Kapitel 2
»Was ist mit meiner Mutter?«, fragte Jeremy, der seine Beine über die Bettkante warf und seine Handgelenke rieb.
David setzte Wasser auf und wusch einen Becher ab. »Sie ist tot.«
Obwohl Jeremy Jenna nie kennengelernt hatte und sie sie von Bildern kannte, schnürte es seine Kehle so. Er kämpfte sogar mit den Tränen – vielleicht war es aber auch noch der Rest Vampirblut in seinem Körper, welches das Heilmittel noch vernichten musste. »W-Wann?«
»Dezember 2007.«
Stille erfüllte die Hütte. Der Wind pfiff unter der Tür hindurch und durch die vereinzelten Löcher in den Wänden. David hatte das nie gestört. Er war ein Vampir; er spürte weder Kälte noch Hitze. Jeremy jedoch, dessen Kreislauf sich noch nicht erholt hatte, schlang seine Arme um seinen Körper, woraufhin David ihm eine Decke reichte.
»Danke. Meine Jacke liegt im Gasthaus. Hätte ich gewusst, dass ich entführt werde, hätte ich sie mitgenommen.« Der junge Mann zwang sich zu einem schwachen Lächeln.
»Tut mir leid.« David legte einen Teebeutel in den Becher und reichte diesen Jeremy.
»Danke«, sagte er noch einmal. Die heißen Dämpfe stiegen in sein Gesicht, als er den Kopf darüber beugte. Er merkte, wie sie verdunsteten und leichte Perlen seine Stirn benetzten. »Wie ist sie gestorben?« Vorsichtig blickte er auf. Er ahnte, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.
»Ich glaube nicht, dass du die Wahrheit verträgst, Junge. Die Welt ist anders, als du angenommen hattest. Verrückter. Gefährlicher.«
»Gefährlicher als du?«, gab Jeremy zurück.
»Gefährlicher als alles, was du bisher gesehen hast. Ich bin nur ein Teil davon. Ein winziger Teil.«
Jeremy stellte den Becher auf den Stuhl neben dem Bett. »Ich will es hören. Alles. Die ganze Geschichte. Ich habe es satt, immer nur Lügen zu hören. Ich will die Wahrheit. Fangen wir mit dir an: Was bist du?«
»Ein Vampir«, erklärte David knapp.
Jeremy zog die Stirn in Falten. »Dieser Derek meinte, du wärst stärker als die anderen. Warum?«
»Weil ich nicht wie sie bin. Ich bin anders.«
»Die anderen waren auch Vampire. Was ist anders an dir?« Der Junge stützte sich am Bettrand ab und drückte sich auf die Beine.
»Das geht dich nichts an.«
»Ich will die Wahrheit.«
»Tja, Pech. Ich werd sie dir nicht erzählen.«
Jeremy musterte den Mann eindringlich, der sich auf einmal abwandte. »Du hast Angst. Du hast Angst, ich würde dich hassen.«
»Du magst vielleicht mein Sohn sein, aber das bedeutet nicht, dass ich dir alles erzählen werde. Du weißt schon viel zu viel …« Der letzte Satz war nur ein Flüstern.
»Hast du sie umgebracht?«, verlangte Jeremy, ohne mit der Wimper zu zucken, zu wissen, und ruckartig wandte David sich um.
»Wag es nicht, mir zu unterstellen, ich hätte meine Ehefrau umgebracht!«, donnerte er, und blutrote Adern erschienen unter seinen Augen.
»Da wird jemand aber schnell wütend. Lebst du allein, weil du dich nicht unter Kontrolle hast? Hast du öfter solche Anfälle? Verletzt du Menschen und empfindest danach Reue? Tötest du deswegen die anderen Vampire?«
Bevor er reagieren konnte, stand David vor ihm. Er hatte den Stuhl umgeschmissen, so dass der Becher zu Boden gefallen war und der Tee sich über das Holz ergoss. Grob packte der Vampir den Jungen am Kragen, so dass dieser die Decke losließ, die aufs Bett fiel. »Du hast kein Recht, so über mein Leben zu reden! Du bist nur ein kleiner, arroganter Junge, der denkt, er wüsste Bescheid. Du weißt gar nichts! Du willst die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass ich dich umbringen müsste! Ich bin ein Monster, du nur ein Mensch. Ich töte Menschen. Das tun Monster wie ich. Und dann gibt es Jäger, die Leute wie mich töten! Das ist die verdammte Wahrheit, okay? Jetzt weißt du es! Also«, David ließ den Jungen los und wandte sich ab, »sei froh, dass ich einen Scheiß auf diese Hierarchie gebe. Und jetzt verschwinde!«
Als wäre das Gespräch für ihn beendet, begann David aufzuräumen, ohne Jeremy weiter zu beachten.
»Sie wurde von einem anderen Monster umgebracht, oder?«, fragte dieser auf einmal mit leiser Stimme.
»Du sollst verschwinden«, entgegnete David nur.
»Und Catherine?«
Ruckartig hob der Mann den Kopf. »Woher kennst du ihren Namen?«
»Ich war in deinem Haus. Das war deine letzte Adresse. Ich dachte, ich würde dort Antworten finden. Ich habe einige Bilder gesehen und einen Zettel.« Jeremy holte ihn hervor. »Darauf stand eine Adresse. Diese Adresse. Und ihr Name.«
»Du Idiot! Der war nicht für dich!«, rief David aufgebracht.
»Er war für deine Tochter«, stellte Jeremy fest. »Wieso habt ihr sie behalten?«
»Hör zu«, David trat einen Schritt auf ihn zu, »du hast keine Ahnung von der Wirklichkeit. Versuche sie nicht mit dir zu vergleichen. Ihr beide habt überhaupt nichts gemeinsam.«
»Ist sie auch ein Monster?«, wollte Jeremy wissen.
Mahnend hob David den Finger. »Pass auf, was du sagst.«
»Also ist sie eines«, meinte der Junge.
»Sie ist kein Monster! Du bist ein Monster! Du bist unhöflich, unfreundlich. Du belästigst mich, bedrängst mich mit meiner Familie, über die ich nicht sprechen möchte. Ich weiß nicht,was du dir von mir erhofft hast, aber ich bin nicht der Vater, der dich zum Football-Spiel begleitet oder mit dir ein Bier trinken wird. Wie alt bist du? Dreiundzwanzig?«
»Vierundzwanzig«, korrigierte Jeremy, auch wenn es David eher weniger interessierte.
»Du bist alt genug. Du brauchst keinen Vater mehr. Der Mann, den du zurückgelassen hast, das ist dein Vater. Ich bin nur ein Gespinst in deinem Kopf, eine Wunschvorstellung. Ich mag dein Erzeuger sein, aber niemals dein Vater, und entweder gehst du jetzt hier raus und vergisst alles, was geschehen ist, oder ich zwinge dich.«
Eine Weile stand Jeremy einfach, den Mann ihm gegenüber musternd. »Weißt du«, sagte er nach einiger Zeit, »ich hatte schon befürchtet, dass du ein Arsch bist. Aber du hast recht – die Realität sieht anders aus. Meistens ist die Realität schlimmer.« Ohne eine Antwort abzuwarten – David hätte auch keine gewusst -, schob Jeremy sich an der Pfütze vom Tee vorbei und öffnete die Tür. Sofort kam ihm die Kälte entgegen. Es war dunkel. Ohne zu zögern, trat er nach draußen, starrte in die Dunkelheit und verharrte.
»Gibt es da draußen noch etwas anderes außer Graf Dracula und den Cullen-Clan?«, fragte er vorsichtig, ohne den Blick von der Dunkelheit zu lösen.
»Sie wurde von einem Dämon getötet«, sagte David auf einmal.
Jeremy wandte sich ihm zu, die Stirn in Falten gelegt und fassungslos blickend.
»Es war der 25. Dezember 2007«, begann David seine Erzählung, und im ersten Moment hätte man denken können, dass eine schöne Geschichte folgen würde. Doch der traurige Unterton und seine verkrampften Hände bedeuteten etwas anderes. »Seit Cat ausgezogen war, hatten wir kein Weihnachten mehr feiern können. Jenna glaubte, es wäre ihre Schuld gewesen.«
Die beiden Männer saßen am Tisch. Jeremys Blick lag auf David, der wiederum den Kopf gesenkt hielt.
»Die beiden haben sich gestritten, weißt du? Wir haben Cat adoptiert, als sie sechs Monate alt war, und ich dachte, ich sollte es ihr erzählen. Sie war … so sauer … Am meisten auf Jenna. Cat zog aus. Das war 2001. Wir haben sie nie wiedergesehen. Im Dezember 2007, am 25., klingelte es auf einmal an der Tür. Normalerweise klingelte niemand bei uns. Nicht an Weihnachten. Die Nachbarn wussten, dass Jenna an diesem Tag ihre Ruhe wollte. Ich öffnete also die Tür und da war dieser Mann. Er sagte, er hätte Cat gesehen und dass er sie zu uns bringen würde. Ich ließ ihn herein, um die ganze Geschichte zu hören, doch kaum hatte ich die Tür geschlossen, wurden seine Augen schwarz.«
»Seine Augen wurden … schwarz?«, wiederholte Jeremy verwirrt.
»Er war ein Dämon«, erklärte David. »Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie Kontakt zum Übernatürlichen gehabt. Zunächst war ich verwirrt, doch dann rief ich aus Reflex, dass Jenna sich in Sicherheit bringen sollte. Bevor ich reagieren konnte, steckte eine Klinge in meinem Bauch, die mich umbrachte. Einen Tag später kam Cat nach Hause zurück. Der Dämon hatte Jenna entführt und lockte Cat in eine Falle, wo sie mitansehen musste, wie dieses Monster ihre Mutter umbrachte.«
Man sah Jeremy deutlich an, dass er nicht wirklich hinterherkam. Alles kam auf einmal, so dass er nur verwirrter als zuvor das Gesicht verzog. »Du wurdest getötet, von einem Dämon – und bist als Supervampir zurückgekommen?«
»Eve hat mich zurückgebracht – einige Jahre später«, erklärte David.
»Wer ist Eve?«
»Die Mutter aller Monster.«
Jeremy zog die Stirn in Falten. »Es gibt … eine Mutter für Monster?«
»Sie ist tot. Dank Cat und den Winchester-Brüdern.«
»Warte, wer? Wer sind die 'Winchester-Brüder'?«
»Sam und Dean Winchester. Die beiden sind Jäger. Genau wie Cat. Sie sind die besten, die es überhaupt gibt. Ohne sie wäre die Welt schon dutzende Male untergegangen.«
»Jäger erwähntest du bereits vorhin. Sie jagen Dinge wie … dich. Und Cat ist eine von ihnen?«
»Ja.«
Eine Weile starrte Jeremy den Mann fassungslos an. »Weiß sie, dass du … so was bist?« Er deutete auf ihn.
»Ja.«
»Wollte sie dich umbringen?«
»Ich wollte sie umbringen.«
Nun wechselte Jeremys Gesichtsausdruck zu Entsetzen. »Das ist 'n Scherz, oder?«
»Ich sagte doch, die Wahrheit ist verrückter.«
»Also«, hilflos fuhr der Junge sich übers Gesicht, »es gibt Vampire, Supervampire -«
»Nur einen Supervampir«, verbesserte David. »Ich bin der einzige.«
»Einen Supervampir«, wiederholte Jeremy nachdrücklich. »Vampire, ein Supervampir, Dämonen und die Mutter aller Monster. Jetzt erzählst du mir noch, dass es Werwölfe und Geister gibt.«
David antwortete nicht, doch der Blick genügte.
»Das glaub ich nicht.« Mit einem verzweifelten Seufzen vergrub Jeremy sein Gesicht in seiner Hand.
»Es gibt auch noch Engel«, meinte David. » Die vier Erzengel - Luzifer, Gabriel, Rafael, Michael -, dann noch die normalen. Castiel ist einer von ihnen. Er ist auch mit den Winchesters befreundet. Wendigos, Ghule, Formwandler, Hexen, Drachen -«
»Drachen?«
»Nicht so, wie du sie kennst. Hauptsächlich nehmen sie die Gestalt eines Menschen an. Weniger groß und schuppig. Speien aber Feuer.«
»Ich glaub, mir wird schlecht.« Jeremy drückte sich eine Hand auf den Mund.
»Wehe du kotzt in mein Haus.«
»Das nennst du ein Haus?« Jeremy atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
»Hütte, Haus – ich wohne hier, das genügt.«
Der Junge nickte verstehend, oder er nickte, weil er so tat, als würde er es verstehen. In Wirklichkeit verstand er die Welt nicht mehr, und für einen Moment wünschte er sich, gegangen zu sein, als er die Wahl gehabt hatte.
Seufzend erhob David sich. »Du kannst die Nacht heute hier verbringen. Du brauchst Schlaf. Leg dich ins Bett. Morgen kannst du dir überlegen, ob du gehst und zu deinem alten Leben zurückkehren willst, oder ob du bleibst und der Realität ins Auge blickst.« Mit diesen Worten ging David nach draußen in die Dunkelheit.
1756 Wörter
Omg, I love them ❤
Der arme Jeremy, so viel auf einmal 😂 War es richtig, dass David ihm die Wahrheit erzählt hat? Und wofür, denkt ihr, wird Jer sich entscheiden?
Danke für eure Kommentare und Votes ❤
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