3
"Schließ deine Augen." Ich starre ihn ununterbrochen einfach nur an. "Bitte, schließ deine Augen.", versucht er mich erneut zu überreden. "Du wirst es nicht bereuen." Nach einigen Sekunden, in denen ich die Vor- und Nachteile in meinen Gedanken abwäge, komme ich zu dem Entschluss, dass es mir schon nicht schaden wird, wenn ich einfach auf ihn höre. Schließlich scheint er von dieser Situation in keinster Weise überrumpelt worden zu sein. Hingegen wirkt er vertraut mit dem, was hier gerade vor sich geht, und ich habe keine Ahnung, wie ich hier ohne ihn wieder wegkommen könnte. Also schließe ich meine Augen, obwohl ich immer noch nicht wirklich weiß, was hier gerade passiert.
Das grüne Licht verschwindet, und mich umgibt die bloße Dunkelheit.
"Wo sind wir?", fragt er mich, und ich lege meine Stirn in tiefe Falten.
"Granite Falls.", benenne ich das Offensichtliche, auch wenn ich weiß, dass es keine eins zu eins Kopie von dem Ort sein kann, in dem ich aufgewachsen bin. Daraufhin wiederholt er seine Frage.
"Ich habe es oft gesehen, wie du den Nationalpark aus dem Fenster angestarrt hast, als wäre es der aufregendste Ort der ganzen Welt." Er holt einige Male tief Luft, wobei sich unsere Hände im Rhythmus seiner Atemzüge leicht vor und zurück bewegen. "Das hat doch sicherlich mit Sul Sul, dieser Band zu tun, nicht wahr?" Er kennt Sul Sul?
Aber viel mehr macht es mich sprachlos, dass er mich beobachtet haben muss. Nach all der Zeit, wo ich dachte, dass er mich nie wahrgenommen hatte. Verdutzt nicke ich. "Wir sind hier in deinem Granite Falls, also frage ich dich noch ein letztes Mal: Wo sind wir?" Mein Mund wird trocken, aber nun verstehe ich langsam, worauf er hinaus will. Auch wenn es mir lächerlich erscheint, spiele ich mit. Was habe ich schon zu verlieren?
"Lass mich überlegen..." Ich hole tief Luft. Vielleicht träume ich auch nur. In dem Fall hätte ich wirklich nichts zu verlieren. Und nun sind wir wieder an dem Punkt, der mich schon mein ganzes Leben begleitet: Entscheidungen. Es gibt unendlich viele Orte, an denen ich sein wollen würde. Oasis Springs hat eine alte Military Base, in der ich mich für die Ausbildung zur Geheimagentin vorbereiten könnte. Seit meinem elften Geburtstag wollte ich Verbrechen lösen und Täter auf frischer Tat ertappen. Auch wenn meine Eltern nichts von meinem Wunsch ein internationaler Superstar zu werden nichts wissen, bin ich mir sicher, dass sie dies einfach verdauen könnten. Aber wenn ich an das Granite Falls denke, in dem ich aufgewachsen bin, dann wird eine Musikkarriere wahrscheinlich nahezu unmöglich sein ...
„Wir sind im National-Park, und ich gebe ein Konzert.", platzt es nun doch wie ein Wasserfall aus mir heraus, während ich mir in Gedanken ausmale, dass dies der Ort ist, an dem mich unzählige Fans bewundern und meinen Namen rufen. Der Bass strömt von der Anlage über den dünnen Boden der Bühne, direkt durch meine Knochen und Adern, bis zu meinem Herzen. Ich fühle die Musik. Ich lebe die Musik. Und von der ersten bis zur letzte Reihen singen sie meine Lieder.
Vor ihnen steht ein selbstbewusstes Mädchen, welches die Herzen aller Welt erobern möchte. Und vor ihr stehen tausende Herzen, die wegen ihr höher schlagen.
Ich bin frei. Ich bin laut.
Und um mich herum ist es nicht mehr grau, sondern bunter denn je.
Dies ist mein Granite Falls.
Und dort ... direkt vor mir in der ersten Reihe, steht auch er. Der Junge, der bis eben meine Hand gehalten hat, und sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. Durch einzelne Locken strahlen die grauen Augen mich bewundernd an. "Wie willst du aussehen?", ruft er mit einem breiten Grinsen, und selbst inmitten der lauten Menschenmenge höre ich ihn klar und deutlich. Augenblicklich schaue ich an mir herunter. Ich trage noch meine unspektakuläre Schuluniform. "Hier kannst du alles sein, was du willst!", hallt seine Stimme durch meinen Kopf, als wären er und ich alleine an diesem überfüllten Ort.
"Ich trage ein bauchfreies, weißes Top mit unendlichen Glitzersteinen, und eine weite, schwarze Cargohose mit großen Taschen und glänzenden Ketten. Netzhandschuhe, welche mir bis zum Ellenbogen gehen, und pastellfarbene, violette Piggy-Zöpfe, welche bis zu meiner Taille reichen." Wieder schließe ich meine Augen, und als ich sie öffne, blendet mich das Funkeln der Glitzersteine auf meinem Oberteil.
"Wie heißt du?" Bis eben haben sie meinen richtigen Namen gerufen, aber jedes K-Pop Idol sollte einen Stage-Namen haben, nicht wahr?
Lange brauche ich über seine Frage nicht nachdenken. Sofort fällt mir etwas ein, womit ich mich identifizieren kann.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro