I
Unauffällig trat ich näher an eine Gruppe Frauen heran, die während ihres wöchentlichen Marktbesuches aufgeregt mit den neusten Geschehnissen prahlten.
Ich tat so als würde ich mich brennend für ein Porzellanservice interessieren und nahm eine der Tassen mit Goldrand und kitschigen Blumenmuster in die Hand. Nie im Leben würde ich aus einer Porzellantasse trinken. Vor allem nicht, mit so einem geschmacklosen Muster.
Doch für meine Tarnung war es perfekt. Ich ließ einige Strähnen meiner roten Locken vor mein Gesicht fallen und drehte die Tasse in meiner Hand hin und her.
Nicht aufzufallen war in meinem Fall aber doch etwas schwieriger. Im Gegensatz zu den Frauen, die alltagstaugliche Kleider trugen, steckte ich in meiner typischen Piraten Kleidung: Lederhosen, eine weiße Bluse über der ich eine Art ledernes Korsett geschnürt hatte –sehr praktisch bei Nahkämpfen – meine Stiefel und einen langen Mantel mit Kapuze. Den schwarzen Hut hatte ich mir unter den Arm geklemmt. Auffallend waren aber vor allem meine roten Haare. Auch wenn die Hexenverfolgung schon lange aus der Mode war, beobachteten die Leute einen immer noch mit gebührenden Abstand.
„Den Scotts wurde das Land entzogen", sagte in diesem Moment eine rundliche Frau mittleren Alters. Interessiert spitzte ich die Ohren.
„Das Engländer-Pack hat sie gewaltsam aus ihrem Haus gezerrt und alles beschlagnahmt. Die Armen stehen nun ohne jeglichen Besitz da." Die Frau schilderte ihren Freundinnen ganz eifrig, was in den letzten Tagen mit der erwähnten Familie passiert war.
„Mein Colin geht doch mit dem Sohn der Scotts in eine Klasse. Der arme Junge war ganz verstört, hat mein Colin erzählt. Wir haben der Familie einige Kleidungsstücke gerichtet, die wir nicht mehr benötigen. Sie leben jetzt auf der Straße."
Entsetzte „Ahs" und „Ohs" erklangen von den umstehenden Frauen, sowie Bekundungen, welch gute Tat sie doch erbracht hatte.
„Diese Engländer sind gewaltsam und rücksichtslos", entrüstete sich eine der anderen Frauen. „Immer mehr Familien wird ihr Land enteignet."
Der Kampf zwischen England und Irland schien kein Ende zu nehmen. Immer mehr englische Familien wurden im Laufe der Zeit in Irland angesiedelt, um uns Iren die Kultur aufzuzwingen. Irische Landbesitzer, die sich der englischen Krone widersetzten, werden von ihrem Grundstück gejagt und stehen von heute auf morgen auf der Straße. Diese Familie Scott war kein Einzelfall.
Unter den Clans hier in Irland, stieg die Wut auf England von Tag zu Tag. Doch alle Widerstände in den vergangenen Jahrhunderten wurden blutig nieder geschlagen.
Der Brennpunkt des Geschehens, war eigentlich immer die Provinz Ulster gewesen, aber wenn man diesen Frauen Glauben schenkte, schien auch Cork immer mehr ins Zentrum des Geschehens zu rücken.
Nachdem die Damen die Tragödie der Familie Scott ausdiskutiert hatten, gingen sie zum nächsten Thema über. „Mein Mann ist doch Pächter von Lord O'Driscoll", erzählte eine junge Frau. Ihr neugeborenes Baby trug sie in einem Tragetuch vor der Brust.
Beinahe hätte ich mich schon abgewandt, aber als der Name O'Driscoll fiel, wurde ich hellhörig. Der O'Driscoll Clan ist bei weitem dermächtigste in ganz Cork. Lord James O'Driscoll war herrschender Markgraf in unserem County und dafür bekannt, keine Gnade mit seinen Untertanen walten zu lassen. Nicht selten veranlasste er die Hängung von Verbrechern, ein Schauspiel das hier in Cork mit stiller Angst ertragen wird. Schon häufig kamen mir Geschichten zu Ohren, wie der Markgraf seine Pächter oder Angestellten auspeitschen ließ, wenn sie ungehorsam waren.
Wenn ich jemanden mehr hasse, als die Engländer, dann ist der O'Driscoll Clan.
Die Tasse, die ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, legte ich vorsichtig zurück und widmete mich einem Service mit grünen Ranken. Es wurde am Rand des Standes platziert und so konnte ich noch besser hören, was die Frauen berichteten.
„Vor einigen Tagen hatte mein Mann einen Termin auf dem O'Driscoll Gut, weil der Markgraf einen Bericht über die ausstehende Ernte erlangte. Als er ankam ist er seinem Sohn Lord Benedict begegnet. Er war blutig geschlagen. Der Markgraf trainiert ihn wohl, um Teil seines Heeres gegen die Engländer zu werden. Nur, dass er seine Gewalt wohl auch an seinen Kindern auslässt. Mein Mann sagte, der arme Junge wäre völlig am Ende seiner Kräfte gewesen."
„Darf ich Ihnen das Service einpacken, Miss?"
„Was?", erschrocken drehte ich den Kopf. Der Verkäufer lächelte mich freundlich an und deutet auf das Porzellan, das ich in der Hand hielt. „Oh nein danke. Ist nicht so mein Geschmack." Ich nickte ihm freundlich zu und entfernte mich von dem Stand.
Auf dem Marktplatz sah ich mich nach den Tratschweibern um, doch sie waren zum Gemüsestand weiter gegangen und ich beschloss sie nicht weiter zu verfolgen, um nicht auf mich aufmerksam zu machen.
Stattdessen machte ich mich auf dem Weg zum Antiquitätenladen.
Unterwegs kreisten meine Gedanken hauptsächlich um den O'Driscoll Clan. Ich hatte schon immer einen tiefen Hass für den Markgrafen empfunden, obwohl ich die meiste Zeit meines Lebens auf dem Meer, statt in Cork verbrachte hatte. Aber Cork war meine geliebte Heimat und ich verabscheute wie der Markgraf mit seinen Untertanen umging, als wären sie Tiere. Wenn er nun sein Heer immer mehr vergrößerte, könnte das eines Tages ein ernstes Problem für uns werden.
Ein wenig empfand ich Mitleid für seinen Sohn Benedict, aber verwarf den Gedanken sofort wieder. Dann wurde er eben von seinem Vater misshandelt, aber ein arrogantes Adelsmitglied war er dennoch. Und den Adel hasste ich auf den Tod.
„Guten Tag Mister Hobbs", begrüßte ich den Mann hinter der Theke des Antiquitätenladens. Mister Hobbs war ein Mann in den Sechzigern, der mit seiner runden Brille und den grauen Haaren etwas ulkig aussah. Seine große Liebe galt schon sein ganzes Leben lang den Antiquitäten.
„Miss Amaya! Wie schön Sie zu sehen." Er trat hinter der Theke hervor, um mich in eine kräftige Umarmung zu ziehen. „Wann ist ihr Schiff in Cork eingelaufen?"
„Erst gestern", antwortete ich auf seine Frage.
Als Kapitänin eines Piratenschiffes, wurde ich von den meisten Menschen nicht ernst genommen. Wenige Ausnahmen bildeten Mister Hobbs, dem es scheinbar überhaupt nichts ausmachte, dass eine junge Frau in Hose und Bluse vor ihm stand. Und das im achtzehnten Jahrhundert.
„Ich habe Ihnen von unserem Ausflug etwas mitgebracht." Lächelnd zog ich aus einem Lederbeutel, der an meinem Gürtel befestigt war, einige goldene Taschenuhren.
„Was für Prachtstücke" rief der Antiquitätenhändler erfreut und machte sich sofort daran, die Uhren mit einer Lupe zu untersuchen.
„Ich habe gehört Lord O'Driscoll soll seinen Söhnen ganz schön zusetzen", erwähnte ich beiläufig, während ich mir die Möbelstücke in dem kleinen Laden ansah.
Mister Hobbs brummte. „Mit jedem Tag, den der Lord auf dieser Erde wandelt, wird er mehr und mehr zu einem Tyrann."
Solche Worte laut auszusprechen könnte ihm den Kragen kosten. O'Driscolls Leute waren überall. Das musste ich jedes Mal feststellen, wenn wir in meiner Heimatstadt einliefen.
„Sein ältester Sohn soll mit einigen hundert Männern nach Ulster aufgebrochen sein, um gegen das Engländer-Pack zu kämpfen. Ist schon einige Monate her", erzählte er, ohne den Blick von meinen Mitbringseln zu nehmen. „Sein zweitältester, Lord Benedict, kam vor einigen Jahren von dem Internat aus Dublin zurück. Ich hab ihn seit seiner Rückkehr kaum gesehen, lässt sich auch nicht so oft blicken, der Bursche. Aber in der Stadt erzählt man sich, er wird von seinem Vater trainiert und der nimmt ihn ganz schön hart ran. Wenn Sie mich fragen, Miss Amaya, hat das mehr mit Folter zu tun, als mit Ausbildung."
Nun sah der Antiquitätenhändler doch hoch und blickte mich mit seinen wässrig blauen Augen ernst an. „Der Markgraf ist so versessen darauf Krieg zu führen, dass es ihm egal ist, wie sehr er dabei seine Kinder quält. Mir soll's egal sein. Auf meine alten Tage interessiert mich der Krieg nicht mehr."
Erlegte seine Lupe beiseite. „Ordentliche Stücke haben Sie mir da mitgebracht. Dafür würde ich Ihnen ein hohes Sümmchen zahlen."
„Was Sie für angemessen halten, Mister Hobbs." Lächelnd kam ich zur Theke zurück und nahm die Münzen entgegen.
„Habe Sie zufällig noch einen Brief für mich?", fragte ich den alten Mann noch. Er nickte und verschwand kurz im Hinterzimmer. Dankend nahm ich den Umschlag an. Der Brief war von meinem Bruder Chip.
Streng genommen war er der Kapitän unserer Mannschaft, aber da wir im Besitz von zwei Schiffen sind, habe ich das Kommando über eines der Schiffe. Vor einigen Monaten hatten wir uns getrennt, da mein Schiff einige Reparaturen nötig hat, weshalb wir in meinen Heimathafen Cork eingelaufen sind. Chip wollte später nachkommen.
„Was bekommen Sie dafür?"
Doch Mister Hobbs lehnte winkend ab. „Sie wissen doch, ich bewahre Ihre Post gerne für Sie auf."
„Sie sind ein aufrichtiger Mann, Mister Hobbs", sagte ich grinsend, was ihn zum Lachen brachte.
„Kommen Sie heil wieder."
Die Glocke über der Ladentür bimmelte fröhlich, als ich die Tür aufzog.
„An Ihrer Stelle wäre ich übrigens vorsichtig", rief Mister Hobbs mir hinterher und ich drehte mich fragend zu ihm um. „Der O'Driscoll Clan beginnt nun systematisch gegen Piraten vorzugehen. Wir beide wissen, dass sie nicht zimperlich sein werden."
Ich nickte dem Mann zu, bevor ich vollständig auf die Straße trat. Würde der O'Driscoll Clan uns in die Finger kriegen, würde Corks Hafen mit unseren gehängten Leichen geschmückt werden.
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Aufdem Weg zur Nightmare, meinem Schiff, zog ich meinen Hut wieder auf den Kopf. Mit meinem Piratensäbel, der ebenfalls an meinem Gürtel befestigt war, dem Revolver, meinem Kleidungsstil und den roten Haaren, machten die Leute vorsichtshalber einen Bogen um mich. Auch in Cork waren Piraten gefürchtet und man ging ihnen lieber aus dem Weg. Man konnte nie wissen, wie ihre Laune war.
Schon von weitem konnte ich mein Schiff im Hafen liegen sehen und musste unwillkürlich lächeln. Schon immer hatte die Nightmare eine besondere Wirkung auf mich. Wie eine Königin ragte das Schiff mächtig neben den kleinen Fischerboten empor. Die geschnitzten Verzierungen, die Flagge mit dem Totenkopf, all das schüchterte die Menschen ein, aber mich erfüllte der Anblick mit Wärme.
„Lady Amaya!"
Außer Atem kam ein knapp dreizehnjähriger Junger neben mir zum Stehen.
„Adam", grinsend fuhr ich dem Jungen durch die schwarzen Haare. Er arbeitete bei seinem Vater auf einem der Fischerbote und wurde von Seeleuten, die hier in Cork anlegen, oft als Laufbote angeheuert. Adam war ein tüchtiger Junge, den ich von der ersten Sekunde an ins Herz geschlossen hatte.
„Lady Amaya", sagte er erneut, nachdem er wieder zu Atem gekommen war und ich musste über diese Anrede schmunzeln. Eine Lady war ich nämlich so gar nicht. Aber das war die Ironie daran und vermutlich gefiel mir deshalb dieser Titel so gut.
„Ich habe Neuigkeiten für Sie, aber das wird Ihnen nicht gefallen."
Auffordernd nickte ich ihm zu.
„Gerade eben hat ein Kaufmann angelegt und dessen Bote hat mir die Nachricht übermittelt: Chip und seine Männer wurden gefangen genommen. Ich bin so schnell gerannt wie möglich, um Sie zu finden."
Der Schock verschlug mir im ersten Moment die Sprache. Panik wollte sich in mir breit machen, aber ich drängte sie mit aller Gewalt zurück. Einen hysterischen Anfall brachte niemand von uns weiter.
„Weißt du auch wer sie in seiner Gewalt hat?" Meine Stimme zitterte leicht, während ich die Frage aussprach. Aber die Angst um meinen Bruder und meine restlichen Crew Mitglieder war zu groß.
Wenn Mister Hobbs recht hatte und gegen Piraterie nun strenger vorgegangen werden sollte, konnte Chip möglicherweise in staatlicher Gewalt sein. Oder aber sie hatten sich mit feindlichen Piraten angelegt.
„Ein Name ist gefallen, ich glaube er hieß Captain Kuh?", es war mehr eine Frage, als eine Aussage.
„Captain Crow", korrigierte ich tonlos. Kalt lief es mir den Rücken hinunter. Wenn Chip von Captain Crow gefasst wurde, war er möglicherweise schon tot.
Fahrig nahm ich ein paar Münzen aus meinem Beutel und drückte sie Adam in die Hand. „Für dich. Ich muss jetzt los. Pass auf dich auf."
Damit drehte ich mich um und sprintete die restlichen Meter über die Hafenpromenade bis zur Anlegestelle der Nightmare.
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Willkommen zum ersten Kapitel von Blood And Treasure!
Ich hoffe der Einstieg hat euch gefallen und hat euch etwas neugierig gemacht. Lasst mir doch gerne eine Rückmeldung da, das würde mich sehr freuen.
Joho und 'ne Buddel voll Rum!
Debbie x
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