Unnötige Ausgaben
Nach kurzem Suchen findet der Paladin den komplett fertig wirkenden Viktor auf einer Bank im Garten sitzend. Das Tablet liegt auf seinem Schoß, er selbst hat sich aber nach vorn gebeugt, das Gesicht in die Hände gelegt und wirkt so, als würde er jede Sekunde zusammenbrechen. Anderson beobachtet ihn ein paar Sekunden, bis er sich dazu entscheidet sich zu ihm zu setzen. Englisch funktioniert ja wunderbar, man kann sich trotz einem leichten Akzent verstehen und das ist die Hauptsache. „Viktor war der Name, stimmts?" Der schwarzhaarige Mann zuckt zusammen und starrt ihn mit großen Augen an, schluckt dann aber und nickt. Na toll, ausgerechnet der bulligste und furchteinflößendste Kerl ist bei ihm. Er hat doch gesehen was der mit seinem Boss gemacht hat! „Ich werde Ihnen nichts tun, wenn Sie deswegen so angespannt sind. Aber ich kann verstehen wie Sie sich fühlen, Viktor." Alexander lehnt sich nach hinten und blickt geradeaus, hat den Menschen neben sich aber im Blick wenn es sein sollte. „Jahrelang glaubt man an eine Sache, jahrelang ist man der Meinung dass es nur die Wahrheit sein kann, da alles andere keinen Sinn ergibt und es nie Hinweise dafür gab. Und urplötzlich-" Er schnippt und schüttelt den Kopf. „-ist alles einfach anders. Man weiß nicht was man noch glauben soll und vor allem kann und man fühlt sich verraten. Warum wurde mir das nicht von vornherein anvertraut? Warum muss man das hinterrücks erfahren? Warum bei Leuten die die Person oder Personen noch nicht lange kennen? Warum bei Fremden? Ich kann es verstehen Viktor, jeder kann das hier. Sie sind nicht der Einzige der so etwas erlebt hat wie vorher. Wir alle wurden irgendwie in das kalte Wasser geschmissen, auf die ein oder andere Weise."
Soll das aufmunternd wirken? Denn es hilft nicht sonderlich viel. Viktor sieht auf seine Hände runter und weiß nicht einmal was er sagen soll, alles könnte hier falsch aufgenommen oder gegen sie verwendet werden! Im nächsten Moment hat er eine große Hand auf der Schulter und der Pater lächelt ihn leicht an. „Im Moment haben Sie den Pater neben sich sitzen, nicht den Regenerator." Das hilft wenig wenn man ihm nicht so ganz vertraut! „Sie müssen nicht reden, Viktor. Aber wenn Sie wollen, bin ich gern für Sie da und ich versuche Ihnen alles zu erklären was ich zu erklären vermag. Wollen Sie vielleicht irgendwo hingehen wo es privater ist? Hier draußen kann das Wort schnell Flügel bekommen, wenn Sie verstehen was ich meine." Leider versteht er durchaus was der Paladin meint und sieht sich misstrauisch um. Ist es wirklich eine so gute Idee? Früher hat man ihnen immer eingeprügelt nicht mit fremden Leuten mitzugehen und hier sitzt er nun und steht sehr kurz davor genau das zu tun. Aber er kann dem Boss im Moment nicht in die Augen blicken, das war dann doch zu viel auf einmal. So viele Enthüllungen, so viel neue Infos und ein halber Vertrauensbruch weil er dachte sie zu kennen. Sie waren doch schon fast so etwas wie Familie, wie kann man so etwas großes einfach nicht sagen! Anderson lässt ihm alle Zeit die er braucht, bevor er selbst nickt als Viktor aufsteht. Die braunen Augen gehen zu ihm, man sieht die Unsicherheit in ihnen. „Wenn irgendetwas davon zu den anderen durchdringt, dann weiß ich wer dafür verantwortlich ist." Der Pater steht ebenfalls auf und lächelt ihm entgegen. „Keine Sorge, der Pater wird davon nichts weitersagen. Schweigegelübde, schon vergessen? Und ich nehme das sehr ernst."
Zögerlich folgt Viktor dem großen Mann durch den Garten hindurch und in irgendein Gebäude hinein, die Bilder von verschiedenen Heiligen und die Statuen lassen ihn nicht wirklich beruhigen, eher im Gegenteil. Die leblosen Augen, oder angedeuteten Augen, folgen ihm gefühlt überall hin. War das wirklich eine gute Idee? Aber jetzt kann er nicht einfach so einen Rückzieher machen, wie sieht das bitte aus? Nein, er wird das jetzt durchziehen und vielleicht- vielleicht wird er dann anfangen zu vertrauen. Vielleicht hat der Pater ja auch eine andere Sicht auf die Dinge die ihm helfen könnte das alles zu verstehen? Oder auch nur ansatzweise zu erklären, aber soweit er weiß, hat nicht einmal der eine Ahnung was sein Boss eigentlich wirklich ist. Nur irgendetwas mit Reinkarnation und neuem Leben und Erinnerungen und so. Aber was genau sie war, das weiß niemand. Hatte sie nie wirklich erwähnt. Sie isst und trinkt normal, also fallen Vampire schon einmal von Haus aus weg. Ein Wertier ist sie auch nicht, so lange wie er mit ihr schon unterwegs ist, müsste irgendwann einmal eine Wandlung zu sehen gewesen sein. Und spätestens bei Vollmond. Ein Drache? Aber die hätten doch im generellen auch mehr Stärke, oder nicht? Ugh, das lässt ihn einfach nicht los!
Schlussendlich kommen sie in einen Raum der Viktor schon fast privat vorkommt. Die Ordner sind mit Aufschriften wie ‚Waisenhaus – Finanziell' oder ‚Waisenhaus – Mitarbeiter' gekennzeichnet. Das sind nur zwei von vielen, die Regale und Aktenschränke wirken brechend voll. Bücher sind überall hingestellt worden, auf dem Schreibtisch findet sich ein Bildschirm mitsamt Tastatur und Maus wieder, der Rechner steht wahrscheinlich unten drin. Einige Papiere liegen herum, die Pater Anderson jedoch zusammenschiebt und auf die Seite legt, die Stifte schiebt er ebenfalls weg vom Hauptarbeitsplatz. Brillenputztücher liegen neben dem Stiftehalter der aussieht als wäre er von Kindern bemalt. Im generellen hängen hier auch ziemlich viele Kinderbilder herum, das gibt dem ganzen einen sehr eigenartigen Stil was die Einrichtung angeht. „Setzen Sie sich bitte." Alexander hat sich auf seinen eigenen Stuhl gesetzt, Viktor nimmt auf dem Stuhl platz der als einziges hier sonst noch rumsteht. Also hat hier jeder sein eigenes Büro? Nun ja, groß genug dürfte das hier ja locker sein. Der Paladin wartet bis er sich ein wenig umgesehen hatte, in einem komplett fremden Raum sollte man sich erst einmal ein wenig umschauen können, bevor man wirklich anfängt die Sorgen, Ängste und Probleme einer ebenso fremden Person anzuvertrauen. Den einzigen Bonus den er im Moment hat, ist der des Paters und somit des Geistlichen. Erst als Viktor kurz zu ihm sieht nimmt er das als Zeichen und nickt leicht. „Also dann, schießen Sie los. Der Anfang ist schwer, ich weiß. Aber je mehr Sie reden, desto einfacher wird es." Na der hats ja auch gut, der steckt ja nicht in seiner Haut! Aber egal. Tief durchatmen und dann wars das erst einmal! Hoffentlich. Die Sekunden vergehen in denen Viktor auf seine Hände hinunter blickt die er nervös und unsicher immer wieder bewegt oder am Nagelbett herumkratzt.
„Ich... uhm... Ich kam zum Boss da war sie noch frisch." Alexander lehnt sich nicht nach hinten, sondern eher ein wenig nach vorn und sagt nicht ein Wort, das könnte als Unterbrechung angesehen werden und das wiederum würde den bisher gemachten Fortschritt in Grund und Boden stampfen. „Sie war noch nicht ganz der Boss, aber Charleston ging irgendwann in Rente! Also... ‚Rente'. Sie meinte dass es schon vorher begann mit dem Untergang und dass es ein sinkendes Schiff war, aber- Ach ich weiß doch auch nicht! Alle anderen meinen Charleston ist in Rente gegangen und sie hat ihn angeblich umgebracht! Aber soll ich ihr das glauben? Und dann die ganze Sache mit- mit ALLEM! Ich weiß nicht einmal ob sie über ihre Vergangenheit auch gelogen hat! Ist ihr Vater wirklich im Krieg abgeknallt worden? Ist ihre Ma wirklich an Krebs gestorben? Ist ihr Cousin wirklich ermordet worden?! Ich meine- Ja klar sind die Grabsteine da! Aber nach dem was ich alles gehört habe? Scheiße... ich habe echt keine Ahnung mehr ob das wirklich noch alles stimmt. Und die ganzen anderen Artefakte die sie hat! Angeblich sicher verwahrt, aber wo? WO?! Da gibt sie mir ja auch nicht einmal einen kleinen Hinweis oder so!" Anderson kann nur immer wieder nicken als wäre er ein Wackeldackel auf der Kofferraumablagefläche eines alten Wagens.
„Ich meine- Es war schon heftig genug das über die Welt des Übernatürlichen zu erfahren, mit Vampiren und so. Und das alles zu verstehen hat seine Zeit gebraucht! Aber DAS? Wow, das ist- das ist- ich weiß nicht einmal wie ich es beschreiben soll! Ich fühle mich einfach nur fucking verraten, wissen Sie? Warum hat sie mir nichts gesagt, wäre ich so eine ausquetschbare Informationsquelle? Warum hat sie ihr Theater einfach durchgezogen? Sie hätte sich so viel sparen können! All die Pflaster und Verbände die sie über nicht vorhandene Wunden hatte um so zu tun als ob das noch da wäre- Das ist auch so eine Verschwendung! Oh Gott, ich will nicht wissen was sonst noch alles verschwendet wurde, von meinem Glauben jetzt mal ganz abgesehen." Viktor legt sich eine Hand auf das Gesicht und lehnt sich nach hinten. „Warum vertraut man das niemandem an? Ich verstehs nicht! Es wäre doch einfacher wenn man zu jemandem geht, oder jemanden hat, der von allem weiß! Oder nicht?" Schon fast erschöpft blickt er den Paladin an, erwartet eine Antwort die ihn irgendwie zufriedenstellt. „Wissen Sie Viktor, das ist nicht so einfach. Darf ich Ihnen meine Sicht der Dinge geben?" Nickend setzt sich der Mensch wieder auf und seufzt, vielleicht hilft das ja. „Aus meiner Sicht hat sie sogar schon fast logisch gehandelt, aber bei Gott- Ich will sie nicht verteidigen! Wenn jemand so ein großes und offensichtlich auch gefährliches Geheimnis besitzt, dann möchte man niemand unschuldigen dort mit reinziehen, oder nicht? Man versucht vor allem diejenigen rauszuhalten die einem etwas bedeuten."
Stumm hört Viktor zu, er fühlt sich trotzdem extrem übergangen was das alles angeht. „Wissen Sie, jeder Mensch und jedes lebende Wesen hat mehrere verschiedene Seiten, es gibt nichts und niemand der wirklich nur eine einzige Seite hat die er zeigt. Das verspreche ich Ihnen sogar, Viktor. Und viele Leute versuchen nur eine Seite zu zeigen, oder sich anzupassen wenn es um andere Dinge geht, aber das schieben wir einmal auf die Seite. Ich gehe davon aus dass Miss Owen versucht sie nicht zu tief in die Sache mit reinzuziehen als sie so oder so schon drin sind. Sie haben doch gehört was sie sagte, nicht wahr? Sie sprach sich dafür aus dass sie jederzeit der Tod ereilen würde und dass sie ohne zu zögern bereit wäre diesen anzunehmen." Ja das hat sie, aber hat sie da nicht einfach übertrieben? Wie sie es so oft macht? „Gehen wir davon aus dass sie es ernst gemeint hat, dann versucht sie Sie vor den wahren Folgen zu schützen die eventuell auf Sie zukommen würden. Wer weiß ob es nicht gewisse Feinde gibt von denen nur sie weiß, bestimmte Umstände die zu ihrem Tod führen müssen oder sonstige Dinge. Man hat immer einen Grund wenn man so etwas essenzielles nicht erklären möchte. Ich möchte sie, wie bereits erwähnt, nicht verteidigen. Das steht mir nicht zu, in keinster Weise. Dennoch ist das hier meine Meinung und auch ich würde so handeln, wenn es in meinem Fall so weit wäre. Es ist keine Entschuldigung und Miss Owen hätte darüber nachdenken sollen dass es irgendwann soweit sein wird und es rauskommt, das ist ihre eigene Schuld. Dass sie nun Ihr vertrauen gebrochen hat, da kann man ebenfalls nichts dagegen sagen. Es ist ein Fakt und auch hier liegt die Schuld zu 100% bei ihr. Ich würde gerne ihre Begründung abwarten, immerhin hat sie selbst dazu noch nichts gesagt."
Da verzichtet Viktor im Moment noch gern darauf, aber steht er sich damit nicht auch selbst im Weg? Wenn er sich immer nur zurückzieht und darüber nachdenkt, dann wird es nur noch schlimmer. Der erste Schock ist so oder so schon verarbeitet, warum also nicht einfach alles ausreden. Reden hat schon so oft geholfen, warum also auch nicht hier? Seufzend lässt der Schwarzhaarige den Kopf hängen und schließt für einen Moment die Augen, das wird für ihn so ein kleiner walk-of-shame, er ist zu hitzköpfig für so etwas. Mit einem unsicheren Lächeln richtet er sich wieder auf und sieht zum Paladin. „Danke, Pater Anderson." Dieser erwidert sein Lächeln und nickt. „Ich habe Ihnen angeboten dass Sie mit dem Pater reden können und niemand wird etwas darüber erfahren." Da ist Viktor verdammt froh drüber, er hat nämlich Dinge erwähnt die wirklich nicht für andere Ohren bestimmt sein sollten. „Danke... wirklich." Alexander steht langsam auf und nickt ihm zu. „Dann sollten wir zurückkehren, nicht wahr? Ich gehe davon aus dass Miss Owen ohne Sie eigentlich ziemlich aufgeschmissen ist." Viktor lacht leise, das würde er jetzt nicht so einfach unterzeichnen. Ja, er hat ein wenig geholfen! Aber direkt abhängig ist sie nicht von ihm. Dennoch steht auch er auf und folgt dem Paladin zwar immer noch nachdenklich, aber um einiges entspannter nach draußen und durch die verwirrend aussehenden Gänge mit den komischen Bildern und den Statuen. Daran wird er sich nicht gewöhnen und wenn sie einmal pro Woche hierher kommen würden.
Alexander geht vornweg und zieht eine Augenbraue hoch als er etwas krachen hört. Das ist nie gut! Er wird schneller, bis er zum Konferenzraum läuft und die Tür aufreißt. „Ich reiß dir alle Seelen raus wenn du mich jetzt nicht los lässt!", zischt Dinah und starrt Maxwell dabei stinksauer an, während Alucard sie in aller Ruhe festhält. „Herzchen, darüber reden wir wenn du wieder einen kühlen Kopf hast. Und nicht mit Stühlen schmeißt. Ich hoffe du kannst das bezahlen.", erwidert der Urvampir und sieht nicht so aus als würde er gerade versuchen einen Mord zu verhindern. Viktor schlängelt sich an Anderson vorbei und sieht das alles, bevor er zu Dinah läuft. „Boss!" Die reißt überrascht den Kopf herum und wird von dem Urvampir auf die eigenen Beine gestellt, da jetzt die passende Ablenkung da ist. „Boss, solche Ausgaben sind doch echt unnötig!" Er schnippst ihr gegen die Stirn und verschränkt die Arme. „Übrigens genau so unnötig wie die ganzen Pflaster und Verbände die Sie getragen haben um das alles vorzuspielen. Kleinvieh macht auch Mist wenn es ums Geld geht!" Es ist schon faszinierend wie ruhig sie plötzlich sein kann wenn ihr Assistent das Ruder übernimmt. Maxwell will etwas sagen, doch Makube nimmt es sich heraus ihm mit einem ernsten und warnenden Gesichtsausdruck eine Hand auf die Schulter zu legen, schlussendlich schüttelt er sogar noch den Kopf um ja nicht missverstanden zu werden. Wobei es auch die Schuld des Erzbischofs ist, denn welcher Vollidiot beleidigt die Mutter eines Gegenübers bei einem normalen Gespräch, ob tot oder nicht. Nach dem Kommentar kam dann noch ihr Vater dran, gefolgt von Viktor, da der ja noch als einziges lebt. Er hat sich da ein wenig im Ton vergriffen und da Makube keine Lust hat seine Nekromantenfähigkeiten am Erzbischof auszutesten und zu verfeinern, sollte der besser einfach nur die Klappe halten. DAS unboxing möchte er sich sparen.
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