Kapitel 13 - Fratzen
Fratzen
Das erste was ich noch an diesem Abend machte, war, mit Erin zu telefonieren, um zu klären, wann ich ins Studio konnte. Genau wie ich, fotografierte er gerne noch klassisch auf Film und hatte damit auch eine Dunkelkammer. Erin kannte ich schon ewig, im Grunde schon seit ich hier angekommen war und seit ich mein Hobby zu meiner Verdienstquelle gemacht hatte, hatte ich auch einen Schlüssel zu seinem Studio. Erin war auch derjenige, der mir immer wieder Aufträge verschaffte und mich auf diverse Ausstellungen brachte. Allerdings war ich nur nach Ladenschluss oder an den Wochenenden da, wenn er nicht geöffnet hatte, machte meinen ganzen Kram alleine und zahlte dafür auch nur Verbrauchskosten.
Heute gaben wir uns quasi die Klinke in die Hand und während Erin mit einem breiten Grinsen seinen Feierabend anstrebte, machte ich mich an die Arbeit. Die Arbeit in der Dunkelkammer hatte für gewöhnlich eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich mochte die Stille, das gedämpfte rote Licht, das alle Konturen weichzeichnete und die Arbeit, die mit der Entwicklung der Bilder einherging. Dass es Zeit brauchte, dass nichts und niemand den Vorgang beschleunigen konnte und ich mochte es, zu sehen wie etwas, das ich nur durch die Linse eines Objektivs gesehen hatte, vor meinen Augen lebendig wurde, auf Papier gebannt, für immer. Ein eingefangener Moment – etwas, das es sonst nicht gab.
Wie gesagt, für gewöhnlich. Heute war es etwas anderes, das mich unruhig machte. Ich hatte unter anderem den Film vom Friedhof dabei und wusste, dass einige sehr gelungene Aufnahmen darunter waren, aber das war zweitrangig. Es waren die anderen Bilder. Die von Suga und von seinem namenlosen Bekannten. Die Lüge – dass ich keine Aufnahmen gemacht hatte, das Wissen, dass er die Lüge durchschaute hatte und eine unterschwellige Angst, dass er nach mir suchen würde. Warum auch immer. Der Gedankengang war seltsam, das war mir bewusst, andererseits war unser Zusammentreffen auch nicht gerade freundlich gewesen und das schürte mein Misstrauen. Womöglich hatte ich etwas gesehen, was ich nicht hätte sehen sollen.
Mehrmals schon war der Gedanke in meinem Kopf aufgeflammt, dass Suga in Machenschaften verstrickt sein könnte, die vermutlich illegal waren, aber noch nie hatte es sich so angefühlt, als wäre ich der Wahrheit gefährlich nahe gekommen. Verdammt. Und was, wenn meine Intuition richtig gewesen war?
Es fiel mir schwer, mich zu beruhigen, dennoch zwang ich mich dazu, mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Wenn ich den Film und die Bilder durch das Auge des Fotografen betrachtete, ging es vorrangig um den künstlerischen Aspekt und nicht um das Aufdecken geheimer Machenschaften. Die Negative waren vielversprechend, blieb abzuwarten, ob ich mich getäuscht hatte. Doch normalerweise konnte ich auf meine Einschätzung vertrauen, auch auf meinen Blick für Details, Stimmung, Licht. Es war nichts, was ich jemals trainiert hätte, es war einfach da.
Als ich die entwickelten Bilder allerdings aufhängte, kam die Ernüchterung. Mit wachsendem Entsetzten betrachte ich ein Bild nach dem anderen, schaltete dann ungläubig das Licht an und starrte erneut auf die Bilder. Das war... nicht möglich. Keins der Bilder war gut, sie waren noch nicht mal schlecht, sie waren schlichtweg... ruiniert. Sie waren verschwommen, aber nicht verwackelt, weil Einzelheiten, ein Baum etwa, ein Grabstein, tatsächlich gestochen scharf waren, aber weder Suga, noch der unbekannte Kerl waren auf einem der Fotos zu erkennen. Ihre Gesichter waren verschwommen, verzogen, teils verzerrt zu gruseligen Fratzen, selbst die Hände sahen grotesk aus, wie lange verkrüppelte Krallen oder weiße Spinnenbeine, sie glichen dürren bleichen Zweigen die aus dunklem Stoff hervorstachen. Mit einem Schaudern warf ich das Foto, das ich gerade in den Händen hielt, auf den Tisch. Ich wollte es nicht einmal anfassen, so abartig sah es aus. Der Rest war genauso und am schlimmsten waren alle Aufnahmen die ich herangezoomt hatte. Wenn ich lange genug auf die verschwommenen Nebelfetzen starrte, griente mich ein zerfaserter bleicher Totenschädel an, schwarzer Löcher anstatt funkelnder Augen und ich warf auch dieses Bild angewidert auf den Tisch. Schließlich sprang ich wieder auf und nahm mir noch einmal die Negative vor. Mit der Lupe über den Lichtkasten gebeugt ging ich die Bilder durch und prallte beim ersten Bild von Suga erschrocken zurück.
Es war auch auf den Negativen. Jetzt war es da, aber ich hätte auf mein Leben geschworen, dass es davor nicht dagewesen war. Sekundenlang war ich wie erstarrt, dann sprang ich auf und raffte hastig meinen Kram zusammen. Ich packte alles ein, räumte so schnell auf, wie es möglich war und verließ fluchtartig das Studio.
Auf dem gesamten Heimweg hatte ich die grauenvollen Bilder im Kopf und eigentlich war es nur Zufall, dass ich den Wagen sah, bevor dessen Besitzer mich sah. Ich hatte die Abkürzung über einen Hinterhof genommen und war noch so abgelenkt, dass ich kaum auf meine Umgebung achtete. Ich sah auf, weil irgendwo über mir ein Fenster knallte und in diese Bewegung hinein, wo ich den Kopf hob, sah ich die Spiegelung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Abrupt blieb ich stehen und drückte mich an die Hauswand.
Das war Sugas Wagen und er stand, Motor und Licht aus, direkt an der Straße vor meinem Haus. Ich konnte nicht sehen ob er drinsaß, vermutete es aber und plötzlich wurde mir seltsam kalt. Wenn er dort auf mich wartete, hieß es wohl auch, dass er versucht hatte, mich zu erreichen. Doch weder hatte ich einen verpassten Anruf, noch eine Nachricht auf meinem Handy. Immer noch zögerte ich, doch dann machte ich auf dem Absatz kehrt und lief wieder zurück. Was für eine verdammte Scheiße! Und was sollte ich jetzt tun? Ich konnte doch nicht schon wieder bei Hoseok aufschlagen – allmählich wurde das zu einer dummen Angewohnheit und wahrscheinlich würde Jungkook das auch nicht witzig finden. Aber was sollte ich tun? Ins Studio zurück? Aber dort konnte ich unmöglich übernachten, weil es kein Hinterzimmer gab und Erin würde mich vermutlich für verrückt erklären, wenn er mich morgen hinter der Ladentheke schlafend fand. Ich brauchte einen Platz, wo ich mich verstecken und er mich nicht finden konnte, wenn er mich suchte. Wenn er mich suchte.
Shit. In welche Sache war ich da nur hineingeraten? Ich dachte auch darüber nach, dass es vielleicht besser gewesen wäre, ihm den Film auszuhändigen, doch dafür war es jetzt zu spät. Ich hatte entwickelte Fotos in meiner Tasche und ganz gleich was sie zeigten, was ich entdeckt oder nicht entdeckt hatte, ich musste davon ausgehen, dass Suga das nicht glücklich machen würde. Ich lief kreuz und quer durch die Stadt, steuerte dann das nächste Stadthotel an, an dem ich vorbeilief und nahm mir ein Zimmer.
Die Anonymität gab mir ein bisschen Sicherheit und ich war froh, als ich endlich die Tür hinter mir absperren konnte. Ich warf die Tasche mit den Bildern auf einen Sessel in der Ecke, ging vor dem Minikühlschrank in die Knie, um mir was zu trinken zu nehmen, dann löschte ich das Licht und schlich mich an das Fenster heran. Für eine Weile beobachtet ich die Straße unter mir, das Fenster ging auf die Hauptstraße hinaus und war schräg links über der Eingangstür. Kein Schatten, keine BMWs die wie schwarze Katzen durch die Straßen schlichen. Ich atmete erleichtert auf, trat zurück und warf die Tagesdecke vom Bett auf den Sessel über die Bildertasche. Ich schloss die schweren Vorhänge und jetzt fühlte ich mich etwas besser.
Nach einer ausgiebigen Dusche überlegte ich kurz, ob ich den Zimmerservice beauftragen sollte, doch die Vorstellung, die Tür nochmal öffnen zu müssen, war unangenehm und so begnügte ich mich mit den Knabbereien, die auf dem Tresen lagen. Immer noch verfolgten mich die Bilder und ich wagte es nicht, sie noch einmal herauszunehmen und anzusehen, dafür schrieb ich eine Nachricht an Hoseok und bat ihn um ein Treffen für den nächsten Tag. Ich versicherte ihm auch, dass es mir gutging, damit er sich nicht unnötig Sorgen machte, doch keine zehn Minuten später rief er trotzdem an.
Wir redeten ein bisschen, ich log ihm vor, dass alles in Ordnung wäre, verschwieg, dass ich im Hotel war und dieses Mal glaubte er mir wohl, denn wir verabredeten uns für ein spätes Frühstück im Café.
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