⸻𝔟𝔩𝔲𝔱 𝔲𝔫𝔡 𝔴𝔞𝔰𝔰𝔢𝔯
Meine Mutter hat einmal gesagt, dass alles im Leben einen Sinn hat. Jahre später sitze ich geknebelt auf einem Stuhl, in einem düsteren, stickigen Keller und sehe dem Mörder meiner Eltern in die wunderschönen Augen.
Wo ist der Sinn hier drin? Wo ist er hin, Mama?
Ich habe so sehr geweint, dass mir schon keine Tränen mehr aus den Augen kommen. Sie sind dick und geschwollen. Außerdem brummt mein Schädel, was an dem Schlag liegen kann, oder auch, weil ich so viel geweint habe.
»Du bist krank!«, fauche ich und rüttle an den Fesseln. Es ist aussichtslos, doch niemals würde ich kampflos aufgeben. Das hätten meine Eltern nicht gewollt. Sie haben mir beigebracht, zu kämpfen, auch wenn es das letzte sein wird, das ich tun werde.
»Elena«, mein Name aus seinem Mund zu hören, ist wie ein Fluch. Es soll nicht so klingen, wie es klingt. Es ist wie der Ruf der Sirene, die die Piraten zu sich lockt, um sie zu verschlingen.
»Ich bin nicht krank«, spricht er ruhig weiter, während er vor mir auf die Knie geht, sodass er ein Stückchen kleiner ist. Wenn ich mich bewegen könnte, dann würde ich ihm eine Kopfnuss verpassen. Seine Hände legen sich auf meine Oberschenkel, doch diese Berührung fühlt sich nicht mehr wie die verlockende Verführung an, wie noch vor einigen Stunden.
»Was willst du jetzt mit mir tun?«, ich lege meinen Kopf schief und halte seinem Blickkontakt stand, auch wenn alles in mir schreit, dass ich meine Augen schließen und mich einfach wegdenken soll.
Doch ich sitze in der Scheiße fest. Mir wird niemand helfen, weil niemand weiß, dass ich hier bin. Niemand außer Benedict – war es nicht seine Stimme, die ich als letztes gehört habe? Wird er sich vielleicht Sorgen machen?
Fragen über Fragen schwirren in meinem Kopf, doch alle sind wie weggeblasen, als Chris seine Hand auf meine Wange legt.
»Wir hätten eins werden können, doch du musstest herumschnüffeln. Elena, warum bist du nur immer so neugierig und bist in die Hölle gekommen, hm? Ich wäre dir so ein guter Ehemann gewesen, so ein guter Vater...«
»Du bist der Mörder meiner Eltern«, spucke ich angewidert aus. Welche Synapsen in seinem Gehirn sind falsch verbunden, dass er denkt, ich könnte ihn jemals wieder in die Augen sehen und den charmanten Kerl in ihm sehen?
»Ich habe es für uns gemacht«, ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht und es widert mich an. Es widert mich an, dass mein Körper immer noch so auf ihn reagiert.
»Elena«, sanft streicht sein Daumen über meine Wange.
Mit Tränen in den Augen sehe ich ihn an, versuche in seinem Blick irgendeine Erklärung zu finden, doch sein Blick ist so glasklar, dass es fast schon gruselig ist. Der blanke Wahnsinn liegt in ihm, das hat er schon immer. Ich war nur zu blind dafür, es zu erkennen.
Umso mehr tut die Wahrheit jetzt weh.
»Deine Eltern haben dich geliebt. Sie wollten dich mir wegnehmen, das konnte ich nicht zulassen«, flüstert er leise und sein Daumen fährt zu meiner zitternden Unterlippe.
Seine Worte sind wie pures Gift. Sie breiten sich in meinem Körper aus, doch ich kann sie nicht abstoßen. Ich will nicht hinhören, doch ich muss es.
»Warum?«, wimmere ich, weil ich es nicht mehr aushalte. Ich dachte, ich hätte meine ganzen Tränen schon vergossen, doch neue bahnen sich einen Weg über meine Wangen. Ich kneife meine Augen zusammen, weil ich Chris nicht die Genugtuung geben will.
Er übergeht meine Frage, stattdessen spüre ich seine Lippen auf meiner Haut. Jede einzelne Träne, die meine Augen verlässt. Ich hasse es, wie weich sich seine Lippen auf meiner Haut anfühlen und in einer anderen Situation wäre es eine romantische Geste.
»Mein Herz schmerzt, wenn du weinst«, flüstert er leise und küsst mir wieder eine Träne weg. Ich drücke mich von ihm weg, doch ich kann nicht vor ihm fliehen. Ich sitze gefesselt vor dem Teufel, der meine Tränen weg küsst, als wäre es sein Lebenselixier.
»Du hast kein Herz«, kommt es kalt über meine Lippen. Ich klinge nicht annähernd so stark, wie ich will.
»Oh doch, kleine, süße Elena und es schlägt sogar nur für dich«, flüstert er und ist mir so nah an meinen Lippen, dass mir schlecht wird.
Ich habe seine Blicke genossen. Seine Küsse, Berührungen. Ich habe es geliebt, wie er mich gefickt hat, wie noch kein anderer. Doch mit jedem Mal, in dem ich mich in Sicherheit genossen habe, hat er seine Flügel ausgestreckt, um mich mit in die Tiefe zu ziehen.
»Chris, das ist keine Liebe«, schaffe ich es zu sagen und öffne meine Augen. Er ist mir so nah, dass ich jede einzelne Nuance seiner saphirblauen Augen sehen kann.
»Was weißt du schon über Liebe?«, ich spüre, wie er immer wütender wird. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und versuche mich umzusehen. Aber in diesem Raum ist nichts. Nichts, außer der Stuhl, an dem ich gefesselt bin, und Chris, der mir immer noch viel zu nah ist, dass mir sein Duft in die Nase dringt.
Aber ich muss ihm recht geben. Ich habe keine Ahnung von Liebe und dennoch weiß ich, dass seine Liebe krankhaft ist. Ich halte nicht viel von ›normal‹ und ›abnormal‹, aber er lässt es nicht anders zu.
In meinen Kopf drehen sich die Rädchen. Habe ich in unserer Kindheit irgendwas verdrängt? Wann hat die Verwandlung in dieses Monster stattgefunden?
»Was ist passiert Chris?«, wimmere ich leise und bei dem Klang meiner Stimme drückt er plötzlich mein Kinn hoch, sodass ich gezwungen bin ihn anzusehen.
Etwas lodert in seinen Augen. Etwas Dunkles, Geheimnisvolles, das ich nicht entschlüsseln kann.
Ich spüre den Schmerz an meinem Kinn erst, als er es loslässt, weil von oben ein Klingeln zu uns hindurchdringt. Hoffnungsvoll hebe ich meinen Blick. Wer klingelt um diese Uhrzeit?
»Ich warne dich, mach lieber keinen einzigen Ton«, knurrt er leise. »Mund auf«, befiehlt er und hält das Tuch vor meinem Gesicht. Hasserfüllt sehe ich ihn an, doch dann öffne ich meinen Mund und lasse zu, dass er mir das Tuch in den Mund stopft.
»Elena, ich werde niemals zulassen, dass sich jemand zwischen uns stellt«, er umwickelt eine dunkle Strähne meiner Haare um seinen Finger, bevor er mir einen letzten tiefen Blick schenkt und mich dann alleine lässt.
Stille umhüllt mich. Der Keller ist so schalldicht, dass man nichts von oben hören kann. Es gab Tage, an denen wir im Keller verstecken gespielt haben. Ich kenne sein Haus wie mein eigenes und weiß, dass ich nur eine Chance habe, wenn ich hier lebend raus will.
Einen Moment spanne ich mich an. Chris hat meine Füße nicht gefesselt, sondern nur – so wie es sich anfühlt – einen Kabelbinder um meine Handgelenke gebunden und so festgezogen, dass es wehtut und mir allmählich das Blut abschnürt.
»Du kannst das«, nuschle ich durch das Tuch in meinem Mund.
Ich habe keine Ahnung, ob das funktioniert oder ob das nur irgendein Schwachsinn ist, den sich einmal jemand ausgedacht hat, aber wenn ich genug Kraft aufbringe, dann müsste ich den Kabelbinder so weiten können, dass ich mich daraus befreien kann.
Wenn es schon in Filmen klappt, dann muss es doch auch im wahren Leben – ich hoffe es zumindest, dass sich meine ellenlangen Krimi-Film-Sessions bezahlt machen.
»Komm schon«, wimmere ich leise und übe immer mehr Druck aus. Ich balle meine Hände zu Fäusten, sodass die Oberseite nach oben zeigt. Tief drücken sich die Kabel in meine Haut, hinterlassen eine rote Spur auf meiner Hand, während mir immer mehr das Blut abgeschnürt wird.
Ich entspanne meine Hände. Es muss einfach klappen. Es ist meine einzige Chance.
Wieder drehe ich meine Fäuste nach oben, spanne sie an und als ich sie das nächste Mal entspanne, spüre ich, wie der Kabelbinder etwas lockerer wird.
Für eine Millisekunde huscht ein Lächeln über mein Gesicht. Ich drehe meine Handflächen zueinander und spüre, wie der Widerstand immer weniger wird.
Ich reibe meine Hände aneinander, lasse den Kabelbinder herunterrutschen. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe. Doch ich gebe nicht auf. Ich rüttle, presse meine Hände aneinander und übe Druck aus, bis ich meinen Daumen aus dem Binder befreien kann.
Vor Erleichterung schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht, als ich es endlich schaffe, mich komplett aus der Schlinge zu befreien. Ich nehme das Tuch aus dem Mund und pfeffere es auf den Boden, bevor ich meine Arme langsam bewege.
Ich weiß nicht, wie lange sie gefesselt waren, doch ich bin froh, sie allmählich wieder spüren zu können.
»Du wirst es schaffen, Elena. Du bist eine starke, unabhängige Frau«, murmle ich mir leise die Worte zu, die zuvor meine Mutter immer benutzt hat.
Ich kann alles schaffen, wenn ich es will.
Ich blende alle meine Gedanken aus. Ich habe jetzt nur ein Ziel: überleben.
Ich taste mich an der Wand entlang, stolpere zu der Tür und öffne sie leise. Immer noch ist es so still hier, dass man meinen viel zu hektischen Atem hören kann. Kein Geräusch dringt von oben herab, weswegen ich mich leise weiter schleiche.
In dem Keller würde ich mich auch blind zurechtfinden. Ich kann mich noch an eine Treppe erinnern, die von dem Garten in den Keller geführt hat. Die Chance ist größer, wenn ich nicht nach oben gehe. Dort, wo Chris ist.
Langsam schleiche ich mich voran. Ich versuche leise zu sein, dennoch kann ich meinen eigenen Herzschlag hören. Mein Körper ist mit Adrenalin vollgepumpt, mein Körper kämpft. Kämpft ums Überleben, als ich eine Tür erreiche.
Meine zittrige Hand schließt sich um die Klinke und leise öffne ich sie.
Ein bestialischer Gestank dringt in meine Nase und sofort presse ich meine Hand auf meine Nasen und meinen Mund.
Ein Schrei steckt in meiner Kehle fest. Ich kann mich nicht bewegen, als ich zwei verweste Leichen vor mir entdecke. Sie wurden so drapiert, dass es aussieht, als würden sie gerade zu Abend essen.
»Nein«, wimmere ich leise, als mein Blick auf eine Kette fällt, die die rechte Leiche hält. Ich schluchze auf. Dieses Amulett würde ich unter tausenden erkennen.
Chris hat seine eigenen Eltern umgebracht und sie dann so platziert, als wären sie eine ganz normale Familie, die friedlich isst. Ein Stuhl ist frei. Der Platz vor ihm gedeckt. Doch ich kann mir das nicht weiter ansehen.
Ich stolpere nach hinten, stürze den langen Flur entlang bis zur Treppe, die nach oben führt. Ich werde mich nicht an den Leichen vorbeischleichen. Ich werde Chris in die Augen sehen, dem Monster, das meine und seine Familie ausgelöscht hat, und dann werde ich ihm ein Ende bereiten.
Hass brodelt in meinen Venen und übernimmt mein Handeln. Bevor ich die letzte Treppenstufe erreiche, werde ich langsamer und lausche. Durch die Tür dringen zwei Stimmen zu mir.
Die Tür ist nur angelehnt und langsam kippe ich sie auf. Seichtes Licht dringt zu mir hindurch und leise folge ich den Stimmen.
»Ich habe Elena nicht mehr gesehen«, erkenne ich Chris' Stimme. »Sie hat mich angerufen.« Benedict spricht ruhig. Zu ruhig. Er ist schlau genug, um zu wissen, dass das hier alles gewaltig stinkt.
»Dann frage ich mich, was Sie hier suchen«, erwidert Chris. Ich schleiche zur Küchentür, aus der die Stimmen kommen. Eng presse ich mich an die Wand und schiele in den Raum rein.
Chris steht mit dem Rücken zu mir. Seine Hände hat er hinter seinem Rücken verschränkt und etwas Silbernes blitzt in meinem Sichtfeld auf.
»Ich hatte das Gefühl, dass Elena und Sie sich ziemlich nahe stehen.« Benedicts Augen ruhen auf Chris'. Nur kurz lässt er seinen Blick schweifen. Er stockt nur eine Millisekunde, als er mich erkennt. Doch er bleibt in seiner Rolle.
»Oh, Elena und ich stehen uns nah. Sehr nah. Mir hat nur nie gefallen, wie Sie Elena angesehen haben.« Chris macht einen Schritt auf Benedict zu. Im Gegensatz zu der schlanken Figur von ihm sieht Chris wie ein Türsteher aus. Ich habe seine Muskeln gespürt und weiß, was er damit anstellen kann.
Chris bewegt seine Hand einen Millimeter und ein kleines Messer blitzt auf.
»Ich bin ihr nur behilflich, den Mörder ihrer Eltern zu finden, Mister Evans«, sagt er und hebt leicht seine Hände. Die Stimmung schlägt um. Rau lacht Chris auf. »Halten Sie mich für dumm, Mister Cumberbatch?«, fragt Chris und klingt dabei gelangweilt.
Mit seinen Händen spielt er mit dem Messer.
»Ich wollte Ihre Intelligenz nicht beleidigen, Mister Evans«, auch Benedict macht einen Schritt auf den Breiteren zu. Er ist furchtlos, obwohl er dieses Spiel schon längst durchschaut hat.
»Sie haben Elenas Eltern vor zehn Jahren umgebracht. Sie haben Linda bestochen und sie vor einigen Wochen ebenfalls umgebracht und Sie waren es, der mir diesen Tipp zukommen lassen hat. Ihnen war klar, dass ihr Schicksal etwas in mir aufwühlt. Sie haben das geplant, damit ich Elena zu Ihnen führe. Genau in Ihre Arme.«
»Sie haben mehr herausgefunden, als ich gedacht habe«, sagt Chris, bevor er lacht.
»Verdammt, für so clever habe ich Sie nicht gehalten. Glauben Sie mir, wenn die Umstände anders wären, dann hätten wir wirklich gute Partner werden können – aber etwas hat sich in den zehn Jahren nicht verändert.«
»Niemand«, er macht einen weiteren Schritt auf Benedict zu.
»Stellt«, seine Stimme ist wie eine letzte Warnung.
»Sich«, er zieht langsam das Messer von seinem Rücken hervor. Ich bin wie erstarrt. Ich will auf Chris zu stürmen, aber ich kann es einfach nicht.
»Zwischen« Benedict erkennt das Messer in seiner Hand. Er ist nicht darauf vorbereitet, als sein Blick auf mich fällt.
»Lauf!«, schreit er, als Chris im gleichen Atemzug das Messer auf ihn sausen lässt. Er hebt seinen Arm, um sich zu schützen, mehr sehe ich nicht, denn meine Beine tragen mich hinaus.
Ich denke an nichts, sondern nur daran, so schnell wie möglich dieses verfluchte Haus zu verlassen. Ich reiße die Tür auf und stolpere nach draußen. Die kühle Luft peitscht gegen mein Gesicht, während der Mond auf mich hinab scheint und mir in der grausamen Nacht etwas Licht spendet.
Keuchend bleibe ich an einer großen Eiche stehen, die sich direkt vor einem kleinen, heruntergekommenen Teich befindet. Mir ist schlecht, doch bevor die Übelkeit meiner Röhre hochkommen kann, schlingen sich zwei Arme um mich.
Laut schreie ich auf, versuche mich zu wehren, während ich auf die blutbefleckte Hand blicke, die sich um mein Bauch geschlungen hat.
»Nein!«, schreie ich laut. Mir ist klar, dass Benedict tot ist. Meinetwegen.
»Du Monster!«, brülle ich, während ich um mich schlage, hoffe, dass ich ihn treffe.
»Beruhige dich«, murmelt er leise in mein Ohr. Ich werfe meinen Kopf in den Nacken und höre ein ekelhaftes Knacken, als ich seine Nase treffe.
»Fuck«, brüllt er laut auf. Sofort lässt er von mir ab, um sich seine Nase zu halten. Ich schlüpfe unter ihm hindurch und will gerade zum hinteren Ausgang rennen, als mich ein schwerer Körper zu Fall bringt und ich mit Chris in den Teich falle.
Wasser füllt meine Lunge, als ich prustend hochkomme.
»Verdammt, halt still!«, brüllt Chris, während er mich an meinen Haaren hält. Ich schlage wie wild um mich, aber als wäre ich eine Puppe, zieht er mich an seine Brust. Ich zapple wild um mich, als ich ein Messer an meiner Kehle spüre.
»Elena«, knurrt er in mein Ohr und sofort halte ich verkrampft still. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, während sich sein Messer immer noch gegen meine Haut drückt, sodass Blut meinen Körper hinunter fließt.
»Willst du es denn nicht sehen? Wir sind füreinander bestimmt«, haucht er in mein Ohr.
Füreinander bestimmt.
Chris ist mir weitaus überlegen. Er ist kräftiger als ich und wenn er will, dann könnte er mich mit seinen bloßen Händen zerquetschen. Doch auch ich habe ein Ass im Ärmel.
Auch wenn sich alles in mir widerstrebt, versuche ich mich in seinen Armen zu entspannen.
»Es tut mir leid, Chris«, wimmere ich leise. Ein Moment vergeht, in dem nichts passiert.
»Ich war so blind«, Tränen rinnen über meine Wangen, während die Lügen fast schon federleicht über meine Lippen kommen.
»Fuck – wie konnte ich nur so blind sein?«, rede ich weiter und höre nicht auf. Der Druck an meinem Hals wird weniger, bis Chris das Messer komplett sinken lässt. Sofort nutze ich die Chance und drehe mich in seinen Armen um.
»Oh, Chris...«, murmle ich leise. Meine Hände legen sich auf seine Wangen. Ich sehe das Misstrauen in seinen Augen, doch auch die kranke Liebe. Ich zwinge mich dazu, meine Finger leicht über seinen Bart zu streichen, bis zu seinen zitternden Lippen.
Alles hat einen Grund.
»Sie alle wollten uns trennen«, ich klinge mechanisch – genauso krank wie Chris.
»Ja«, ist das Erste, was er sagt. Seine freie Hand legt sich auf meine Wange, in der anderen hält er immer noch das Messer.
Tief sehen wir uns an.
Warum hast du deine eigenen Eltern umgebracht, warum?
»Niemand wird uns mehr trennen können«, meine Stimme zittert. Ich will heulen. Ich will mich zusammenrollen und ganz weit weg von ihm sein. Doch er wird mich nicht gehen lassen. Niemals.
»Niemand«, wiederholt er meine Worte. Ich zwinge mich zu einem Lächeln. Das Wasser schmiegt sich kalt an meine Beine. Dann zwinge ich mich auf Zehenspitzen zu stellen.
Ich habe längst den Punkt erreicht, in dem ich nichts mehr fühle. Wie eine Puppe handle ich einfach.
Chris schließt den Abstand zwischen uns. Hart pressen sich seine Lippen auf meine. Seine Zunge findet meine und langsam fällt die Anspannung von ihm. Er schlingt seine Hand um meine Hüfte, wofür er das Messer fallen lassen muss.
Ich schmecke sein Blut. Es vergiftet meinen Körper. Ich will mich lösen, aber ich kann nicht.
Blind greife ich nach dem fallenden Messer und bekomme die Klinge zu fassen. Das Messer schneidet sich in meine Haut, der Schmerz ist nichts im Gegensatz zu dem, dass ich Chris küsse. Dass immer noch mein gesamter Körper unter Strom steht, wenn wir uns küssen.
Liebe ist schrecklich. Liebe tut weh. Und Liebe macht aus Menschen Monster.
Seine Zunge taucht tief in meinen Mund, als ich das Messer fest umgreife und in seinen Magen donnere.
»Elena!« Chris schreit auf. Unsere Lippen trennen sich und mit weit aufgerissenen Augen sieht er mich an. Schwer atmend sehe ich ihn an, versinke in seinen Augen, als ich das Messer rausziehe und noch tiefer in ihn stoße. Immer und immer wieder. Als wäre er ein einfacher Boxsack.
Ich umklammere Chris mit meiner freien Hand, halte ihn fest, während er sich nicht wehrt. Kein Wort kommt über seine Lippen, nur ein Ächzen.
Meine Hand mischt sich mit seinem Blut. »Elena...«, wieder kommt nur mein Name über seine Lippen. Eine einzelne Träne löst sich aus meinem Gesicht, als ich das Messer einfach fallen lasse, es im Wasser verschwindet und langsam zu Boden gleitet.
Er hält sich an mir fest, sein Blick bohrt sich in meinen und wird zu meinem größten Albtraum. Ich spüre, wie sein Atem immer langsamer wird, wie langsam das Leben aus seinen Augen schwindet.
Plötzlich lächelt er. Seine Mundwinkel ziehen sich nach oben, während er seine blutüberströmte Hand auf meine Wange legt. Sein Abdruck ziert meine Wange, doch auch wenn ich die Kraft habe, entziehe ich mich ihm nicht.
Er will etwas sagen, doch es kommt nur ein Gurgeln über seine Lippen. Dann verlässt sein Geist seinen Körper. Ich versuche ihn zu halten, doch gemeinsam kippen wir in das dunkle Wasser.
Blut und Wasser. Das Blut vermischt sich mit dem Wasser und kreiert ein grausames Bild des Todes.
***
Auch wenn es etwas anderes ist, hoffe ich, dass es euch gefallen hat & würde mich sehr über Feedback freuen!
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