6. Kapitel
Triggerwarnungen: Alkoholkonsum, körperliche Gewalt, Schimpfwörter, Verletzungen.
Eine Woche vor Otilias Ankunft.
Arcadia
Englisch ist ohne Askan sowas von dermaßen öde... die Zeit vergeht einfach nicht. Ich starre jetzt nun seit einer geschlagenen Stunde auf die Decke, als ich plötzlich spüre, wie mein Handy vibriert. Unauffällig sehe ich drauf. Askan hat mir über WhatsApp ein Foto geschickt, wie er mit seiner verletzten Hand einen Daumen nach oben zeigt.
Wieso sind Männer bloß so leichtsinnig? Andauernd verletzen sie sich, sei es beim Sport, beim Bier-Pong oder beim zocken.
Letzteres ist meinem kleinen Bruder passiert. Wir haben noch eine ganz alte Wii-Konsole von meinen Eltern, und als Neo mit seinem besten Freund Wii-Sports gespielt hat, bekam er einen der Controller in sein rechtes Auge. Zugegebenermaßen sind wir eine Familie bestehend aus Tollpatschen.
Die Schulglocke ertönt und der Unterricht ist endlich vorbei. Dieses Mal habe ich mir vorgenommen, mich so schnell wie nur eben möglich vom Schulgelände zu entfernen. Ich muss schnell heim, mir die ganzen Peinlichkeiten des Tages abduschen und anschließend rüber zu Askan, um das Rad der Schande zu drehen. Ich brauchte noch nie so dringend einen Drink wie heute...
„Cadi, hast du noch einen Moment?" Was denn noch? Was zur Hölle wollen die ganzen Lehrer heute alle von mir. Gut, im Grunde waren es nur Mrs Everhope und meine Englischlehrerin, aber üblicherweise bin ich unsichtbar. Un-sicht-bar. Es wundert mich, dass sie überhaupt meinen Namen kennen.
„Ja, Ms Lovelynn?" Unsere Englischlehrerin ist noch ziemlich jung und zudem wirklich hübsch. Sie hat eine total nette Art, aber gerade heute, ist mir einfach nicht nach langen Gesprächen. „Ich wollte mit dir über deinen letzten Englischtest reden." Sie lächelt. Ist das jetzt gut, oder schlecht?
„Was ist... mit meinem Test", stammle ich nervös. Oh nein! Eine schlechte Zensur würde mir wirklich den Rest geben.
„Nichts. Du hast ein A plus, mit voller Punktzahl."
„Oh... wirklich?" Ich setzte mich, weil ich völlig perplex bin. Noch nie hatte ich eine so gute Leistung erreicht. Zugegebenermaßen bin ich wirklich gut in der Schule, aber die volle Punktzahl zu erreichen... schien mir bis jetzt immer so utopisch.
„Was hast du anders gemacht, als sonst? Ich bin wirklich neugierig."
Ich blinzle. Mehrmals. „Nun ja... Askan Harrisons Bruder, Joe Harrison, studiert in Yale. Er meinte zu uns, wir sollten es uns angewöhnen Sekundärliteratur heranzuziehen, um die Texte besser zu verstehen. Das habe ich jetzt schon des Öfteren gemacht."
„Verstehe... das ist wirklich toll, Cadi. Weiter so." Wie sie meinen Namen ausspricht, so lieb und nett. Sie ist außerdem die einzige Lehrerin, die uns mit dem Vornamen anspricht. Natürlich nach vorheriger Absprache, damit keiner verklagt wird. Das ist ja schließlich Amerika.
„Wie? Das war's?"
„Ja... ich wollte dir lediglich ein Lob aussprechen. Du kannst stolz auf dich sein und du darfst jetzt gehen. Bestimmt hast du heute schon etwas geplant."
Grinsend antworte ich: „Das kann man wohl so sagen."
***
Askan
„Scheiße, Askan. Ich habe eine halbe Ewigkeit auf dich gewartet. Hast du dir im Krankenhaus noch schnell ein paar neue Organe implantieren lassen, oder warum hat das so lange gedauert?", fragt Cadi ungeduldig. Sie sitzt auf der Blumenbank in unserem Vorgarten, und wippt mit ihren Beinen auf und ab.
„Tut mir leid! Da war so ein Kerl vor mir, der gerade aus einem brennenden Haus gerettet wurde. Oh man... er sah wirklich übel aus. Hauptsache er sagte ihr hättet mal den anderen sehen sollen. Wenigstens hat er seinen Humor nicht verloren."
„Oh je... der Arme. Na ja, du aber auch nicht. Was sollte das mit dem Daumen, du Trottel." Cadi bückt sich nach unten und greift mit ihrer Hand nach der Blumenerde. Danach bewirft sie mich damit. „Hey! Hör auf, du Komikerin."
„Lass uns jetzt endlich das Rad drehen, ehe ich verdurste!"
Wir gehen direkt in die Garage, meine Eltern sind nicht da. Cadi und ich haben beim letzten Mal etwas von dem Alkohol meines Dads in separate Flaschen gefüllt, welche wir danach hinter dem Werkzeugregal versteckt haben. Da mein Vater das Werkzeug sowieso nie benutzt, würde er unser Versteck auch nie finden.
„Wir haben Absinth zur Verfügung, Scotch, Bourbon und Wodka."
„Definitiv Wodka!"
„Nichts da! Es wird hier nichts herausgepickt... du musst schon das Rad entscheiden lassen, ansonsten macht das alles keinen Sinn und..."
„... und der Spirit des Ganzen geht verloren. Ja, ja." Cadi malt Anführungszeichen in die Luft und rollt mit den Augen. Gut zu wissen, dass mich bereits jetzt jemand zitiert. Wenn ich irgendwann mal berühmt sein werde, denke ich daran.
Wir drehen das Rad - einmal, zweimal, dreimal... bis wir nicht mehr zählen können. Irgendwann sind wir so beschwipst, dass wir uns auf den Garagenboden setzten und lauthals loslachen. Cadi erzählt nochmal die Story, wie Neo den Wii-Controler ins Auge bekommen hat und ich die Geschichte, wie ich damals kopfüber vom Baum hing und mir das Kreuzband riss.
Es hätte stundenlang so weitergehen können. „Was machst du am Samstag?", fragt sie mich in Slowmotion. Immer wenn Cadi zu viel trinkt, brauchen ihre Worte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie ihren Mund verlassen. „Ich... hab ein Date. Mit Debby."
„Debby?! Ich brauche Nachhilfe in Biologie - Debby?!"
„Jepp."
„Wie kam es dazu? Soll ich dich wieder retten, so wie beim letzten Mal?" Sie spielt auf die Situation an, als Debby wollte, dass ich auf ihrem dreizehnten Geburtstag ihren Freund spiele.
„Nee, alles gut. Ich will mich ja mit ihr treffen. Sie ist irgendwie süß, seitdem..."
„Sie Titten hat?" Cadi nimmt kein Blatt vor den Mund. Ich werde rot. Scheiße, ja! Ich würde lügen, wenn es nicht so wäre.
„Hm. Verstehe. Ich muss los... Morgen wird ein langer Tag." Was hat sie auf einmal?
„Du gehst schon?"
„Ja, ich muss ein Wutbad nehmen. Du weißt schon, wegen heute..."
„Du willst jetzt noch baden? In dem Zustand? Na hoffentlich müssen wir morgen nicht wieder das Rad drehen, wenn du auf dem glatten Fliesenboden ausrutscht und dir den anderen Eckzahn ausschlägst."
„Ha-Ha. Sehr witzig Askan Harrison. Ich geh jetzt." Sie haucht mir einen Kuss auf die Wange und geht. War sie irgendwie sauer auf mich, wegen Debby? Nein... Cadi wäre nie sauer auf mich. Sie liebt mich, weil ich ihr allerbester Freund bin...
Arcadia
Der nächste Tag hat noch nicht einmal richtig angefangen, und ich fühle mich, als wäre ich von einem Schnellzug überfahren worden. Mein Schädel dröhnt und mein Herz tut fürchterlich weh, wenn ich an Debby und Askans Date am Samstag denke. Männer... Jungs... sie sind alle gleich. Dumm, wie Scheiße und schwanzgesteuert. Das macht mich so wütend, dass ich heulen könnte.
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen verschränkten Armen, auf dem Tisch. „Arcadia..." Bei dem Klang dieser Stimme, dreht sich mir der Magen um. „Was, Clarins", fauche ich. Ich bin heute definitiv mit dem falschen Fuß aufgestanden.
„Es tut mir leid. Das mit gestern und so... hätte ich gewusst, dass du eine kleine Jungfrau bist, hätte ich mich dir gegenüber anders verhalten." Ich stehe auf und ohrfeige Woodsteen. Ich bin kein gewalttätiger Mensch, aber er sagt das so laut, dass es die ganze Klasse mitbekommt. Weit und breit ist kein Askan in Sicht, der mich vor seinen verletzenden Worten beschützen kann. Ich bin auf mich allein gestellt.
Ich greife nach meiner Tasche und gehe aus dem Klassenzimmer. Abermals steigt eine pochende Wut in mir auf, und wieder einmal geht es um meine verdammte Jungfräulichkeit. Es ist nur ein Stück Haut zwischen meinen Beinen, verdammt!
Die Jubelschreie der Jungs sind deutlich zu hören. Normalerweise schwänze ich nicht, aber heute muss ich es tun. „Ms Thompson, in die Klasse geht es hier rein", sagt Mrs Everhope. Ich sehe sie an. Ich bin so müde und ausgelaugt. „Mrs Everhope... ich fühle mich furchtbar..."
Nicht das kleinste Fünkchen Bedauern liegt in ihren Augen. Sie ist eindeutig wieder in ihrem Never - Hope - Modus.
Schnaubend sagt sie: „Fein, dann begib dich bitte ins Krankenzimmer. Den Schulstoff musst du aber nachholen. Nächste Woche steht ein großer Test an, ich hoffe das ist dir klar."
„Ja, Mrs Everhope", sage ich und gehe.
Es fühlt sich an, wie ein Deja-Vu, als ich in den großen Spiegel der Mädchentoilette blicke. Kurzerhand zücke ich mein Smartphone, entsperre es und öffne WhatsApp. Ich tippe Roses Namen in die Suchleiste und schreibe in den Chat: „Party am Wochenende steht. Bye, bye Jungfräulichkeit!"
Rose tippt ihre Nachricht ein. Die Vibration des Handys, befreit mich aus meinem Tunnelblick.
„Like a Virgin war gestern, Liebes. Wir lassen es so richtig krachen! Sei um 18 Uhr bei mir, damit wir dir ein heißes Outfit raussuchen können."
„Das werde ich", schreibe ich und sehe ein letztes mal in den Spiegel, bevor ich die Mädchentoilette wieder verlasse.
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