flügelschlag einer Libelle später erblickest du über die Schulter des Kahlkopfes zwei flaschengrüne Augen. Ganz deutlich konntest du die Wut darin ablesen. Alec schien etwas in deiner Miene zu erkennen, doch in dem Moment war Quinn schon hinter ihm. Blitzschnell packte er den Kerl an den Schulter, riss den Mund auf, sodass seine spitzen Zähne im Morgenlicht glänzten, und trieb die Fänge zu deinen Entsetzen in Alecs Pulsschlagader. Noch schlimmer war allerdings die Tatsache, dass siech seine wunderschön grünen Agen auf einmal umfärbten. Blutrote Farbe quoll aus den Pupillen, bis die gesamte Iris wie ein Robine funkelten.
Du begannst haltlos zu schreien.
Was passiert hier? Wie hattest du in den letzten Wochen das Monster in Quinn nicht erkennen können? Dein Verstand weigerte sich strikt, dich an die Gattung zu denke, die dein Unterbewusstsein aus dem Archiv herausgesucht hatte.
Doch gleichzeitig setzten sich die Erinnerungsscherben aus der Nacht deiner Entführung wieder zusammen und dir wurde klar, wo du diese Augen schon einmal gesehen hattest.
Quinn war der Mann gewesen, der dich entführt und in dieses gräußliche Zuchtlabor verfrachtet hatte. Es war seine Schuld. Ohne ihn hättest du das nicht durchleben müssen.
Hass durchflutete sich bei dem Gedanken, wie liebevoll er sich die letzten Wochen um dich gekümmert hatte und du musstest dir eingestehen, dass vielleicht auch jede dieser Handlungen nicht ehrlich gewesen waren. Schließlich musste er ja irgendein Ziel mit seinen Taten verfolgen.
Dennoch stelltest du dir die Frage, was sein großer Plan war.
Aber auch wenn es dir in den Fingern brannte, deine beißend brennende Wut an den jungen Mann auszulassen, riss trotzdem etwas schmerzhaft in deiner Seele, als Alec herumwirbelte, den jungen Mann von sich zerrte und ihm mit einer geschmeidigen Bewegung das Genick brach. »Dummer, kleiner Vampir, dachtest du ernsthaft, ich wäre ein jämmerliches Menschlein?«
Das widerliche Knacken hallte scheußlich in deinem Kopf wieder und brachte dein Herz zum Stillstand. Urplötzlich stiegen dir die Tränen hoch und rollten über deine Wangen. Quinn knallte mit einem dumpfen Schlag wie ein Sack Kartoffeln au den Boden; die Augen starr ausgerissen - noch immer glomm die rote Farbe in ihnen - und den Mund mit hässlichen Blutflecken beschmiert.
»Nun zu dir«, grinste Alec und machte einen weiteren Schritt auf dich zu.
Was als nächstes geschah, konntest du nur auf eine Kurzschlussreaktion deines Verstandes zurückführen. Blind, gleichermaßen getrieben von Wut und Schmerz, griffst du nach der Holzfigur, die neben dir auf den Nachttisch stand, und rammtest sie den Kahlkopf mit aller Kraft in das Herz. Du warst selbst geschockt davon, wie leicht der Engel Haut, Muskeln und Rippen passierte, viel eher hattest du erwartete, zumindest auf einen kleinen Widerstand zu treffen.
Alec war hingegen mitten in der gerade noch so eleganten Bewegung erstarrt. Seine Bernsteinaugen wurden riesig und kurz dachtest du, sie würden ihm wie reife Tomaten einfach aus dem Kopf fallen. Doch stattdessen sackte der Kahlkopf nur wie ein gefällter Baum in sich zusammen. Ebenso dumpf wie Quinn rummste er zu Boden und blieb reglos liegen. Seine Haut wurde erst aschfahl, dann glitt sie in ein Mausgrau ab, welches dich darauf schließen ließ, dass auch Alec kein Mensch gewesen sein konnte.
Dann herrschte eiserne Stille. Nur dein keuchender Atem und dein Herz, wie es gegen eine Rippen wummerte, waren noch zu hören. Dein Blick bohrte sich in den toten Körper des Kahlkopfes und langsam begann dein Hirn in eine Notfunktion umzuspringen und wieder zu arbeiten.
Oh Gott.
Du hattest jemanden getötet.
Als diese Tatsache langsam in deinen Verstand durchsickerte, war schnell von Notfunktion zu hysterischem Hyperventilieren umgeschaltet und du japstest panisch nach Luft. Was solltest du der Polizei sagen, wenn sie dieses Schlachtfeld zu Gesicht bekam? Sie würde dich wegsperren, in die Geschlossene ganz hinten in den Hafttrakt. Bis zu deinem Lebensende würdest du hinter Gittern in einer Gummizelle vor sich hin vegetieren. Deine Eltern, oh nein, du warst eine Schande für deine Familie, du ...
Ein langsames Händeklatschen katapultierte dich aus deinen Panikvisionen. Reflexartig rissest du den Kopf nach oben und fixiertest die Person, die plötzlich im Türrahmen stand. »Du warst schon immer unser viel versprechenstes Objekt, 482. Dennoch fasziniert mich, für welche Überraschungen du gut bist«, lachte Alister leise, seine unnatürlich spitzen Fänge funkelten bedrohlich.
Dann sahst du einen verschwommenen Schatten, ein stechender Schmerz durchzuckte deine Schläfe und dann wurde alles schwarz.
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