Unsichtbar
PoV Hoeseok
Damals frage ich mich, wie es sich anfühlen würde, wirklich gesehen zu werden.
Es klingt einfach, oder?
Aber es ist etwas, das ich nie kannte.
Ich wuchs in einem Waisenhaus auf und der erste Gedanke, der mir immer in den Kopf kam, wenn ich darüber nachdachte, war: „Ich war immer derjenige, der übersehen wurde.“
Kein besonderer Grund.
Es war einfach so. Ich war nicht der, der herausstach, nicht derjenige, den jemand wirklich brauchte oder wollte. Ich war der, der in der letzten Reihe saß, der, den niemand wirklich bemerkte.
Ich erinnere mich noch an den ersten Tag, an dem ich realisierte, dass ich allein war.
Ich hatte keine Erinnerung an meine Eltern. Es war wie ein leeres Kapitel in einem Buch, das ich nie lesen konnte.
Die anderen Kinder hatten Geschichten. Sie sprachen von ihren Müttern, ihren Vätern, von den Orten, an denen sie lebten, aber ich? Ich hatte nichts.
Das Waisenhaus war nicht schlecht, aber es war auch nicht gut. Es war einfach... neutral – ein Ort, an dem man überlebte, nicht lebte.
Die Wärter waren freundlich, aber auch abwesend, als ob sie selbst nicht ganz wussten, was sie hier machten. Und ich?
Ich fühlte mich wie ein Schatten, der immer wieder von der Wand wegrutschte, unsichtbar, egal wie sehr ich mich bemühte.
An einem Nachmittag, als ich vielleicht 10 oder 11 Jahre alt war, stand ich wieder alleine auf dem Pausenhof.
Alle anderen spielten miteinander, lachten, tobten. Nur ich saß dort, sah ihnen zu, fühlte mich leer.
Da, aus dem Augenwinkel, sah ich sie. Ein Mädchen, ein paar Jahre älter als ich.
Sie tanzte – einfach so, mitten auf dem Hof. Ihre Bewegungen waren fließend, unbeschwert, als ob sie der Welt sagen wollte: „Ich bin hier, ich existiere, und ich bin mehr als dieser Ort.“
Ich kann nicht sagen, warum mich das so berührt hat. Vielleicht, weil sie etwas hatte, das ich nie zu haben schien – Freiheit.
Sie war der einzige Mensch auf diesem ganzen Hof, der sich nicht von der Welt um sich herum festhalten ließ. Sie war nicht nur da.
Sie lebte.
Ich beobachtete sie heimlich, wie sie sich zuMusik bewegte, die nicht spielte, als wäre sie in ihrer eigenen Welt.
Es war, als ob sie mir eine Tür zeigte, von der ich nie gewusst hatte, dass sie existierte.
Ich wusste in diesem Moment, dass ich das auch wollte.
Ich wollte mich endlich frei fühlen. Aber ich wusste nicht wie.
Es war der Tag, an dem ich zum ersten Mal tanzen wollte.
Als niemand hinsah, schlich ich mich in einen leeren Raum des Waisenhauses und versuchte es.
Es war unsicher, unbeholfen. Meine Bewegungen fühlten sich steif an, als würde ich nicht in meinen eigenen Körper passen.
Aber ich konnte es nicht stoppen.
Ich tanzte einfach weiter, bis mein Körper irgendwann wusste, was er tat. Es war das erste Mal, dass ich mich in meinem eigenen Körper wohlfühlte. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, ich bin hier.
Aber was dann kam, war nicht das, was ich mir erhofft hatte. Es gab keine Anerkennung, keine Bewunderung, keine Wertschätzung.
Die anderen bemerkten es nicht. Der Tanz war für sie nicht wichtig.
Und in diesem Moment wusste ich, dass er für mich mehr war als nur ein Hobby. Es war das einzige, was mir half, meine Einsamkeit zu ertragen. Es war der einzige Moment, in dem ich das Gefühl hatte, lebendig zu sein, als würde ich nicht nur durch diese Welt stolpern, sondern tatsächlich existieren.
Ich tanzte immer wieder, wann immer ich konnte, und immer wieder gab es nur einen Zuschauer – mich selbst. Aber ich wusste, dass ich irgendwann mehr wollte.
Ich wollte mehr als nur unsichtbar sein.
Der Wendepunkt kam, als das Waisenhaus eine Wohltätigkeitsveranstaltung organisierte, bei der die Kinder etwas vorführen sollten.
Es gab keinen Tanzwettbewerb, nichts Großes, aber ich wusste, dass ich es versuchen musste.
Also stellte ich mich auf die Bühne. Die anderen Kinder waren nervös, aber ich war anders. Es war nicht die Nervosität, die mich beherrschte. Es war das Verlangen, gesehen zu werden.
Als ich tanzte, wusste ich nicht, ob jemand zuschauen würde.
Aber es war mir auch egal. Ich fühlte mich frei, als ob ich endlich atmen konnte.
Endlich hatte ich etwas, das niemand mir nehmen konnte.
Ich war der, der sich bewegte, der sich ausdrückte, der einfach da war – nicht als Waisenkind, nicht als unsichtbarer Schatten.
Einfach als ich.
Es gab Applaus, aber das war nicht wichtig. Was wichtig war, war das Gefühl, das mir der Tanz gab. Es war der erste Schritt auf dem Weg zu mir selbst, der Weg, der mich von der Einsamkeit befreite.
Aber die Wahrheit?
Ich wusste, dass es immer noch nicht genug war.
Der Tanz war meine einzige Verbindung zu der Welt.
Und bis heute?
Er ist der einzige Ort, an dem ich mich wirklich frei fühle.
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