Kapitel 11 - Alleingelassen
Alleingelassen
Nachdem Suga also weg war und auch nichts von sich hören ließ, versuchte ich mich mit Arbeit abzulenken. Es brachte ja auch nichts, ständig über alle Möglichkeiten nachzugrübeln und so verordnete ich mir eine emotionale Pause, bis er wieder zurück war. Ich war gewillt, für den Moment die Dinge positiv zu betrachten. Wir würden reden, wenn er zurück war, wir würden das klären. Mit dieser Entscheidung fühlte ich mich etwas besser und überlegte, ob ich nicht gleich zu meiner ersten Fototour aufbrechen sollte. Ich hatte einige Anfragen vorliegen, unter anderem von Erin, einem befreundeten Fotografen, und das würde mich genug auf Trab halten, um nicht ständig über Suga, Krankenhäuser oder sexy Langfinger nachzudenken. Es würde mir auch ein bisschen Stabilität bringen, was meine Psyche betraf, da war ich mir sicher, denn ich liebte meine Arbeit, konnte mich darin verlieren und das erdete mich meistens von ganz allein.
Allerdings, auch das wurde mir recht schnell klar, brauchte ich für diese Touren ein Auto. Da ich selbst keins besaß, war mein nächster Schritt erneut ein bettelnder Anruf bei Hoseok. Ich bat ihn, mir sein Auto leihen zu könne, weil ich für meinen nächsten Auftrag ein paar hübsche Kirchen und Friedhöfe in der näheren und weiteren Umgebung abklappern wollte und wir verabredeten uns zur Übergabe in unserem Stammcafé.
Als ich durch die Tür kam winkte mir Hoseok breit grinsend zu, ich eilte an seinen Tisch und ließ mich schnaufend auf den Platz gegenüber fallen.
„Was ist denn mit dir passiert?", fragte ich und rümpfte die Nase, während er schmatzend seinen Erdbeermilchshake schlürfte. „Bist du heute nostalgisch?"
„Unterzuckert. Lass mich." Er streckte mir die Zunge raus und schlürfte noch mehr von dem süßen Zeug, leckte Sahne von seinem Löffel und wirkte durch und durch zufrieden. Ich beließ es dabei, orderte meine übliche Bestellung und bis sie gebracht wurde erklärte ich Hoseok kurz ein paar Einzelheiten, meines neuen Projekts und wozu die Tour zu den Kirchen gedacht war.
„Friedhöfe? Brr..", machte er und schüttelte sich leicht. „Ist das nicht gruselig?"
„Ich laufe ja nicht nachts dort rum. Alte Friedhöfe sind wunderschön. Warst du schon mal in Erie? Du könntest mich begleiten..."
„Sorry, ausgebucht", er zog die Nase kraus und löffelte noch mehr Sahne. „Aber du kannst den Wagen haben, ich werde ihn das Wochenende vermutlich ohnehin nicht brauchen."
Diese Aussage kommentierte ich schmunzelnd und mit einem Augenrollen. „Wie zweideutig."
„Nein", widersprach Hoseok grinsend. „Das war ziemlich eindeutig, im Gegensatz zu diversen Nachrichten von dir... Was treibst du denn die ganze Zeit, hm?"
„Nichts illegales", antwortete ich ebenso knapp, lachte und trank von meinem Kaffee. Das war wohl Hoseoks Signal, denn er schob sein Glas weg und verschränkte die Arme auf dem Tisch.
„Ah, der mysteriöse Suga ist wieder im Rennen. Na gut, erzähl, ich will alle schmutzigen Details."
Gegen meinen Willen musste ich grinsen und schlug nach ihm. „Hör auf ihn immer so zu nennen. Er ist nicht mysteriös, nur..."
„Ach nicht?"
Okay, eigentlich war er das schon, aber ich blieb trotzig und ging nicht darauf ein. „Nur... anders", schloss ich vage.
„Anders, mhm", machte Hoseok und ich sah wie seine Augenbrauen zuckten. Ich wusste was das bedeutete. Er war immer noch nicht überzeugt, dass er der Richtige für mich war, aber mir zuliebe war er gewillt, sein abschließendes Urteil noch zu verschieben, wofür ich im Moment wirklich dankbar war. Ich war verunsichert genug, ich brauchte keinen Freund, der das noch verstärkte. Ich brauchte jemanden, der meine Hand nahm und mir sagte, dass schon alles gut werden würde.
Leise seufzend griff ich zu meiner Tasse. Hoseok wartete bis ich trank, dann folgte: „Hat er dich jetzt endlich flachgelegt?"
Ich verschluckte mich, der heiße Kaffee verbrannte mir die Zunge und Tränen stiegen mir in die Augen. Hustend und nach Atem ringend stellte ich die Tasse ab. „Du bist manchmal so dämlich, echt. Machst du das extra?"
Hoseok grinste zufrieden. „Sicher", gab er unumwunden zu. „Ey, du und dieser Kerl, ihr habt es nicht anders verdient, klar? Du machst so ein Geheimnis um ihn, dass ich mich manchmal frage, ob er überhaupt echt ist."
„Ich mache gar kein Geheimnis."
Das brachte mir einen schiefen Blick ein und eine hochgezogene Augenbraue.
„Okay, ein bisschen", gab ich zu und seufzte dann leise. „Als wir neulich aus waren und meine Brieftasche weg war, hast du mich doch zur Polizei gebracht. Na ja zufällig", ich dehnte das Wort und kräuselte die Nase, „hatten wir da dann ein zufälliges Treffen..."
Hoseok musterte mich verkniffen. „So viele Zufälle in einem halben Satz. Warum habe ich den Eindruck, dass ich dieses rein zufällige Treffen ganz anders interpretieren würde als du?"
„Ich weiß nicht", konterte ich spitz, „vielleicht weil du ein unverbesserlicher Schwarzseher bist?"
Das war er natürlich nicht und ich war ihm dankbar, dass er in Bezug auf die Kerle, die ich kennenlernte, immer so viel Geduld bewies. Das war auch schon so gewesen, bevor wir ein Paar geworden waren und es hatte sich bis heute nichts daran geändert.
Ich seufzte leise und wurde wieder etwas ernster. „Findest du es sehr schlimm, wenn ich einfach noch ein kleines bisschen an ihm festhalten will?"
„Das ist die einzige Sache, die ich nicht schlimm finde", erklärt Hoseok und betrachtet mich ernst. „Taehyung, ich kenne dich doch. Du verstrickst dich in diese Sache und von ihm kommt nichts zurück. Das macht mir Sorgen. Er taucht auf, er taucht ab, er erzählt nichts, er gibt kryptische Erklärungen - ist dir nicht klar, wonach das klingt, Tae?"
„Ich weiß."
„Was wenn er in krumme Geschäfte verwickelt ist?"
Ich seufzte. „Glaubst du daran habe ich noch nicht gedacht?"
Hoseok sah mich an und schüttelte leicht den Kopf. „Und das macht dir keine Angst?"
„Es macht mir eine Scheiß-Angst", zischte ich und beugte mich über den Tisch. „Aber vielleicht will ich im Moment einfach nicht darüber nachdenken, okay? Es ist in letzter Zeit so viel Mist passiert, ich will einfach noch einen Moment daran glauben, dass die Sache zwischen ihm und mir... keine Ahnung. Sagen wir... auch nur deswegen so holprig startet, weil in meinem Leben gerade wieder mal alles drunter und drüber geht. Ich möchte uns einfach noch ein bisschen Zeit geben."
„Uns", warf Hoseok schnaubend ein und ja, jetzt merkte ich selbst, dass das doof klang, zumal es ja bisher kein wirkliches uns gegeben hatte.
„Ja, schon gut", knurrte ich unwillig. „Dann nicht uns, dann eben was immer dir gefällt. Nenn es, wie du willst. Und du brauchst mir auch nicht mit der Moralkeule kommen, wenn ich etwas erfahre, wenn ich irgendwas mitkriege, das nicht koscher ist, bin ich weg. Aber im Augenblick - nenn mich naiv, ist okay - ich will einfach noch ein bisschen die Scheuklappen auflassen."
„Ich verstehe", murmelte Hoseok mir gegenüber und atmete tief durch. Dann stahl sich ein kleines, schmutziges Grinsen auf sein Gesicht. „Der Kerl muss im Bett der Hammer sein."
Mit einem tiefen Seufzen schloss ich die Augen und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. „Und, würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass es noch nicht passiert ist? Wir waren ja noch nicht mal-" Ich brach ab, was sollte ich auch sagen.
Hoseok richtete sich überrascht auf und machte ganze große Augen. „Verarsch mich", raunte er. „Ernsthaft?"
„Ich schwöre... beim Leben meiner Schwester."
Sofort bröckelte Hoseoks Lachen aus seinem Gesicht. „Das ist nicht witzig", raunte er.
„Es war auch nicht witzig gemeint." Ich rührte eine Weile schweigend in meinem Kaffee, auch wenn es da nichts zu rühren gab, bevor ich wieder aufsah. „Ich kann noch nicht mal sagen warum", begann ich schließlich. „War jetzt nicht so, als hätte es nicht die ein oder andere Gelegenheit gegeben. Aber..." Ich wusste nicht, was ich noch sagen sollte, also zuckte ich die Schultern, bevor ich fortfuhr. „Manchmal ist er so... anzüglich. Da reicht ein Wort, eine Geste und ich denke, okay, lass dich drauf ein, lass ihn dich umhauen und dann, im nächsten Moment", ich schnippte mit den Fingern, „als wenn nichts gewesen wäre. Abweisend, distanziert - keine Ahnung, wie ich das nennen soll. Es geht die ganze Zeit hin und her und hin und her - er macht mich wahnsinnig."
Hoseok lächelte schwach. „Vielleicht solltest du ihn einfach überrumpeln?", schlug er vor.
„Habe ich versucht... aber..." Ich spielte mit meinem Löffel. „Ich weiß auch nicht, womöglich bin ich ja zu unbeholfen."
„Bist du nicht", sagte Hoseok und lächelte dabei erneut vage. „Ich muss es wissen."
Auch das machte mich jetzt ein bisschen verlegen und ich sah weg. Nach einer Weile war es dann Hoseok, der das Thema wieder aufgriff und mit einem neuen Aspekt beleuchtete.
„Und wenn er... gar nicht darauf steht? Mal darüber nachgedacht?"
„Hm? Was?" Ich wusste tatsächlich nicht, was er meinte und sah ihn wohl ziemlich ratlos an, denn Hoseok grinste schief, strich sich durch die Haare und sah kurz weg.
„Na Sex", wurde es dann nur.
Auch das dauerte einen Moment und schließlich wiegelte ich schnaubend ab. „Dann solltest du aber mal erleben, wie er küsst. Fuck, ehrlich Hoseok, ich übertreibe nicht, er kann küssen, da zieht es dir den Boden unter den Füßen weg."
Beeindruckte Hoseok nur nicht. Er sah mich ganz ruhig an, zuckte die Schultern und meinte: „Na und? Das eine hat mit dem anderen ja nichts zu tun."
„Ach nicht?"
„Vielleicht ist er asexuell - kuscheln ja, Sex nein."
„Asexuell...", wiederholte ich tonlos und als Hoseok mich ansah, begann er zu prusten.
„Oh Gott, du Armer, wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest. Stellst du dir gerade dein restliches Leben mit ihm vor? Hey, das war nur dummes Geplänkel, vergiss es wieder. Außerdem...", er plusterte sich auf, „was soll denn das mit dem Küssen, hm? Hast du nicht immer behauptet, ich wäre dein erklärter Gott?"
Ich wurde rot. Fuck! Ich wurde tatsächlich rot und Hoseok grinste selbstzufrieden. „Ha!", machte er und mir wurde noch heißer.
„Du blöder Arsch", brummelte ich, nahm den Keks von meinem Unterteller und warf ihn nach ihm. Aber Hoseok fing ihn und lehnte sich laut lachend zurück. Leise summend packte er den Keks aus und knusperte ihn frech grinsend. Und er grinste immer noch breit, als ich wieder aufsah. Dieses Mal zog ich eine Schnute.
„Vielleicht revidiere ich meine Meinung und du wurdest auf Platz zwei verdrängt."
„Glaubst du ja selber nicht."
Schade, dass ich keinen zweiten Keks hatte, ich hätte ihm den liebend gern an den Kopf geworfen. „Ich glaube, wir sollten diese Diskussion nicht führen - wie geht es eigentlich Jungkook?"
Jetzt lachte Hoseok noch mehr und kippte wieder nach vorne. Er wackelte mit den Augenbrauen. „Was glaubst du?" Dabei griff er sich sein Handy, öffnete seinen Messenger und einen Chatverlauf, der mit Bunny übertitelt war. Die letzten sechs Nachrichten waren allesamt von Bunny und sie drehte sich in den unterschiedlichsten ausschweifenden und zuckersüßen Formulierungen nur darum, wie sehr er seinen Muffin vermissen würde.
Schnaubend griff ich meine Kaffeetasse. „Ich hasse dich", murmelte ich in selbige und hörte, wie Hoseok erneut laut zu lachen begann.
Allerdings, als ich ihn zuhause abgesetzt hatte und mit seinem Auto weiterfuhr, begann ich erneut zu grübeln. Vieles, was er gesagt hatte, war nicht so abwegig und ich rechnete ihm hoch an, dass er Suga noch nicht so sehr durch die Mangel gedreht hatte, wie er bestimmt gewollt hatte. Ich wusste, dass Hoseok sich immer Sorgen um mich machte, immer noch darauf achtete, dass es mir gutging und jede meiner neuen Eroberungen kritisch beäugte. Nicht, weil keiner ihm das Wasser reichen konnte, nein, weil er nicht wollte, dass ich verletzt wurde. Und bisher war er mit seiner Einschätzung auch immer erschreckend gut dabei gewesen. Er hatte ein Gespür für Menschen, vielleicht lag das an seiner Arbeit. Dass das zwischen Suga und mir so in der Luft hing, seit Monaten, dass er noch nicht mal seinen richtigen Namen preisgegeben hatte, konnte Hobi nicht gefallen. Die Idee, dass ein Mensch, der so verschlossen war, vermutlich auch einiges zu verstecken hatte, war nicht so weit hergeholt und ich hatte sie bisher einfach erfolgreich verdrängt, wann immer meine Gedanken in diese Richtung abdrifteten. Vielleicht war es tatsächlich dumm und naiv, aber ich wollte einfach daran glauben, dass es da draußen noch einen anständigen Mann gab, mit dem man glücklich werden konnte und ich nicht bereits alle Chancen vergeben hatte.
Manchmal fragte ich mich, ob ich es einfach zu sehr wollte, ob es daran lag, dass es nie klappte.
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