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Das vertraute Quietschen bringt den klapprigen Bus zum Halt, während ich mir meine bunten Kopfhörer in die Ohren stecke, um meiner farblosen Umgebung zu entfliehen. Wieder ist der Strom im hinteren Abteil ausgefallen, und das kühle Licht von vorne kommt kaum bei mir an, sodass der helle Bildschirm meines Handys beinahe die eigentlichen Lichter ersetzt.
Der Wind hämmert gegen die dünnen Scheiben, und Blätter wirbeln vor meinem Fenster umher. Es ist der kühle Herbst, welcher für Unruhe auf den Straßen sorgt.
Doch ich hebe meinen Kopf, als ich ihn einsteigen sehe.
Es ist immer dieselbe Haltestelle – immer dieselbe Uhrzeit. Und jedes Mal spielt er an seinem Handy herum, während sein strenges Gesicht in schrillen, bunten Farben aufleuchtet. Er sitzt schräg gegenüber von mir, während mir die lauten Töne des K-Pops meinen Heimweg von der Schule versüßen. Doch er bemerkt mich nicht, konzentriert sich einzig und allein auf das, was in seinem Handyspiel passiert.
Tatsächlich spielen wir seit Jahren ein ganz bestimmtes Spiel: Ich starre ihn viel zu lange auf Distanz an, während er mir wortwörtlich die kalte Schulter zeigt. Es ist, als sei die Welt um ihn herum nicht existent. Viel gibt es in Granite Falls zwar nicht zu erleben, aber bei der großen Plakatwand am Nationalpark richte sogar ich meine volle Aufmerksamkeit auf die K-Pop-Plakate der Band Sul Sul, welche diesen Sommer doch tatsächlich hier auftreten wird.
Dass ich eine Ewigkeit auf diesen Moment warte, wäre eine übertriebene Untertreibung. Ein Mal auf so einem Konzert sein... oder noch viel besser: Einmal auf der Bühne stehen — das wäre was.
Man könnte alles rauslassen, was in einem schlummert.
Alles, was in mir schlummert. Alles, was ich mich nur in meinem kleinen Zimmer traue zu zeigen, wenn niemand zuschaut. Genau so stelle ich es mir vor. Meinen Eltern habe ich von dieser Schwärmerei nichts wissen lassen, weil sie sich immer noch an meinen Wunsch, Geheimagentin zu werden, gewöhnen müssen. Warum muss man sich auch entscheiden müssen? Am Liebsten würde ich einfach alles gleichzeitig sein.
Ich schaue mir sein dunkles, gelocktes Haar von hinten an, während die grellen Lichter auf seinem Gesicht tanzen, doch in jenem Augenblick wiederholt sich das berühmte Quietschen der Bremsen. Diesmal ist es aber in einer derartigen Lautstärke, dass ich es sogar durch die voluminösen Beats der Musik wahrnehme.
Mit einem gewaltigen Ruck küsst meine Nase beinahe die Rückenlehne des Sitzes vor mir, aber ich kann mich gerade noch auffangen, wobei mir die Kopfhörer aus den Ohren fallen, und mitten im Gang landen. Schockiert lasse ich die angestaute Luft aus meinen Lungen entweichen, und kralle mich an dem Henkel fest, sodass meine Finger rot und weiss anlaufen. Als ich die Kopfhörer aufheben will, werden meine Augen von dem hellen Bildschirm seines Handys geblendet. Es muss ihm ebenfalls während der Notbremse aus der Hand gefallen sein. Ohne lange darüber nachzudenken, greife ich nach dem Gerät und will es ihm reichen, aber im selben Moment wird es um uns herum düster. Beinahe lasse ich sein Smartphone wieder fallen, aber ich kann mich gerade noch so fangen.
Dann blitzt es mit einem lauten Krachen, bis das gesamte Innere des Busses im grünen Licht erstrahlt.
Nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe, blicke ich mich um. Mein Kopf schmerzt und ich stehe mitten im Gang. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass wir allein sind. Das Einzige, was ich noch hören kann, ist die leiseste Melodie der Musik, welche noch aus den Kopfhörern in meiner Hand ertönt. Nicht einmal der Busfahrer sitzt mehr hinterm Steuer.
Mich berührt etwas an der Schulter, und ich zucke zusammen.
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