⇝ Kapitel 30 / Sarah
"Du denkst zuviel nach, Sarah. Was ihm passiert ist... Das lässt einen nicht einfach so los. Ich kenne meinen Dad. Er wird sich wieder beruhigen, aber du musst das auch." murmelte Mariella während ich direkt neben ihr lag. Ich hatte Ben versorgt und konnte es dann keine Sekunde länger alleine im Schlafzimmer aushalten.
Eden hatte nicht vor, die Nacht mit mir zu verbringen aber ich wusste das er hier war - irgendwo.
"Sarah." ermahnte mich Mariella erneut. "Hör auf damit. Er lebt und ist zurück. Das ist es, was du - was wir uns gewünscht haben. Wir sind eine Familie und müssen zusammenhalten. Ich meine... Ich finde es auch nicht prickelnd zu wissen das er sich, zusammen mit Jay und Cameron, wieder in Gefahr begeben will. Aber Dad weiß es nun mal besser. Wenn er sagt das es so sein muss damit wir in Frieden leben können, dann glaube ich ihm. Ich vertraue ihm."
Ich legte instinktiv einen Arm über meine Augen und verbarg so die aufkommenden Tränen. Es war nicht so das ich ihm nicht vertraute sondern vielmehr die Angst, die mich fest im Griff hatte. Was, wenn es diesmal wirklich schief ging und er getötet wurde? Ich konnte diese Qualen nicht erneut durch stehen, schließlich hatte ich das alles schon durchgekaut. Einerseits hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl weiter hoffen zu können, doch andererseits war da diese kleine Stimme tief in meinem Kopf die mir sagte, das er tot sei.
Ich konnte das nicht erneut.
Stille breitete seinen Mantel über Mariella's Zimmer aus und schon bald schlief ich ein. Nur am Rande bekam ich noch mit wie Mariella kurz verschwand - wohl um nach Ben zu sehen - um dann eine Decke über mir auszubreiten. Ich hatte nicht die Kraft noch länger wach zu bleiben und mit ihr zu reden, ich wollte einfach gar nicht mehr sprechen. Und so schlief ich, jagte wilden Träumen hinterher, verbarg mich vor Monstern, die sich in den Schatten versteckten.
…
Am nächsten Morgen war Mariella schon verschwunden und ich lag alleine in ihrem Zimmer. Naja, ganz so stimmte das nicht, denn Mariella hatte Ben's Bettchen herein geschoben. Der Kleine schlief seelenruhig und ich hatte keine Hast aufzustehen, denn ich wusste nicht was mich erwartete und wollte es irgendwie auch gar nicht wissen.
Nach einer Weile kam Mariella zurück und brachte mir Kaffee. Sie hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen, welches einen besseren Tag versprach. Dankend nahm ich die dampfende Flüssigkeit entgegen und beobachtete meine Freundin, während sie sich ihrem Kleiderschrank widmete. Sie hatte den Rücken zu mir gewandt und gab den Blick frei auf ihren nackten Rücken, bei dessen Anblick mir fast das Herz stehen blieb. "Oh mein Gott, Mariella!" rief ich aus und stellte fix die Tasse weg um aus dem Bett zu springen. "Was ist passiert?"
Ein riesiger blauer Fleck hatte sich auf ihrem Schulterblatt ausgebreitet und zierte in all seiner Hässlichkeit ihren Rücken. Sofort schossen meine Gedanken zu Adam, doch das konnte unmöglich sein, war sie doch stets in meiner Nähe gewesen. Es war ihr sichtlich unangenehm, was ich nicht nur durch die leichte Röte in ihrem Gesicht sehen konnte. Sie stammelte... "Ach das? Mach dir keine Sorgen. Ich bin ausgerutscht und hatte einen Schrank im Rücken. Halb so schlimm. In ein paar Tagen ist es weg."
Irgendwas an ihr kam mir merkwürdig vor und das Gefühl das sie etwas vor mir verheimlichte war stark. Trotzdem beließ ich es - nach außen hin - bei ihrer Aussage und nickte, obwohl ich innerlich total aufgewühlt war. Wenn sie etwas vor mir verbergen wollte, so musste das einen guten Grund haben. Ich konnte nur hoffen das ich es eher früher als später erfuhr.
…
Leises Gelächter empfing uns, als wir in die Küche kamen. Eden saß dort frisch rasiert und schön wie immer, in einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose - ganz businesslike wie ich ihn kannte. Neben ihm stand Jay und beide beobachteten Abby, die mit Eiern und Speck hantierte. Sobald Mariella und ich näher kamen schlug die Stimmung etwas um und ich empfand es, als seien wir Eindringlinge.
Jay war der erste, der uns schließlich begrüßte. "Guten Morgen die Damen. Wo ist die Erdnuss?" fragte er und schenkte uns ein Lächeln. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht für Ben wirklich unmögliche Kosenamen zu finden und Erdnuss schien einer seiner liebsten zu sein. Das brachte mich zum schmunzeln. "Er schläft." erwiderte Mariella für mich und sah sich dann alle Anwesenden noch einmal an. Mit den Händen in den Hüften wirkte sie fast schon einschüchternd. "Und was ist hier los? Stören wir?"
Oops.
"Natürlich nicht. Wir haben nur gerade ein paar Scherze gemacht. Guten Morgen, Tochter." murmelte er und sah schließlich mich an. Ein weicherer Ausdruck machte sich in seinem Gesicht breit. "Guten Morgen, Sarah."
Eden streckte seine Hand nach mir aus, ein stummes Friedensangebot. Er wollte mich bei sich haben. Ich überlegte keine Sekunde, griff nach der Hand und ließ mich von ihm zu sich heran ziehen, wo er dann über meinen Rücken streichelte, während er mich eindringlich ansah. Es lag so viel in seinem Blick, unausgesprochene Worte und Entschuldigungen. "Abby macht uns Frühstück." flüsterte er und nickte kurz, als würde er meine Zustimmung benötigen. Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie Abby, die mir immer noch suspekt vor kam, uns beobachtete. Ihren Blick konnte ich nicht deuten, aber freundlich gesinnt schien er auf keinen Fall, so viel war sicher.
"Wunderbar. Ich nehme einen O-Saft, frisch gepresst." sagte Mariella schließlich und erntete dafür nicht nur von Jay einen missbilligenden Blick. Auch Eden schien nicht begeistert von der harschen Aussage. "Schatz, Abby ist nicht unsere Haushaltshilfe, sondern ein Gast. Du wirst dir deinen Saft also selbst machen müssen."
Aus irgendeinem Grund gefiel mir nicht, wie er für sie Partei ergriff - besonders aber missfiel mir, wie sie sich lächelnd triumphierend wieder dem Frühstück widmete. Irgendwas stimmte nicht mit dieser Frau.
…
Am selben Tag kam Cameron an.
Die Männer blieben unter sich während Mariella und ich uns um Ben kümmerten. Abby blieb etwas abseits, schlich herum und beobachtete, redete aber mit niemandem.
Mit Cameron war Eden etwas entspannter, was wohl daran lag das ihre Planung allmählich Gestalt annahm. Aber das war nicht alles - sie gingen herzlich miteinander um und ich wusste das Cameron alles für Eden tun würde - und umgekehrt. Jay komplettierte das ganze, rundete die Männerfreundschaft ab.
Die meiste Zeit flüsterten sie, doch mir entging nicht wie sie öfter als einmal in unsere Richtung blickten. Als Jay sich erhob stand Mariella auch plötzlich auf. "Ich geh mal kurz zur Toilette." sagte sie schwach und verschwand kurz nach Jay aus dem Raum. Langsam baute sich in meinem Kopf ein Bild dessen auf, was vermutlich wirklich los war. Ich lächelte, weil ich hinter ihr dunkles Geheimnis gekommen war.
Die kurze Unterbrechung schien auch Eden für sich zu nutzen und schlenderte zu mir. Er ließ Cameron mit ein paar Papieren zurück und setzte sich neben mich, um seinen Sohn anzusehen. "Geht's euch gut?" fragte er leise und konzentrierte sich völlig auf Ben. "Ich weiß das du Sorgen hast... Ängste... Aber du musst mir vertrauen. Kannst du das für mich tun?"
Ich wollte antworten, sofort und direkt. Aber etwas in meinem inneren blockierte meinen Mund, sodass dieser länger als nötig geschlossen blieb. Schließlich schaffte ich es doch ihm zu antworten und sah ihn dafür eindringlich an. "Ich vertraue dir. Das weißt du. Ich habe bloß Angst, dass dir was passiert. Oder Jay, Cameron. Es steht viel auf dem Spiel."
"Genau deswegen muss ich es ja tun." gab er zurück und sah mich letztlich an. Langsam strich er über meine Wange, seine Augen bohrten sich in meine. "Euch wird nichts passieren, das verspreche ich."
Ich wollte ihn küssen. Ihn an mich drücken und ihm sagen das alles gut werden würde, doch ich konnte nicht. Die Stimmung war angespannt seit seiner Rückkehr und schien sich seit der Offenlegung seines Plans noch zu verschlimmern. Jeder war auf der Hut, aber alle waren fokussiert.
Sie alle wussten, was auf dem Spiel stand.
…
Als wir alle zusammen saßen übernahm Cameron das Ruder und erzählte von zuhause und von der Frau, die dort auf ihn wartete. Jedesmal wenn er ihren Namen sagte lächelte er. Ich hatte in der Zeit in der wir dachten Eden sei tot mehr als einmal das Vergnügen und mit Ophelia gesprochen und fühlte mich ihr sofort verbunden. Sie gehörte zu den guten Menschen und erdete mich, aber auch Cameron. Trotzdem war ich froh das sie nicht hier war, das sie in Sicherheit zuhause blieb während wir hier ein Selbstmordkommando aufstellten.
"So etwas wie damals darf nicht wieder geschehen. Wir werden uns nicht trennen - auf gar keinen Fall. Sobald sie es schaffen uns einzeln zu isolieren, haben wir verloren. Verstanden?" sprach Cameron und sah besonders Eden an. "Mariella, Sarah, das Baby... Und Abby bleiben im Versteck. Niemand wird sie dort finden. Das bedeutet das sie keine Angriffsfläche haben um uns zu erpressen."
Abby war wenig begeistert von dem Plan und stand sofort auf um lautstark dagegen zu protestieren. Mir gefiel nicht, wie sie sich immer in den Vordergrund drängte und so wie Mariella die Augen verdrehte hatte sie den selben Gedanken wie ich. "Ich werde nicht wie ein olles Hausmütterchen im warmen sitzen. Ich komme mit euch. Ich kann kämpfen, euch verteidigen." sagte Abby.
Eine Reaktion kam prompt.
"Die Männer brauchen dich nicht um irgendwas zu verteidigen oder zum kämpfen. Aber wir könnten zwei zusätzliche Hände gebrauchen um das Versteck dauerhaft sicher zu halten." konterte Mariella. Die beiden standen gegenüber voneinander und keine hatte vor auch nur einen Meter nachzugeben. Die Anspannung waberte durch den Raum.
Im Gegensatz zu Cameron und Jay griff Eden nun ein, was mir nicht behagte. Er ergriff mit seinem Schlichtungsversuch erneut Partei, allerdings nicht für seine Tochter.
"Es ist zu gefährlich. Wenn wir einmal drin sind gibt es niemanden der sich noch auf jemand zusätzlichen fokussieren kann. Ich kann das nicht verantworten das du dich in Gefahr begibst, Abby." sagte er. "Außerdem finde ich es befremdlich wie schnell die Stimmung hier kippt. Wir sitzen alle im selben Boot, Mariella. Also sollten wir zusammenhalten."
"Das ist ein Scherz Dad, oder? Sie will Rambo spielen, nicht ich. Ich weiß wie gefährlich das ganze sein wird und versuche mein bestes um Sarah und das Baby zu schützen. Ich spiele mich nicht auf als wäre ich Wonderwoman."
Bevor sie den Raum verließ sah sie ihren Vater noch einmal an. "Ich glaube du verlierst das wesentliche aus dem Blickfeld."
…
Alles war bereit und die meisten Dinge hatten wir geregelt. Jetzt ging es darum, ein paar wichtige Dinge zu packen, damit wir los konnten. Neben Kleidung für Mariella, Ben und mich achtete ich auch darauf genügend Lebensmittel zu verpacken. Nicht zu viel, denn ich wollte nicht den Anschein erwecken auf ewig im Versteck zu bleiben - gleichzeitig riet mir Jay, es nicht aussehen zu lassen als seien wir hastig und übereilt aufgebrochen. "Ich denke sie werden das Anwesen stürmen und jedes Zimmer durchsuchen. Alles sollte also so normal wie möglich aussehen, als wäre ein Teil der Gruppe nicht auf der Flucht."
Ich nickte, denn er hatte nicht ganz Unrecht. Als ich fertig war nahm er die gepackten Taschen und trug sie zum Wagen, was mir Zeit gab nach Eden zu sehen. Das letzte was ich mitbekam war, das er sich in seinem Büro auf hielt also schlug ich den Weg als erstes ein.
Die Tür stand einen Spalt breit offen und ich konnte erkennen wie er entspannt im Sessel saß, doch dann sah ich das er nicht alleine war. Abby war bei ihm und er beobachtete sie mit Argus Augen, sodass er mich gar nicht wahrnahm. Sie tanzte um den Schreibtisch herum als wolle sie eine Show abziehen und versuchte ihn zu überreden sie mitzunehmen. Mir gefiel nicht wie nah sie ihm dabei kam, genauso wenig wie es mir gefiel das er es zuließ.
"Abby..." murmelte er und schüttelte leicht lächelnd den Kopf. "Es ist sicherer wenn du im Versteck bleibst. Wenn alles vorbei ist hast du dein Leben wieder und kannst gehen wohin du willst. Du bist dann frei. Du kannst neu anfangen."
"Diese Menschen haben mir viel genommen. Mir weh getan. Ich will Rache und ich will es selbst tun... Ich will das sie sehen wer die Klinge führt. Bitte, Eden."
Ihre Bettelei war erbärmlich.
Ich empfand Wut und regelrecht Hass auf die Person, die sich schamlos und ohne Not an Eden heran warf. Doch auch ihn hasste ich in diesem Moment - er duldete es.
Ich ging, ohne das er mitbekam das ich all das überhaupt gesehen hatte. Erst am Wagen, direkt vor Mariella blieb ich stehen. Ihr Blick mir gegenüber war Sorgen verhangen, doch dies war weder der richtige Moment, noch die richtige Zeit um meine aufkommende Eifersucht zu kommentieren.
Kurz danach kamen Eden und Abby ebenfalls zum Wagen und Cameron, der schon die ganze Zeit gewartet hatte atmete erleichtert aus. "Alle da? Dann kanns los gehen. Jay bringt euch zum Versteck, Eden und ich positionieren uns. Lasst uns die Hölle ein für alle mal in Schutt und Asche legen."
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