Kapitel 3
Als Jeremy am nächsten Morgen erwachte, hatte er für einen Moment vergessen, was geschehen war. Doch als er realisierte, wo er sich befand, schossen die Erinnerungen in sein Gehirn wie eine Kugel aus dem Lauf einer Pistole. Langsam erhob er sich aus dem alten, unbequemen Bett. Seine Muskeln schmerzten, auch wenn er sich nicht sicher war, ob es durch das Bett oder durch das, was gestern geschehen war, kam.
Es war seltsam still. Aus irgendeinem Grund hatte Jeremy erwartet, lautstark geweckt zu werden – doch das wurde er nicht. Es war ruhig, so ruhig, dass er das Gefühl hatte, die Zeit wäre stehengeblieben.
Auf einmal wurde die Tür mit einem lauten Knall aufgestoßen – und vorbei war es mit der Ruhe. David trug einen toten Körper hinein, und für eine Sekunde blieb Jeremys Herz stehen, bis er realisierte, dass es sich um ein Reh handelte, welches David auf den Tisch legte.
»Hast du es … mit deinen Zähnen getötet?«, wollte der junge Mann mit einem Zögern wissen.
Daraufhin nahm David das Gewehr ab, das er sich um die Schulter gebunden hatte. »Ich bevorzuge das Jagdgewehr.« Lautstark legte er es neben das tote Tier. »Ich dachte, du hättest Hunger.«
»Ja ...« Jeremy ließ seinen Blick über das Reh wandern, schwieg jedoch.
»Hast du dich schon entschieden?«, wollte David wissen, während er begann, das Fell abzuziehen.
»Ich … Ja, ich würde vielleicht …« Jeremy riss seinen Blick los und sah zu David. »Ich bleibe hier. Ich will diese Welt kennenlernen.«
David nickte verstehend.
»Hey, ähm, kannst du das vielleicht draußen machen?«
Der Mann verharrte und sah auf. »Wenn du wirklich diese Welt kennenlernen willst, solltest du lernen, Totes sehen zu können.« Dennoch packte er mit einem Schmunzeln das Tier und ging nach draußen. Tief atmete Jeremy durch. Für einen Augenblick zweifelte er seine Entscheidung an, doch dann schüttelte er den Kopf, verwarf diesen Gedanken und ging ebenfalls nach draußen.
»Ich werde mal meine Sachen aus dem Hotel holen«, sagte er. »Bin so schnell wie möglich wieder da.« Er wartete auf eine Antwort. Doch das Einzige, was David tat, war, zu nicken. Er sah nicht einmal auf. Einige Sekunden stand Jeremy noch so da, dann wandte er sich ab und ging.
Der ganze Weg dauerte länger, als Jeremy erwartet hatte, so dass es beinahe schon wieder dunkel wurde, als der Junge zurückging. Er betrat gerade die Lichtung, auf welcher Davids Hütte stand, als plötzlich ein Schemen auftauchte und er kraftvoll gegen einen Baum gedrückt wurde.
»Hallo, Sonnenschein«, sagte jemand, und da erkannte Jeremy den Mann, der vor ihm stand und ihn festhielt. »Was machst du so allein im tiefen, dunklen Wald?«
»Damon, lass ihn los!«
Der Mann, oder besser gesagt der Vampir, der auf den Namen Damon hörte, lachte und trat dann tatsächlich zurück. Er hatte schwarze Haare, die ihm knapp über die Ohren reichten, und ein blasses Gesicht. Die Muskeln strafften sich unter seinem kurzärmligen Shirt. Während Jeremy seine Jacke angezogen hatte, schien Damon nicht einmal annähernd die herbstliche Kälte zu spüren.
»David!«, rief Damon und breitete erfreut die Arme aus.
David, der vor seiner Hütte stand, erwiderte die freundliche Begrüßung nicht, sondern verzog sein Gesicht zu einer finsteren Miene. »Was tust du hier, Damon?«
»Ich wollte sehen, was du so treibst. Haben uns 'ne Weile nicht gesehen. Wie geht’s dir?« Langsam trat Damon auf ihn zu, während Jeremy weiterhin regungslos am Baum stand. Unsicher sah der Junge herüber zu David, der den Blick kurz erwiderte, ehe er wieder zu Damon sah.
»Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Wie sieht's bei dir aus?«
»Alles bestens.« Damon blieb einen halben Meter vor David stehen. Eindringlich musterten sich die beiden. Keiner sagte ein Wort. Man konnte die Anspannung förmlich riechen. Dann, auf einmal, lachte David und auch Damon stimmte mit ein, und freudig nahmen sich die beiden in die Arme.
»Lange nicht gesehen, da stimme ich dir zu«, meinte David und schlug seinem Gegenüber auf die Schulter, und die beiden lösten sich voneinander. »Warst 'ne Weile weg. Hoffe, du hast dich an unsere Abmachung gehalten.«
Damon breitete die Arme aus. »Du kennst mich doch.«
»Deswegen frag ich.«
Wieder lachten die beiden.
»Wer ist der Junge?«, wollte Damon wissen. »Sag nicht, du hast jetzt doch wieder was für Menschenblut übrig.«
»Das ist Jeremy«, erklärte David, »mein … Sohn ...«
Es klang seltsam in Davids Ohren, und auch in Jeremys, doch konnte der Junge nicht bestreiten, dass er auf irgendeine Weise auch froh war, dass David es gesagt hatte.
Damon kniff die Augen zusammen und suchte nach einer Antwort.
»Frag nicht, Damon«, kam David ihm zuvor. »Das ist mein Sohn, mehr musst du nicht wissen.«
Gespielt beleidigt schob Damon die Unterlippe hervor. »Ich dachte, wir wären Freunde.«
»Ich kenn dich, Damon. Das ist der Grund, warum ich dir nichts erzähle.«
»Na ja«, der schwarzhaarige Vampir zuckte mit den Achseln, »nicht so schlimm. Denn ich erzähle dir auch nichts.«
Verständnislos legte David den Kopf schief. »Du weißt schon, dass ich dich dazu zwingen kann, es mir zu sagen.«
Damon seufzte. »Okay, na, schön. Du wolltest es ja wissen. Es geht das Gerücht rum, dass der Alpha seine Speichellecker und Arschkriecher losgeschickt hat, um dich zu suchen.«
»Seine was?«, fragte Jeremy, der mit seiner Tasche in der Hand zu den beiden Männern gekommen war.
»Seine Diener«, erklärte Damon ihm genervt und wandte sich wieder an David. »Sie werden dich mit Sicherheit finden, und ich bin mir sicher, dass der große Boss dich nicht zum Kaffeekränzchen einladen will.«
»Nein, ganz bestimmt nicht ...«, murmelte David.
»Ich wollt dich nur warnen. Vielleicht hast du noch Zeit, um wegzulaufen -«
»Nein«, sagte David, »ich hab's satt mich zu verstecken oder wegzurennen.«
»Du willst dich ihm stellen?«, fragte Damon ungläubig, und als David nur mit einem vielsagenden Blick antwortete, fügte er hinzu: »Und was dann? 'Hallo, hier bin ich, oh großer, mächtiger Alpha. Bitte töte mich nicht' sagen und dich vor ihm auf die Knie werfen?«
»Ich bin ein Vampir wie jeder andere.«
»Nein, du bist einer der stärksten, wahrscheinlich sogar so stark wie der Alpha selbst.« Damon deutete auf ihn. »Und das wird er nicht zulassen. Alles, was eine Gefahr für den Alpha werden kann, löscht er aus, also hast du nur zwei Möglichkeiten – entweder du tötest ihn zuerst oder du verschwindest so weit wie möglich.«
»Ich kann nicht.«
»Was? Wegen des Jungen hier?« Damon legte seinen Arm um Jeremy und zog ihn zu sich. »Ich pass schon auf den Kleinen auf, keine Sorge.«
Augenblicklich riss Jeremy sich von ihm los. »Danke. Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
»Pff«, machte Damon und sah wieder zu David. Da erkannte er den Ausdruck in seinen Augen, und er verstand. »Nein, es ist wegen deines Mädchens. Catherine. Du willst in ihrer Nähe bleiben.« Es war keine Frage – es war eine Feststellung, und obwohl er recht hatte, war David keinesfalls froh darüber. Bevor Damon sich versehen hatte, hatte der Supervampir ihn gepackt und ihn gegen die Holzwand seiner Hütte gedrückt.
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass du ihren Namen nicht erwähnen sollst!«, zischte David abfällig.
»Wenn es dir so wichtig wäre, dass ich nichts über sie wissen soll, würdest du mich dazu bringen, sie zu vergessen«, brachte Damon nach Luft schnappend hervor.
»Wohnt sie hier in der Nähe?«, wollte Jeremy auf einmal wissen, und David ließ Damon los. Er antwortete nicht. Doch der Blick, den Damon ihm zuwarf, als David seine Hütte betrat, reichte ihm als Antwort.
»Ich werde nicht gehen«, sagte David noch einmal. »Jeremy?« Er blieb im Türrahmen stehen und sah den Jungen auffordernd an. Unsicher blickte dieser kurz zu Damon, doch als er nicht reagierte, folgte Jeremy David in die Hütte.
»Tut mir leid, Damon«, sagte David noch an den dunkelhaarigen Vampir gewandt. »Aber du müsstest mich zwingen, damit ich verschwinde.«
»Lass mich wenigstens ein paar Hexen suchen, die einen Schutzzauber um dieses Ding sprechen«, Damon blickte auf die Hütte, »dann findet der Alpha dich nicht sofort.«
Einen Moment überlegte David. Schließlich nickte er. »Gut. Bring mir 'ne Hexe, und fertig. Wenn du dann glücklich bist.« Er wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern knallte einfach die Tür zu.
»Du magst ihn nicht, oder?«, wollte Jeremy wissen.
»Doch«, sagte David nur und wandte sich ab. »Ich hab was zu essen gekocht, während du deine Sache geholt hast.«
»Danke.« Der Junge schmiss seine Tasche in die Ecke, was David mit einer gehobenen Augenbraue musterte. Dennoch schwieg er.
»Wie habt ihr euch kennengelernt?«, fragte Jeremy, während er sich eine Schüssel nahm und etwas vom Eintopf hineintat.
»Lange Geschichte.«
»Ich hab Zeit.« Jeremy setzte sich auf einen der Stühle und legte seine Beine auf den Tisch.
»Es gibt hier ein paar Regeln«, entgegnete der Vampir nur. »Zuallererst«, er schob Jeremys Beine vom Tisch, »machst du nichts unordentlich oder kaputt. Zweitens, du stellst keine Fragen zu meiner Vergangenheit.«
»Und zu Catherine?«, provozierte Jeremy, während er vom Eintopf aß.
Mahnend hob David den Finger. »Und auf keinen Fall zu Catherine.«
»Was tu ich dann hier, wenn ich über nichts Bescheid wissen darf?«
»Ich helfe dir, dich zu verteidigen, wenn jemand wie Damon dich angreift.«
»Ich dachte, er ist dein Freund«, entgegnete Jeremy belustigt.
David brummte nur genervt und wandte sich schließlich ab. Er bereute seine Entscheidung jetzt schon.
1523 Wörter
Die drei Freunde zum ersten Mal alle vereint ❤ sie werden noch eine Menge zusammen durchmachen
Was ist euer erster Eindruck von Damon?
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