Kapitel 28 - Bereuen
Bereuen
Das Schlimmste daran war, dass sich meine Entscheidung so unwiderruflich anfühlte. Plötzlich war alles, was mich die letzten Wochen und Monate beschäftigt hatte, nicht mehr von Belang. Und es mochte sein, dass ich Angst hatte, dennoch ließen sich Gefühle nicht so einfach weg reden. Dass ich offenbar immer noch etwas für ihn empfand, wurde mit jedem Tag, den ich allein verbrachte, deutlicher. Ich versuchte auszublenden, was er gesagt hatte, schirmte mich gegen all die Wahrheiten ab und versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber auch das war schwierig. Hoseok bemühte sich, mich irgendwie am normalen Leben teilhaben zu lassen, aber ich verweigerte es größtenteils. Aus verschiedenen Gründen. Zum einen wollte ich ihnen endlich etwas Ruhe vor mir gönnen und zum anderen war ich mit mir selbst ausreichend beschäftigt, da brauchte ich nicht noch weitere Menschen um mich herum.
Die ersten Tage reagierte ich hypersensibel auf alles, was mich umgab, war schreckhaft und fühlte mich ständig beobachtet. Doch egal wie oft ich mich umsah, in Schaufenstern die Straße hinter mir im Blick behielt, ich sah ihn nicht. Wenn Suga mich also tatsächlich – wie angekündigt – beschützen und damit auch beobachten wollte, tat er es völlig unauffällig. Ich versuchte sogar, seine Anwesenheit zu erspüren und scheiterte. Einige Wochen hatte ich wahnsinnige Probleme mit Sonnenlicht und entsprechend ständig Kopfschmerzen, dann wurde es allmählich besser. Nach einer weiteren Woche spürte ich nichts mehr von den Nachwirkungen seines Gifts, aber ich konnte natürlich nicht sicher sein, ob ich damit tatsächlich außer Gefahr war.
So oder so ich sah Suga nicht, nicht ein einziges Mal und ich sah auch den anderen Kerl nicht, den aus der Kirche. Es gab Nächte, das starrte ich stundenlang auf mein Handy und wünschte mir, er würde anrufen. Das waren die Momente, wo meine Angst immer weiter zurückwich und die Sehnsucht überwog. An manchen Tagen verblasste die Erinnerung und ich vergaß Ausschau zu halten. Und an einem jener Tag stand er plötzlich vor mir. Nicht Suga, sondern der andere.
Seit über einer Stunde war ich bereits in diesem Einkaufszentrum unterwegs und beladen mit jeder Menge Taschen und Tüten. Es war nicht so, als hätte ich zu viel Geld und müsste es dringend loswerden, bevor es schlecht wurde, es war eher eine Form von Seelentröster. Gerade hatte mich ein Ständer randvoll mit Sonnenbrillen abgelenkt und angezogen, da trat er plötzlich um die Ecke und ich wäre beinahe in ihn hineingelaufen.
„Oh, sorry", murmelte ich, „ich hab..."
„Da bist du ja", schnurrte mich eine samtweiche Stimme an, auf eine Art und Weise, dass mir beinahe sämtliche Einkäufe aus der Hand geglitten wären.
„Bitte?"
„Taehyung, nicht wahr?"
„Was? Wer b-...?" Ich brach ab, starrte ihn an und ein unverschämtes Grinsen traf mich. Er trug hautenge Jeans, lässige Boots und eine – sicher sündhaft teure – Lederjacke. Dazu ein Basecap, unter dem goldblonde Strähnen hervorlugten und natürlich eine Sonnenbrille, die er jetzt abnahm, sodass ich überrascht blinzelte. Da waren sie wieder, diese wunderschönen, exotischen Augen, allerdings war die Farbe auch ungewöhnlich, denn sie waren zwar braun, allerdings eher rotbraun, was den Eindruck erweckte, er würde Kontaktlinsen tagen. Das tat er nicht, das war mir klar und mit diesem Blick in seine Augen wusste ich auch, dass Suga mich nicht belogen hatte. Die vollen Lippen meines Gegenübers verzogen sich zu einem kleinen Schmunzeln. Wissend und schmutzig.
Ich wich einen Schritt zurück aber er folgte mir. Lachte dabei und seine Zungenspitze zuckte über seine Lippen. „Nicht doch", flüsterte er. „Ich dachte Suga wäre hier, ich habe das ganze verdammte Gebäude abgesucht, aber er ist es nicht, hm? Du bist das. Du verströmst diesen Geruch."
„Ich weiß nicht was du meinst."
Er kicherte, packte dann so schnell meine Hand, dass ich beinahe stolperte und fiel, währenddessen schob er bereits meinen Ärmel ein Stück hoch. Sein Finger strich über meine Haut, über den verblassten Bogen, der nur noch schwach rosa zu sehen war. „Ich bin sicher, du weißt, was ich meine." Er beugte sich zu mir. „Du riechst so intensiv nach ihm, dass ich echt verwirrt war. Hat ein bisschen gedauert, bis ich es kapiert habe." Wieder streichelten seine Finger über meinen Arm. „Ein Wirt." Er lächelte. „Er konnte wohl gar nicht genug von dir kriegen, du musst außergewöhnlich gut schmecken."
„Lass mich los", zischte ich, riss dabei gleichzeitig meinen Arm aus seinem Griff und erntete dafür ein überraschtes Lachen.
„Na komm schon", raunte er, „sei nicht so spröde. Du brauchst dich nicht zieren, mir liegt nichts an solchen Spielchen."
„Ich bin kein Wirt", knurrte ich dumpf und wich erneut vor ihm zurück. Er folgte mir langsam und betrachtete mich lauernd.
„Nein? Was dann? Sind es die ganz großen Gefühle?" Er lachte – er lachte mich tatsächlich aus. „Hat er dich darum gebeten? Seine persönliche Futterquelle, ganz exklusiv? Ich weiß, dass er sowas gerne mag – er hat ein Faible für Jungs wie dich."
„Ich-", begann ich und wurde mitten im Satz herumgerissen, sodass mir jedes Wort im Hals steckenblieb. Etwas packte mich mit eisernem Griff und dann schob sich ein Schatten in mein Blickfeld.
„Wenn du mich so gut kennst", raunte Suga, „dann ist es enttäuschend, dass du mich nicht gefunden hast. Aber es war amüsant, dich bei deiner Suche zu beobachten."
Der andere rümpfte die Nase und setzte seine Sonnenbrille wieder auf. Der hübsche Mund verzog sich zu einem abfälligen Lächeln, der Ton seiner Stimme wurde rauer. „Streunst du also doch hier herum. Man könnte denken du hast dich hier häuslich niedergelassen, der Macho-Gestank ist ja kaum auszuhalten."
Suga lächelte schwach. „Ihr seid noch jung... und sehr schlecht erzogen – ist dein durchgeknallter Bruder auch hier?"
Darauf bekam er keine Antwort, doch als er sich umdrehte, mich mit sich zog und einfach gehen wollte, fauchte der andere hinter ihm. „Er will dich sehen."
Suga blieb stehen, atmete tief durch und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Dann sag Ihm, ich überlege es mir. Vielleicht sollten wir uns treffen, und wenn es nur dazu dient, Ihm zu sagen, dass er seine Brut besser erziehen muss."
„Was spuckst du für große Töne", raunte der Fremde abfällig. „Aber wir können es auch gerne jetzt gleich arrangieren. Ein Abendessen wäre nett." Dabei grinste er breit und obwohl ich es hinter der Brille nicht sehen konnte, war ich sicher, dass er mich ansah.
Ich hatte wohl recht, denn Suga machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich teile nicht", flüsterte er. „Und wenn du noch einmal ungebeten in seine Nähe kommst, reiß ich dir das Herz heraus – hast du verstanden?"
Die hübschen Lippen wurden zusammengepresst, sodass sie nur noch eine Linie bildeten und er trat einen halben Schritt zurück. „Dann solltest du dich mit Ihm treffen – warte nicht zu lange." Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand so schnell in der Menge, dass ich wirklich das Gefühl hatte, er würde sich vor meinen Augen in Luft auflösen. Suga hielt sich nicht damit auf, das zu beobachten, sondern nahm meine Hand und zerrte mich energisch mit sich. Im Eiltempo ging es durch die halbe Shoppingmall, bevor er langsamer wurde.
Und erst jetzt wo ich wieder zu Atem kam, spürte ich mein eigenes Zittern und wie fest ich dabei Sugas Hand umklammerte. Ich wurde langsamer, blieb irgendwann stehen, da drehte sich Suga zu mir um und ein unergründlicher Blick traf mich.
„Geht es dir gut? Alles in Ordnung?"
Ich nickte schwach, dann schüttelte ich den Kopf, holte Luft, wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort heraus. Und am Ende – einem einfachen Impuls folgend, ohne wirklich einen klaren Gedanken – ließ ich alle Taschen fallen, warf mich in seine Arme und schlang die Arme um seinen Nacken. Suga taumelte leicht unter meinem Ansturm und ich konnte spüren wie er unsicher in meine Jacke griff.
„Tae."
„Kannst du mich bitte festhalten", murmelte ich, ohne den Kopf zu heben.
Das tat er tatsächlich, schlang die Arme um meine Mitte und hielt mich fest. Ich atmete ein und bebend wieder aus. Meine Emotionen kochten so urplötzlich hoch, dass ich Angst hatte, ich würde jeden Moment in Tränen ausbrechen, also zog ich den Kopf ein und vergrub das Gesicht im Kragen seines Mantels.
„Es tut mir leid", brachte ich erstickt hervor.
„Tae..."
„Nein." Ich schniefte, holte Luft und murmelte weiter. „Es war gelogen. Dass ich dich nicht mehr sehen will, dass du verschwinden sollst..."
„Tae", raunte er wieder, strich über meinen Rücken, dann durch meine Haare. „Ist doch nichts passiert, komm schon, beruhige dich."
Aber ich wollte mich nicht beruhigen und ich wollte ihn auch nicht loslassen. Mir war bewusst, dass die Menschen um uns herumlaufen mussten, dass sie uns anstarrten und wahrscheinlich tuschelten, aber auch das war mir egal.
„Tae komm", begann er erneut leise, schob mich ein Stück von sich und sah mich an. Ein dünnes Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „Nimm deinen Sachen, ich fahre dich nach Hause." Dabei griff er sich ebenfalls mehrere meiner Taschen, ich raffte den Rest an mich und wir gingen los. Dass ich dabei immer noch seinen Arm umklammerte, ignorierte Suga und führte mich zu seinem Wagen. Er verstaute meine Sachen, hielt mir die Tür auf und ich rutschte schweigend auf den Beifahrersitz. Auch Suga sagte nichts, als er einstieg, berührte aber kurz meine Hand, bevor er den Wagen startete und losfuhr. Ich konnte ihn nicht ansehen. Mein Verhalten, mein Ausbruch, all das war mir jetzt furchtbar peinlich und gleichzeitig war ich froh, dass er hier war. Mit verschränkten Armen kauerte ich in seinem Wagen, machte mich so klein wie möglich und starrte aus dem Seitenfenster. Die Stadt zog an mir vorbei, aber ich nahm sie kaum wahr.
Er hatte sein Versprechen gehalten. Er hatte mir gesagt, dass er auf mich achten würde und er war dagewesen. Wahrscheinlich war er das immer, aber gerade war dieser Gedanke nicht verstörend, sondern beruhigend. Seit Monaten geriet mein Leben immer mehr aus den Fugen und ja, mir war bewusst, dass es durchaus mit Suga zu tun hatte, andererseits war die Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte, noch die angenehmste gewesen. Das richtige Chaos hatte mich immer nur dann eingeholt, wenn Suga nicht dagewesen war.
Während ich also so vor mich hin grübelte, hielt der Wagen plötzlich am Straßenrand und ich hob verblüfft den Kopf von der Scheibe. Waren wir schon da? Tatsächlich, schräg vor mir baute sich die Fassade meines Wohnblocks auf und ich verzog das Gesicht. Gerade wollte ich alles, nur nicht allein in meiner Wohnung hocken. Und wer wusste schon, vielleicht kam dieser unheimliche Blutsauger ja auch hierher. Ich bewegte mich nicht, starrte nur auf das Haus und lehnte den Kopf wieder an das Fenster.
Suga schien zu warten, doch als es offensichtlich wurde, dass ich nicht aussteigen würde, seufzte er gut hörbar. „Tae", raunte er. „Willst du nicht aussteigen?"
Ich antwortete nicht und bewegte mich auch nicht. Neben mir legte Suga beide Hände auf das Lenkrad und betrachtete nun auch mein Wohnhaus, als ließe sich an der Fassade der Grund für mein Verhalten ablesen.
„Willst du mit zu mir kommen?"
Auch darauf antwortete ich nicht, aus dem einfachen Grund, weil ich mir nicht sicher war. Still bat ich darum, er möge die Entscheidung treffen, dann bräuchte ich es nicht und müsste mich nur fügen und schließlich tat er es auch.
„Na schön", sagte er leise. „Ich fahre jetzt. Wenn du nicht aussteigst, nehme ich dich eben mit." Nochmal sah er mich an, wartete, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab und startete den Wagen.
Ich rührte mich nicht, atmete aber mit klopfendem Herzen aus. Er würde mich also wieder mit zu sich nehmen. Und dann? Wie sollte ich mich verhalten, wenn ich wieder in seinem Revier war? Würden wir überhaupt klarkommen, wieder zusammen in einem Haus? Immer mehr Fragen türmten sich in meinem Kopf auf und ich fragte mich, ob meine Entscheidung wirklich so klug gewesen war. Andererseits konnte ich sie jetzt auch nicht mehr rückgängig machen.
Wenig später schwenkten wir auf die Zufahrt ein und kurz darauf parkte Suga den Wagen – wie zuvor auch schon – direkt vor dem Eingang. Auch jetzt blieb er kurz sitzen, betrachtete nun nachdenklich sein Haus, so wie ich zuvor meinen Wohnblock betrachtet hatte, bevor er den Schlüssel abzog und die Tür öffnete. Die Wagenbeleuchtung sprang an und er sah mich auffordernd an, doch er sagte nichts und ich schwieg verbissen. Schließlich stieg er einfach aus, umrundete den Wagen und riss die Beifahrertür auf.
„Okay, folgende Möglichkeiten", sagte er ruhig. „Erstens, du steigst aus und kommst mit, zweitens, ich schleife dich aus dem Wagen und trage dich ins Haus und drittens – du bleibst sitzen, ist keine Option. Also?"
Jetzt konnte ich ihn nicht mehr ignorieren, also sah ich ihn an. „Es tut mir leid, dass ich so anstrengend bin", murmelte ich, bewegte mich aber nicht.
Suga seufzte und sah weg. „Ja, mir auch", murmelte er dann, sah wieder her, schmunzelte und reichte mir die Hand. „Komm. Ich hatte viel Zeit, das mit der Geduld zu lernen und zu verinnerlichen, aber manchmal vergesse ich alles dazu."
Zögernd legte ich eine Hand in seine – seine Finger waren überraschend warm – und ließ mich aus dem Auto ziehen. Dann folgte ich ihm still ins Haus. Erst im Flur ließ er meine Hand los und als er mich ansah, blieb ich verunsichert stehen.
„Wie alt bist du?", stellte ich die erste Frage die mir durch den Kopf schoss. Suga lächelte nichtssagend.
„28", antwortete er. „Das war nicht gelogen."
„Und wie lange ist es her, dass du 28 geworden bist?"
Suga sah zu Boden, seufzte und blickte schließlich wieder auf. „Willst du das wirklich wissen?"
Da war ich gar nicht so sicher, aber ich wollte wissen, ob er tatsächlich einmal ein Mensch gewesen war, oder nicht. Im Grunde wusste ich doch nichts über... Vampire. Noch immer fiel es mir schwer, diese Bezeichnung überhaupt zuzulassen. Alles was ich darüber gelesen hatte, entpuppte sich im Nachhinein, wie ich hatte feststellen müssen, zu einer Sammlung schauriger Märchen. All die Geschichten enthielten bestenfalls einen Funken Wahrheit und ich war mir nicht sicher, ob das genügte, um davon auszugehen, dass irgendjemand tatsächlich wusste, was es mit dieser Art auf sich hatte.
„Eine ganze Weile", sagte Suga leise. „Reicht das für den Anfang?"
Mit einem vagen Nicken folgte ich ihm nun, tappte hinter ihm her ins Wohnzimmer und kauerte mich in eine Ecke des Sofas. Suga bewegte sich durch den Raum, kam dann zu mir zurück und reichte mir ein Glas Wasser. Ich nahm einen Schluck, umklammerte dann das Glas und sah ihn an. „Warst du irgendwann ein Mensch?", fragte ich flüsternd.
„Ja. War ich." Er setzte sich, ließ aber genügend Abstand zwischen uns. „Beruhigt dich das?"
Das wusste ich nicht, denn gerade war alles, bis hin zu der Tatsache, dass ich wieder hier war, höchst verwirrend für mich.
„Warum hast du mich beschützt?", fragte ich also ohne weiteren Zusammenhang. Suga seufzte.
„Weil ich es dir versprochen habe. Du erinnerst dich?" Er rückte ein Stück näher, nahm mir vorsichtig das Wasserglas weg und hielt meine Hand fest. „Tae, ich möchte, dass du verstehst, dass das, was geschehen ist-"
Unwillig zog ich an meiner Hand und sah weg. „Ich will nicht", raunte ich. „Ich will das nicht hören."
„Es war ein Unfall. Tae? Ich hatte mich nicht so im Griff, wie ich es mir gewünscht hätte und das tut mir leid. Es wird nicht mehr geschehen."
„Das kannst du nicht garantieren", schnappte ich und sah wieder hin. „Oder?"
„Du hast Angst vor mir", stellte Suga mit einem knappen Nicken fest. „Das ist nicht das schlechteste Gefühl, du solltest darauf hören."
„Wie kannst du das sagen?!"
„Warum bist du hier?", konterte Suga sofort. „Du hast Angst vor mir. Du hast rasende Angst davor, dass ich mich jeden Augenblick wieder auf dich stürzen könnte. Und eigentlich bist du nur hier, weil dich die Begegnung im Einkaufszentrum noch mehr verstört hat, oder? Ich, der Vampir, der Kerl, dem man nicht trauen kann, habe die Wahrheit gesagt. Das ist nicht leicht, oder?"
Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Ich sah weg, versuchte mich zu beruhigen und blickte wieder auf. „Er hat mich gefragt, ob ich deine persönliche Futterquelle wäre, dass du Jungs wie mich magst. Was hat das zu bedeuten?"
„Was denkst du, Taehyung?", murmelte Suga. „Ich wandle seit viel zu langer Zeit auf dieser verfluchten Erde, glaubst du, du wärst der erste Mann in meinem Leben? Bin ich dein erster?"
Ich wurde rot, das war echt peinlich. Vermutlich, weil es so direkt war und eigentlich kaum missinterpretiert werden konnte. Entsprechend sah ich jetzt weg und wechselte rasch das Thema.
„Seit viel zu langer Zeit also, ja? Aber du willst mir nicht sagen wie lange." Dafür erntete ich lediglich einen stummen Blick, also gab ich mich unerschrocken. „Wie viele Menschen hast du getötet?"
Augenblicklich ließ er meine Hand los. „Zu viele. Aber ich habe nicht Buch geführt."
Oh! Mein Kopf ruckte herum und ich starrte ihn mit großen Augen an. „Wie viele hast du verwandelt?"
Jetzt trafen sich unsere Blicke und Sugas Miene wurde düster Er zögerte. „Keinen", knurrte er schließlich dumpf. „Hast du noch mehr Fragen an mich?"
„Tausende!", platze ich heraus, raufte mir die Haare und atmete hektisch ein und aus. „Kannst du mich nicht verstehen? Ich bin in eine Welt geraten, die es eigentlich gar nicht gegeben dürfte. Du sagst, dass ich Angst vor dir haben soll und gleichzeitig, dass du mich beschützen wirst. Du hast mich gebissen, vergiftet, geküsst. Du... hast mit mir geschlafen und du... Wolltest du mich töten? Irgendwann?"
Jetzt senkte Suga den Blick und ich atmete überrascht ein. „Du... wolltest?" Unruhig sprang ich auf, machte ein paar Schritte von ihm weg und wandte mich dann wieder um. „Würdest du mich gehen lassen, wenn ich das wollen würde?"
Er sah mich an, regte sich aber nicht. „Ja."
„Warum?"
„Warum, warum..." Allmählich wirkte Suga wirklich genervt. „Was willst du tatsächlich wissen, Tae? Ob ich dich immer noch töten will? Nein. Ob ich es könnte? Ja. Geht es dir mit diesem Wissen besser?"
Nein, eigentlich nicht, aber mir war auch klar, dass meine Fragen irgendwie auch absurd anmuten mussten, immerhin war ich freiwillig hierhergekommen. Ich hatte ihn fast genötigt, mich herzubringen und jetzt zupfte die Panik an mir? Es gab einen Namen für so ein Verhalten. Tief atmete ich durch und drehte mich wieder zu ihm um.
„Wenn du mich jetzt beschützten willst – warum wolltest du mich davor töten?"
„Was soll die dumme Frage?", murrte Suga und richtete sich steif auf. „Ich hatte Hunger. Normalerweise jage ich nicht dort, wo ich lebe, aber... du hast einfach viel zu gut gerochen."
Das war seine verdammte Erklärung? Ich konnte es nicht glauben. „Das ist alles?", hakte ich nach. „Ein dummer Zufall?"
Suga zuckte mit den Schultern und sagte nichts mehr.
Welcher normale Mensch sollte so etwas begreifen. Hilflos hob ich die Hände und ließ sie wieder sinken. „Und dann... wolltest du es plötzlich nicht mehr?" Ich hörte selbst, wie dünn meine Stimme klang.
Suga hingegen schnaubte aufgebracht, vielleicht auch nur, weil ich nicht aufhörte zu fragen. Entsprechend grob fiel seine Antwort aus. „Dann wollte ich es nicht mehr", bestätigter er fast patzig. „Nenn es von mir aus einen sentimentalen Aberglauben. Ich habe es dreimal versucht..."
Dreimal!
„... und du bist mir jedes Mal entwischt. In meinem Weltverständnis nennt sich das Schicksal. Das Schicksal wollte nicht, dass du stirbst, zumindest nicht durch meine Hand. Nenn es Glück, wenn es dir besser gefällt. Nenn es wie immer du willst – bist du jetzt zufrieden?!" Zum Ende hin war er so ruppig geworden, dass ich regelrecht zusammenzuckte. Ich dachte nach, aber es war schwer, all diese neuen Informationen tatsächlich rational zu bewerten.
„Okay", begann ich nach einer Weile erneut. Ruhiger jetzt. „Und was ist mit den anderen? Du hast gesagt, wenn ihr Interesse an mir erst mal geweckt wäre..."
„Das habe ich versucht zu vermeiden", raunte Suga dumpf, „aber du hast mich ja weggeschickt."
Er war jetzt beleidigt? Wirklich? Ich schnaubte entrüstet. „Und der Kerl von heute? Er ist derjenige aus der Kirche, der, den ich in der Bar gesehen hab..."
„Jimin", ergänzte Suga seufzend und sah für einen Moment weg. „Das alles hängt zusammen, Tae. Ich wünschte ich könnte dir sagen, dass es vorbei ist, aber dem ist nicht so. Jimin ist... ich kann es nicht eindeutig beweisen, aber ich bin davon überzeugt er steckt hinter dem Angriff auf deinen Bruder."
„Was?!"
Jetzt sah Suga mich an. „Verstehst du nicht? Wenn er es war, erklärt sich auch der Rest. Er hat deine Witterung aufgenommen, weil er sie an deinem Bruder wahrnehmen konnte. Er war auf der Suche nach dir und er hat dich auch gefunden, dort in der Bar. Er hat dich aus den Augen verloren, weil du meinen Weg gekreuzt hast und-"
„... jetzt ist er wieder hinter mir her", schloss ich dumpf an seiner Stelle.
Suga sah auf seine Hände. „Jimin ist gefährlich. Er ist nicht einfach nur ein unangenehmer Zeitgenosse. Er ist impulsiv, sprunghaft, wenn auch nicht wirklich mutig. Aber er ist auch noch jung, sein Interesse flammt so schnell auf, wie es abflaut. Wenn wir uns also ruhig verhalten-"
„Wir?!", hakte ich sofort ein. „Du meinst, ich soll hierbleiben?"
„Ich kann dich nur hier angemessen beschützen", erklärte Suga.
„Und wenn ich lange genug hierbleibe, dann verliert... Jimin... sein Interesse an mir? Meinst du das? Wie lange kennst du ihn?"
Suga zuckte die Achseln. „Seit seiner Geburt." Er sah mich an und korrigierte dann. „Also, seit seiner Wiedergeburt." Er seufzte erneut. „Damit hat sich Namjoon keinen Gefallen getan, aber bitte, das ist nicht mein Problem. Novizen – ich meine neugeborene Vampire – das solltest du wissen, sind anfangs extrem gefährlich. Sie sind sehr stark, immerhin müssen sie sich in einer Welt behaupten, die ihnen komplett fremd ist und sie haben überhaupt keinen Funken Impulskontrolle. Diese Eigenschaften verlieren sich mit der Zeit, werden abgemildert, vor allem wenn sie zu einem Clan gehören und unter der Hand ihres Schöpfers leben, aber Jimin..." Suga schnalzte abfällig mit der Zunge. „Er ist ein Rebell. 87 Jahre ist das jetzt her, aber er hat diese Wildheit nie ganz abgelegt und auch wenn er zumeist weiß, wohin er gehört und wem er Rechenschaft schuldig ist, ist er doch immer noch eine tickende Zeitbombe."
Ich nickte abwesend, dann blickte ich nachdenklich auf. „Was ist mit deinem Schöpfer? Hat er dafür gesorgt, dass du-?
„Nein", unterbrach mich Suga rüde. „Und ich war die ersten 80 oder auch 100 Jahre auch keine angenehme Gesellschaft, glaub mir."
80 oder auch 100, wow, das hörte sich für mich verdächtig danach an, als wäre das nur eine belanglose Zahl. Und wie alt war er dann wirklich? Da er mir die Frage nicht beantworten wollte, ließ ich sie erst mal wieder fallen. „Du gehörst also zu keinem Clan?", hakte ich nach, auch wenn sein Unterton deutlich kühler geworden war.
Mit einem leisen Knurren hob Suga den Kopf. „Das macht mich nicht zu einem Kuriosum. Die meisten von uns sind Einzelgänger. Gefühle liegen uns nicht... im Blut", zischte er und ich verstummt abrupt.
Wenn das witzig gewesen sein sollte, hatte es seine Wirkung jedenfalls komplett verfehlt. Ein Schauer jagte meinen Rücken hinab und ich verschränkte die Arme vor der Brust. Unbehaglich wandte ich mich ab und überlegte, was ich nun tun sollte. Tatsache war, dass ich ihn vermisste, wenn er nicht da war, ein Phänomen, das ich mir nicht erklären konnte, zumal ich in seiner Gegenwart permanent zwischen Neugier und Furcht schwankte.
„Okay", murmelte ich nach einer Weile. „Und wenn ich bleibe...?"
Suga sah weg. „Keine Sorge. Ich werde dich nicht anrühren."
Nun war es an mir, betreten den Kopf zu senken und nach einer ganzen Weile stand Suga schließlich dumpf murmelnd auf. Er lief an mir vorbei, ohne mich zu berühren, ohne stehenzubleiben, raunte lediglich „komm mit" und so folgte ich ihm still in den Flur, die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo er mich links den Gang hinabführte und schließlich vor einer Tür stehenblieb. Er stieß sie auf, trat aber nicht ein.
„Dein Zimmer", murmelte er nur. Es war nicht dasselbe wie letztes Mal und auch völlig anders eingerichtet. Modern, mit gedeckten Farben und raffinierten Farbtupfern. Dagegen wirkte das Gästezimmer vom letzten Mal, wie aus einer anderen Zeit. „Das angrenzende Bad gehört dir allein. Ich habe nichts zu essen im Haus. Wenn du mir also sagst, was du magst, kann ich etwas bestellen."
„Ich habe keinen Hunger", nuschelte ich und warf einen Blick in das Zimmer. Ich sah ein Fenster und blaue, seidene Vorhänge, die mir bekannt vorkamen. Aber immer noch stand ich an der Schwelle und jetzt drehte ich mich zu Suga um. „Keine Umstände wegen mir."
„Tja, dann werde ich einfach irgendwas bestellen", antwortete er schneidend. „Denn irgendwann wirst du essen."
Da ich nicht wusste, was ich dazu sagen sollte, wandte ich mich jetzt ab und trat in das Zimmer. Für einen Moment trafen sich unsere Blicke, als ich die Tür schließen wollte und plötzlich hielt er sie mit einer raschen Geste auf.
„Du kannst dich im gesamten Haus frei bewegen", erklärte er mit ruhiger Stimme. „Aber du gehst nicht in den Garten oder den Keller ohne meine ausdrückliche Erlaubnis – ist das klar?"
Ich verzog abfällig das Gesicht. „Dann bin ich jetzt dein Gefangener?"
„Mein Gast", konterte Suga, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
Ich schloss die Tür und nach einem kurzen Zögern verriegelte ich sie außerdem, auch wenn ich mir dabei dumm vorkam.
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