Kapitel 21 - Missgeschick
Missgeschick
Der schwarze BMW lauerte vor meinem Haus wie ein hungriges Untier, zumindest kam es mir so vor, als ich aus der Tür trat. Suga war ebenfalls gerade ausgestiegen, auf dem Weg zur Tür, blieb aber jetzt auf halbem Weg stehen, wartete, dass ich zu ihm aufschloss und betrachtete mich dabei nachdenklich.
„Du bist sehr pünktlich", stellte er fest, vielleicht ein bisschen vorwurfsvoll, weil mein Verhalten wohl nicht seiner veralteten Vorstellung entsprach, aber ich beschloss, das heute zu ignorieren.
„Ich bin hungrig", konterte ich frech, was mir dieses Mal immerhin schon ein vages Schmunzeln einbrachte, während wir zu seinem Wagen gingen.
„Hinweis verstanden", sagte Suga leise, öffnete mir die Autotür und sorgte so dafür, dass ich schon wieder verlegen wurde. Es hatte seinen Reiz, keine Frage und trotzdem: Noch nie hatte ich einen Kerl kennengelernt, der auf solche Details, wie die Autotür öffnen, Türen aufhalten, so sehr achtete. Aus welchem Jahrhundert stammte das denn?
Suga lenkte den Wagen durch den abendlichen Stadtverkehr, dann raus in Richtung Vorstadt, wo die teureren Villenviertel lagen und ich versank allmählich etwas tiefer in meinem Sitz. Was hatte er gesagt, machte er beruflich? Vermögensverwalter? Für einen Drogenbaron, oder wie musste ich mir das vorstellen? Wenn ich überschlug, wie viel man verdienen musste, um sich ein Haus in dieser Gegend leisten zu können, dann war er entweder verdammt gut, oder verdammt gerissen. Vielleicht hätte ich die Hinweise ernster nehmen sollen, aber irgendwie hatte ich einfach nicht damit gerechnet, dass jemand aus seiner Liga sich ausgerechnet in meinen Dunstkreis verirrte. Ich glaubte nicht an Märchen und garantiert nicht an Traumprinzen die aus dem Nichts auftauchten. Es sei denn...
Als der Wagen langsamer wurde und ein schmiedeeisernes Tor vor uns auftauchte, warf ich einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster, bevor ich möglichst unbemerkt zu Suga blinzelte. Dieser öffnete das Tor mit einer Fernbedienung und fuhr weiter die geschwungene Auffahrt hinauf.
Ich verwalte, rief ich mir seine Worte ins Gedächtnis zurück. Ein Erbe... Ich hielt den Atem an. Das war alles, was er wirklich gesagt hatte, alles andere hatte ich ihm in den Mund gelegt. Und wenn die korrekte Antwort nun nicht ein, sondern mein Erbe lautete?
Oh mein Gott. Die Idee wirkte nicht mehr halb so abwegig, denn jetzt hielt der Wagen vor einem Herrenhaus im klassischen viktorianischen Stil mit Türmchen, Erkern und einer breiten abgerundeten Terrasse im Eingangsbereich. Ich fühlte mich wie im falschen Film.
Verstohlen musterte ich ihn von der Seite, nicht verstohlen genug, wie ich gleich feststellen konnte, denn Suga wandte sich prompt zu mir um und sah mich an. „Was?", fragte er ruhig.
„Ich... ahm... habe nur gerade überlegt... Wie alt, sagtest du, bist du?"
Er lachte. Ich wusste nicht warum, aber er lachte, schüttelte den Kopf, bevor er mich wieder ansah. „Charmant", sagte er und grinste dabei. „28", antwortete er schließlich doch noch, aber es klang beinahe wie ein Vorschlag, dem ich zustimmen konnte oder auch nicht.
28... völlig verdattert blieb ich sitzen, regte mich erst wieder, als er mir erneut die Tür aufhielt und schob mich dann unbeholfen aus dem Wagen. Ich tappte zwei Schritte vorwärts und blieb wieder stehen, weil ich mit Starren beschäftigt war. „Du bist kein Vermögensverwalter, oder?"
„Nein." Schmunzelnd wandte er sich zu mir um und sah mich an.
„Dann ist es deins?"
Ich kannte die Antwort doch schon und er schwieg auch dazu. Verdammt. Tief atmete ich durch. „Und wie um alles in der Welt, kommt man mit 28 zu so einem Haus?" Das war doch kompletter Irrsinn.
Da nahm er mich plötzlich an der Hand und zog mich einfach mit sich. „Es ist nur alt, okay? Ewig in Familienbesitz, mehr nicht. Sei nicht zu beeindruckt. Komm jetzt."
Ich schmunzelte. Seine Erklärung war leicht, hingeworfen wie nebenbei und genau von der Sorte, wie ich sie im Moment glauben wollte, weil alles andere mich von ihm weggetrieben hätte. Sei nicht zu beeindruckt, war natürlich leicht gesagt. Ich atmete tief ein und langsam wieder aus, spürte wie Sugas Hand sich fester um meine schloss. Das gab letztendlich den Ausschlag.
Ich folgte ihm in das Haus, starrte vermutlich wieder und war tief beeindruckt, anders konnte man es nicht sagen, auch wenn ich mich bemühte, das nicht zu zeigen. Suga erklärte irgendwas zu dem Haus, aber ich bekam nur die Hälfte mit. Dann ging es links durch eine hohe Doppeltür und wir befanden uns in einem Raum, der aussah wie die Mischung aus Salon und Bibliothek und wenn er mich bis jetzt nicht überzeugt hätte, dann spätestens jetzt. Ich zog meine Hand aus seiner und sah mich überrascht um. Das Mobiliar war teuer, in den Regalen standen, manche hinter Glastüren, zum Teil in Leder gebundene Erstausgaben, die sicher ein Vermögen wert waren und an den Wänden fanden sich, neben renommierter Kunst, eine Reihe interessanter Fotografien, auf die ich jetzt zusteuerte.
„Was bist du wirklich?", fragte ich und musste dabei grinsen. „Kunsthändler?"
Suga sah sich ebenfalls um, ganz so, als versuche er den Raum durch meine Augen zu sehen. „Eher Kunstliebhaber, wenn man so will."
Ich blieb vor den Fotografien stehen und betrachtete sie eine Weile und schlenderte dann weiter. Bücherregale, jede Menge Bücherregal, die bis an die Decke reichten. Mit schiefgelegtem Kopf überflog ich Buchtitel, meine Hand glitt über den ein oder anderen Buchrücken. Er hatte wohl nicht gelogen, was das Lesen betraf. Es folgte ein Knick nach rechts, dort stand ein alter, wunderschöner Sekretär aus dunklem, schimmerndem Holz, flankiert von zwei weiteren Fotografien.
Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte auf die Bilder. Das war... unmöglich. Ein Schauer jagte meinen Rücken hinab und ich bekam eine Gänsehaut.
„Und diese hier?" Meine Stimme war plötzlich rau und brüchig. Die Kinder mit den Seifenblasen und die Verschmelzung der Tänzerinnen. Beide waren auf Erins Ausstellung gezeigt worden, beide waren von mir. Das konnte kein Zufall mehr sein.
„Sind von jemanden, den ich kenne", murmelte Suga in meinem Rücken und ich erschrak so sehr, dass ich regelrecht zusammenfuhr, bevor ich mich zu ihm umdrehte.
„Woher hast du sie? Nein..." Ich wiegelte ab, ich wusste ja woher. „Ich meine, warum hast du sie?"
„Weil sie mir gefielen?", schlug Suga vor, aber das wollte ich so nicht gelten lassen. Die Erklärung war zu simpel und die Tatsache, dass er sie hatte wiederum zu verrückt. Ich verschränkte abweisend die Arme vor der Brust und wartete auf eine weitere Begründung.
„Meine Einschätzung an jenem Abend im Club war nicht so schlecht", fuhr Suga fort und schien mein Unbehagen gar nicht zu bemerken. „V steht für den Künstler, hm?" Er sah mich an, schmunzelte vage, wahrscheinlich über mein finsteres Gesicht, bevor er die Hand ausstreckte und mich tatsächlich berühren wollte. Ich wich ihm aus und Suga lachte auf.
„Was? Ist es so schlimm, dass ich sie habe?"
„Nein", ich schnaubte. „Nicht einfach nur schlimm. Es ist gruselig. Und sag mir jetzt ja nicht, das wäre schlicht ein Zufall, denn das glaube ich dir nicht. Wir haben nie wirklich über meine Arbeit gesprochen und-" Ich brach ab, weil ich plötzlich begriff, dass er sie bereits gekauft haben musste, bevor wir uns trafen und das wiederum war fast noch gruseliger. Vielleicht wurde ich auch etwas blass, denn jetzt fasste Suga wieder nach meiner Hand, hielt sie fest und forderte meine Aufmerksamkeit.
„Also schön, ich war auf der Ausstellung, ich habe sie gesehen, ich habe sie gekauft. Sie haben..." Nachdenklich drehte er sich zu den Bildern um und plötzlich veränderte sich etwas in seiner Stimme. Er klang, als hätte er längst vergessen, dass er mit mir sprach. „... diese Schatten, diese eigenwillige düstere Seele, obwohl sie eigentlich leicht anmuten sollten und - ich konnte nicht widerstehen." Er blinzelte, dann drehte er sich abrupt wieder zu mir um und musterte mich verkniffen. „Ich meinte das als Kompliment."
Natürlich. Trotzdem war mir jetzt ganz seltsam zumute, denn er hatte Recht, den Bildern haftete etwas Düsteres an, obwohl das nie beabsichtigt gewesen war. Ich war nur bisher der Meinung gewesen, dass das außer mir niemandem aufgefallen wäre.
„Im Katalog waren die Künstler aufgeführt- mit Foto", er lächelte schwach. „Und dann warst du plötzlich in diesem Club..."
„Du- meinst, du hast mich erkannt?" Meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Krächzen.
Dieses Mal antwortete Suga nicht, wandte sich halb ab und überging die Situation mit einem fast schroffen: „Ich glaube du brauchst was zu trinken, hm?"
„Ja, glaube ich auch", murmelte ich schwach, ließ mich von ihm weiterführen in den nächsten Raum, ein überaus modernes Wohnzimmer, dominiert von Glas, Chrom, dunklen Möbeln und weißen Teppichen. Mitten im Raum blieb er stehen und sah mich an, doch noch ließ er mich nicht los.
„Wein?"
Ich nickte, aber immer noch hielt Suga meine Hand. „Okay, ich war auf dieser Ausstellung, ich habe diese beiden Bilder gekauft und noch zwei weitere von einem anderen Künstler. Versprichst du mir bitte, dass du nicht davonläufst, wenn ich dich jetzt loslasse?"
Das war gemein, denn er brachte mich zum Schmunzeln und meine Panik verflog wieder etwas.
„Du rennst auch nicht zurück in die Bibliothek und fackelst meine Bilder ab?"
Ich grinste. „Meine."
„Meine. Ich habe dafür bezahlt. Einen ziemlich stolzen Preis, wenn ich mich richtig erinnere." Er ließ meine Hand los, ging ein paar Schritte rückwärts, ohne mich aus den Augen zu lassen und wandte sich schließlich schmunzelnd ab. Er verschwand durch eine Tür. Unterdessen atmete ich tief durch und wanderte ein wenig im Raum auf und ab. Ich war angespannt, keine Frage, weil einfach alles hier, das Haus, Suga selbst, die Sache mit den Bildern so weit ab jeglicher Norm war, aber mir war auch klar, dass es nur zwei Optionen gab: Ich konnte es in den Griff kriegen, oder den Abend abbrechen und gehen.
„Kein Feuer, ich bin beruhigt", sagte Suga, als er zurückkam und reichte mir schmunzelnd ein Weinglas. „Alles okay?"
„Ja, danke." Ich nahm das Glas, stürzte die Hälfe des Inhalts in mich hinein und hoffte, dass sich der Alkohol möglichst schnell verteilen und mich etwas beruhigen würde. Der Wein war gut, vor allem aber stark und als ich noch einen tiefen Schluck nahm, legte Suga eine Hand auf meinen Arm.
„Du... solltest das etwas langsamer angehen."
Sollte ich tatsächlich. „Sorry", murmelte ich und grinste verlegen. „Ich bin irgendwie nervös."
Er kam einen halben Schritt näher, berührte meine Wange und sah mir in die Augen. Ein vages Lächeln huschte über seine Miene. Dann rutschte seine Hand in meinen Nacken und warme Finger strichen über meine Haut.
„Merkt man kaum", hauchte er an meinem Mund und wich wieder zurück, bevor ich ihn küssen konnte. Ein schelmisches Funkeln war in seinen Augen. „Wie wäre es mit Essen?"
Ich hätte ja lieber noch mehr getrunken, aber mein Körper war ein elender Verräter. Allein beim Wort Essen knurrte mein Magen laut genug, dass man es hören konnte. Suga lachte verhalten, nahm mich mit sich und die vorläufige Führung durch das Haus endete im Esszimmer.
An dem einen Ende der langen Tafel standen jede Menge Warmhalteplatten mit abgedeckten Tellern darauf. Die Menge an Essen hätte vermutlich für eine ganze Abendgesellschaft gereicht, was auch klarmachte, dass Suga nicht gekocht hatte. Das hätte mich auch ziemlich erstaunt.
„Du hast einen Koch?"
„Bitte?" Überrascht blieb er stehen und blinzelte mich an, während ich auf die Vielfalt am Tisch wies. Dann grinste er schief. „Nein, ich bestelle nur gerne. Und ich wusste nicht, was du magst, also..." Er ließ das als Erklärung so stehen und ich grinste in mich hinein. Wenigstens war er ehrlich.
Mittendrin legte sich Sugas Hand in meinen Rücken und schob mich leicht an. „Setz dich doch", raunte er leise, nahm mir das Weinglas ab und stellte es auf den Tisch. Er griff sich auch die Flasche und ich verfolgte, wie er erst meins, dann ein zweites Glas einschenkte und es am Kopfende der Tafel abstellte. Der andere Platz, rechts daneben, war eingedeckt wie in einem 5-Sterne-Restaurant. Aber eben nur dieser eine Platz - meiner. Mit einem seltsamen Gefühl in der Magengegend setzte ich mich, verfolgte, wie Suga neben mir Platz nahm, bevor ich ungläubig den Kopf schüttelte. Ich lachte verunsichert.
„Heißt das, du willst gar nichts essen?"
„Ich habe keinen großen Appetit", antwortete er prompt. „Aber ich habe dir ein Essen versprochen und das wollte ich halten."
„Du erwartest nicht wirklich, dass ich allein esse, oder? Das ist..."
„Ich leiste dir Gesellschaft", unterbrach er mich, nahm meine Hand und spielte mit meinen Fingern. „Außerdem hast du Hunger, also sei nicht so schüchtern."
„Ja..." Ich rollte mit den Augen, musste aber gegen meinen Willen grinsen. „Aber du isst nicht, du siehst mir nur zu, das ist... schon seltsam, musst du zugeben."
Suga zuckte die Schultern, schnappte sich schmunzelnd das Weinglas und nahm einen Schluck, bevor er es wieder abstellte. „Ich gebe nicht wirklich was auf Dinnerregeln. Iss", forderte er mich auf, als mein Magen sich erneut lautstark meldete und lachte dann. „Oder brauchst du Hilfe?" Damit sprang er wieder auf, nahm meinen Teller und begann alle möglichen Häppchen darauf zu packen.
„Hey!" Ich sprang ebenfalls auf, eroberte meinen Teller zurück und naschte noch im Stehen mit den Fingern davon. Suga schien zufrieden, denn er grinste breit, während ich mir verlegen die Finger ableckte und mich dann wieder auf meinen Stuhl plumpsen ließ. Und während ich tatsächlich aß, beobachtete mich Suga schmunzelnd über sein Glas hinweg. Wie ich mich dabei fühlte, war schwer zu beschreiben. Einerseits war es so eigenwillig, dass ich unruhig auf dem Stuhl herumrutschte, andererseits war es gerade die bizarre Situation selbst, die mich vollkommen fesselte. Und je mehr Hemmungen ich verlor, desto mehr Aufmerksamkeit bekam ich, wie es schien. Es war ohne Frage befremdlich, schürte meine Verlegenheit fast im selben Maß wie meine Aufregung, zumal ich mich der unterschwelligen Sinnlichkeit die das alles begleitete, nur schwer entziehen konnte. Es war unschuldig und es war verdorben, wann immer sein Blick auf meinen Mund abrutschte, wenn ich mir die Finger leckte, oder wenn ich sah, wie seine Hand beinahe unruhig mit dem Weinglas spielte.
Und während also mein Körper in dieser unnatürlichen Anspannung flirrte, versuchte ich das mit einem koketten Grinsen zu überspielen. Ich nahm noch einen Bissen, sah ihm in die Augen und spielte mit meinem Besteck. „Ist das irgendein Fetisch?", fragte ich, ohne Vorwarnung.
Suga, der gerade aus seinem Glas trank verschluckte sich und setzte es hustend wieder ab. Er blinzelte mich an, leckte sich die Lippen und lachte schließlich heiser. „Oh Himmel! Allmählich mache ich mir so meine Gedanken zu deinen Erfahrungen. Ich bin kein Feeder, wenn du das dachtest."
Ich grinste frech. Die Anspannung legte sich ein klein wenig. „Okay..." Dann schob ich meinen Teller weg, griff nach meinem eigenen Weinglas, aber es war schon wieder leer, also stellte ich es etwas verlegen zurück.
„Besser jetzt?", fragte Suga. Ich nickte stumm und er stand wortlos auf, umrundete den Tisch und seine freie Hand strich behutsam über meinen Nacken, bevor er neben mir stehen blieb und mir die Hand reichte. „Komm", forderte er mich leise auf und wir kehrten in das Wohnzimmer zurück.
Er wies auf das Sofa, murmelte „setz dich", und schlenderte weiter zur gegenüberliegenden Seite, wo er vor einer Musikanlage stehenblieb. „Irgendwelche Präferenzen?"
„Bitte?!"
„Musik.", er lachte leise. „Willst du was bestimmtes hören?"
„Nein - was immer du willst." Wie zweideutig das klang wurde mir erst bewusst, als ich die Worte ausgesprochen hatte und wandte mich rasch ab. Lag vermutlich am Wein, ich sollte schleunigst damit aufhören, gegen meine Unsicherheit anzutrinken, das würde ganz sicher nicht gut ausgehen.
Mit diesem Vorsatz sah ich mich um - ich konnte mich nicht hinsetzen, dafür war ich gerade zu aufgewühlt - und entdeckte eine wunderschöne alte Spieluhr in einer Vitrine in der Nähe. Gerade als ich die Glastür öffnen wollte, trat Suga hinter mich. „Nicht anfassen", sagte er leise, trotzdem erschrak ich so sehr, dass ich mit einem Ruck zu ihm herumfuhr. Dabei schlug ich ihm beinahe das Weinglas aus der Hand, dass er mitgebracht hatte und ich zischte leise.
„'Tschuldigung", stieß ich rau hervor.
Er war mir so nah, dass ich automatisch einen Schritt zurückmachte. Nicht, weil seine Nähe mir unangenehm war, sondern weil es so ohne Vorwarnung geschah. „I-ich ahm... w-wollte n-"
Herrgott, jetzt begann ich auch noch zu stottern! Das war wirklich der Höhepunkt meiner beschämenden Selbstdarstellung. Was war denn nur los mit mir? Rasch schnappte ich mir das Glas, der Vorsatz, nichts mehr zu trinken, ging gerade wieder über Bord.
„Diese Spieluhren sind sehr alt", begann Suga, öffnete dabei die Glastür und nahm das Exemplar heraus, das ich bewundert hatte. „... sehr empfindlich..."
„Okay."
„Hand auf." Er schmunzelte, setzte das kleine Kunstwerk in meine Handfläche und fuhr dabei flüsternd fort: „Und unanständig... teuer..."
„Oh... ich ahm... w-wollte wirklich nicht... Du solltest...!" Himmel! Was - meinte er? Unanständig...? Und warum gab er sie mir dann!? Ich wollte sie ihm zurückreichen, aber er ignorierte meine Geste.
Stattdessen zog er sie behutsam auf und eine leise, mir unbekannte Melodie erklang. Es klang wie ein Schlaflied und gleichzeitig auch irgendwie beängstigend.
„Diese hier stammt aus Russland", erklärte Suga flüsternd und obwohl mich die Melodie irritierte, sorgte sie auch dafür, dass eine verborgene Saite in mir anschlug. Mir wurde ganz seltsam und ich erschauerte, während ich die kunstvollen Schnitzereien, die kleinen Figuren und detailreichen Elemente betrachtete.
„Wunderschön...", murmelte ich vor mich hin.
„Nicht wahr?", entgegnete Suga ebenso leise, nahm mir dann die Spieluhr aus der Hand und stellte sie vorsichtig wieder auf ihren Platz. Ich fühlte mich immer noch völlig benommen, ohne zu wissen, woher dieses unbestimmte Gefühl kam und als Suga sich wieder zu mir umdrehte, ruhte sein Blick auf meinen Augen. Er schien regelrecht in mir zu lesen. Hektisch strich ich mir über den Nacken.
„Du machst mich nervös", gab ich flüsternd zu, wich dabei ein wenig zurück und stolperte dabei über die Teppichkante. Was dann geschah, war im Nachhinein nur schwer zu rekonstruieren. Ich hatte immer noch das Glas in der Hand und während ich mit der einen Hand rudernd mein Ungleichgewicht ausbalancieren wollte, stieß ich mit der anderen gegen ein Hindernis. Der filigrane Stiel glitt mir aus den Fingern und obwohl ich wie in Zeitlupe zusehen konnte, wie das Glas an die Vitrine stieß, gegen die ich gestolpert war, griff ich danach. Unter meinen Fingern zerbarst es in unzählige Splitter. Ich spürte einen scharfen Schmerz und musste hilflos zusehen, wie Blut aus meiner Hand hervorquoll und sich auf dem hellen Teppich mit der roten Flüssigkeit aus dem Glas mischte. Etwas traf mich heftig im Rücken, oder ich fiel endgültig, ich wusste es nicht, aber Sekunden später knallte ich mit dem Kopf gegen etwas hartes und die Welt trübte sich ein.
Es tut mir leid, dachte ich noch, auch wenn mein Mund nicht fähig war, die Worte zu formen, dann schrumpfte mein Blickfeld bereits.
Alles war rot.
Irgendwo weit weg, war ein schrilles Kreischen, das wie ein Diamant durch Glas schnitt, dann wurde das Rot zu einem tiefen Schwarz.
~*~
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro