01| Unsexy Aufbruch
Kapitel 01
Blizzard Bitch
Die meisten Filme beginnen damit, dass die Protagonistin entweder von ihrem tollen Obermacker betrogen wird oder sie einem Typen hinterherschmachtet, der schon so offensichtlich zum Kotzen ist, dass man sich fragt, wen der Drehbuchautor eigentlich versucht zu verarschen. Gut, dass ich so weit von jeglichen Männerproblemen entfernt bin, wie GNTM von Niveau. Zugegeben, das könnte auch ein typischer Anfang sein. Die Protagonistin will ja so gar nichts von Männern wissen, bis ihr Traumprinz ankommt bla bla.
Versteht mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen schnuckelige Typen. Ab und an kommt es sogar vor, dass ich einen mit nach Hause nehme. Aber genauso, wie die streunende Katze von nebenan, die immer nur dann vorbeischaut, wenn sie Hunger hat und sich dann wieder verpisst, halte ich es auch mit Typen. Länger als ein paar Stunden halte ich es einfach nicht aus. Das bezieht sich zum größten Teil nicht einmal auf die männliche Spezies im Allgemeinen, meine soziale Batterie hat nur mal gerne Blitzentladungen, genauso wie mein kack iPhone nachdem ich es ein paar mal- wirklich nur ein paar winzige Male- außversehen auf null Prozent habe sinken lassen. Man müsste meinen, dass das Ding bei dem Geld von selbst zur Steckdose fliegt und sich einstöpselt, während es ein genervtes Surren von sich gibt.
Während ich meinen Koffer hinter mir herziehe, blicke ich mich suchend um. Irgendwo hier muss doch der Fernbahnhof sein. Nach ein paar Sekunden erblicke ich auch die Schilder.
Vermutlich denkt sich jeder, der mich jetzt sieht, dass ich eine zweite Person im Koffer mitschmuggele. Bei der Größe auch nicht verwerflich. Bestimmt könnte ich bequem noch eine ganze Service Crew da reinbekommen.
»Can I help you?«, höre ich den Spanier vor mir mit Akzent fragen. In meiner völligen Orientierungslosigkeit brummele ich: »Nein, danke«
Erst dann fällt mir auf, dass ich Englisch hätte sprechen sollen, also wiederhole ich das Ganze noch einmal in dem schlechtesten Englisch, das ich seit langer Zeit gehört habe. Das liegt aber nur daran, dass ich einfach nicht an eine soziale Interaktion und dann auch noch in einer anderen Sprache, gedacht habe.
Wobei mir vorhin schon aufgefallen ist, dass er mich misstrauisch, vermutlich weil er besorgt ist, beäugt hat. Sehr wahrscheinlich deshalb, weil er denkt, ich kriege meinen riesen Koffer nicht geschleppt. Eigentlich wirklich nett. Jetzt wo die Rolltreppe nicht funktioniert, hat er mir also seine Hilfe angeboten, damit ich den Koffer nicht die ganzen Treppen hochtragen muss. Allerdings bin ich einfach zu stolz und vor allem nicht verweichlicht. Das wäre ja gelacht, wenn ich das nicht hinbekomme. Im Nachhinein nervt es mich zwar, dass ich nicht netter reagiert habe, aber der Spanier ist eh schon über alle Berge, als ich schnaubend oben an der Treppe ankomme.
Bald komme ich an dem Fernbahnhof an und suche nach dem Gleis an dem der Zug abfahren soll. Die Betonung liegt hier, wie meistens wenn man mit der Deutschen Bahn fährt, auf sollte. Mein Blick fällt auf die Anzeige, die über meinem Kopf schwebt und anzeigt, dass sich Bauarbeiten auf dem angegebenen Gleis tun. Genervt wende ich meinen Koffer und Rolle zu der Anzeigetafel. Auf dem Weg bleibe ich mit den ohnehin schon wackeligen und unter dem Gewicht ächzenden Rollen, in mehreren Rillen und Löchern hängen. Zum Glück ist das neue Gleis nur ein paar Meter weiter. Doch während ich noch am Überprüfen bin, ob ich auch wirklich richtig geschaut habe, werde ich von einem Obdachlosen nach dem anderen angesprochen. Die meisten betteln nur nach Kleingeld, einer versucht immerhin mir eine Zeitung zu verkaufen.
Obwohl ich selber bloß eine mittellose Studentin bin, kaufe ich sie ihm ab. Eine gute Tat am Tag... Jedes Mal wenn ich es ablehne Geld zu geben, bekomme ich so ein fürchterlich schlechtes Gewissen. Aber auf der anderen Seite ist Frankfurt, vor allem das Gebiet um den Hauptbahnhof, das Drogenloch schlechthin.
Bevor ich noch einmal angequatscht werden kann, mache ich mich auf den Weg zum Gleis. Beruhigt stelle ich fest, dass der ICE schon ansteht. Egal, wie oft ich Bahn fahre oder wie oft ich alles gecheckt habe, ich werde es wohl immer noch ein hundertstes Mal überprüfen, um sicher zu gehen, dass ich nicht in der Walachei lande.
Mit meinem Koffer mache ich mich auf den Weg zur nächst besten Bank. Ich lasse mich auf den Metallsitz plumpsen und hoffe, dass ich dabei niemanden von den Sitznachbarn mit meiner Tasche erwische. Die ganze »Ich mache eine total verrückte Aktion und renne vor meinen Problemen in eine fremde Stadt weg, in der Hoffnung meine Träume zu verwirklichen«-Nummer wäre definitiv viel cooler, wenn sie in Amerika wäre. Damit meine ich, dass die deutsche Bahn es schafft, meine wilde Ausbrechaktion echt unsexy aussehen zu lassen. In amerikanischen Filmen würde ich alles in meinen Truck werfen und über die Route 66 fahren, während dramatische Musik im Hingergrund läuft. Wäre ich ein Reiches It-Girl wäre es natürlich ein Caprio.
Aber in meinem Fall ist es die deutsche Bahn und statt New York City lande ich in Berlin. Da ist es dann doch eher wie in dem Lied »Sexy Berlin«. Solange es nicht zu »Berlin du kannst so hässlich sein« wird, ist ja alles gut.
Der ICE fährt ein und ich springe auf, um mir möglichst schnell einen Sitzplatz in dem überfüllten Zug sichern zu können. »Entschuldigung«, murmele ich, als ich einer alten Dame halb über die Füße rolle. Sie wirft mir einen bösen Blick zu. Ich laufe weiter durch den schmalen Mittelgang und suche nach einem Platz. Glücklicherweise entdecke ich einen Doppelsitz, der frei, nicht reserviert und direkt neben der Gepäckaufbewahrung ist. Das ist ja ein richtiger Schnapper.
Schnell schmeiße ich mich drauf und mach es mir gemütlich, in dem ich so weit in dem Sitz runterrutsche, dass man meinen könnte, ich wolle einmal zu der anderen Sitzreihe durchrutschen und strecke meine Füße aus. Wobei ich darauf achte nicht so weit zu rutschen, dass ich die Person vor mir ausversehen trete. Aus meiner Tasche hole ich meine Kopfhörer und setze sie auf. »Perfect Day« von Hoku läuft an.
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