3 | Abgefüllt
Ungeduldig sitze ich im Taxi und versuche immer wieder die Banking-App zu starten, um zu sehen, wie hoch mein Kontostand für den Rest des Monats sein wird. Die Verbindung bricht jedoch immer wieder ab, was mich kurz genervt seufzen lässt.
In mir wütet ein Chaos, dass ich kaum bändigen kann. Einerseits mache ich mir große Sorgen um Calvin, andererseits bin ich unfassbar sauer auf ihn, dass er mich angelogen hat. In letzter Zeit passiert das schon häufiger und meistens komme ich auch immer hinter seine Lügengeschichten. Ich weiß, dass er mit 16 ebenfalls ein Recht auf Privatsphäre hat, aber dennoch möchte ich nicht, dass er mich einfach hintergeht und sich auf irgendwelchen Partys in Manhattan rumtreibt.
Unweigerlich muss ich wieder an meinen bisherigen Abend denken und vor allem an das, was vor Calvins Anruf passiert ist. Noch immer toben Schmetterlinge in meinem Bauch, allerdings nicht mehr ganz so stark.
Die Tatsache, dass er mich einfach stehen lassen hat, hat mir einen kleinen Dämpfer verpasst. Ich weiß nicht, was ich genau erwartet hatte, aber... nicht das. Ich hatte nicht erwartet, dass ich heute Abend noch mit jemanden tanzen würde, der nicht Sadie oder Nola hieß. Ich hatte nicht erwartet, dass ich heute noch jemanden küssen würde und ich hatte nicht erwartet, dass ich mich in nächster Zeit zu jemanden so stark hingezogen fühlen würde. Ein Tanz und ich war Wachs in seinen Händen.
Meine Gedanken werden unterbrochen, als das Taxi stoppt und der Fahrer sich räuspert.
»Würden Sie warten? Es dauert nur zwei Minuten, wenn überhaupt«, frage ich an ihn gewandt und er grummelt nur. Ich bin mir bewusst, dass das Taxameter noch läuft, allerdings sehe ich gerade keine andere Möglichkeit Calvin schnellstmöglich nach Hause zu schaffen.
Um nicht mehr Zeit als nötig zu vertrödeln, schwinge ich mich aus dem Wagen und laufe auf das Wohnhaus zu, aus dem laute Musik dröhnt. Bereits im Vorgarten sammeln sich einige Leute an, allerdings ist Calvin nicht unter ihnen. Ich will gerade das Haus betreten, als ich seine Stimme höre und er nach mir ruft.
Ich mache auf dem Absatz kehrt und laufe die kleine Treppe wieder hinunter, um meinen Bruder in meine Arme zu schließen. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck schiebt er mich nach kurzer Zeit jedoch wieder von sich. Er ist blass und sieht müde aus.
»Alles okay?«
Calvin nickt leicht, bückt sich jedoch in der nächsten Sekunde und greift nach einem Eimer, den er scheinbar schon einmal benutzt hat, der am Rande eines Beetes steht. Er würgt und in der nächsten Sekunde höre ich ein Plätschern, das mich beinahe ebenfalls dazu bringt, meinen Magen zu entleeren. Ich trete einen Schritt zurück und hoffe inständig, dass es das letzte Mal für diesen Abend sein wird.
Nach ein paar Momenten beruhigt sich Calvin wieder und stellt den Eimer ab, den ich mit einer verzogenen Mimik betrachte.
»Was hast du dir nur dabei gedacht, Calvin? Du bist sechzehn und das bedeutet, dass Alkohol für dich tabu ist«, zische ich und ziehe ihn an seinem Arm hinter mir her. Ich habe wirklich keine Lust, das nicht doch noch irgendwann die Polizei auftaucht und wir in Schwierigkeiten geraten könnten.
Calvin lallt als Antwort nur etwas und ich seufze leise, bevor ich beschließe es gut sein zu lassen. Es würde ohnehin nichts bringen ausgerechnet jetzt mit ihm zu sprechen, weshalb ich ihn ins Taxi schaffe und dem Fahrer unsere Adresse nenne, damit er uns endlich nach Hause fahren kann.
∞
Müdigkeit sitzt mir in den Knochen und ich seufze leise, als ich mich am frühen Nachmittag endlich aus dem Bett quäle. Normalerweise erlaube ich es mir nicht, solange zu faullenzen, allerdings ist es heute nicht anders möglich. Meine Glieder schmerzen und mein Kopf dröhnt.
Letzteres liegt sicher nicht am Alkohol, sondern am Schlafentzug, den ich dank Calvin heute Nacht erlitten habe. Kaum lag er im Bett hat er sich wieder übergeben und die nächsten zwei Stunden damit auch nicht aufgehört. Als ich irgendwann kurz davor war einen Krankenwagen zu rufen, hat er sich beruhigt und ist eingeschlafen, sodass ich unsere Wohnung wieder sauber gemacht und gelüftet habe. Ich habe also nicht ganz so viel Erholung bekommen, wie ich es mir von diesem Wochenende erhofft hatte.
Ich schleppe mich müde in die Küche und schalte den Wasserkocher ein, um mir einen Tee zu kochen. Außerhalb der Arbeit trinke ich keinen Kaffee, um den Konsum davon ein wenig einzuschränken, allerdings wünsche ich mir an diesem Morgen umso mehr davon. Ich öffne den Kühlschrank und ziehe einen Joghurt heraus, bevor ich meinen Tee weiter vorbereite und ich mich schließlich an den Küchentisch setze, bei dem ich jedes Mal hoffe, dass er nicht endgültig den Geist aufgibt.
Dad hatte ihn selbst gebaut. Aus irgendeinem Grund dachte er vor einigen Jahren, dass er ein genialer Heimwerke werden würde, wenn er sich nur ein wenig damit beschäftigte. So ziemlich jedes Werkstück, was er jemals erstellt hatte, war unbrauchbar, bis auf diesen Tisch. Meine Mom hatte ihn in die Küche gestellt und als Dad nicht hingesehen hatte, heimlich repariert. Seitdem war er für mich ein Symbol der Liebe meiner Eltern und ich wünschte wirklich, dass er noch ein wenig durchhielt, bevor ich mit meinen zwei linken Händen, die ich ganz eindeutig von Dad geerbt hatte, den Werkzeugkasten aus dem Schrank kramen musste.
Nach einer Weile hörte ich Schritte im Flur. Mein Bruder kam mit einer Gesichtsfarbe, die einer Leiche ähnelte in die Küche und ließ sich mühsam auf dem Stuhl mir gegenüber fallen.
»Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?«, frage ich, als er nicht die Anstalten macht, ein Gespräch aufzubauen.
Als Antwort zischt er gequält auf und hält einen Finger in die Luft, was mir scheinbar sagen soll, dass ich leise sein soll.
»Gewöhn dich dran, Calvin. Wenn du dich auf Alkohol einlässt, lässt du dich ganz automatisch auch auf einen Kater ein, kapiert?«, erwidere ich jedoch in einem scharfen Ton.
Fakt ist, egal wie schlecht es ihm geht und wie besorgt ich letzte Nacht um ihn war, ich bin wütend. So wütend, dass ich ihm am Liebsten ein Nudelholz über den Kopf ziehen würde, damit sich in seinem Gehirn etwas regt.
Calvin sieht mich mit großen Augen an und nickt leise.
»Was fällt dir eigentlich ein? Du lügst mich an, indem du sagst, dass du bei Jason schläfst, treibst dich aber in Zentrum von Manhattan auf einer Party rum und betrinkst dich? Spinnst du? Bist du völlig verrückt geworden? Die Party, von der du mir erzählt hast, ist nur fünf Minuten von Jason. Warum lügst du mir so dreist ins Gesicht?«
»Hail-«, beginnt er, doch ich unterbreche ihn, indem ich ihm das Wort abschneide.
»Nein, vergiss es. Du hast Sendepause. Ich bin wahnsinnig enttäuscht von dir. Ich habe dir vertraut und du lügst mich an. Ich versuche wirklich alles, dass du ein schönes Leben hast, aber ich kann dir kein Upper East Side leben ermögliche, wie es diese Leute auf der Party führen okay? Wieso wart ihr überhaut dort?«
»Mia van der Walt hat uns in der Schule angesprochen. Du weißt doch, ihre Mutter ist das heiße Model. Jedenfalls lebt ihr Vater hier in Brooklyn, währenddessen ihre Mutter in Manhattan wohnt. Sie hat uns zur Party eingeladen und Jason meinte, es wäre eine gute Umgebung, um sie flachzulegen. Auf der Party hat sie dann aber mit einem anderen Typen, so einem Anzugschnösel, geknutscht und Jason hat mich abgefüllt.«
Oh mein Gott. Mein kleiner Bruder ist verknallt und wollte ein Mädchen flachlegen? Heiliger Bimbam.
»Du kannst Jason ausrichten, dass ich ihn einen Kopf kürzer machen werde, wenn ich ihn sehen sollte. Wieso lässt du dich abfüllen, Cal? Und wieso wegen eines Mädchens?«
»Hast du Mia überhaupt mal angesehen? Sie ist perfekt!«
»Und ganz offensichtlich nicht an dir interessiert, wenn sie vor deinen Augen mit einem anderen rummacht. Waren noch mehr Leute aus eurer Schule dort?«
Calvin schüttelt den Kopf und öffnet seinen Mund, schweigt dann jedoch. Erwartungsvoll sehe ich ihn an und hoffe, dass er mir sagt, was ihm auf der Zunge liegt. Als unsere Blicke sich treffen, seufzt er und gibt sich geschlagen.
»Nein, sie hat gesagt, wir seien die einzigen Loser aus Brooklyn«, erklärt er und ich schüttele empört den Kopf.
»Ich schlage vor, du suchst dir ein Mädchen, dem es nicht an genügend Grips im Gehirn mangelt, sondern ein gutes Benehmen und Verstand hat. Mit solchen Leuten wollen wir nichts zu tun haben, oder?«
»Nein, wollen wir nicht«, sagt er leise und seufzt, ehe er aufsteht und den Stuhl geräuschvoll an den Tisch schiebt. »Ich gehe wieder ins Bett. Tut mir leid, Hailey. Hattest du denn wenigstens einen schöneren Abend, bis ich... naja angerufen habe?«
Ich schlucke und nicke leicht. Calvin lächelt mich leicht an, bevor er sich in sein Zimmer zurückzieht und mich allein lässt.
Augenblicklich wandern meine Gedanken hinüber zum gestrigen Abend und dem Mann, der mich geküsst hat. Bis zu Calvins Anruf war mein Abend magisch. Ich habe mich ausnahmsweise mal auf mich allein konzentriert und Spaß gehabt.
Das Kleid, meine Freundinnen, der Tanz, die Küsse. Das Gefühl.
Doch dann schießt mir ein Gedanke in den Kopf und sorgt dafür, dass ich an meine eigenen Worte denken muss, die ich gerade eben zu meinem kleinen Bruder gesagt habe.
Mit solchen Leuten wollen wir nichts zu tun haben, oder?
———
Was sagt ihr zu Calvins Verhalten? Meint ihr, er wird noch Probleme machen? 🤔
Im nächsten Kapitel werden wir auf unseren lieben Mr.Secret treffen. 😏
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