32 | Liebe & Verzeihen
»Hailey?«
Ich zucke zusammen, als ich Calvins Stimme höre. Kurz darauf höre ich, wie er die Haustür schließt. Daraufhin höre ich Schritte, die von mehreren Personen stammen. Vermutlich handelt es sich dabei um Lilly. In letzter Zeit hängen die beiden nur noch aufeinander und zeigen mir, dass selbst mein kleiner Bruder in der Lage ist, eine Beziehung am Laufen zu halten, ohne belogen zu werden.
»Wohnzimmer«, brumme ich und ziehe die Decke höher. Netflix ist in den letzten drei Wochen zu meinem besten Freund geworden und ich glaube, dass er es auch solange sein wird, bis ich einen neuen Job gefunden habe.
Ein paar Tage nachdem ich akzeptiert habe, was passiert ist, habe ich mich bei einigen neuen Firmen beworben. Ich werde wahrscheinlich nie wieder das Geld verdienen, wie ich es bei Rebecca ausgezahlt bekommen habe, aber darauf kann ich auch getrost verzichten. Meine Versuche mit ihr zu sprechen, sind kläglich gescheitert. Irgendwann habe ich es aufgegeben und das vermutlich für immer. Wenn sie mich so behandeln, als wäre ich weniger wert und hätte es nicht verdient zu ihrer Familie zu gehören, dann möchte ich das erst gar nicht. Es ist zwar immer noch schmerzhaft zu wissen, dass ich mein ganzes Leben lang belogen wurde, aber mittlerweile bin ich weniger wütend. Ich habe es akzeptiert und wahrscheinlich ist es bloß mein verletzter Stolz, der sich nicht dazu bewegen kann, Trevor zu verzeihen.
»Hier bist du«, höre ich Calvin sagen und sehe, wie er im Türrahmen lehnt.
»Wo soll ich sonst sein?«
»Richtig...«, sagt er. Ich könnte schwören, dass er noch etwas sagen will, allerdings glaube ich, dass er sich nicht traut.
»Es ist Besuch da«, sagt er und ich nicke.
»Okay. Ich platze nicht rein, falls du und Lilly...«
»Gott, nein. Ich meinte Besuch... für dich«, sagt er und sieht mich an.
»Und?«
»Du solltest dir etwas anziehen. Sadie besteht darauf, dass du rausgehst«, sagt er nun seufzend und sieht mich flehend an.
Ich schüttele den Kopf.
»Sie kann hochkommen. Außerdem trage ich Trevors Pulli und eine Leggings. Das reicht für heute«, erwidere ich nur und schüttele den Kopf, als er mich ansieht und hofft, dass ich es mir anders überlege.
»Du hast seit Tagen das Haus nicht verlassen. Ich lasse nicht zu, dass du hier vergammelst, wie eine Banane in eine meiner Sporttaschen«, höre ich ihn grummeln. Im nächsten Moment sehe ich, dass er auf mich zukommt und ehe ich mich versehe, hebt er mich hoch und schmeißt mich über seine Schulter.
»Calvin! Wenn du mich nicht sofort runterlässt, kriegst du Hausarrest«, keife ich und schlage gegen seine Rücken.
»Das nehme ich in Kauf«, höre ich ihn lachend. Als Antwort stoße ich einen Schrei aus und sehe, dass er mich die Treppe hinunter trägt. Ich seufze ergeben und lasse die Arme baumeln. Ich habe ohnehin keine Chance gegen ihn. Wann ist er so stark geworden, dass er mich problemlos tragen kann?
»Mein Kopf platzt gleich«, grummele ich, als er endlich unten ankommt. Er öffnet die Tür und trägt mich über den kleinen Hof bis zur Straße. Als er mich noch einmal anhebt, um mich wieder auf meine Beine zu stellen, fange ich an Sadies Hoffnungen zu zerstören.
»Ich fahre nirgendwo hin, verstanden? Sadie, das kannst du dir wirklich abschminken!«
Ich werfe Calvin noch einen Blick zu, ehe ich mich umdrehe und es nicht Sadie ist die vor mir steht.
Mein Mund steht leicht offen, weil ich gerade etwas sagen wollte, dann aber bemerkt habe, dass es Trevor ist, der vor mir steht. Er steht in einem hellblauen Hemd und einer schwarzen Jeans vor mir, dahinter steht sein Wagen. Auf seinem Gesicht bildet sich ein Lächeln und ich kann es nicht einmal verhindern, dass ich es erwidere.
»Was machst du hier?«, frage ich ein kleines Bisschen sprachlos.
»Du reagierst auf keinen meiner Versuche dich zu erreichen. Ich bin der Meinung, ich habe genug gewartet und möchte dich bitten mit mir zu kommen. Ich muss dir etwas zeigen«, meint er.
»Trevor... ich bin wirklich nicht-«
»Keine Widerrede, verstanden? Manche Leute muss man eben zu seinem Glück zwingen. Das hätte mir von vornherein klar werden sollen, dass du eine dieser Menschen bist«, unterbricht er mich und kommt einen Schritt auf mich zu.
Er streckt mir einen Hand entgegen und erwartet wahrscheinlich, dass ich ihm meine reiche. Wenn ich das tue, dann weiß ich nicht, ob ich noch in der Lage bin einen klaren Kopf zu bewahren. Von der ersten Sekunde hat Trevor dafür gesorgt, dass sich mein Verstand verabschiedet, wenn er in meiner Nähe war. Jetzt, wo ich weiß, wie sehr ich ihn liebe, habe ich das Gefühl gar nicht mehr denken zu müssen.
»Vertraust du mir, Hailes?«
Seine raue Stimme bereitet mir eine Gänsehaut und mein verräterisches Herz schlägt augenblicklich einen Takt schneller. Ohne zu wissen, was auf mich zukommt, greife ich nach seiner Hand und beantworte gleichzeitig seine Frage ohne auch nur ein Wort zu sagen.
∞
Die gesamte Autofahrt über ist es still. Trevor wirkt nervös und ich frage mich, was genau das ist, was er mir zeigen möchte. Ich habe keine Ahnung, wohin es geht und vielleicht trägt dieser Umstand dazu bei, dass auch ich nervös werde.
Mittlerweile haben wir Brooklyn Bridge längst überquert und befinden uns in Manhattan. Der Verkehr hält uns ein wenig auf und ich merke, dass es Trevor so gar nicht in den Kram passt. Nervös trommelt er mit seinen Fingern auf dem Lenkrad.
»Wieso bist du nervös?«, frage ich ihn und drehe mich auf dem Sitz zu ihm herum.
»Ich bin nicht nervös«, widerspricht er mir, was dafür sorgt, dass ich eine Augenbraue in die Höhe ziehe und ihn abwartend anblicke. Trevor erwidert mein Blick und seufzt resigniert, ehe er sich durch die Haar fährt.
»Also gut – ich bin nervös. Aber glaub ja nicht, dass ich dir den Grund dafür verrate. Wir sollten gleich da sein«, sagt er und ich nicke leicht.
Er behält Recht. Nach wenigen Minuten biegt er in eine Seitenstraße ab und stellt seinen Parkplatz auf einem kleinen Parkplatz hinter einem Gebäude ab. Es ist ein schöner Altbau, wie man sie so oft in New York findet, umgeben von vielen Beeten voller Blumen.
Ich steige aus und sehe ihn fragend an, ehe er sein Auto abschließt und nach meiner Hand greift.
»Wo sind wir hier?«, frage ich ihn und lasse mich von ihm mitziehen. Er schenkt mir bloß ein Lächeln. Kein Wort verlässt seine Lippen und ich seufze leise. Ich bin furchtbar ungeduldig, was Überraschungen betrifft und möchte nicht mehr länger warten.
Er zückt einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schließt eine der Hintertüren auf. Wir betreten das Haus durch einen dunklen Flur. Die Luft ist abgestanden, als wäre lange niemand mehr hier gewesen.
Immer noch an Trevors Hand, werde ich durch einige Räume geführt, bis ich in einem großen Raum stehe. Zwei Wänden bestehen aus bloßen Spiegeln und ich erkenne einige Barren an den Seiten stehen. Ich lasse seine Hand los und sehe mich im Raum um. In einer der Wände, die nicht aus Spiegeln besteht, erkenne ich ein großes Regal mit lauter viereckigen Kästen. Ein letzter Blick auf den Boden reicht um zu wissen, wo ich hier bin.
»Trevor, was machen wir hier?«
»Du hast gesagt, du wolltest immer eine Tanzschule. Hier ist sie!«, sagt er und lächelt mich an.
Ich reiße die Augen auf und kann nicht glauben, was er da von sich gibt.
»Du... Du...«
»Hailey, du hast Recht gehabt. Ich hätte nicht eine Sekunde zögern sollen, als du mich gefragt hat, was mit mir los ist. Doch als... als du mir diese Worte gesagt hast und mich geküsst hast, da konnte ich einfach nicht. Ich wollte warten, damit es so erträglich wie möglich wird. Ich weiß jetzt, dass das falsch war und ich entschuldige mich aufrichtig für meinen Fehler. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es dir in den letzten Wochen ergangen ist und es ist mir schwergefallen, deinen Wunsch nach Zeit zu akzeptieren. Ich hätte alles dafür getan, wenn ich dir den Kummer und den Schmerz hätte nehmen können. Das glaubst du mir, oder?«
Ich sehe ihn an und blicke auf meine Hände. Früher oder später hätte ich mit ihm reden müssen. Irgendwann hätte ich es vermutlich satt gehabt ihn zu ignorieren, aber wer weiß, ob es dann nicht längst zu spät gewesen wäre.
»Hailey, ich liebe dich und ich möchte, dass wir zusammen sind. So, wie es geplant war. Ich möchte, dass wir gemeinsam unsere Zukunft planen und der erste Schritt war das hier«, sagt er und bewegt seine Hände ausladend.
»Das mit uns ist mir verdammt ernst und ich wollte, dass du das tun kannst, was du immer tun wolltest – eine Tanzschule eröffnen. Ich weiß, dass es nicht immer leicht werden wird, aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir beide das hinkriegen werden, denn...«
Seine Stimme bricht ab und ich sehe, dass seine Hände zittern. Ohne darüber groß nachzudenken, greife ich nach ihnen und streiche mit meinen Daumen über seine Handrücken.
»Ich habe dir diese Tanzschule nicht gekauft, um dich zu irgendetwas zu zwingen. Selbst, wenn du dich dazu entscheiden solltest, nicht wieder mit mir zusammen zu sein und eine richtige Beziehung zu beginnen, schenke ich sie dir trotzdem. Das ist etwas worüber ich nicht mit dir diskutieren werde, okay?«
Ich lache leicht und nicke, als er das sagt.
»Ich hatte die Idee, dass wir zwei das Ganze zusammen aufziehen können. Ich würde nur zwei Tage die Woche hier sein, weil ich meinen Vater nicht hängen lassen möchte, aber ich möchte mit dir zusammen arbeiten. Ich bin mir sicher, dass wir das gemeinsam schaffen können«, erklärt er.
Ich schließe die Augen und ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen.
»Du bist unglaublich, Trevor«, sage ich leise und öffne die Augen. »Du weißt, dass du ein wahrgewordener Traum bist, oder?«
»Das heißt...?«, fragt er und sieht mich unsicher.
»Das heißt, ich liebe dich, du Idiot und ich will nichts lieber als einen verdammte Tanzschule mit dir gemeinsam zu eröffnen!«, sage ich leise und stürze mich in seine Arme. Ich spüre, wie Trevor sich augenblicklich entspannt. Ein Lachen entkommt ihn und ehe ich mich versehe, wirbelt er mich durch die Luft.
Ich kichere leicht und kann nicht glauben, was innerhalb der letzten Minuten passiert ist, während ich mich an ihn klammere.
Irgendwann setzt er mich wieder auf dem Boden ab und sieht mir tief in die Augen.
»Ein Sache wäre da noch«, sagt er und ich sehe ihn fragend an. »Rebecca war vor einigen Tagen bei mir. Sie hat mir einen Rucksack gebracht mit einer Kündigungsbestätigung, sowie mit mehreren tausenden von Dollar. Sie sagt, es sei eine Abfindung für dich, damit du nicht an die Öffentlichkeit gehst. Ich habe alles im Auto. Es ist dir allein überlassen, ob ich das Geld zurückgebe oder ob du es für etwas einsetzt, das dir wichtig ist«, erwidert er.
Ich schlucke leicht, bei der Vorstellung, dass es sich um Schweigegeld handelt, doch was habe ich auch Anderes erwartet? Dieser Mann ist vielleicht mein biologischer Erzeuger, aber reicht meinem echten Vater nicht einmal ansatzweise das Wasser.
»Ich glaube, dass wenigstens Calvin das Recht haben sollte, das College zu besuchen, richtig?«, frage ich nach einigen Momenten. Trevor lächelt mich an, als die Worte meine Lippen verlassen und zieht mich an sich.
»Ich liebe dich, Hailes«, sagt er leise und verharrt vor meinen Lippen.
»Bitte hör niemals auf, das zu sagen«, flüstere ich leise.
Auf Trevors Lippen schleicht sich ein schiefes Lächeln, das mir so viel Liebe entgegen schleudert, dass ich das Gefühl habe ins Schwanken zu geraten.
»Niemals, Baby«, haucht er leise und überbrückt die letzten Millimeter, die unsere Lippen noch voneinander entfernt sind.
Als er mich küsst weiß ich, dass es die richtige Entscheidung ist gewesen ist ihm zu verzeihen. Wir müssen noch vieles besprechen und es ist noch längst nicht alles geklärt, aber wir wissen, dass wir einander haben und uns immer aufeinander verlassen können.
Das Allerwichtigste ist aber, dass wir niemals aufhören einander zu sagen, dass wir uns lieben.
Niemals, Baby.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro