➳ Kapitel 27 / Eden
Es ist dunkel. Der Raum in dem ich bin hat kein Fenster, keinen Lichtschalter. Hier besitze ich nichts als das, was ich am Körper trage. Die Tür vor mir - verriegelt - lässt durch einen Spalt etwas Helligkeit hinein, gerade genug, um mich in der Dunkelheit zurecht zu finden. Ich sitze auf einer Matratze, sonst ist hier nichts.
Sie haben gesagt das sie Mariella als Geisel haben - sie haben mich getäuscht. Es ist ihnen gelungen mich zu ködern - mit Unwahrheiten. Ich hätte wissen müssen, dass alles was sie gesagt haben gelogen ist. Aber die Angst meine Tochter in den Fängen dieser Monster zu wissen hat mich kurzschlussartig reagieren lassen. Seitdem bin ich hier, ein Gefangener des Kartells.
Ich habe keine Ahnung wie lange schon.
...
Morgens öffnet sich die Tür und einer, dessen Gesicht mir unbekannt ist, grinst mich an während er mir ein Tablett mit einer Scheibe Brot und einem dreckigen Glas mit Wasser hinstellt. Er spricht nicht, ignoriert meine Fragen und Forderungen. "Was ist da für dich drin, hm? Eine Beförderung? Andere Privilegien!?" frage ich, doch erhalte keine Antwort.
Jeden Morgen findet dasselbe Prozedere statt.
Anfangs habe ich gekämpft, rebelliert... Besonders nachdem ich verstanden habe das Mariella in Sicherheit ist - geschützt durch die Hütte im Wald, durch Jay. Ich weiß das es ihr gut geht, das sie bei Sarah ist... Aber man hat mir sehr schnell klar gemacht das die erlogene Entführung nur eine Frage der Zeit ist, wenn ich mich nicht füge. Also... Habe ich angefangen mitzuspielen, so schwer es auch ist.
Doch jeden Tag wird es schlimmer. Ich fühle mich wie ein Tier, das man eingesperrt hat. Das einzige was mir bleibt sind meine Gedanken - Selbstgespräche, um nicht völlig verrückt zu werden. Ich zerbreche, vegetiere vor mich hin, kämpfe innerlich, nur um dann doch still zu bleiben.
Es ist der Vorhof zur Hölle.
...
Wenn etwas immer denselben Ablauf hat kann man sich leichter daran gewöhnen. In meinem Fall bedeutet das jedoch auch, daß ich einschätzen kann ob es früh morgens oder spät abends ist. Ich bekomme ein Gefühl dafür zu welcher Zeit die Tür sich öffnet und kann denjenigen der sich über mich lustig macht und mir Brot und Wasser bringt etwas genauer betrachten - eine Schwachstelle finden.
Sie wollen mich hier verrotten lassen, das lassen sie mich spüren und wissen - es überrascht mich nicht. Es sind die Methoden des Kartells, wenn sie denken das der Tod eine Erlösung ist. Für mich gilt jedoch keine Erlösung sondern Strafe. Strafe dafür, daß ich es gewagt habe mich gegen sie zu stellen, aber auch weil ich Mulligan und Thornton getötet habe.
Meine Gedanken werden abrupt gestoppt als ich höre wie Schritte sich nähern. Es sind mehrere. Im ersten Moment denke ich, daß sie mich jetzt holen werden um mich zu töten, doch dann höre ich eine sehr wütende Stimme - und diese ist nicht männlich. "Lasst mich los, ihr Schlappschwänze!" schreit eine Frau, deren Stimme ich Gott sei Dank nicht kenne. Meine Befürchtung es könnte Mariella sein - oder sogar Sarah - verlaufen im Sand. Ich höre wie eine Tür sich öffnet und dann folgt ein dumpfes Geräusch - gefolgt von einer Tür, die sich wieder schließt. Haben sie die Frau etwa eingesperrt?
Als nichts als Stille zu hören ist stehe ich auf und taste mich zur Tür vorwärts. Außer meinem eigenen atmen ist nichts zu hören. "Hallo?" flüstere ich in die Dunkelheit. "Alles okay?"
Es dauert eine Weile, doch dann antwortet mir die Frau. "Ja, alles bestens. Ich dachte ich mache einen Kurzurlaub, sozusagen... Äh... Abenteuerurlaub im urbanen Keller eines Verbrechersyndikats. Und sie? Hatten sie die gleiche dumme Idee?"
Ein leichtes lächeln bildet sich auf meinem Gesicht, denn angesichts dessen was ihr widerfahren ist scheint sie keineswegs verzweifelt oder hysterisch - im Gegenteil. Sie versucht das ganze sogar in schwarzem Humor zu verpacken. "So ähnlich." gebe ich zurück. Mich interessiert wer sie ist und wie sie es hierher geschafft hat oder eher... Was sie verbrochen hat um hier zu landen. "Wieso sind sie hier?"
"Ich sollte jemanden heiraten und hab ihm beim Versuch mich zum Oralsex zu zwingen fast den Schwanz abgebissen." kontert sie trocken. Die Rädchen in meinen Kopf arbeiten bereits und ich überlege wessen Interesse damit einhergeht, jemanden zu verheiraten - aber auch aus welchen Gründen. Ich muss mehr erfahren, vielleicht hilft es mir - vielleicht schaffe ich es dadurch hier raus. "Ich bin Eden." rufe ich schließlich gegen die geschlossene Tür. Wieder dauert es bis die Frau antwortet, diesmal wirkt sie jedoch weitaus weniger aggressiv. "Ich bin Abby. Schön dich... Kennenzulernen, glaub ich."
Wir reden eine Weile über alles mögliche, denn ich will erst wissen mit wem ich es zutun habe bevor ich eindeutige Fragen stelle. Wie sich herausstellt gehört Abby zu einer der Unterschichten Familien, die sich in den abgegrenzten Slums befindet. Weit weg von meinem Anwesen und denen des Kartells, wie üblich in einer zwei Schichten Gesellschaft. Ihr Vater ist mit Spielschulden getötet worden - Geld, das er vom Kartell geliehen hatte - und diese Schulden müssen nun eingetrieben werden. Das Kartell hat es wohl als sinnvoll erachtet, das sie unter dem Deckmantel der Ehe jemandes Sklavin werden soll. Frauen die so enden leben normalerweise noch sechs Monate, bevor man ihre Leiche findet. "... Und dein Zukünftiger ist wer? Kennst du seinen Namen?"
"Nein. Ich habe ihn zum allerersten mal vor wenigen Stunden gesehen und da hat er mich direkt auf die Knie gezwungen. Ein kleiner Schnösel mit öligen Haaren und einem Selbstbewusstsein eines Gottes. Er denkt sein Wort ist Gesetz. Die Schmerzen zwischen seinen Beinen werden ihn aber jetzt immer daran erinnern das er nur ein lächerlicher Typ ist." lacht sie trocken. "Aber genug von mir. Weshalb bist du hier?"
Ich denke nach.
Das ganze hier könnte real sein - oder eine Falle. Vielleicht wurde sie eingeschleust um sich mein Vertrauen zu erschleichen, um mehr über mich und meine Beweggründe zu erfahren... Oder sie ist wirklich eine weitere Gefangene. "Ich habe einen Fehler korrigiert." sage ich schließlich und lausche der Stille, die kurz darauf von Schritten durchbrochen wird. Jemand ist auf dem Weg zu uns.
"Glückstag, Abby. Der Boss persönlich will dich sehen. Welch Ehre!" ruft der Kerl und zerrt sie aus ihrer Zelle. Sie wehrt sich, was kaum zu überhören ist - dann jappst sie kurz auf und es ist ruhig. Das einzige was man noch hören kann sind die Schritte des Kerls, der ihr wohl eine verpasst hat.
...
Stunden später gibt es wieder Brot und Wasser, gefolgt von weiteren Stimmen im Gang und einem Geräusch das entfernt an einen viel zu schweren Sack erinnert, den man über den Boden schleift. Ich kann mir denken das es Abby ist, nicht aber was sie mit ihr gemacht haben.
Will ich das überhaupt wissen?
An diesem Tag gibt es keine weiteren Unterhaltungen mit Abby und ich widme mich wieder meinen Gedanken und Plänen, hier raus zu kommen, aber auch, die Frau zu befreien. Ich kann sie unmöglich hier lassen, wenn sie genauso ein Opfer ist wie ich. Hin und wieder höre ich das leise schluchzen aus der anderen Zelle, mehr aber auch nicht. Nachzufragen wage ich nicht, will nicht mit den Bildern dessen, was ihr passiert ist hier eingesperrt sein.
Am nächsten Tag öffnet sich die Tür und wieder bekomme ich Brot und Wasser, doch diesmal ist etwas anders. Der Typ der es mir bringt lacht, scheint sich über irgendwas zu freuen. "Ich könnte es mir auch sparen, weil ich sowieso keine Antwort bekomme... Aber was ist so lustig?" frage ich und gerate - je länger er benötigt um mich überhaupt wahrzunehmen - in Rage. Als er mich dann ansieht liegt bereits eine Anspannung in der Luft. "Eigentlich sollte ich nichts sagen, aber wenn man bedenkt das du eh niemals hier raus kommst und hier elendig in deiner eigenen Pisse krepieren wirst, dann erfüllt es mich ein bißchen mehr mit Freude dir noch einen Dolch ins Herz zu stoßen. Deine Tochter hat wohl Nachwuchs bekommen, wusstest du das? Wir beobachten sie, aber seit wir eine Warnung ausgesprochen haben benimmt sich deine Familie genauso wie wir es wollen. Falls nicht, naja... Du weißt ja." sagt er und lacht, als wäre er der größte Komiker überhaupt. Mir hingegen ist bereits bei den ersten Worten die Kinnlade herunter gekracht und mein Gehirn sucht fieberhaft nach Erinnerungen - irgendwas das mir hilft das zu erklären was er gerade gesagt hat...
Aber dann... Trifft mich fast der Schlag und ich muss mich zusammen reißen nicht sofort laut los zu schreien. Mariella hatte keinen Freund und war mit der Heilung durch die sadistische Behandlung ihres Ex beschäftigt... Aber wenn nicht sie schwanger war, dann kann das nur bedeuten...
"He, Arschloch. Ich rede mit dir. Mach dir keine Hoffnungen. Du wirst hier unten sterben. Du wirst deine Kleine genauso wenig wieder sehen wie den Säugling." murmelt der Kerl und lacht erneut...
Genau in dem Moment, als all meine Sicherungen regelrecht durchbrutzeln. Ich schieße nach vorne, direkt auf ihn zu, verteile Faustschläge in seinem Gesicht als wäre er ein Boxsack. Dann drücke ich ihn mit aller Kraft gegen die Wand, ein wenig oberhalb seines Kehlkopfes. "Ich glaub ich hab dich nicht genau verstanden. Was hast du gesagt?" frage ich und schenke ihm ein boshaftes Lächeln. Er hat definitiv den falschen gereizt... Und ich muss hier raus, so schnell es geht. Es steht viel mehr auf dem Spiel als mir vorher überhaupt bewusst gewesen ist. Der Kerl zappelt und versucht sich zu wehren, aber ich bin schneller, gnadenloser.
Ich schaue ihm dabei zu, wie das Leben aus seinem Körper weicht, während ich immer fester zudrücke und ihm die Luft gänzlich nehme.
...
Zelle für Zelle schaue ich durch das kleine Guckloch um Abby zu finden. Die meisten sind jedoch leer und es bleiben nur noch zwei, die ich überprüfen muss. Bei einer von beiden habe ich Glück und durchsuche den Schlüsselbund des Kerls, der mich nicht überlebt hat. Wie oft ich in den letzten Sekunden gebetet habe, kann ich nicht mehr zählen. Gebetet, um nicht zu früh entdeckt zu werden - aber auch um die Seelen derer, die ich auf meinem Weg nach draußen töten muss. Ginge es nur um mich persönlich würde ich keinen Finger rühren, doch hier ist meine Familie involviert und - wenn es keine Lüge war - offenbar ein Baby über das ich mehr erfahren muss.
"Abby." flüstere ich und entriegele die Tür. "Abby, wir müssen raus. Jetzt."
Ich kann kaum etwas sehen, so düster ist es in ihrer Zelle. Langsam aber sicher taste ich mich vorwärts, bis ich mit dem Fuß gegen etwas stoße. Es dauert, aber ich erkenne das Abby bewusstlos da liegt - also tue ich das, was ich für richtig halte und schließe die Zelle wieder. Ich komme unmöglich durch wenn ich sie tragen muss, also muss ich erst den Weg frei machen. "Bin gleich wieder da." murmle ich in die Dunkelheit und mache mich ans Werk.
...
Je näher ich dem Ausgang komme desto deutlich hörbarer werden Stimmen. Eine etwas weiter entfernte Tür öffnet sich und ein lachender Junge - nicht älter als 16 - tritt heraus. Bis er die Gefahr in Form meiner Wenigkeit erkennt ist es zu spät um nach Verstärkung und Hilfe zu rufen...
Ich zerre ihn mit mir, halte seinen Mund verschlossen bis wir außer Reichweite der anderen sind. Das hier kann gut oder aber ziemlich bitterböse ausgehen. "Du hörst zu und redest nur, wenn ich es sage, klar?" frage ich als erstes und der Junge nickt. Er hat Angst, was ich zu meinem Vorteil nutzen kann. "Wie heißt du, Junge?"
"Banjo,Sir."
"Weist du wer ich bin?"
Er nickt wieder. Langsamer, fokussierter. Die Angst läuft ihm in Strömen aus allen Poren.
"Castello. Die Bestie. Das Monster in der Zelle."
Unglaublich.
Sie ziehen ihren Nachwuchs mit Gruselgeschichten auf, Dinge die längst der Vergangenheit angehören. 'Bestie' war einst mein Spitzname - vor über 20 Jahren.
"Wie du siehst sitzt das Monster in keiner Zelle mehr. Und ich würde ungern dafür sorgen das du bereust dich mir in den Weg gestellt zu haben, also... Würde ich vorschlagen du hilfst mir. Dafür lasse ich dich leben." zische ich. Ich habe noch nie Frauen oder Kinder verletzt oder getötet und heute ist definitiv kein Tag um damit zu brechen. Ich kann nur hoffen das der Junge schlau genug ist um sein Leben zu schützen. "Ich muss hier raus Banjo. Also brauche ich den Weg zum Ausgang - möglichst frei. Und ich brauche einen Wagen."
"Ich... Ich weiß nicht, ich... Also, eigentlich..."
"Die Frau in der Zelle. Kennst du sie?" frage ich. Banjo nickt kurz, doch seine Augen wirken trauriger. Er kann es nicht verbergen. Amateur. "Sie stirbt wenn ich sie nicht sofort in ein Krankenhaus bringe, verstehst du?"
Für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich wie seine Augen riesig werden, wie seine gesamte mikrige Figur zu zittern beginnt. Er ist kurz davor mir zu geben was ich will. "Die werden mich bestrafen wenn sie herausfinden das ich dich raus gelassen habe." murrt er. Er ist unsicher.
"Hilf mir und der Frau, dann helfe ich dir. Du hast mein Wort, Banjo."
...
15 Minuten später trage ich Abby langsam und lautlos zu einer Tür, an der Banjo wartet. Er ist nervöser als ich, doch er bleibt tapfer und hilft mir. Direkt hinter der Tür befindet sich ein Wagen, dessen Kofferraum bereits geöffnet ist. Ich stelle keine Fragen und auch ansonsten haben wir keine Zeit für Plaudereien. Ich packe Abby in den Kofferraum und schließe diesen so leise es mir möglich ist, dann drehe ich mich zu dem Jungen. Es ist Zeit meinen Teil des Deals einzuhalten. "Greif mich an. Ich werde dich verletzen aber nicht schwer. Es muss echt aussehen wenn du ungestraft aus der Nummer raus willst, klar?" murmle ich und zähle innerlich bis Zehn, aber Banjo macht keine Anstalten meine Forderung zu erfüllen. Als ich aushole und meine Faust sein Gesicht - zielgerichtet seine Nase - trifft hasse ich mich selbst für das was ich tue, aber ich halte Wort.
Unsere kleine Rangelei erweckt Aufmerksamkeit und sobald die ersten Stiefel zu hören sind nicke ich Richtung Boden und flüstere ein raues 'JETZT', damit er sich fallen lässt. Es soll so aussehen, als hätte ich ihn überwältigt.
Dann springe ich in den Wagen und brause davon, weiche ein paar Männern die mit schweren Waffen auf mich zu kommen aus und ducke mich, als Kugeln die Scheiben zerbersten lassen. Mein Puls rast und ich passe meinen Fahrstil an.
Wir sind draußen... Wir haben es tatsächlich raus geschafft.
...
Aus der Ferne sieht mein Anwesen genauso aus wie ich es in Erinnerung habe. Nichts hat sich verändert. Ich schnappe mir Abby, trage sie den restlichen Weg und schleiche durch den eigenen Innenhof als wäre ich ein Verbrecher. Erst vor der Haustür halte ich inne.
Was wird mich da drin erwarten?
Werden Sie sich freuen?
Werden all die ungelösten Fragen eine Antwort erhalten?
Oder laufe ich bereits in die nächste Schlangengrube?
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