Scherben
PoV Jimin
Manchmal frage ich mich, wie viel ein Mensch aushalten kann, bevor er zerbricht.
Für mich begann das Zerbrechen früh.
Die Wunden, die Worte hinterlassen, sind oft unsichtbar – und gerade deshalb umso schmerzhafter.
Ich war zwölf, als es anfing.
Erst waren es nur Blicke, diese stummen Verurteilungen, die einen glauben lassen, dass man falsch ist, ohne zu wissen warum.
Dann kamen die Worte, erst leise waren, dann jedoch immer lauter wurden.
"Was bist du denn? Ein Mädchen oder ein Junge?"
"Fett und klein - mehr wirst du nie sein!"
"Du bist nicht klein, Jimin. Dein Fett nimmt dir einfach nur die Höhe."
Später waren es keine Worte mehr, sondern Tritte, Schubser und das Lachen, das in meinen Ohren widerhallte, lange nachdem es verklungen war.
Der schlimmste Tag?
Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.
Es war Sportstunde und ich hatte wie immer versucht, mich im Hintergrund zu halten.
Aber das war nie genug.
"Jimin, willst du dich nicht mal nützlich machen?", rief einer der Jungs. Seine Stimme war laut genug, dass alle sie hörten. Ich konnte die Gesichter der anderen sehen, diese Mischung aus Neugier und Erwartung.
Sie wollten eine Show und ich war ihr Hauptdarsteller.
Ich tat, was sie wollten.
Ich trat vor.
Doch bevor ich etwas sagen konnte, spürte ich den Schubser. Ich fiel, mitten auf den harten Turnhallenboden und das Gelächter brach los. Jemand warf einen Basketball nach mir, dann einen zweiten.
Ich hatte unter Tränen zu Boden geschaut, hörte ihre Stimmen, ihren Spott.
"Schau mal, er weint! Oh, der arme Kleine!"
Und ich? Ich wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als unsichtbar zu sein, zu verschwinden, einfach nicht mehr da zu sein.
Nach der Schule ging ich nicht nach Hause.
Ich konnte nicht. Meine Eltern hatten keine Ahnung, was mit mir los war. Wie hätte ich es ihnen auch sagen können?
"Mama, Papa, ich bin ein Nichts. Ein Fehler. Ein Witz."
Also wanderte ich durch die Straßen, bis es dunkel wurde, mit der Jacke fest um mich geschlungen, als könnte sie mich vor der Kälte in meinem Inneren schützen.
Tanzen?
Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es war Verzweiflung.
Ich hatte nichts mehr, woran ich glauben konnte, nicht mal an mich selbst. Eines Abends, als die Dunkelheit in mir am größten war, stieß ich zufällig auf ein Video.
Ein Tänzer, der sich bewegte, als würde er die Schwerkraft ignorieren. Es war... befreiend.
Das war der erste Funken.
Nicht Hoffnung – Hoffnung war für Leute, die noch Träume hatten. Es war mehr ein Protest.
Ein "Vielleicht kann ich das auch". Also fing ich an.
Heimlich, in meinem kleinen Zimmer, bei gedimmtem Licht, damit ich mein Spiegelbild nicht zu deutlich sehen musste. Meine Bewegungen waren klobig, ungeschickt, aber es war egal. Es war das erste Mal, dass ich mich lebendig fühlte.
In der Schule änderte sich nichts.
Das Lachen, die Worte, die Tritte – all das blieb. Aber nach jeder Demütigung zog ich mich zurück und tanzte.
Es war wie ein kleiner Sieg, ein Beweis, dass sie nicht alles zerstören konnten.
Heute frage ich mich oft, wie ich damals durchgehalten habe. Manchmal denke ich, dass es nicht ich war, der durchgehalten hat.
Es war das Tanzen.
Es war der einzige Teil von mir, der nicht gebrochen war.
Aber selbst das Tanzen war manchmal nicht genug.
Es gab Nächte, in denen ich vor dem Spiegel stand, meinen Körper ansah und all die Worte wieder hörte.
"Fett und klein..." Sie hatten recht, dachte ich dann.
Vielleicht war ich genau das – ein Witz. Ich hob meinen Arm, betrachtete die weiche Rundung dort, wo Muskeln sein sollten und fühlte eine Wut, die mich zu ersticken drohte.
Einmal schlug ich mit der Faust gegen den Spiegel, so fest, dass das Glas splitterte.
Die Scherben fielen zu Boden und ich starrte auf das verzerrte Bild meines Gesichts in den gebrochenen Stücken. Ich war ein Scherbenhaufen, genauso wie mein Spiegelbild.
Aber ich sammelte die Scherben ein. Vorsichtig, um mich nicht zu schneiden, legte ich sie in eine kleine Box und schob sie unter mein Bett.
Es war, als wollte ich die Erinnerung an diesen Moment festhalten – nicht, weil er besonders war, sondern weil er mir bewies, dass ich immer noch da war.
Dass ich immer noch atmete, auch wenn es wehtat.
Mit der Zeit begann ich, diese Wut zu nutzen.
Sie trieb mich an. Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, aufzugeben, dachte ich an ihre Gesichter, an ihr Lachen. Ich tanzte, bis meine Beine zitterten und mein Atem schwer ging.
Es war ein stummer Schrei, ein Kampf gegen die Stimmen in meinem Kopf.
Ich war zwölf, als sie mich gebrochen haben.
Aber ich war auch zwölf, als ich zum ersten Mal spürte, dass ich vielleicht die Scherben wieder zusammensetzen konnte.
Vielleicht würde es nie perfekt sein, vielleicht würde man immer die Risse sehen. Aber das war okay.
Es musste okay sein.
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