Kapitel 9 - Seelenbeichte
Seelenbeichte
Kochen mit Hoseok war schon immer etwas gewesen, das mich ungemein beruhigt hatte. Ich mochte es, ihm zuzusehen, wie er mit Gewürzen und Kräutern hantierte und sich dabei wie selbstverständlich in meiner Küche bewegte. Vielleicht mochte ich auch nur, dass man ihm ansah, dass er das wirklich gern tat und - im Gegensatz zu mir - konnte er es auch. In der Zeit mit ihm war ich zumindest zu einem brauchbaren Handlanger geformt worden und so arbeiteten wir auch jetzt Hand in Hand. Nach einer Weile in der ich still nach Anweisung Gemüse geschnippelt hatte, begann ich ganz von selbst zu reden. Zuerst erzählte ich von Kyung, vielleicht begriff Hoseok auch, was das mit mir gemacht hatte. Es folgten die letzten wahnhaften Erlebnisse, jedoch ließ ich dabei aus, dass ich zum Teil immer ein und dieselbe Person sah. Ich berichtete auch, dass es nie so heftig gewesen war, wie eben, als er vor meiner Tür gestanden hatte und ich entschuldigte mich dafür, auch wenn ich wusste, dass das nicht nötig war.
„Und wie lange geht das schon?" Er rührte in seiner Pfanne, ohne herzusehen.
Seufzend richtete ich mich jetzt ein wenig auf. Die Wahrheit würde ihm nicht gefallen. „Zwei - drei Monate." Die Zeitschaltuhr fiepte, ich schnappte mir die Nudeln und goss das Wasser ab.
Als ich mich wieder umdrehte, traf mich sein scharfer Blick und ich erklärte rasch weiter: „Es ist zwischendurch besser geworden, ich dachte es hört wieder auf, dann fing es plötzlich wieder an."
Hoseok schüttelte den Kopf, schaltete den Herd aus und schob die Pfanne von der heißen Platte. „Absolut uncool", knurrte er dabei, angelte Teller aus dem Oberschrank, stellte sie ab und drehte sich dann ganz zu mir um. „Du warst nicht beim Arzt, oder?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Natürlich nicht, warum frage ich eigentlich. Das heißt du nimmst auch keine Medikamente."
„Du weißt, dass die Medis alles dämpfen. Ich mag nicht, was sie aus mir machen."
„Weiß ich", gab Hoseok nickend zurück. „Und ich kann dich verstehen, obwohl es in so einer Krise vermutlich sinnvoll wäre, das hinzunehmen, um es wieder in den Griff zu bekommen."
Dem hatte ich nichts entgegenzusetzen, also zog ich nur den Kopf ein und schwieg. Hoseok berührte flüchtig meinen Arm und stupste mich ein wenig an „Los, schnapp dir das Essen, ich hab Hunger."
Das war der Grund, warum ich mit ihm reden konnte, weil er mich für gewöhnlich nicht verurteilte. Er sagte seine Meinung, erklärte, was er für sinnvoller hielt, aber er drängte mich nicht und versuchte nie mich zu etwas zu überreden, was ich nicht wollte.
Am Tisch ging das Gespräch weiter, wandte sich jetzt zunächst alltäglicheren Dingen zu, was eine merkwürdig vertraute Situation schuf. Mehrmals ertappte ich mich dabei, dass ich aufsah und mich zurückversetzt fühlte, in eine Zeit, in der ein gemeinsames Essen mit ihm noch zu meinem Alltag gehört hatte. Und ich fühlte mich wohl dabei, das war vielleicht das erschreckendste daran. Ich war unaufmerksam und ließ mich von einem nostalgischen Gefühl einlullen, dessen Bedeutung eine völlig andere war.
Als ich gerade meinen zweiten Teller Nudeln verschlang, begann Hoseok plötzlich leise zu lachen.
„Waf?" Der Mund voller Nudeln machte eine deutliche Aussprache etwas schwer. Ich schluckte, sah ihn an, blinzelte.
Hoseok schüttelte amüsiert den Kopf. „Wie lange hast du schon nichts anständiges mehr gegessen?", fragte er grinsend. „Man könnte denken du warst kurz vorm Hungertod."
Okay, das war peinlich und ich spürte auch, wie ich rot wurde. „Na ja, ich-"
„Ich weiß", unterbrach er mich und winkte ab. „Du konntest schon immer Berge an Essen in dich hineinstopfen ohne fett zu werden - na los, iss auf."
Grinsend wandte ich mich wieder meinem Teller zu und rollte eine weitere Gabel Spaghetti auf. „Ich habe nicht ständig das Glück so bekocht zu werden."
„Mhm." Er lehnte sich zurück, wartete bis ich fertig war und wir räumten gemeinsam auf. Dann wechselten wir ins Wohnzimmer und die lockere Stimmung verflüchtigte sich allmählich wieder. Hoseok wollte wissen was genau passiert war und wir sprachen über meinen Bruder, meine Familie, sehr lange sogar. Ich wurde gelassener, je länger wir sprachen und trotzdem gab es Dinge die ich nach wie vor verschwieg. Er merkte das, hakte vorsichtig nach, stellte Fragen und je mehr ich versuchte auszuweichen desto offensichtlicher wurde es.
„Taehyung." Als er sich vorbeugte und meine Hand nahm, erstarrte ich regelrecht. „Bitte, du musst mit mir reden, wir müssen einen Weg finden. Ich kann nicht hierbleiben, ich kann nicht auf dich aufpassen, ich-"
Keine Ahnung was er alles sagte, gerade eben machte es noch Sinn, dann verschwammen die Worte immer mehr. Aber seine Hand hielt meine, fest und warm, ich fühlte mich sicher, behütet und... Ich weiß nicht, was dann passierte. Vielleicht ergriff ich seine Hand ebenfalls, drückte sie, machte irgendwas, was ich nicht tun sollte. Abrupt verstummte er und als sich unsere Blicke trafen, zog er die Hand aus meiner und schüttelte den Kopf.
„Nein", flüsterte er.
Ich verstand nicht.
„Das geht nicht. Ich-"
Und dann verstand ich.
„Shit", zischte ich, wich ein ganzes Stück vor ihm zurück und sah weg. „Es tut mir leid, okay? Ich wollte nicht..." Doch wollte ich, aber - scheiße! Ich leckte mir nervös die Lippen, sah wieder hin und Hoseok musterte mich stirnrunzelnd. Das war nicht gut.
„Es tut mir wirklich leid", begann ich noch einmal. „Ich wollte nicht... Du... Letztes Mal hast du mir erzählt, du hättest jemanden kennengelernt", schoss ich rasch vor, auch wenn der rabiate Themenwechsel es nicht besser machte.
Er nickte. „Ja. Jungkook - Kookie."
Kookie, richtig. Fuck, was für eine elende Scheiße. Ich verschränkte die Hände und verknotete meine Finger ineinander. „Was Ernstes, hm?"
„Ja", bestätigte er wieder und ich nickte schwach. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und es war mir unangenehm, dass ich mich so hatte hinreißen lassen, nur weil für einen Moment gerade alles gut war.
„Das ist... großartig", presste ich heraus und zwang mich zu einem Lächeln. „Wirklich."
Hoseok lächelte schwach. „Ist es tatsächlich", murmelte er, sah für einen Moment weg und strich sich verlegen durch die Haare bevor er mich wieder ansah. „Okay, können wir einfach..."
„Klar, können wir." Ich atmete tief ein, wieder aus und lachte kurz auf. Es war die pure Anspannung, nichts sonst. „Sorry. War ein Blackout."
Auch das überging Hoseok jetzt einfach und machte dort weiter, wo wir aufgehört hatte. „Was sollen wir jetzt tun? Hast du eine Lösung? Du willst nicht zum Arzt, du willst keine Medikamente, ich will dich so nicht einfach hier allein lassen - was tun wir?"
„Ich komme zurecht", versuchte ich abzuwehren. „Wirklich. Ich brauche nur hin und wieder jemanden zum Reden."
„Das sah heute aber ganz anders aus", widersprach Hoseok. Er war nicht überzeugt, das konnte ich ihm nicht verdenken.
„Wenn du nur hättest reden wollen, hätten wir telefoniert, wir hätten uns im Café getroffen und uns festgequatscht. Aber das heute war kein Anruf für ein spontanes Treffen, Taehyung, es war ein Hilferuf. Das weißt du so gut wie ich."
Das war ein bisschen viel. Unruhig sprang ich auf und machte ein paar Schritte. Ich wusste natürlich, er hatte recht und ich wusste ebenfalls, dass es für dieses Dilemma keine Lösung gab. Ich wollte nicht nach so vielen Jahren wieder mit Medikamenten anfangen, nicht wenn ich es so lange Zeit so gut im Griff gehabt hatte. Das bestätigte doch nur, dass mich die Geschehnisse der letzten Zeit massiv aus der Bahn geworfen hatten. Ich lief nervös bis zum Fenster, steckte die Hände in die Hosentaschen und erstarrte, als meine Finger das Kettchen ertasteten. Rasch schloss ich die Faust darum, meine Gedanken rotierten.
Ich hatte mich doch umgezogen. Diese verdammte Armkette steckte in der Tasche meiner Jogginghose, die in meinem Schlafzimmer auf dem Boden lag, wie um alles in der Welt kam sie jetzt hierher. Wurde ich verrückt? Ich wurde eindeutig verrückt. Hatte ich das Kettchen ohne es zu bemerken aus der Tasche genommen und wieder eingesteckt? Warum?! Damit ich es immer bei mir tragen konnte? Das war sowas von nicht okay. Aber meine Finger lösten sich dennoch nicht und am Ende zog ich die Hand aus der Tasche und blickte auf das kurze Stück baumelnder Silberglieder, die aus meiner Faust hingen.
„Ich habe jemanden getroffen", murmelte ich ohne jeglichen Zusammenhang mitten hinein in die Stille. Zu leise offenbar, oder es war nur zu überraschend, denn hinter mir hörte ich von Hoseok nur: „Bitte?"
„Ich...", langsam drehte ich mich um und steckte das Armband dabei wieder ein. „Ich habe jemanden getroffen. Ich... das ist schon eine Weile her. Ich weiß auch gar nicht ob es überhaupt... ahm... aber er..." Ich wusste nicht weiter, sah Hoseok an, an dessen Mundwinkel ein vages Lächeln zupfte.
„Aber er... hat dich umgehauen?", schlug er belustigt vor.
Mann, das traf es aber so punktgenau. Ich biss mir auf die Lippe und zog die Stirn in Falten. „Er ist... ein wenig - speziell - denke ich. Ich weiß nicht, ich bin verunsichert."
Hoseoks Lächeln verschwand augenblicklich und er richtete sich etwas auf. „Okay, Taehyung, hör zu. Wenn er dich verunsichert, ist er nicht der Richtige für dich, klar? Du brauchst ganz sicher niemanden, der - keine Ahnung - seinen Ego-Trip fährt. Er wird dir am Ende wehtun und-"
„So ist es nicht", ging ich rasch dazwischen. „Er - verunsichert mich, wenn er nicht da ist, weil dann alles so seltsam und verzerrt wirkt, aber wenn bei mir ist, wenn er... mich berührt, dann ist das wie..." Mir gingen die Worte aus. Ein Augenrollen, eine Geste, halb Explosion, halb Feuerwerk beendete das, was ich nicht beschreiben konnte.
Hoseok schürzte die Lippen. „Du warst mit ihm im Bett?"
„Nein!" Ich wurde rot. Warum zu Hölle wurde ich jetzt rot?! Das war noch nicht mal gelogen, verdammt nochmal! „Nein, war ich nicht. Ehrlich nicht. Wir haben nur... er...", meine Stimme versagte, das war nicht gut für meine Gesichtsfarbe. „Er hat mich geküsst." Was für eine Untertreibung. Ich atmete bebend aus, blinzelte, weil Hoseok mich so zweifelnd betrachtete, doch schließlich nickte er und sah auf seine Hände.
„Ein Mann also, der dich verunsichert, wenn er nicht da ist und deine Welt auf den Kopf stellt, wenn er dich küsst. Ob Volltreffer oder Katastrophe, lässt sich davon noch nicht ableiten, sorry. Hat der rätselhafte Mr. X auch einen Namen oder bleiben wir bei Mr. X?"
Wieder atmete ich tief durch, raufte mir die Haare und überlegte, am Ende nickte ich und sah Hoseok ernst an. „Du wirst mir versprechen, dass du nicht lachst. Wenn du lachst..."
„Ich lache nicht, versprochen."
Wieder trafen sich unsere Blicke.
„Suga."
Hoseoks Augenbraue zuckte.
„Das... ist sein Name. Ahm... der, den ich kenne. Suga. Nur Suga."
Hoseoks Mund öffnete sich und schloss sich wieder, er lachte nicht, kniff die Augen ein wenig zu, das war alles, doch man konnte ihm ansehen, dass es ihn jedes Quäntchen Selbstbeherrschung kostete. Genau wie mich. Ein paar Sekunden hielt ich es aus, dann begann ich wieder auf und ab zu laufen.
„Ich weiß, wie sich das für dich anhören muss, ja? Du musst gar nichts sagen. Aber so ist es nicht, wirklich nicht. Er ist nicht einer von diesen Edelstrichern, die man buchen kann. Ich war weg, ich hab ihn in diesem Club getroffen", mein Kopf ruckte herum, „kein Schwulenclub!", fuhr ich ihm in die Parade, bevor er fragen konnte. „Dort hat er sich als Suga vorgestellt, soll ich ihm das übelnehmen? Du hast mich als „V" kennengelernt, er auch."
„Ja, schon gut. Und weiter? Telefonnummern ausgetauscht?"
Ich seufzte, schüttelte den Kopf. „Der Abend endete turbulent, es gab 'ne Razzia. Ich war weg, er war weg... Ich dachte das wars, dann bin ich ein paar Wochen später im Supermarkt in ihn hineingelaufen." Ich holte Luft, dachte nach und gab mehr oder weniger genau wieder, wie dieses Treffen lief - endend bei Kyung.
Hoseok sah mich aufmerksam an. „Und du hast ihn nicht nach seinem Namen gefragt?"
„Es hat sich nicht ergeben."
„Wie lang ist das her? Hat er angerufen?"
„Am nächsten Tag hat mich die Polizei auseinandergenommen und abends, als ich aus dem Revier kam, stand er da", antwortete ich leise. „Wir haben was getrunken..." Ich konnte nicht weitererzählen, weil mir sofort die Stimme versagte, allein bei dem Gedanken wie diese Nacht ausging. Plötzlich standen mir Tränen in den Augen und ich schluckte hart. Schließlich schüttelte ich energisch den Kopf und sah weg.
„Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen", kürzte ich das ganze ab. Tja, das war die bittere Seite. Ich schüttelte den Kopf, überlegte, zuckte erneut die Schultern. „Aber er ist immer noch... da."
„Taehyung... Schätzchen, warum tust du dir das an?", murmelte Hoseok jetzt, stand auf und kam zu mir herüber. Er nahm mich in den Arm, hielt mich fest und ich seufzte deutlich hörbar.
„Ich weiß es nicht", versuchte ich mich zu verteidigen. „Ich kann es dir nicht erklären. Er ist-"
„Ein Arsch", vervollständige Hoseok, ohne mich loszulassen. „Du kennst seinen Namen nicht, er gibt dir seine Nummer nicht, er ruft nicht an. Er ist ein mieser Hund, lass die Finger von ihm."
Mit einem dumpfen Grummeln ließ ich die Stirn auf seine Schulter sinken. Vermutlich hatte er recht. Nein, ganz sicher sogar hatte er recht, aber was nützte das schon, wenn mein Herz jedes Mal verrücktspielte, wenn ich an ihn dachte. Und außerdem hatte er ja gut reden, er hatte einen ganz normalen netten Kerl kennengelernt, der einen anständigen Job hatte und vermutlich Hoseoks ganze Haus-, Hund-, Hochzeitsfantasie genauso enthusiastisch teilte.
Ja, ja, was ich hätte haben können und stattdessen mit Füßen getreten hatte. Ich brauchte offenbar etwas anderes. Nicht, dass ich gewusst hätte was das sein sollte, aber etwas anderes eben - vielleicht... einen miesen Hund.
Nach dieser Seelenbeichte ging es mir auf alle Fälle besser und obwohl ich den Abend gerne mit Hoseok hätte ausklingen lassen, war mir bewusst, dass ich kein Recht hatte, ihn hier zu halten. Ich bekam auch mit, dass mehrere Nachrichten auf sein Handy eingingen. Und auch wenn Hoseok mir nicht das Gefühl gab, dass er dringend wegmusste, war klar, dass jemand anderes auf ihn wartete.
Am Ende schickte ich ihn heim, ignorierte seinen Protest und schob ihn schmunzelnd zur Tür. Ich versicherte ihm, dass es mir gut ging, viel besser als vorher, dass ich zurechtkommen würde und dass ich mich - ja, versprochen! - rechtzeitig melden würde, wenn es wieder schlimmer würde. Als Hoseok gegangen und ich wieder allein war, atmete ich einmal tief durch. Es fühlte sich seltsam an, wieder allein in der Wohnung zu sein und ich spürte, wie die Angst erneut ganz knapp unter der Oberfläche lauerte. Ablenkung, ich brauchte Ablenkung. Rasch lief ich durch alle Räume, machte überall das Licht an, stellte den Fernseher an, der nun leise vor sich hin brabbelte und drückte mich wieder in eine Ecke meine Sofas. Trotzdem nahm meine Nervosität minütlich zu und am Ende hielte ich wieder das Armband in den Händen, ließ die Kettenglieder langsam durch meine Finger gleiten während ich mich auf den Fernseher zu konzentrieren versuchte.
Nachrichten. Nichts als Tod, Gewalt und Krieg auf der ganzen Welt. Die Menschen waren verrückt. Unwillig bewegte ich den Nacken, blinzelte und fuhr erschrocken zusammen, über den plötzlichen Wechsel der Lichtverhältnisse. Aber es war nur der Fernseher, das abrupte Umschalten von einem hellen Bildschirm auf den schwarzen Hintergrund am Anfang irgendeines Films. Unruhig zog ich den Fuß weiter ein, damit er nicht mehr über die Kante des Sofas hing und ich sträubte mich vehement, den Gedanken, warum ich das tat, zu Ende zu denken.
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